Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 7/3385 20.09.2018 (Ausgegeben am 20.09.2018) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordneter Hendrik Lange (DIE LINKE) Ehrendoktorwürden von nationalsozialistisch belasteten Personen an den Hochschulen in Sachsen-Anhalt Kleine Anfrage - KA 7/1923 Vorbemerkung des Fragestellenden: Nach Recherchen des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) und einem darauf gestützten Bericht vom 16. Juli 2018 werden an den Hochschulen in Mitteldeutschland noch immer nationalsozialistisch belastete Personen als Ehrendoktoren geführt. Auch die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) wurde im Bericht genannt, die August von Mackensen in der Liste ihrer Ehrendoktorinnen und Ehrendoktoren führt. Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitalisierung Frage 1: Gibt es neben dem genannten Fall weitere Ehrendoktoren mit nationalsozialistischer Vergangenheit an der MLU? Wenn ja, welche Ehrendoktoren sind betroffen ? Antwort zu Frage 1: Der MLU sind keine weiteren, mit August von Mackensen vergleichbaren Fälle bekannt . Die MLU weist allerdings darauf hin, dass in den vergangenen 150 Jahren ca. 500 Personen die Ehrendoktorwürde verliehen wurde. Der größte Teil dieser Personen habe die Auszeichnung vor oder nach der nationalsozialistischen Diktatur erhalten , viele davon verbrachten aber einen Teil ihres Lebens in der Zeit zwischen 1933 und 1945. Es sei daher nicht ausgeschlossen, dass sich hierunter auch Personen befinden, deren Verhalten während dieser Zeit Anlass geben könnte, einen Entzug der Ehrenpromotion in Betracht zu ziehen. Siehe hierzu jedoch auch die Ausführungen zu Frage 3. Zu den meisten Personen gebe es allerdings über die Ehrenpromotionen hinaus im Archiv der Universität keine Aufzeichnungen. Eine abschließende Beantwortung dieser Frage wäre daher allenfalls im Rahmen eines umfangreichen und mit Sicherheit viele Jahre währenden Forschungsprojektes zu leisten. 2 Frage 2: Welche Ehrendoktorwürden wurden in der Vergangenheit wegen nationalsozialistischer Belastung aberkannt? Antwort zu Frage 2: Eine Recherche im Archiv der MLU ergab, dass die Deutsche Verwaltung für Volksbildung in der Sowjetischen Besatzungszone im Jahre 1947 alle Fakultäten verpflichtete , eine Sonderkommission einzusetzen und die während des Nazi-Regimes vollzogenen Ehrenpromotionen zu überprüfen. Eine Aberkennung von Ehrendoktorwürden wegen nationalsozialistischer Vergangenheit hat es nach derzeitigem Kenntnisstand an der MLU weder anlässlich dieser Untersuchung noch danach gegeben. Frage 3: Gibt es nach Ansicht der Landesregierung juristische Probleme bei der Aberkennung von Ehrendoktorwürden, die sich aus dem Landeshochschulgesetz oder den Grundordnungen ergeben? Wenn ja, welche sind das? Antwort zu Frage 3: Regelungen zu Ehrenpromotionen einschließlich des Entzugs und des Widerrufs beinhaltet das Landeshochschulgesetz. Die Grundordnungen der beiden Universitäten regeln nur die Verleihung des Doktors ehrenhalber, nicht aber dessen Entzug. Nach § 20 Satz 1 Hochschulgesetz des Landes Sachsen-Anhalt (HSG LSA) kann ein von einer Hochschule des Landes Sachsen-Anhalt verliehener Hochschulgrad entzogen werden, wenn sich herausstellt, dass der Inhaber oder die Inhaberin im Zeitpunkt der Verleihung des akademischen Grades unwürdig war (Nr. 2) bzw. sich durch späteres Verhalten als unwürdig erwiesen hat (Nr. 3). Über die Entziehung entscheidet die Hochschule, die den Grad verliehen hat (§ 20 Satz 2 HSG LSA). Das Landeshochschulgesetz ermöglicht es mit dieser Norm, akademische Grade zu entziehen. Die Norm regelt jedoch kein Verfahren, sodass die jeweilige Hochschule zunächst Überlegungen und Festlegungen über einen Verfahrensablauf anstellen muss. Gegen die förmliche Aberkennung der Ehrendoktorwürde von Verstorbenen sprechen auch aus Sicht der MLU juristische Gründe. Zunächst ist fraglich, welche Rechtswirkungen eine Ehrendoktorwürde nach dem Tod des oder der Geehrten noch haben sollte. Die tatsächlich erfolgte Ehrung zu Lebzeiten kann als historischer Fakt nicht mehr rückgängig gemacht werden. Alle Rechtswirkungen der Ehrung werden mit dem Tod des Geehrten gegenstandslos, sodass für eine förmliche Aufhebung kein Raum ist. Ein Vergleich mit dem Doktorgrad auf der Grundlage einer schriftlichen wissenschaftlichen Arbeit (Dissertation), § 18 Abs. 2 HSG LSA, zeigt, dass die Ehrendoktorwürde deutlich weniger konturiert ist. Gemäß § 18 Abs. 4 Satz 2 HSG LSA würdigt sie Personen , die sich besondere Verdienste in Wissenschaft, Technik, Kultur und Kunst erworben haben. Das Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 31. Juli 2013, Az. 6 C 9.12, NVwZ 2013, 1614 ff), bestätigt vom Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 3. September 2014 - 1 BvR 3353/13), knüpft bei der Auslegung der Bezeichnung „unwürdig“ an die 3 wissenschaftliche Arbeit an. Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts ist der Begriff der Unwürdigkeit daher in einem strikt wissenschaftlichen Sinne zu verstehen, was zur Folge hat, dass auch die Verfehlung wissenschaftsbezogen sein muss. Für den Entzug der Ehrendoktorwürde müssten vergleichbare Voraussetzungen angewandt werden. Grundsätzlich müssten Kriterien gefunden werden, die den Begriff „unwürdig“ ausfüllen könnten. Eine Anwendung von ex post definierten Kriterien für einen Entzug wäre mit dem rechtsstaatlichen Rückwirkungsverbot jedoch nur schwer in Einklang zu bringen. Darüber hinaus erscheint es fragwürdig, eine hoheitliche Maßnahme gegenüber jemandem zu verhängen, ohne dass diesem Gelegenheit zu einer Stellungnahme oder zu einer anschließenden gerichtlichen Überprüfung der Maßnahme gegeben werden könnte. Diese Verfahrensweise käme ggf. dann in Betracht, wenn Umstände vorlägen, die (1) von so erheblichem Gewicht sind, dass ihre Unvereinbarkeit mit einer akademischen Ehrung selbst ohne ausdrückliche Regelung evident ist, (2) historisch zweifelsfrei belegt und festgestellt sind und (3) einen inhaltlichen Bezug zum Anlass und Wesen einer akademischen Ehrung haben. In Betracht käme dies bei verurteilten Kriegsverbrechern (Rixen, NJV 2014, 1058, 1060). Da die Ehrendoktorwürde über den Tod hinaus keine Rechtswirkungen entfaltet, ist es der MLU allerdings möglich, den Ausgezeichneten in Zukunft nicht weiter zu ehren und ihn zum Beispiel in entsprechenden Verzeichnissen nicht mehr zu nennen. Aus Sicht der Landesregierung ist es einer Universität auch unbenommen, sich zu einer in der Vergangenheit erfolgten Ehrenpromotion kritisch zu äußern. Frage 4: Inwiefern plant die Landesregierung gemeinsam mit der Hochschule Maßnahmen zu ergreifen, die die Aberkennung der Ehrendoktorwürde für August von Mackensen betreffen? Antwort zu Frage 4: Die Aberkennung der Ehrendoktorwürde ist nach den Ausführungen zu Frage 3 problematisch . Ob der Begriff der Unwürdigkeit bereits erfüllt ist, lässt sich nicht pauschal beantworten, sondern bedarf einer Einzelfallprüfung unter Berücksichtigung des Lebenslaufs August von Mackensens, des Grades der Einbindung in die NS-Diktatur und der Schwere eines etwaigen Fehlverhaltens. Es besteht bei August von Mackensen Anlass für die Aufarbeitung. Da August von Mackensen im Kontext der geschichtlichen Ereignisse betrachtet werden muss, muss auch die Aufarbeitung zunächst eine historische sein. Das Rektorat der MLU beabsichtigt daher, die universitäre „Kommission zur Aufarbeitung der Universitätsgeschichte in den Diktaturen des 20. Jahrhunderts“ mit der Untersuchung des Falles zu beauftragen. Abhängig vom Ergebnis der Untersuchung wird dann über weitere Schritte entschieden werden. Die Martin-Luther-Universität wird in geeigneter Form eine öffentliche Erklärung abgeben , dass sie sich der Klärung zur Verleihung der Ehrendoktorwürde an August von Mackensen annimmt.