Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 7/3398 25.09.2018 (Ausgegeben am 25.09.2018) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordneter Oliver Kirchner (AfD) Zielsetzung und Begriffsbestimmungen im Landesprogramm Demokratie, Vielfalt und Weltoffenheit in Sachsen-Anhalt Kleine Anfrage - KA 7/1953 Vorbemerkung des Fragestellenden: Nicht zuletzt bei der Vorstellung des Landesprogramms für Demokratie, Vielfalt und Weltoffenheit im Rahmen der Auftaktkonferenz am 8. September 2017 hantierten die Vertreter der Landesregierung mit zahlreichen unbestimmten Begriffen, wie bspw. „populistisch“, „rechts“, „rechtspopulistisch“, „rechtsradikal“ oder „rechtsextrem“. Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Arbeit, Soziales und Integration 1. Auf welcher Grundlage erfolgte bisher die Begriffsbestimmung bzw. -unterscheidung der Landesregierung zwischen: populistisch, rechts, rechtspopulistisch, rechtsradikal, rechtsextrem? Welche wissenschaftlichen Quellen wurden bei der Begriffsbestimmung der Landesregierung herangezogen? 2. Wie definiert die Landesregierung folgende Begriffe: populistisch, rechts, rechtspopulistisch, rechtsradikal, rechtsextrem? Die Fragen 1. und 2. werden zusammen beantwortet. Die regierungstragenden Parteien haben im Koalitionsvertrag festgelegt, die Aufklärungs- und Bildungsarbeit über populistische Parteien und Gruppierungen , die durch antidemokratische Systemkritik, einfache Scheinlösungen und Hetze das Vertrauen in die parlamentarische Demokratie untergraben und das friedliche Zusammenleben gefährden, weiterzuentwickeln (S. 8). Vor diesem Hintergrund wurde das Aufgabenfeld des Landesprogramms für Demokratie, Vielfalt und Weltoffenheit in einem von der Landesregierung unterstützten Dialog mit zivilgesellschaftlichen Akteuren erweitert. Die in diesem Prozess ver- 2 wendeten Begriffe orientieren sich an gängigen wissenschaftlichen Erkenntnissen , deren Quellenangaben im Fließtext eingefügt wurden. Populismus bzw. populistisch Die Bundeszentrale für politische Bildung formuliert zum Begriff Populismus (Quelle: http://www.bpb.de/apuz/75848/wesensmerkmale-des-populismus ?p=all): Populismus lässt sich nur in Relation zu einem Gegner bestimmen. Diese Gegnerschaft wird auf einer vertikalen Achse häufig zwischen dem als Homogen gedachten „Volk“ und einer vom Volk entkoppelten „Elite“ gedacht. Der Populismusforscher Cas Mudde definiert Populismus als „eine Ideologie, die davon ausgeht, dass die Gesellschaft in zwei homogene, antagonistische Gruppen getrennt ist, das 'reine Volk' und die 'korrupte Elite', und die geltend macht, dass Politik ein Ausdruck der volonté générale oder des allgemeinen Volkswillens sein soll“ (Quelle: Cas Mudde, The Populist Zeitgeist, in: Government and Opposition , 39 (2004) 3, S. 543). Rechtspopulismus Rechtspopulismus beziehungsweise rechtspopulistische Bewegungen, Parteien und Medien können in Anlehnung an Prof. Dr. Karin Priesters Definition „rechtspopulistischer Parteien“ verstanden werden. „Über ihre Programmatiken lassen sich rechtspopulistische Parteien (...) nicht unter ein gemeinsames Dach bringen. (...) Ihre Gemeinsamkeit liegt im Anti-Establishment-Protest und im Identitätsdiskurs, mit denen sie vor dem Hintergrund wachsender sozialer Fragmentierung und pessimistischer Zukunftsunsicherheit die Angst vor Deklassierung und die Unzufriedenheit mit einer abgeschotteten politischen Elite bündeln und mobilisieren.“ (Quelle: Karin Priester: Rechtspopulismus - ein umstrittenes theoretisches und politisches Phänomen, in: Virchow / Langebach / Häusler (Hg.): Handbuch Rechtsextremismus, Springer VS, 2016). Rechtsextremismus In Anlehnung an die Definition von Prof. Dr. Hans Gerd Jaschke wird unter Rechtsextremismus die Gesamtheit von Einstellungen, Verhaltensweisen und Aktionen verstanden, die von der rassisch oder ethnisch bedingten sozialen Ungleichheit der Menschen ausgehen, nach ethnischer Homogenität von Völkern verlangen und das Gleichheitsgebot der Menschenrechts-Deklarationen ablehnen, die den Vorrang der Gemeinschaft vor dem Individuum betonen, von der Unterordnung des Bürgers unter die Staatsräson ausgehen und die den Wertepluralismus einer liberalen Demokratie ablehnen und Demokratisierung rückgängig machen wollen. Unter „Rechtsextremismus“ versteht die Landesregierung insbesondere Zielsetzungen, die den Individualismus aufheben wollen zugunsten einer völkischen, kollektivistischen, ethnisch homogenen Gemeinschaft in einem starken Nationalstaat und in Verbindung damit den Multikulturalismus ablehnen und entschieden bekämpfen. Rechtsextremismus ist eine antimodernistische , auf soziale Verwerfungen industriegesellschaftlicher Entwicklung reagierende, sich europaweit in Ansätzen zur sozialen Bewegung formierende Protestform. 3 (Quelle: Jaschke, Hans-Gerd (Hg.): Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit . Begriffe, Positionen, Praxisfelder, Westdeutscher Verlag GmbH, Wiesbaden , 2002, S. 30). Rechtsradikalismus Während Rechtsextremismus die Abkehr vom Grundgesetz beschreibt, konturiert Rechtsradikalismus die „Grauzone zwischen demokratischer Mitte und Extremismus “ (Held, Joseph et al. (2008): Rechtsextremismus und sein Umfeld. Eine Regionalstudie und die Folgen für die Praxis. Hamburg: VSA-Verlag, S. 13). Rechtsradikalismus meint eine politisch-ideologische Strömung, die „die geltende demokratische Ordnung als solche nicht infrage stell[t], jedoch durch Rückgriff auf den ultranationalistischen Mythos eine Radikalisierung nach rechts und damit eine Revision der Verfassungswirklichkeit bzw. einzelner Normen“ wie die der Freiheit und Gleichheit sowie die des Individualismus und Universalismus anstrebt (Jaschke, Hans-Gerd (2001): Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit . Begriffe - Positionen - Praxisfelder. 2. Aufl., Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, S. 34). Zur Verwendung des Begriffs „rechtsradikal“ wird darauf verwiesen, dass dieser Begriff seit Mitte der 1980er Jahre in der Sozialwissenschaft nicht mehr durchgängig gebräuchlich ist, sondern ein in den Medien verwendeter Begriff zur Charakterisierung rassistischer und rechtsautoritärer politischer Bestrebungen, Einstellungen und Handlungen ist. 3. Ordnet die Landesregierung die AfD in Sachsen-Anhalt unter eine der folgenden Begriffsbestimmungen ein: „populistisch“, „rechts“, „rechtspopulistisch “, „rechtsradikal“ oder „rechtsextrem“? Wenn ja, unter welche? 4. Gefährdet die Alternative für Deutschland Sachsen-Anhalt nach Auffassung der Landesregierung die Demokratie? Die Fragen 3 und 4 werden zusammenhängend beantwortet. Die Landesregierung geht bei der Beantwortung der Fragen 3 und 4 davon aus, dass der Fragesteller wissen möchte, ob nach Ansicht der Landesregierung von der Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gemäß § 4 Abs. 1 des Gesetzes über den Verfassungsschutz im Land Sachsen-Anhalt (VerfSchG-LSA) ausgehen. § 4 Abs. 1 VerfSchG-LSA beschreibt den Auftrag des Verfassungsschutzes Sachsen-Anhalt dahingehend, dass es seine Aufgabe ist, Informationen, insbesondere sach- und personenbezogene Auskünfte, Nachrichten und Unterlagen über Bestrebungen und Tätigkeiten zu sammeln und auszuwerten. In § 5 Abs. 1 Satz 1 VerfSchG-LSA werden Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung sowie Bestrebungen gegen den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes definiert. Diese Bestrebungen sind politisch bestimmte ziel- und zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss. Für einen Personenzusammenschluss handelt, wer ihn in seinen Bestrebungen aktiv sowie ziel- und zweckgerichtet unterstützt (§ 5 Abs. 1 Satz 2 VerfSchG-LSA). Verhaltensweisen von Einzelpersonen, die nicht in einem oder für einen Personenzu- 4 sammenschluss handeln, sind gemäß § 5 Abs. 1 Satz 3 VerfSchG-LSA nur dann Bestrebungen im Sinne dieses Gesetzes, wenn sie auf Anwendung von Gewalt gerichtet sind oder aufgrund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, ein Schutzgut des VerfSchG-LSA erheblich zu beschädigen. Mithin sind regelmäßig Personenzusammenschlüsse, d. h. Parteien, Vereine oder andere Gruppierungen zu denen konkrete Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen vorliegen , Gegenstand der Beobachtung. Den sachsen-anhaltischen Landesverband der AfD betreffend liegen dem Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt derzeit keine ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte dafür vor, dass von diesem Bestrebungen gemäß § 4 Abs. 1 Verf- SchG-LSA ausgehen. Der Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt prüft aber entsprechend des gesetzlichen Auftrages fortlaufend, ob Bestrebungen vorliegen, die den Kernbestand des Grundgesetzes zu beeinträchtigen oder zu beseitigen versuchen. So werden auch im Falle des sachsen-anhaltischen Landesverbandes der AfD offene Indizien wie Aktivitäten, Aussagen oder eine potenzielle Zusammenarbeit mit extremistischen Gruppierungen gesichtet und bewertet, ob es sich um Einzelmeinungen und -agitationen oder um eine parteipolitische Leitlinie handelt. 5. Aus welchen Gründen und mit welcher Zielsetzung übernimmt die Landesregierung in Verlautbarungen des Landes, bspw. im o. g. Landesprogramm , unreflektiert antidemokratische, bewusst ausgrenzende und diffamierende Formulierungen in Bezug auf demokratische rechte Positionen und Vereinigungen von politisch links verorteten Trägern und Gruppen . Die Landesregierung übernimmt in ihren Verlautbarungen keine antidemokratischen , bewusst ausgrenzenden oder diffamierenden Formulierungen. Ungeachtet dessen bekennt sich die Landesregierung zu der im Koalitionsvertrag verankerten Aufgabe, das Engagement für ein demokratisches und diskriminierungsfreies Zusammenleben zu fördern. Auf Seite 8 des Landesprogramms für Demokratie, Vielfalt und Weltoffenheit in Sachsen-Anhalt spricht die Verfasserin von der gezielten Förderung und Stärkung der Gründung und Arbeit von lokalen Bündnissen und Initiativen für Demokratie . 6. Wie stellt sich diese Förderung und Stärkung konkret dar? Welche Mittel und Instrumente kommen dabei zum Einsatz? In den lokalen und regionalen „Partnerschaften für Demokratie“ gilt es, die Zusammenarbeit von zivilgesellschaftlichen Akteuren in Netzwerken zu stärken und fachliche Kompetenz auszubauen. Durch das Bundesprogramm werden kommunale Gebietskörperschaften unterstützt. Verantwortliche aus der kommunalen Politik und Verwaltung sowie Aktive aus der Zivilgesellschaft kommen zusammen. Anhand der lokalen Gegebenheiten und Problemlagen entwickeln sie gemeinsam eine auf die konkrete Situation vor Ort abgestimmte Strategie. Im Übrigen wird auf die Antworten der Landesregierung auf die KA 7/1332 und die KA 7/372 in den LT-Drs. 7/2407 bzw. 7/754 verwiesen.