Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 7/3451 08.10.2018 Hinweis: Die Drucksache steht vollständig digital im Internet/Intranet zur Verfügung. Bei Bedarf kann Einsichtnahme in der Bibliothek des Landtages von Sachsen-Anhalt erfolgen oder die gedruckte Form abgefordert werden. (Ausgegeben am 09.10.2018) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordneter Ulrich Siegmund (AfD) Physiotherapeutische Ausbildung in Sachsen-Anhalt Kleine Anfrage - KA 7/1970 Vorbemerkung des Fragestellenden: In Kreisen der Physiotherapie wird immer wieder Kritik an der Praxis der beruflichen Ausbildung sowie an der wirtschaftlichen Situation des Berufsstandes geübt. So wird hinter vorgehaltener Hand moniert, dass die physiotherapeutische Berufsausbildung in weiten Teilen nicht den Standards der modernen medizinischen Forschung genüge und sich die hierzu maßgeblichen Ordnungen auf einem veralteten wissenschaftlichen Stand bewegten. Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Bildung Namens der Landesregierung beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Vorbemerkung der Landesregierung: Im Schuljahr 2017/2018 lernten ca. 650 Schülerinnen und Schüler in der physiotherapeutischen Ausbildung. Die Ausbildung der Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten erfolgt durch einen vollzeitschulischen Bildungsgang an Berufsfachschulen. Der Bildungsgang ist im Schulgesetz geregelt. Sowohl öffentliche Schulen, Schulen in freier Trägerschaft, aber auch eine Schule in Verantwortung des Ministeriums für Arbeit, Soziales und Integration bieten diesen Bildungsgang an. Frage 1: Welche gesetzlichen Grundlagen, Richtlinien und beruflichen Standards sind für die physiotherapeutische Berufsausbildung in Sachsen-Anhalt maßgeblich? 2 Antwort: Als gesetzliche Grundlagen gelten für die physiotherapeutische Berufsausbildung das Gesetz über die Berufe in der Physiotherapie: Masseur- und Physiotherapeutengesetz vom 26. Mai 1994 (BGBl. I S. 1084), zuletzt geändert durch Artikel 17d des Gesetzes vom 23. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3191) und die Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Physiotherapeuten vom 6. Dezember 1994 (BGBl. I S. 3786), zuletzt geändert am 18. April 2016 (BGBl. I S. 886). Landesrechtlich gelten das Schulgesetz des Landes Sachsen-Anhalt in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. August 2018 (GVBl. LSA S. 244), die Verordnung über Berufsbildende Schulen (BbS-VO) vom 10. Juli 2015, zuletzt geändert durch Verordnung vom 22. Mai 2017 (GVBl. LSA S. 81), die Ergänzenden Bestimmungen zur Verordnung über Berufsbildende Schulen (EBBbS-VO) vom 11. Juli 2015, zuletzt geändert durch RdErl. des MB vom 23.5.2017 (SVBl. LSA S. 104) und die vorläufigen Rahmenrichtlinien der Berufsfachschule Physiotherapie in Sachsen-Anhalt vom April 2003. Frage 2: Durch wen und in welchen zeitlichen Abständen erfolgt die fachliche und wissenschaftliche Evaluierung der physiotherapeutischen Berufsausbildung ? Antwort: Die fachliche und wissenschaftliche Evaluierung erfolgt bei der physiotherapeutischen Berufsfachschulausbildung durch die fachlichen Beratungen und Betreuungen für die berufsbildenden Schulen zur Qualitätssicherung des Unterrichts. Die Evaluierung , die im Rahmen der Schulaufsicht stattfindet, wird unterstützt und durch die zuständigen Fachbetreuerinnen und Fachbetreuer des Landes begleitet. Frage 3: Auf welchen Wegen fließen Erkenntnisse der jüngeren Forschung in die Berufsausbildung ein? Antwort: Erkenntnisse der jüngeren Forschung sind permanent Bestandteil der physiotherapeutischen Ausbildung. Die Rahmenrichtlinien beinhalten inhaltliche Orientierungsaspekte sowie Mindestanforderungen für den theoretischen Unterricht. Die Lehrkraft ist beauftragt sich in Eigenverantwortung fortzubilden. Das Landesinstitut für Schulqualität und Lehrerbildung Sachsen-Anhalt (LISA) nimmt dabei eine Unterstützungsfunktion für die Fortbildung ein. Auch Freistellungen sowie die Übernahme der Fortbildungskosten bei sogenannten Ersatzangeboten für fachliche Fortbildungen, beispielsweise durch Berufsverbände, sind für die unterrichtenden Lehrkräfte möglich. In der praktischen Ausbildung, die mit insgesamt 1600 Stunden in Krankenhäusern oder anderen geeigneten medizinischen Einrichtungen absolviert wird, ist es nach § 125 Abs. 1 SGB V verpflichtend, dass sich alle an der ambulanten Heilmittelversorgung beteiligten Therapeuten in Praxen und Einrichtungen zielgerichtet fortbilden. Dieses ist für eine qualitätsgesicherte Heilmittelerbringung notwendig. Die therapeutisch tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben sich beruflich mindestens jedes zweite Jahr extern fachspezifisch fortzubilden. Eine gesetzliche Fortbildungspflicht besteht für alle Praxisinhaber und fachliche Leiterinnen und Leiter, die eine Zulassung gemäß § 125 SGB V besitzen. 3 Darüber hinaus werden schulfachliche Fortbildungen durch das LISA vorgehalten, mit denen sowohl fachinhaltliche als auch fachdidaktische Anregungen gegeben werden . Schülerinnen und Schüler der Berufsfachschule Physiotherapie absolvieren im zweiten Ausbildungsjahr 16 Wochen und im dritten Ausbildungsjahr 24 Wochen in der praktischen Ausbildung. Die Lehrkräfte der berufsbildenden Schulen betreuen in diesen Phasen die Schülerinnen und Schüler und sichern so den Theorie-Praxis- Transfer. Frage 4: Inwieweit entspricht die physiotherapeutische Berufsausbildung den jüngeren Erkenntnissen und aktuellen Standards der medizinischen Forschung ? Antwort: Eine Qualitätssicherung der Ausbildung erfolgt u. a. durch die in den Fragen 2 und 3 genannten Maßnahmen. Die staatliche Prüfung für die Ausbildungen nach § 9 und § 12 Abs. 1 des Masseur- und Physiotherapeutengesetzes umfasst jeweils einen schriftlichen, einen mündlichen und einen praktischen Teil. Ein möglicher Nachweis aktueller physiotherapeutischer Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten erfolgt im Rahmen der umfangreichen Abschlussprüfung. Die fachliche Begutachtung aller schriftlichen Prüfungsaufgaben erfolgt durch die Fachbetreuerinnen und Fachbetreuer sowie durch den Prüfungsausschuss, der mit mindestens einer Ärztin bzw. einem Arzt besetzt ist. Die Mitwirkung einer Ärztin oder eines Arztes sichert den Einbezug aktueller Standards der medizinischen Forschung. Frage 5: Wie bewertet die Landesregierung die allgemeine und wirtschaftliche Situation des physiotherapeutischen Berufsstandes in Sachsen-Anhalt? Antwort: Die Krankenkassen, ihre Landesverbände oder Arbeitsgemeinschaften schließen Vergütungsverträge mit Leistungserbringern oder Verbänden oder sonstigen Zusammenschlüssen der Leistungserbringer zur Abrechnung physiotherapeutischer Leistungen (§ 125 Abs. 2 SGB V). Einige Krankenkassen verhandeln in jedem Bundesland einzeln mit den Berufsverbänden . Andere, wie beispielsweise die sechs Mitgliedskassen des Verbandes der Ersatzkassen (vdek), führen die Vergütungsverhandlungen länderübergreifend, trennen die Preise aber nach neuen und alten Bundesländern. Seit Jahren sind die physiotherapeutischen Berufsverbände der Ansicht, dass physiotherapeutische Leistungen zu schlecht bezahlt würden und sich viele Praxen deshalb kaum noch rechnen würden, was wiederum ein niedriges Vergütungsniveau bei angestellten Physiotherapeuten nach sich ziehe. Die Folge sei ein zunehmender Fachkräftemangel, da der Beruf an Attraktivität verliere. Um dem entgegenzuwirken, ist seitens der Bundesgesetzgebung im Jahr 2016 eine Preisuntergrenzenregelung für physiotherapeutische Leistungen eingeführt worden, die eine Vereinheitlichung der Preise mit sich bringen soll. 4 Mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung vom 4. April 2017 (BGBl. I S. 778) wird außerdem in den Jahren 2017 bis 2019 für die Vergütungsvereinbarungen zwischen den Krankenkassen und den Verbänden der Heilmittelerbringer die Begrenzung von Anhebungen der Vergütungen durch die Grundlohnrate aufgehoben. Bislang galt für Heilmittelverträge gemäß § 71 Abs. 2 SGB V der Grundsatz der Beitragssatzstabilität. Dies hat zur Folge, dass die durchschnittliche Veränderungsrate der beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder der Krankenkassen, welche das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) jährlich bis zum 15. September feststellt, bisher in den Vertragsverhandlungen die Obergrenze für Vergütungsanpassungen des Folgejahres gebildet hat. Durch die in § 125 Abs. 2 Satz 2 SGB V für die Jahre 2017 bis 2019 vorgesehene Aufhebung der Geltung des Grundsatzes der Beitragssatzstabilität soll den Vertragspartnern eine größere Flexibilität bei der Vereinbarung der Heilmittelpreise ermöglicht werden. In diesem Zeitraum sind auch Vertragsabschlüsse oberhalb der Veränderungsrate möglich. Bei der Vereinbarung der Höhe der Vergütung sind die Interessen beider Vertragspartner zu berücksichtigen. Kommt es zu keinem Vertragsabschluss, hat der Gesetzgeber einen konkreten Konfliktlösungsmechanismus festgelegt: Jede Vertragspartei kann ein Schiedsverfahren einleiten (§ 125 Abs. 2 Satz 5 SGB V), um bessere Konditionen zu erwirken. Auf diese Weise konnten die Physiotherapeutenverbände (Bundesverband selbstständiger Physiotherapeuten, Verband Physikalische Therapie e. V., VDB-Physiotherapieverband e. V., Deutscher Verband für Physiotherapie) gegenüber der AOK Sachsen- Anhalt - Die Gesundheitskasse erreichen, dass die AOK Sachsen-Anhalt durch den ergangenen Schiedsspruch am 7. August 2018 rückwirkend zum 1. Juli 2018 die Preise zahlt, die auch der vdek zahlt. Die Vertragspreise werden vom 1. Juli 2018 bis 30. Juni 2019 um 32 % und vom 1. Juli 2019 bis zum 30. Juni 2020 um weitere 12 % angehoben. Statistiken über die wirtschaftliche Situation des physiotherapeutischen Berufsstandes in Sachsen-Anhalt werden durch die Landesregierung nicht erhoben. Frage 6: Wie bewertet die Landesregierung die Qualität der physiotherapeutischen Berufsausbildung insgesamt? Antwort: Kritik zur Qualität der physiotherapeutischen Ausbildung ist bislang an die Landesregierung nicht herangetragen worden. Die Qualität der Ausbildung in der Physiotherapie entspricht den derzeitigen rechtlichen Anforderungen. Es ist aber bekannt, dass die Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Physiotherapeuten aus dem Jahr 1994 unverändert gilt. Seither gab es viele Veränderungen, an die die Ausbildung angepasst werden muss. Dies betrifft neben der Physiotherapeutenausbildung weitere Gesundheitsfachberufe. Aus diesem Grund wurde das Thema „Novellierung der Gesundheitsfachberufe “ auch auf der Gesundheitsministerkonferenz im Jahr 2017 mit dem Ergebnis erörtert, eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe einzurichten. Auch auf Bundesebene wurde die Problematik erkannt und hat Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden. Danach wurde im Koalitionsvertrag auf Bundesebene vereinbart , dass die Ausbildung der Gesundheitsfachberufe im Rahmen eines Gesamtkonzeptes neu geordnet wird und damit gestärkt werden soll. Es soll das Schulgeld für 5 die Ausbildung in den Gesundheitsfachberufen abgeschafft werden. Für die zukünftigen Herausforderungen des Gesundheitswesens ist die Aufgabenverteilung der Gesundheitsberufe neu zu justieren und den Gesundheitsfachberufen mehr Verantwortung zu übertragen. Die Ergebnisse der Modellprojekte der Heilberufe werden dabei berücksichtigt. Im Sinne einer verstärkten Patientensicherheit soll das Spektrum der heilpraktischen Behandlung überprüft werden. Zur Umsetzung der genannten Vorhaben hat das BMG zwischenzeitlich eine Bund- Länder-Arbeitsgruppe eingerichtet, die sich im Schwerpunkt - vorbehaltlich der Abstimmung aller Mitglieder - mit folgenden Punkten beschäftigen wird: ‐ Prüfung der Berufsgesetze und Überarbeitung, ‐ Ausbildungsvergütung und Schulgeldfreiheit, ‐ Bedarfs- und kompetenzorientierte Aufgabenprofile, ‐ Transparenz und Durchlässigkeit der Ausbildungen. Das BMG hat angekündigt, noch in diesem Jahr erste Vorstellungen vorzulegen. Frage 7: Wie bewertet die Landesregierung die in der Vorbemerkung umrissene Kritik? Antwort: Die Landesregierung teilt die eingangs benannte Kritik nicht. Die Ausbildung zum Physiotherapeuten bzw. zur Physiotherapeutin bietet eine solide Grundausbildung, die sowohl traditionell bewährte als auch moderne Methoden, Grundlagen sowie Verfahren vermittelt. Der zeitgemäße Forschungsstand wird in der Ausbildung ebenfalls abgebildet. Der Beruf des Physiotherapeuten entwickelt sich ständig weiter. Sowohl die Fortschritte in der modernen Medizin als auch die sich in diesem Rahmen verändernden physiotherapeutischen Arbeitsgrundlagen erfordern von den Physiotherapeuten die Bereitschaft zur ständigen Fort- und Weiterbildung. Der Deutsche Verband für Physiotherapie e. V. ermöglicht deshalb Fortbildungen für die Prävention und Gesundheitsförderung, Qualifizierungsmöglichkeiten für die Lehrtätigkeit und Zertifikatsweiterbildungen für die Therapie.