Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 7/3542 29.10.2018 Hinweis: Die Drucksache steht vollständig digital im Internet/Intranet zur Verfügung. Bei Bedarf kann Einsichtnahme in der Bibliothek des Landtages von Sachsen-Anhalt erfolgen oder die gedruckte Form abgefordert werden. (Ausgegeben am 30.10.2018) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordnete Henriette Quade (DIE LINKE) Sicherheitsrisiko Financial Intelligence Unit (FIU): Auswirkungen auf Sachsen- Anhalt Kleine Anfrage - KA 7/2019 Vorbemerkung des Fragestellenden: Seit dem 26. Juni 2017 wird die ehemals beim Bundeskriminalamt (BKA) angesiedelte „Financial Intelligence Unit“ (FIU) beim Zoll geführt; eine Abteilung, die sich u. a. mit Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung befasst. Schon im Vorfeld gab es an diesem Umbau Kritik. Laut einem Bericht von Spiegel Online vom 9. August 2018 unter dem Titel „Die unerträgliche Langsamkeit des Zolls“ ist davon auch Sachsen- Anhalt betroffen. So wurden nach Angaben des Landeskriminalamts (LKA) Sachsen- Anhalt neun eilbedürftige Fälle erst nach Verstreichen der vorgeschriebenen Frist zur Bearbeitung von der FIU an das LKA übermittelt. Zudem sei die FIU mangels Personal , mangelnder Informationstechnik, kriminalistischer Expertise und Zugang zu Datenbanken der Landeskriminalämter nicht in der Lage, effektiv ihre Aufgaben zu erledigen. So sollen Meldungen von Banken lediglich mit standardisierten Textbausteinen versehen an Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden weitergegeben worden sein; teilweise lediglich per Fax. Laut dem o. g. Bericht, hatte das Landeskriminalamt Thüringen die FIU bereits im Frühjahr in einer Stellungnahme für den Deutschen Bundestag für ihre „mangelhafte“ Arbeit kritisiert und ein „erhebliches Risiko für die innere Sicherheit“ konstatiert. Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Inneres und Sport Namens der Landesregierung beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: 2 1. Wie viele Fälle bzw. Meldungen der FIU wurden den Behörden in Sachsen- Anhalt seit 2013 bis heute übermittelt? Bitte pro Jahr beantworten. Die Gemeinsame Finanzermittlungsgruppe (GFG) des Landeskriminalamtes Sachsen-Anhalt und des Zollfahndungsamtes Hannover1 ist Zentralstelle des Landes Sachsen-Anhalt für die Bearbeitung von Geldwäscheverdachtsmeldungen (GWVM) der FIU. Seit dem 1. Januar 2013 bis zum 25. September 2018 wurden der GFG insgesamt 2630 Meldungen seitens der FIU übermittelt. Die Anzahl der übermittelten Fälle, aufgeschlüsselt nach Jahren, sind der nachfolgenden Tabelle zu entnehmen (Stand 25.09.2018): Jahr Anzahl der Meldungen an die GFG 2013 331 2014 398 2015 494 2016 631 2017 406 2018 370 Direkte Fallübermittlungen von der FIU an die Finanzbehörde erfolgen erst seit Inkrafttreten der Änderungen des Geldwäschegesetzes (GwG) zum 26. Juni 2017. In der davor liegenden Zeit wurden Geldwäscheverdachtsanzeigen durch das LKA an die Steuerfahndungs- und Strafsachenstellen weitergeleitet. Mithin ergibt sich nachfolgende Anzahl von Fällen bzw. Meldungen der FIU, die den Steuerfahndungs- und Strafsachenstellen übermittelt wurden (Stand 27.09.2018): Jahr Anzahl der Meldungen an die Steuerfahndungs- und Strafsachenstellen 2013 102 2014 125 2015 209 2016 325 2017 208 2018 207 2. Wie viele durch die FIU übermittelten Fälle liegen derzeit unbearbeitet bei den Behörden in Sachsen-Anhalt? Bitte aufschlüsseln nach Behörde und Anzahl der Fälle. 1 mit Dienstsitz in Magdeburg 3 Alle von der FIU an die GFG übermittelten Geldwäscheverdachtsmeldungen befinden sich bei der GFG in Bearbeitung. Die an die Finanzbehörden übermittelten Geldwäscheverdachtsanzeigen in Verbindung mit einer Erkenntnisanfrage werden von den dafür zuständigen Steuerfahndungs- und Strafsachenstellen umgehend beantwortet. Alle anderen Geldwäscheverdachtsanzeigen werden nach Eingang registriert und gehen zeitnah in die Bearbeitung. Insofern liegen „unbearbeitete“ Fälle bei den Behörden in Sachsen-Anhalt nicht vor. 3. Welche Folgen hatte das Verstreichen der vorgeschriebenen Bearbeitungsfrist in den neun o. g., durch die FIU zu spät übermittelten, Fällen? Konnten dennoch Ermittlungen geführt werden, oder mussten diese eingestellt werden? Waren Fälle von Terrorismusfinanzierung davon betroffen? Abschnitt 5 des GwG, in welchem die Aufgaben der FIU beschrieben sind, sieht keine Bearbeitungsfrist vor. Lediglich § 46 Abs. 1 Nr. 2 GwG enthält eine Frist für die Durchführung gemeldeter Transaktionen. Transaktionen dürfen von Finanzinstituten gemäß § 46 Abs. 1 GwG erst durchgeführt werden, wenn der dritte Werktag nach Abgabe ihrer Meldung verstrichen ist, ohne dass die FIU oder die örtlich zuständige Staatsanwaltschaft (StA) diese untersagt hätte. Mit Ablauf dieser Frist endet die Transfersperre. Da die FIU keinen Zugriff auf den polizeilichen Datenbestand des Landes Sachsen- Anhalt besitzt, ist sie bei ihrer Bewertung auf die Mitarbeit der Landespolizei Sachsen-Anhalt angewiesen. Bei verzögerten Übersendungen von eilbedürftigen Meldungen im Sinne des § 46 Abs. 1 GwG seitens der FIU an die Zentralstellen zur Geldwäschebekämpfung verringert sich das Zeitfenster für notwendige Ermittlungen bei der Landespolizei. Eilbedürftige Fälle, die von der FIU nicht taggleich, sondern erst am Folgetag an die Zentralstellen der Länder zur Geldwäschebekämpfung übermittelt werden, sind jedoch nicht als „verfristet“, sondern lediglich als „verzögert übermittelt“ anzusehen. Zum Zeitpunkt der besagten Presseanfrage am 23.07.2018 hat die FIU in insgesamt zehn sog. eilbedürftigen Meldungen nicht taggleich an die GFG übermittelt . In allen betreffenden eilbedürftigen Fällen ging die Meldung bei der FIU, nach Anzeige durch den Verpflichteten, jeweils am folgenden Werktag bei der GFG ein. Die Ermittlungen wurden seitens der GFG umgehend aufgenommen und die jeweils zuständige StA fristgerecht über die Ergebnisse in Kenntnis gesetzt . Untersagungen der gemeldeten Transaktionen seitens der zuständigen Staatsanwaltschaften sind aber letztlich nicht erfolgt. Die Ermittlungen in diesen Fällen wurden daraufhin zeitnah abgeschlossen. In den seitens der StA händisch ausgewerteten Verfahren bezog sich keine der Verdachtsmeldungen auf den Verdacht der Finanzierung des Terrorismus, sondern allein auf den Verdacht der Geldwäsche, vereinzelt auch auf den Verdacht gewerbsmäßiger Betrugshandlungen. Sofortmaßnahmen gem. § 40 GwG wurden seitens der FIU in keinem dieser Fälle angeordnet. Sofern Transaktionen 4 seitens der meldenden Banken zunächst angehalten worden waren, ist allerdings zu verzeichnen, dass seitens der FIU auch in keinem der Fälle eine Entscheidung gemäß § 46 Abs. 1 Nr. 1 GwG getroffen wurde. Hier wurde jeweils zeitnah durch die StA die Freigabe der Transaktion angeordnet. Lediglich in einem Fall war die Frist des § 46 Abs. 1 Nr. 2 GwG bei Eingang der Verdachtsmeldung beim LKA bereits abgelaufen. Aber auch in diesem Fall wäre die Transaktion freizugeben gewesen, weil keine Hinweise auf ein Herrühren des Geldes aus Katalogvortaten des § 261 StGB vorgelegen haben. Die Verfahren wurden gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, weil entweder keine Hinweise auf eine deliktische Herkunft der Geldbeträge vorlagen oder die Kontoinhaber selbst der Begehung der Vortaten (gewerbsmäßiger Betrug), wegen derer dann weiter ermittelt wurde, verdächtig waren. In keinem der Fälle war die Einstellung eine Folge des Verstreichenlassens einer wie auch immer gearteten Bearbeitungsfrist. 4. Sind dem Land Sachsen-Anhalt oder der Bundesrepublik Deutschland durch die neun o. g. Fälle finanzielle Schäden entstanden, und wenn ja, in welcher Höhe? Hierzu liegen keine Erkenntnisse vor. 5. Wurden dem Landeskriminalamt Sachsen-Anhalt oder den Staatsanwaltschaften in Sachsen-Anhalt seit 2013 durch die FIU (weitere) Fälle erst nach Verstreichen der Bearbeitungsfrist übermittelt? Wenn ja: In wie vielen Fällen insgesamt, und wie viele Fälle waren davon eilbedürftige Fälle? Eine gesetzliche Frist im Hinblick auf die Bearbeitung von Verdachtsmeldungen war und ist im GwG nicht verankert. Lediglich das Vorgehen bei eilbedürftigen Fällen (siehe Antwort auf Frage 3) ist explizit geregelt. Seit dem Bestehen der FIU (neu) sind der GFG insgesamt 26 eilbedürftige GWVM übersandt worden (2017: 8 und bis 25.09.2018: 18). Insgesamt 22 Fälle wurden nicht taggleich an die GFG übermittelt, davon eine Meldung nach Verstreichen der Dreitagesfrist. 6. Auf welchem Wege werden die Meldungen der FIU an die Behörden in Sachsen-Anhalt übermittelt? Die Übermittlung seitens der FIU an das LKA erfolgt auf elektronischem Wege. Die Übermittlung nach erfolgtem Clearing an die StA erfolgt in Papierform. Das LKA fungiert für Sachsen-Anhalt grundsätzlich als Zentralstelle für die eingehenden Meldungen der FIU. So gelangen in der Regel die beim LKA eingehenden Vorgänge entweder direkt oder über die Staatsanwaltschaft zu den Steuerfahndungs- und Strafsachenstellen. In Ausnahmefällen, wenn die FIU keine weiteren Verfahren außer das Besteuerungs- oder Steuerstrafverfahren berührt sieht, erfolgt eine direkte Meldung an die Fahndungs- und Strafsachenstellen . Dies geschieht per E-Mail oder auf dem Postweg. 5 7. Hat die FIU Zugang zu Datenbanken des Landeskriminalamtes Sachsen- Anhalt? Wenn ja, zu welchen Datenbanken? Für den Fall, dass die FIU keinen Zugriff hat: Warum ist dieser nicht gegeben, und inwieweit beeinträchtigt dies aus Sicht der Landesregierung die Arbeit der FIU und - nachgelagert - die Arbeit der Behörden in Sachsen -Anhalt? Auf Daten aus den polizeilichen Vorgangssystemen des Landes Sachsen-Anhalt hat die FIU keinen Zugriff. Über den Abgleichservice des BKA kann die FIU allerdings Daten in allen Verbunddateien des BKA abfragen. Der Abgleich mit den zentralen Datenbanken des BKA wird für eine Grundrecherche, die die FIU vornehmen soll, als erforderlich, aber auch ausreichend erachtet. 8. Laut dem o. g. Artikel von Spiegel Online werden Meldungen der FIU teilweise lediglich mit Textbausteinen versehen übermittelt, ohne dass eine Analyse erkennbar ist. Trifft dies auch auf Meldungen der FIU an die betroffenen Behörden in Sachsen-Anhalt zu, und wenn ja, auf wie viele? Meldungen der FIU werden in standardisierter Form unter kurzer Zusammenfassung des Analyseergebnisses übermittelt. Die Übermittlung der Verdachtsmeldungen seitens der FIU enthält neben dem angezeigten Sachverhalt, den beteiligten Personen und Konten und des Analyseergebnisses auch den Punkt „weitere Informationen“. Unter diesem Punkt werden Aussagen zur Verwendung und Weiterleitung der bereitgestellten Informationen getroffen, die offensichtlich in Form von Textbausteinen unter Bezug auf die gesetzlichen Bestimmungen eingefügt werden. Statistische Erfassungen erfolgen hierzu nicht. 9. Teilt die Landesregierung die oben wiedergegebene Einschätzung des Landeskriminalamts Thüringen, wonach die Arbeit der FIU ein „erhebliches Risiko für die innere Sicherheit“ darstellt? Unabhängig davon, ob der in der Vorbemerkung der Anfragestellerin genannte Artikel von Spiegel Online das Landeskriminalamt Thüringen zutreffend wiedergibt, schätzt die Landesregierung die Arbeit der FIU nicht als „erhebliches Risiko für die innere Sicherheit“ ein. 10. Ist aus Sicht der Landesregierung derzeit ein effektives Vorgehen gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung sowie die effektive Durchsetzung der Vierten EU-Geldwäscherichtlinie in Sachsen-Anhalt gegeben? Wenn nicht, welche Maßnahmen müssten ergriffen werden? Aus Sicht der Landesregierung gewährleistet Sachsen-Anhalt ein effektives Vorgehen gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung im Rahmen der Vierten EU-Geldwäscherichtlinie. 6 11. Hat die Landesregierung gegenüber dem Zoll, anderen Behörden des Bundes und/oder der Bundesregierung auf Probleme bei der FIU hingewiesen ? Wenn ja: Welche Mitglieder der Landesregierung haben hingewiesen , wann und gegenüber welcher Stelle? Seit Verlagerung der FIU in den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen wird die Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden des Bundes und der Länder mit der FIU im Rahmen der Bund-Länder-Gremienbefassung - zuletzt in den Sitzungen der Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Landeskriminalämter und des Bundeskriminalamts (AG Kripo) am 06./07. September 2018 und des Arbeitskreises II „Innere Sicherheit“ (AK II) der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (IMK) am 10./11. Oktober 2018 - fortlaufend thematisiert. Die Fachaufsicht über die Staatsanwaltschaften hat im Ressortbereich des Ministeriums für Justiz und Gleichstellung des Landes Sachsen-Anhalt bislang keine Hinweise auf Mängel erkennen lassen, die ein Einschreiten der Landesregierung im angefragten Sinne erforderlich gemacht hätten. 12. War die Arbeit der FIU seit dem 21. Juli 2017 Thema der Innenministerkonferenz der Länder (IMK) und wurden hierzu Beschlüsse gefasst? Wenn ja: Welche? Die Arbeit der FIU seit dem 21. Juli 2017 wurde im Rahmen der IMK nicht erörtert. 13. Welche Schritte plant die Landesregierung auf Landes- und Bundesebene, um sicherzustellen, dass die Behörden in Sachsen-Anhalt unverzüglich nur noch „werthaltige“ Sachverhalte und in der zur Bearbeitung notwendigen Frist von der FIU erhalten? Derzeit ist seitens der FIU die Erstellung eines Managementplans zur weiteren Prozessoptimierung und dessen Abstimmung mit den Zentralstellen der Länder vorgesehen. Die Umsetzungsstände sollen regelmäßig mit dem BKA und den Landeskriminalämtern abgestimmt und überprüft werden. Die AG Kripo und der AK II haben vor dem Hintergrund der angestrebten Optimierung der Prozesse und Ressourcenausstattung in ihren letzten Sitzungen die Thematik erneut aufgegriffen und einen umfangreichen Beschluss mit einem Aufgabenkatalog für die FIU gefasst. Die Fachaufsicht über die Staatsanwaltschaften hat im Ressortbereich des Ministeriums für Justiz und Gleichstellung bislang keine Hinweise auf Mängel erkennen lassen, die ein Einschreiten der Landesregierung im angefragten Sinne erforderlich gemacht hätten. 7 14. Welche Anhaltspunkte hat die Landesregierung über das Ausmaß von Steuerhinterziehung, Geldwäschegeschäften sowie der Bargeldverwendung für kriminelle Zwecke in Sachsen-Anhalt? Welche Schritte plant die Landesregierung auf Landes- und Bundesebene, um diese Handlungen zu unterbinden? Die Anzahl der Steuerstrafverfahren mit Bezug zur Geldwäsche und die Höhe der damit verbundenen hinterzogenen Steuern werden von der Finanzbehörde und den Strafverfolgungsbehörden statistisch festgehalten. Damit wird das Ausmaß der bekannten Delikte im Sachzusammenhang abgebildet. Die Bargeldverwertung für kriminelle Zwecke sowie die Höhe der gemeldeten Transaktionen werden statistisch nicht erfasst. Gegenwärtig ergeben sich keine Hinweise, die ein Einschreiten der Landesregierung im angefragten Sinne erforderlich machten. 15. Inwiefern achten die Finanzämter bei der Prüfung von Gewinn- und Verlustbilanzierungen verstärkt auf fingierte Gewinnangaben, insbesondere in den Sektoren Hotellerie, Gastronomie, bei privaten Spielhallen sowie bei Import- und Exportunternehmen? Auch die Finanzämter sind gemäß § 31b Abgabenordnung zur Mitteilung von geldwäscheverdachtsrelevanten Sachverhalten an die FIU verpflichtet. Insbesondere werden die Außenprüfungsdienste für die Mitwirkung bei der Bekämpfung der Geldwäsche geschult und durch Erfahrungsaustausche und Dienstbesprechungen regelmäßig sensibilisiert. Es kann davon ausgegangen werden, dass bei Außenprüfungen fingierte Gewinnangaben nicht unentdeckt bleiben.