Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 7/3550 05.11.2018 (Ausgegeben am 05.11.2018) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordnete Cornelia Lüddemann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Pflegende Minderjährige in Sachsen-Anhalt Kleine Anfrage - KA 7/2029 Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Arbeit, Soziales und Integration 1. Welche Informationen liegen der Landesregierung zur Anzahl von pflegenden Minderjährigen (Young Carers) in Sachsen-Anhalt vor, die sich um (chronisch) kranke, behinderte oder pflegebedürftige Angehörige kümmern ? Der Landesregierung liegen dazu keine Informationen vor, da es keine gesetzliche Grundlage für eine statistische Erfassung gibt. Eine Analyse des Zentrums für Qualität in der Pflege (ZQP) aus dem Jahr 2016, „Erfahrungen von Jugendlichen mit Pflegebedürftigkeit in der Familie“ von Katharina Lux und Simon Eggert ergab, dass zu diesem Zeitpunkt in Deutschland 5 Prozent aller Kinder und Jugendlichen zwischen 12 und 17 Jahren (also ca. 230.000) ein Familienmitglied pflegten. Für Sachsen-Anhalt bedeutet das, auf Basis von Zahlen des Statistischen Landesamtes aus dem Jahr 2017, dass ca. 5.223 Kinder und Jugendliche zwischen 12 und 17 Jahren als pflegende Minderjährige in Betracht kommen könnten. 2. Welche speziellen Angebote für pflegende Minderjährige gibt es in Sachsen -Anhalt? Bitte Nennung des jeweiligen Trägers, eventueller Landesund kommunaler Förderungen und die Zahl der begleiteten und unterstützten jungen Menschen. Die Landesregierung hat keine Kenntnisse über spezifische Angebote für pflegende Minderjährige. 2 3. Welche Kooperationen zwischen Jugendhilfe und Suchthilfe existieren in Sachsen-Anhalt, die insbesondere die Situation und Unterstützung von pflegenden Minderjährigen im Blick haben? Im Burgenlandkreis gibt es seit Anfang dieses Jahres einen Arbeitskreis mit verschiedenen Akteuren zur Thematik „Unterstützungsangebote für Kinder von Eltern mit Suchtbelastung.“ Ziel ist es u. a., verbindliche Regelungen zu Kooperationen der unterschiedlichen und oft komplexen Hilfesysteme zu vereinbaren. Im Landkreis Harz erfolgen Zusammenarbeit und Umsetzung von Projekten in einem Netzwerk freier Jugendhilfeträger mit den regionalen Suchtberatungsstellen . Ferner wird ein regelmäßiger Fachaustausch auf operativer Ebene zwischen Jugendhilfe und regionalen Suchtberatungsstellen/Suchtpräventionsfachstellen gepflegt. Regelmäßig finden Schulungen für Multiplikatoren und Fachkräfte des Suchtmedizinischen Zentrums des Diakonischen Krankenhauses statt („Flaschenpost nach Irgendwo - Kinder suchtkranker Eltern“). Im Übrigen erstatteten die Landkreise und kreisfreien Städte, die eine Rückmeldung auf die aus Anlass der Kleinen Anfrage durchgeführte Umfrage gaben (10 von 14 Jugendämtern), Fehlmeldung in Bezug auf institutionalisierte Netzwerke . Einige verwiesen ergänzend darauf, dass in den wenigen bekannten Einzelfällen anlass- und bedarfsabhängig Unterstützungsangebote im Rahmen von Jugendhilfeleistungen unterbreitet werden (Burgenlandkreis und Landkreis Börde) bzw. eine Vermittlung an die Unterstützungsangebote der Suchtberatungen erfolge (Landkreis Harz). Die Stadt Magdeburg verwies zudem darauf, dass die bestehenden Kooperationen zwischen Jugendhilfe und Suchthilfe nicht Gegenstand gesonderter statistischer Erfassungen seien. 4. Welche Kooperationen zwischen Jugendhilfe und den sozialpsychiatrischen Diensten gibt es, die insbesondere die Situation und Unterstützung von pflegenden Minderjährigen im Blick haben? Der Landkreis Harz verwies auf die Kooperationsformen des internen Fachaustausches und der Fallbesprechungen sowie einer abgestimmten Hilfeplanung und erforderlichenfalls gemeinsamer Hausbesuche. Im Übrigen berichteten die Landkreise und kreisfreien Städte zur Kooperation mit dem sozialpsychiatrischen Dienst wie in der Antwort auf Frage 3 zur Kooperation mit der Suchthilfe beschrieben. Derzeit wird an einer Neufassung des Gesetzes über Hilfen für psychisch Kranke und Schutzmaßnahmen des Landes Sachsen-Anhalt (PsychKG LSA) gearbeitet . Wesentliche Neuerungen sind u. a. eine bessere Vernetzung der einzelnen Akteure in der psychiatrischen Versorgung und Regelungen zum Zugang zu Hilfsangeboten für Familienangehörige - insbesondere Kinder - von Personen mit einer psychischen Erkrankung. Auf kommunaler Ebene gibt es bereits spezielle Angebote für Kinder aus Familien mit mindestens einem psychisch erkrankten Elternteil. Es handelt sich dabei zum Beispiel um das Projekt Seelensteine in Halle (Saale) und das Projekt „Verrückt? Na und!“ im Saalekreis, das sich als Präventionsprojekt zum Thema 3 psychische Krisen an Schülerinnen und Schüler richtet. Träger beider Projekte ist das Trägerwerk Soziale Dienste in Sachsen-Anhalt GmbH. 5. Inwieweit bestehen Kooperationen zwischen der Jugendhilfe und der Vernetzten Pflegeberatung in Sachsen-Anhalt? Die Vernetzte Pflegeberatung in Sachsen-Anhalt ist ein Zusammenschluss der Pflegekassen, der kreisfreien Städte bzw. Landkreise zur Umsetzung der Pflegeberatung nach § 7a SGB XI. Zwischen der Jugendhilfe und der Vernetzten Pflegeberatung bestehen keine Kooperationen. 5.1 Inwieweit sind die Träger der Vernetzten Pflegeberatung auf die besonderen Bedarfe von minderjährigen pflegenden Angehörigen personell und fachlich eingestellt? Die Pflegekassen und die Sozialämter der kreisfreien Städte und Landkreise als Träger der Vernetzten Pflegeberatung würden, wenn sich pflegende Minderjährige an sie wenden, entsprechend ihrer gesetzlichen Pflicht beratend tätig werden . Die Situation der/des pflegenden Minderjährigen wäre zu klären (Qualität der Pflege, Schutz der/des Minderjährigen usw.) und ggf. wäre gemeinsam mit der Jugendhilfe nach Lösungen zu suchen, um Kinder oder Jugendliche, die in die Pflege von Angehörigen eingebunden sind, körperlich und psychisch zu entlasten . Die Konstellation, dass ein Minderjähriger alleinige Pflegeperson ist, ist eher unwahrscheinlich. Hier gibt es in der Regel eine/n Betreuer/in oder Vormund . Zu dieser/diesem würde der Kontakt gesucht werden, sollte ein/e Minderjährige /r die Pflegeberatung aufsuchen bzw. in Anspruch nehmen. Es gibt keine Erfahrungen mit pflegenden Minderjährigen in der Kunden- oder Pflegeberatung . Sollten sie als pflegende Angehörige angegeben werden („z. B. mein Enkel pflegt mich…“), jedoch nicht selbst als Pflegeperson rentenversichert werden können, so erfolgt durch die Pflegekassen auch keine Erfassung. 6. Inwieweit spielt das Thema „pflegende Minderjährige“ im Bereich Schule eine Rolle? Sowohl bezogen auf Unterrichtsinhalte als auch auf Fortbildungen für Lehrpersonal. Das Thema „pflegende Minderjährige“ ist weder allgemein curricular als konkreter Unterrichtsinhalt verankert noch wird es in der Fortbildung für Lehrpersonal explizit vorgehalten. Insofern spielt es im Bereich Schule keine wesentliche Rolle . Dennoch bieten sich in den Curricula der Schulformen einige indirekte Bezüge zum Lebensbereich Familie, die sich als Anknüpfungspunkt zum konkreten Thema eignen; zum Beispiel: Sekundarschule: Grundsatzband: Verpflichtung für alle Fächer, zur Ausprägung von Sozialkompetenz und zur Vermittlung von grundlegenden Wissensbeständen im Bereich Sozialwissen beizutragen, Fachlehrplan Sozialkunde Schuljahrgang 8: Kompetenzbereich „Soziale Ungleichheit und Sozialpolitik“, Analysekompetenz: staatliche und nichtstaatliche Unterstützungssysteme, 4 Fachlehrplan Ethikunterricht Schuljahrgänge 5/6: Kompetenzschwerpunkt Lebensgestaltung: Der Wert von sozialen Beziehungen, Wissensbestände: Familienformen. Gymnasium: Fachlehrplan Ethikunterricht Schuljahrgänge 5/6: Kompetenzschwerpunkt „Recht und Gerechtigkeit“, Verteilungsmaßstäbe problematisieren: Vorschläge einer für Kinder gerechten Gesellschaft im Lebensbereich Familie /Kinderrechte als Schutz- und Förderrechte, Schuljahrgänge 7/8: Kompetenzschwerpunkt „Freiheit und Abhängigkeit“: soziale Beziehungen untersuchen/Spannungsfeld von Vereinnahmung und Autonomiestreben im Familienleben beschreiben, Fachlehrplan Rechtskunde Schuljahrgang 10: Kompetenzschwerpunkt „Rechliche Regelungen in zwischenmenschlichen Beziehungen analysieren “; - Analysekompetenz: Rechte und Pflichten der Kinder in der Familie erschließen , - Urteilskompetenz: sich zu rechtspolitischen Vorhaben zur Aktualisierung des Familienrechts positionieren, Wege und Optionen familienrechtlicher Konfliktregelung einschätzen, - Handlungskompetenz: Funktion und Umfang staatlicher Eingriffsmöglichkeiten in die Institution Familie unter aktuellen Gesichtspunkten erörtern, Kurs 4 der Oberstufe: Rechte und Pflichten innerhalb der Familie anhand ausgewählter Konfliktsituationen untersuchen, familienrechtliche Wissensbestände /Rechtsprechung. In welchem Maße das Thema „pflegende Minderjährige“ tatsächlich Unterrichtsgegenstand in den Schulen ist, ist nicht erfasst. Es ist aber davon auszugehen , dass im Rahmen verantwortlichen pädagogischen Handelns eine geeignete schulische Auseinandersetzung damit erfolgt, wenn dies durch eine konkrete Bedarfslage geboten ist. Doch zu bedenken ist bei der Behandlung der Thematik im Unterricht immer die mögliche Betroffenheit von Schülerinnen und Schülern, deren schutzwürdige Interessen besondere Rücksichtnahme erfordern . Insofern wird die Problematik im Bereich Schule möglicherweise eher in den sozialen Beziehungen zwischen (Klassen-)Lehrkraft und einzelner Schülerin oder einzelnem Schüler Raum greifen. 7. Inwieweit richten sich die Kurse der Pflegeversicherungen für pflegende Angehörige konzeptionell und strukturell auch an Minderjährige? Für pflegende Minderjährige werden keine speziellen Pflegekurse angeboten. 5 7.1 Wie viele Minderjährige nutzen diese Kurse? Zahlen bitte für die Jahre 2012 bis 2017. Zu dieser Frage liegen keine Erkenntnisse und statistische Daten vor. 8. Inwieweit sind die Angebote zur Unterstützung im Alltag auf pflegende Minderjährige ausgerichtet? Es gibt keine speziellen Angebote zur Unterstützung im Alltag für pflegende Minderjährige.