Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 7/363 16.09.2016 (Ausgegeben am 19.09.2016) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordnete Eva von Angern (DIE LINKE) Rechtskundeunterricht an den Schulen in Sachsen-Anhalt Kleine Anfrage - KA 7/165 Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Bildung Namens der Landesregierung beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1: Welche Schulen in Sachsen-Anhalt bieten in welchem Umfang Rechtskundeunterricht an? Das Fach Rechtskunde ist am Gymnasium als Fach des Wahlpflichtbereiches ab Schuljahrgang 9 mit zwei Wochenstunden wählbar und kann als Wahlpflichtfach in der gymnasialen Oberstufe bis zum Abitur belegt werden. Weiterhin kann es in die Gesamtqualifikation eingebracht und als mündliches Prüfungsfach gewählt werden. Bei durchgängiger Belegung ab Schuljahrgang 9 ergibt sich ein Umfang von 8 Jahreswochenstunden . An der Sekundarschule entscheidet die Schule, ob sie ein fächerübergreifendes Kursangebot einrichtet. Neben Angeboten wie Planen, Bauen und Gestalten, Angewandte Naturwissenschaften, Moderne Medienwelten und Kultur und Künste kann dabei Rechtskunde auf der Grundlage der Kurslehrpläne in den Schuljahrgängen 9 und 10 angeboten werden. An der Integrierten Gesamtschule kann das Fach Rechtskunde, wie am Gymnasium, als Wahlpflichtkurs, beginnend im Schuljahrgang 9, mit zwei Wochenstunden gewählt werden. Die Regelungen für die Kooperative Gesamtschule richten sich nach den Bestimmungen der Sekundarschule bzw. des Gymnasiums. 2 Die nachfolgende Übersicht weist die öffentlichen Gymnasien und Gesamtschulen aus, an denen im Schuljahr 2015/2016 Rechtskundeunterricht erteilt wurde. Für das Schuljahr 2016/2017 stehen entsprechende Daten noch nicht zur Verfügung. Fächerübergreifende Kurse an Sekundarschulen gemäß Punkt 2.5.3 des RdErl. „Unterrichtsorganisation an den Sekundarschulen“ vom 30. April 2015 und entsprechende Kurse an Gemeinschaftsschulen werden statistisch nicht erfasst. Entsprechende Daten stehen deshalb nicht zur Verfügung. Name Wochenstunden Heinrich-Heine-Gymnasium Bitterfeld-Wolfen 2 Ludwigsgymnasium Köthen 4 Wilhelm und Alexander von Humboldt Gymnasium Hettstedt 4 Martin-Luther-Gymnasium Eisleben 4 Geschwister-Scholl-Gymnasium Zeitz 2 Geschwister-Scholl-Gymnasium Sangerhausen 4 Giebichenstein-Gymnasium „Thomas Müntzer“ Halle 4 Domgymnasium Naumburg 2 Professor- Friedrich-Förster-Gymnasium Haldensleben 4 Friedrich-Ludwig-Jahn-Gymnasium Salzwedel 2 Hegel-Gymnasium Magdeburg 6 Diesterweg-Gymnasium Tangermünde-Havelberg 4 Kurfürst-Joachim-Friedrich-Gymnasium Wolmirstedt 4 Burger Roland-Gymnasium 4 Europagymnasium Richard v. Weizsäcker Thale 4 Wolterstorff-Gymnasium Ballenstedt 4 GutsMuths-Gymnasium Quedlinburg 6 Gerhart-Hauptmann-Gymnasium Wernigerode 4 Albert-Einstein-Gymnasium Magdeburg 8 Integrierte Gesamtschule „Willy Brandt“ Magdeburg 6 Integrierte Gesamtschule „Regine Hildebrandt“ Magdeburg 4 Frage 2: Welche Ziele und Aufgaben werden mit dem Angebot des Unterrichtsfaches Rechtskunde an den Schulen in Sachsen-Anhalt verfolgt? Was steht insbesondere im Zentrum des unterrichtlichen Geschehens? Im fächerübergreifenden Kurs Rechtskunde (Sekundarschule) sollen sich die Schülerinnen und Schüler vor dem Hintergrund ihrer eigenen Erfahrungswelt mit dem Recht vertraut machen und schrittweise ein grundlegendes Rechtsbewusstsein sowie eine elementare rechtsbezogene Handlungskompetenz entwickeln. Sie sollen in die Lage 3 versetzt werden, ihrer Lebenswelt adäquate gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Probleme in ihrer rechtlichen Dimension zu erfassen. Basierend auf einem rechtlichen Orientierungs- und Deutungswissen sollen die Schülerinnen und Schüler Sachverhalte aus ihrer aktuellen Lebenswelt unter rechtlichen Fragestellungen untersuchen und beurteilen. Sie sollen lernen, individuelle bzw. auch gruppenspezifische Handlungsperspektiven zu erkennen, entsprechend der Regeln des Miteinanders in einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft eigene Rechte wahrzunehmen und sich für die Rechte anderer aktiv einzusetzen. Rechtskunde ist im gymnasialen Bildungsgang ein Wahlpflichtfach, das aus einem Spektrum von Fächern, entsprechend dem Angebot der Schule und den Vorgaben der geltenden Oberstufenverordnung, zur Erfüllung der Belegungs- und Einbringungsverpflichtung gewählt werden kann. Nachfolgend werden auszugsweise Zielstellungen aufgezeigt, die im Wahlpflichtfach Rechtskunde am Gymnasium verfolgt werden. Die Schülerinnen und Schüler sollen einen Überblick über Quellen, grundlegende Prinzipien der Setzung und Strukturen des Rechts erhalten, zunehmend selbständiger rechtserhebliche Merkmale differenzierter Sachverhalte feststellen können, Einsicht in die historische und gesellschaftliche Bedingtheit des Rechts und in Rechtsunterworfenheit des Politischen erlangen, Recht als ordnendes, stabilisierendes und friedenssicherndes Wertesystem der staatlichen Gemeinschaft begreifen, Legitimitätsbewusstsein für eine demokratische Rechts- und soziale Gesellschaftsordnung entwickeln, die Gesetzgebung als einen durch politische Mehrheiten getragenen Gestaltungsakt verstehen, die Notwendigkeit der Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit im geschichtlichen und aktuellen Kontext erkennen, die Verknüpfung von individuellem Rechtsanspruch und persönlicher Rechtspflicht erfassen und die Fähigkeit zum kritisch-differenzierten Umgang mit vielfältigen Darstellungen rechtlich relevanter Probleme in den Medien erlangen und ausprägen. Frage 3: Gibt es einen einheitlichen und verbindlichen Lehrplan zur inhaltlichen Gestaltung der Unterrichtseinheiten für das Fach Rechtskunde? Wenn nicht: Anhand welcher Kriterien bestimmt es sich, welche Lehrinhalte vermittelt werden sollen ? 4 Der Kurslehrplan Rechtskunde Sekundarschule (Stand: 01.08.2015) weist für die Schuljahrgänge 9 und 10 folgende Kompetenzschwerpunkte aus: Das Rechtssystem und seine Bedeutsamkeit für das Leben Jugendlicher untersuchen , die Funktionsweise des Strafrechts an einem aktuellen Konflikt untersuchen, Rechtsgeschäfte des Alltags anhand ausgewählter Fälle untersuchen, rechtliche Regelungen in zwischenmenschlichen Beziehungen untersuchen, das Leben mit dem Internet unter rechtlichen Fragestellungen untersuchen. In jedem dieser aufgezeigten Schwerpunkte geht es neben der Vermittlung von grundlegenden Wissensbeständen, basierend auf einem Kompetenzmodell, um die Entwicklung einer Analyse-, Urteils- und Handlungskompetenz. Die Rahmenrichtlinien für das Wahlpflichtfach Rechtskunde Gymnasium legen folgende Themenschwerpunkte fest: Schuljahrgang 9: (Mindestens zwei fakultative Themen müssen berücksichtigt werden.) obligatorisch: Einführung in das Recht, Strafe und Recht, fakultativ: Freizeit und Recht, Familie und Recht, Recht im Prozess von Bildung und Ausbildung, Studium und Berufstätigkeit, Natur, Umwelt und Recht in der Geschichte Schuljahrgang 10 (Einführungsphase): obligatorisch: Einführung in das Recht, Staats- und Verfassungsrecht, Privatrecht Schuljahrgänge 11/12 (Qualifikationsphase): (Mindestens ein fakultatives Thema muss berücksichtigt werden.) obligatorisch: Strafrecht, Familienrecht, Erbrecht, Alltagsrecht fakultativ: Verwaltungsrecht, Europäischer und internationaler Rechtsschutz Frage 4: Durch welchen Personenkreis wird der Rechtskundeunterricht vermittelt? Wie viel Personal steht hierfür an den Schulen zur Verfügung? An allen öffentlichen allgemein-bildenden Schulen standen im Schuljahr 2014/2015 insgesamt 158 Lehrkräfte mit Unterrichtserlaubnis für Rechtskunde und darüber hinaus 3 mit Lehrbefähigung für Rechtskunde zur Verfügung. 5 Frage 5: Stehen für die inhaltliche Ausgestaltung des Rechtskundeunterrichts juristische Fachexperten zur Verfügung? Wie entstehen diese Kontakte? Auszug aus dem nichtamtlichen Text im SVBl. LSA vom 22. Mai 2006 S. 135 (Praxispartner für rechtskundliche Unterrichtseinheiten): „Zur Unterstützung der Lehrkräfte bei der Behandlung rechtskundlicher Fragestellungen im Unterricht an weiterführenden allgemein bildenden und berufsbildenden Schulen konnten auf Initiative der Stiftung „Rechtsstaat Sachsen-Anhalt e. V.“ mit Unterstützung des Justizministeriums und des Kultusministeriums des Landes Sachsen -Anhalt engagierte Richterinnen, Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte gewonnen werden, die nach entsprechender Vorabsprache für Vorträge, Expertengespräche , Diskussionen, Fallbesprechungen und Interviews aber auch für unterrichtlich eingebettete, begleitete Gerichtshospitationen zur Verfügung stehen. Über den Dienstweg wird allen weiterführenden Schulen die Aufstellung der Juristinnen und Juristen geordnet nach ihrem Dienstort und mit Angabe der Themenfelder, für die sie zur Verfügung stehen, zugeleitet. Die Schulen können die Aufstellung auch … unmittelbar per E-Mail vom Ministerium der Justiz anfordern.“ Unter dieser Prämisse wird in verschiedenen Themenbereichen der o. g. Unterrichtsmaterialien auf eine praxisbezogene didaktische-methodische Gestaltung des Unterrichts verwiesen. So u. a. bei den Themen: Strafe und Recht (Schj. 9) Interview z. B. Schöffin/Schöffe, Richterin/Richter Hospitation: Gerichtsverhandlung im Amtsgericht Erkundung: Jugendgerichtshilfe Problemdiskussion: Strafmündig ab dem 14. Lebensjahr? - Expertengespräch z. B. Jugendstaatsanwältin/Jugendstaatsanwalt Freizeit und Recht Umgang mit Drogen: Interview mit einem Jugendstaatsanwalt zur Beschaffungskriminalität Recht in der Geschichte Mündlicher und schriftlicher juristischer Sprachgebrauch - Expertengespräch: Juristensprache als Fremdsprache für Bürgerinnen und Bürger? Staats- und Verfassungsrecht (Schj. 10) fächerübergreifend mit Sozialkunde Expertengespräch: Recht auf Arbeit in der Verfassung? - Möglichkeiten und Grenzen einer modernen Verfassung Privatrecht - fächerübergreifend mit Sozialkunde Hospitation im Amts- oder Landgericht mit konkreten Aufgaben für die Beobachtung , Expertengespräch, Interview z. B. Richterin/Richter, Anwältin/Anwalt Strafrecht (Schj. 11/12) - fächerübergreifend mit Ethikunterricht 6 Expertengespräch: Welche Vorstellungen über Ursachen von Kriminalität gibt es? Die Lehrkräfte stellen in eigener pädagogischer Verantwortung und unter Beachtung oben genannten Angebotes im SVBl. LSA - auch in Abhängigkeit von örtlichen Gegebenheiten (Land/Stadt) - Kontakte her, um diese gezielt und sinnvoll für die unterrichtliche Arbeit zu nutzen. Frage 6: Wie schätzt die Landesregierung die Erforderlichkeit und infolge dessen die Perspektiven für den Rechtskundeunterreicht in Sachsen-Anhalt ein? Rechtskunde ist ein fachliches Angebot, das engagiert auf- und ausgebaut wurde. Es steht im Kontext der Möglichkeiten und Schwerpunkte der Schulen, des Wahlverhaltens , der Ressourcen und Engagements vor Ort (Fachlehrkräfte, Kooperationsmöglichkeiten ). Das Angebot steht - wie laut Vorgaben zur Unterrichtsorganisation und zur Sicherung der Abschlüsse eröffnet - unverändert als ein Fach im Spektrum des Wahlpflichtbereiches am Gymnasium und auch - wie beschrieben - in der Sekundarschule, der Integrierten Gesamtschule und der Kooperativen Gesamtschule.