Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 7/3641 23.11.2018 Hinweis: Eine Einsichtnahme des vertraulichen Teils o. g. Antwort ist für Mitglieder des Landtages in der Landtagsverwaltung - Akteneinsichtnahmeraum - nach Terminabsprache möglich. Die Drucksache steht vollständig digital im Internet/Intranet zur Verfügung. Bei Bedarf kann Einsichtnahme in der Bibliothek des Landtages von Sachsen-Anhalt erfolgen oder die gedruckte Form abgefordert werden. (Ausgegeben am 26.11.2018) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordnete Henriette Quade (DIE LINKE) Rechtsextreme Demonstrationen in Köthen II Kleine Anfrage - KA 7/2057 Vorbemerkung des Fragestellenden: Am 16. September 2018 fand die dritte rechtsextreme Demonstration in Köthen binnen kurzer Zeit statt. Diverse rechtsextreme Gruppierungen mobilisierten bundesweit nach Köthen, unterstützt durch Teile der AfD und ihre Amts- und Mandatsträger. Innenminister Stahlknecht äußerte sich in der Mitteldeutschen Zeitung (MZ, 15. September 2018, „Stahlknecht rät Köthenern, zu Hause zu bleiben“) „Mein Vorschlag wäre ja, dass die Bürger dann am Sonntag, wenn die Rechten demonstrieren, einfach in ihren Wohnungen bleiben und die Rollläden zumachen.“ Im selben Interview beantwortete er die Frage, ob er garantieren könne, dass Ausländer in der Stadt sicher seien: „Jeder kann sich in dieser schönen Stadt frei bewegen. Ich habe mich am Dienstag vor dem Gottesdienst in Köthen in ein Café gesetzt. Das war friedlich, die Menschen waren freundlich.“ Die Hochschule Anhalt warnte derweil ihre Studentinnen und Studenten davor, während der Versammlungsgeschehen auf die Straße zu gehen. Einen Tag nach der Demonstration informierte das Innenministerium nach Angaben der Mitteldeutschen Zeitung (MZ, 18. September 2018, „Stahlknecht: AfD grenzt sich nicht erkennbar von Rechtsextremen ab“), es hätten an der Demonstration 300 bis 400 Rechtsextremisten teilgenommen, darunter 200 bis 300 gewaltbereite Rechtsextremisten. 2 Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Inneres und Sport Namens der Landesregierung beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Vorbemerkung der Landesregierung: Der Landesregierung ist bekannt, dass an den Demonstrationen in Köthen (Anhalt) am 16. September 2018 neben nicht extremistischen Personen auch Rechtsextremisten teilnahmen. Eine Bewertung, ob es sich bei dem Versammlungsgeschehen um „rechtsextremistische Demonstrationen“ im Sinne der Fragestellung handelt, ist damit nicht verbunden. Zwar ist der parlamentarische Informationsanspruch grundsätzlich auf die Beantwortung gestellter Fragen in der Öffentlichkeit angelegt. Schutzwürdige Interessen Dritter dürfen dabei aber nicht verletzt werden. Mit der Kleinen Anfrage werden entweder unmittelbar oder mittelbar, jedoch untrennbar mit einer sinnvollen Beantwortung der Kleinen Anfrage insgesamt verwoben, personenbezogene Daten i. S. von Art. 4 Nr. 1 Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) abgefragt. Die in der Antwort auf die Kleine Anfrage gemachten Angaben stehen damit in einem Spannungsverhältnis zwischen dem Schutz des Persönlichkeitsrechts der Betroffenen und dem verfassungsrechtlich verbürgten Informationsanspruch der Abgeordneten . Eine öffentliche Bekanntgabe der personenbezogenen Daten und deren anschließende Veröffentlichung würden die Rechte der Betroffenen verletzen. In dem für die Öffentlichkeit einsehbaren Teil der Antwort können daher keine Informationen mitgeteilt werden, die personenbezogene Daten offen legen oder Rückschlüsse auf solche zulassen. Die vollständige Antwort der Landesregierung steht den Abgeordneten des Landtages deshalb in der Geheimschutzstelle (Akteneinsichtnahmeraum ) des Landtages von Sachsen-Anhalt zur Einsichtnahme zur Verfügung. 1. Wie viele Personen nahmen an der Demonstration teil? Welche Erkenntnisse liegen der Landesregierung dazu vor, woher die Teilnehmerinnen und Teilnehmer anreisten? Bitte aufschlüsseln nach Landkreisen/kreisfreien Städten und soweit Teilnehmende von außerhalb von Sachsen-Anhalt teilnahmen, nach Bundesländern, Ländern. Am 16. September 2018 fand in der Stadt Köthen (Anhalt) eine versammlungsrechtliche Aktion unter dem Motto: „Getötet, verleugnet, vergessen - wie oft noch?“ des „Zukunft Heimat e. V.“ statt. An diesem Aufzug nahmen bis zu 1.450 Personen teil. Die Teilnehmer reisten sowohl aus Sachsen-Anhalt (u. a. Magdeburg , Halle [Saale] und Wittenberg) sowie u. a. aus Baden-Württemberg, Brandenburg, Niedersachsen, Sachsen und Thüringen an. 2. Bereits einen Tag nach der Demonstration wartete das Innenministerium mit den oben genannten Zahlen zur Beteiligung von (gewaltbereiten) Rechtsextremen auf. Auf welche Erkenntnisse stützte das Innenministeri- 3 um seine Einschätzung? Liegen inzwischen neuere Erkenntnisse und damit andere Einschätzungen vor und wenn ja, welche? Die Einschätzung stützte sich u. a. auf Bewertungen der eingesetzten Einsatzkräfte , auch des polizeilichen Staatsschutzes. Es liegen keine neueren Erkenntnisse vor. 3. Welchen Gruppierungen sind die genannten Rechtsextremen/gewaltbereiten Rechtsextremen zuzurechnen? Bitte aufschlüsseln nach Landkreisen /kreisfreien Städten und soweit Teilnehmende von außerhalb von Sachsen-Anhalt teilnahmen, nach Bundesländern, Ländern. Nach den der Landesregierung derzeit vorliegenden Erkenntnissen nahmen an den Veranstaltungen in Köthen (Anhalt) neben nicht extremistischen Personen auch regional und überregional (u. a. aus Baden-Württemberg, Brandenburg, Niedersachsen, Sachsen und Thüringen) agierende Rechtsextremisten sowie bundesweit aktive Personen der rechtsextremistischen Szene teil. Insgesamt setzten sich die rechtsextremistischen Teilnehmer aus allen Spektren des Rechtsextremismus zusammen. Bisher konnten Teilnehmer der „Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e. V.“, der „Nationaldemokratischen Partei Deutschlands“ (NPD), der Partei „DIE RECHTE", der „Identitären Bewegung“ und der Vereinigung „Thüringen gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (THÜGIDA) zugeordnet werden. 4. Liegen der Landesregierung Informationen vor, dass sich Teilnehmende der Demonstration von den aufrufenden rechtsextremen Organisationen distanziert haben? Wenn nein: Auf welche Erkenntnisse stützt die Landesregierung die Einschätzung, dass sich bei diesen Teilnehmenden eines rechtsextremen Aufmarschs nicht um Rechtsextreme und/oder Sympathisantinnen und Sympathisanten rechtsextremer Gruppierungen handelt? Nach Kenntnis der Landesregierung nahmen an der durch einen Vertreter des Vereins „Zukunft Heimat e. V.“ unter dem Motto „Getötet, verleugnet, vergessen - wie oft noch?“ angemeldeten Versammlung bis zu 1.450 Personen teil. Von den Teilnehmern der als Trauermarsch deklarierten Versammlung werden 300 bis 400 Personen der rechtsextremen Szene zugerechnet. Gleichfalls nahmen auch nicht extremistische Personen sowie politische Mandatsträger an der Versammlung teil. Erkenntnisse, inwieweit sich Teilnehmer von dem Anmelder distanzierten, gleichwohl jedoch dem Motto der Versammlung folgend an der Versammlung teilnahmen, liegen nicht vor. 5. Mit wie vielen Kräften war die Polizei im Einsatz? Welche anderen Behörden des Landes oder des Bundes waren im Einsatz? Bitte aufschlüsseln nach Dienststellen/Einheiten. Der Polizeieinsatz am 16. September 2018 wurde u. a. mit mehr als elf Einsatzhundertschaften und einem Einsatzzug bewältigt. Neben der einsatzführenden Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Ost waren auch die Polizeidirektionen Sachsen -Anhalt Nord und Süd, die Landesbereitschaftspolizei, das Landeskriminal- 4 amt und das Technische Polizeiamt am Einsatz beteiligt. Die Landespolizei wurde bei der Einsatzbewältigung durch Einsatzkräfte aus Baden-Württemberg, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen, Thüringen und der Bundespolizei unterstützt. 6. Welche Rednerinnen und Redner traten auf der Demonstration auf und aus welchen Orten/Bundesländern kamen diese? Wie schätzt die Landesregierung deren An- und/oder Einbindung in die rechtsextreme Szene ein? Derzeit vorliegenden Erkenntnissen zufolge traten bei der in Rede stehenden Veranstaltung neben Rechtsextremisten auch nicht extremistische Personen als Redner auf. Im Weiteren wird auf die Vorbemerkung der Landesregierung zum Umgang mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung verwiesen. 7. Wie viele Straftaten wurden im Zusammenhang mit den rechtsextremen Demonstrationen registriert? Bitte aufschlüsseln nach Tatbeständen. Im Zusammenhang mit dem Versammlungsgeschehen am 16. September 2018 wurden nunmehr insgesamt 18 Ermittlungsverfahren eingeleitet: - 6 x Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gemäß § 86a StGB, - 5 x Vermummung in einer öffentlichen Versammlung gemäß § 26 Versamml G LSA, - 2 x Sachbeschädigung gemäß § 303 StGB, - 2 x Beleidigung gemäß § 185 StGB, - 1 x Unterschlagung gemäß § 246 StGB, - 1 x Schutzbewaffnung in einer öffentlichen Versammlung gemäß § 26 Versamml G LSA sowie - 1 x Besitz von Betäubungsmitteln gemäß § 29 BtMG. 8. Wurden der rechtsextremen Demonstration behördliche Auflagen erteilt und wenn ja, welche? Wurden diese Auflagen eingehalten? Wenn nicht: Wurden deswegen Ermittlungsverfahren eingeleitet? Nachfolgende Beschränkungen wurden durch die Versammlungsbehörde erteilt : „1. Für die Durchführung einer versammlungsrechtlichen Aktion am 16. September 2018 im Stadtgebiet von Köthen ist folgende Route für den Aufzug vorgesehen: Marktplatz (Treffpunkt/Auftaktkundgebung) - Hallesche Straße - Friedhofstraße - Mühlenstraße - Ludwigstraße - Franzstraße - Karlsplatz (Innehalten, kurz) - Karlstraße - Leipziger Straße - Bärplatz - Mühlenstraße - Friedhofstraße - Hallesche Straße - Marktplatz (Abschlusskundgebung & Beendigung der Versammlung). Der Ihnen zugewiesene Versammlungsraum wird durch die beigefügte Übersichtsaufnahme konkretisiert. 2. Bei der Durchführung der Versammlung sind Ordner einzusetzen. Je 40 Versammlungsteilnehmer ist ein Ordner einzusetzen; die Versammlungs- 5 behörde behält sich vor, Ihnen den Einsatz weiterer Ordner aufzugeben, sofern sie dies zur Aufrechterhaltung der Ordnung für erforderlich hält. Diese müssen volljährig, unbewaffnet und ehrenamtlich tätig sein und sind durch eine Armbinde mit der Bezeichnung „Ordner“ zu kennzeichnen. Es sind ausreichend Armbinden für den Fall einer erforderlichen Erhöhung der Ordnerzahl vorzuhalten. 3. Der Versammlungsleiter wird vor Beginn der Versammlung darauf hinweisen , dass keine Glasflaschen und Pyrotechnik in der Versammlung mitgeführt und während der Versammlungsteilnahme kein Alkohol konsumiert und keine verfassungsfeindlichen Symbole gezeigt werden dürfen. 4. Die Versammlungsbehörde behält sich vor, den weiteren Einsatz tonverstärkender Kundgebungsmittel zu untersagen und zu unterbinden, sobald diese genutzt werden, um Inhalte mit strafbarem Inhalt zu verbreiten, insbesondere wenn Verstöße gegen § 130 StGB begangen wurden und es Ihnen nicht gelingt, dies wirksam zu unterbinden. Die Lautstärke der tonverstärkenden Kundgebungsmittel wird vom Versammlungsleiter im Einvernehmen mit dem Vertreter der Versammlungsbehörde so eingestellt, dass die von dieser Anlage ausgehenden Emissionen keine unzulässige Störung von Dritten herbeiführen. Dem Hinweis der technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm), dass bei voraussehbaren Besonderheiten (Versammlungen) außerhalb von Gebäuden die Grenzwerte von tags 70 dB und nachts 55 dB mit kurzzeitigen Spitzen tags nicht mehr als 20 dB und nachts von nicht mehr als 10 dB zu überschreiten sind, ist zu entsprechen. Die Versammlungsbehörde wird, soweit ihr Erkenntnisse über eine (unzulässige) Störung von Dritten vorliegen, über den Versammlungsleiter eine Reduzierung der Lautstärke veranlassen. Bei unterschiedlichen Ansichten bestimmt die Versammlungsbehörde die Lautstärke. 5. Die sofortige Vollziehung wird gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) angeordnet.“ Während der Durchführung der versammlungsrechtlichen Aktion wurde die Streckenführung des Aufzuges auf Vorschlag der Polizei mit dem Anmelder und Leiter der Versammlung kooperativ besprochen und umgesetzt. Die versammlungsrechtlichen Beschränkungen wurden seitens des Anmelders und Leiters der Versammlung eingehalten. 9. Wäre die Polizei in der Lage gewesen, die rechtsextreme Demonstration aufzulösen, wenn es dafür rechtliche und tatsächliche Gründe gegeben hätte, ohne dabei bedeutende Rechtsgüter der Allgemeinheit zu gefährden ? Ja. 10. Der Innenminister riet den Menschen in Köthen auf Gegenprotest zu verzichten , siehe das oben genannte Interview. Handelt es sich hier lediglich um die Auffassung des Innenministers, oder die der Landesregierung? 6 11. Am 16. September 2018 fanden in Köthen zivilgesellschaftliche Proteste gegen Rechtsextremismus statt. Der Innenminister hat sich im Jahr 2011 selbst an solchen Protesten in Halle beteiligt. Inwiefern ist das Abraten von Protesten in Köthen nach Ansicht der Landesregierung geeignet, die zivilgesellschaftliche Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus in Köthen zu unterstützen? Die Fragen 10 und 11 werden im Zusammenhang beantwortet. Der Innenminister riet den Menschen in Köthen (Anhalt) nicht, auf Gegenprotest zu verzichten. Vielmehr rief er die Bewohner der Stadt Köthen (Anhalt) auf, mit ihrem Zuhausebleiben ein Zeichen zu setzen, dass man Rechtsextreme auch in Köthen nicht sehen will. Auch dies ist eine Form des (Gegen-)Protests. 12. Wurde die Hochschule Anhalt von Ordnungs- und Sicherheitsbehörden beraten, bevor sie ihre Warnung an ihre Angehörigen herausgab? Wenn ja: Durch welche Behörden? Rieten diese zu der von der Hochschule veröffentlichten Warnung? Die Landesregierung war bei der Erstellung der Warnung nicht beteiligt. Vielmehr traf die Hochschule Anhalt ihre Entscheidung eigenständig und souverän. 13. Der Innenminister gab im oben genannten Interview an, in Köthen einen schönen Besuch in einem Café gehabt zu haben. Ist die Sicherheitslage des Innenministers nach Auffassung der Landesregierung mit jener von ausländischen Studentinnen und Studenten in Köthen vergleichbar? Nein. 14. Haben die Landesregierung oder der Landkreis besondere Schutzmaßnahmen für die Unterkünfte von Geflüchteten in Köthen parallel zu den rechtsextremen Aufmärschen am 9., 10. und 16. September 2018 in Köthen ergriffen? Wie sind diese mit der Aussage des Innenministers, dass sich jeder in Köthen frei bewegen könne, in Übereinstimmung zu bringen? Für die Unterkünfte von Geflüchteten in Köthen (Anhalt) wurden anlassbezogen seit dem 31. Mai 2018 Schutzmaßnahmen durchgeführt. Im Rahmen der polizeilichen Einsatzbewältigung am 9., 10. und 16. September 2018 in Köthen (Anhalt) wurden die Schutzmaßnahmen aufrechterhalten.