Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 7/3643 23.11.2018 Hinweis: Die Drucksache steht vollständig digital im Internet/Intranet zur Verfügung. Bei Bedarf kann Einsichtnahme in der Bibliothek des Landtages von Sachsen-Anhalt erfolgen oder die gedruckte Form abgefordert werden. (Ausgegeben am 26.11.2018) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordneter Henriette Quade (DIE LINKE) Videoüberwachung am Haus der „Identitären Bewegung“ in Halle Kleine Anfrage - KA 7/2059 Vorbemerkung des Fragestellenden: Seit Anfang September 2017 befinden sich am Haus der rechtsextremen „Identitären Bewegung“ in Halle drei Kameras. Anwohnerinnen und Anwohner beschweren sich seit Anbringen über den Überwachungsdruck und fordern Schutz vor Eingriffen in ihre Privatsphäre durch die Überwachung, ebenso Studierende und Angehörige der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Nach Angaben des Landesbeauftragten für den Datenschutz wurden inzwischen Auflagen erlassen, so soll die Speicherfrist auf 48 Stunden festgesetzt worden sein, auch die Überwachung der Fenster des gegenüberliegenden Gebäudes soll untersagt worden sein (MZ, 24. Januar 2018, „Datenschützer greift bei Identitären in Halle durch“). Nach Angaben des Landesbeauftragten für den Datenschutz lag die Einschätzung der Polizei zum Sachverhalt erst im Februar 2018 vor, auf deren Grundlage er gegenüber dem MDR zu der Einschätzung kam, dass die Videoüberwachung zumindest fragwürdig erscheine (mdr.de, 6. März 2018, „Identitäre sollen Überwachung weiter einschränken“). Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Inneres und Sport 1. Welche Erkenntnisse liegen der Landesregierung zur Videoüberwachung am oben genannten Objekt vor? Insbesondere: Erfasste Bereiche, erhobene personenbezogene Daten, Verarbeitung, Speicherdauer, technische Möglichkeiten der Videoüberwachung (Schwenkbarkeit, Zoom, Nachtsicht, Auflösung, automatische sensorgesteuerte Überwachung, Bilderkennung, Gesichtserkennung), verantwortliche Stelle für die Videoüberwachung. 2 Der Landesregierung liegen hierzu keine Erkenntnisse vor. Die Landesregierung hat vor dem nachfolgend dargestellten rechtlichen Hintergrund auch keine Möglichkeit, die erbetenen Daten zu erfragen, ohne dabei in die Unabhängigkeit des Landesbeauftragten für den Datenschutz einzugreifen: Die Zulässigkeit der Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit optischelektronischen Einrichtungen durch private Rechtsträger war in der Vergangenheit im Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) geregelt. Seit dem 25. Mai 2018 bestimmt sie sich nach der Datenschutz-Grundverordnung in Verbindung mit dem BDSG. Zuständig für die Datenschutzaufsicht bei öffentlichen und privaten Rechtsträgern ist seit dem 1. Oktober 2011 allein der Landesbeauftragte für den Datenschutz. Davor lag die Zuständigkeit für die Datenschutzaufsicht im hier berührten, sogenannten nicht-öffentlichen Bereich, beim Landesverwaltungsamt. Allerdings hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit Urteil vom 9. März 2010, Az C-518/07, entschieden, dass auch diejenigen Kontrollstellen, die für die Überwachung der Verarbeitung personenbezogener Daten im nichtöffentlichen Bereich zuständig sind, ihre Aufgaben in völliger Unabhängigkeit wahrnehmen müssen und dabei insbesondere keiner Rechts- oder Fachaufsicht staatlicher Stellen unterstehen dürfen. Zur Umsetzung der Entscheidung des EuGH musste dem Landesverwaltungsamt daher die Zuständigkeit zeitnah entzogen und auf eine vollkommen unabhängige Behörde außerhalb des Zuständigkeitsbereichs der Landesregierung übertragen werden. Dies hat der Landtag von Sachsen- Anhalt mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung datenschutzrechtlicher Vorschriften vom 27. September 2011 umgesetzt, indem die Zuständigkeit für die Datenschutzaufsicht im nicht-öffentlichen Bereich mit Wirkung vom 1. Oktober 2011 auf den Landesbeauftragten für den Datenschutz übertragen wurde. Der Landesbeauftragte für den Datenschutz ist nach Artikel 63 Abs. 3 Satz 1 der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen und damit - wie vom EuGH gefordert - der Rechts- und Fachaufsicht staatlicher Stellen entzogen. Da der Landesbeauftragte für den Datenschutz keiner Rechts- und Fachaufsicht unterliegt und somit gegenüber der Landesregierung weder berichts- noch auskunftspflichtig ist, hat die Landesregierung seit dem 1. Oktober 2011 keinen Zugriff mehr auf Daten, welche die Datenschutzaufsicht im nicht-öffentlichen Bereich betreffen. Diese Daten können von der Landesregierung auch nicht in anderer Weise erhoben werden, da es dafür keine Rechtsgrundlage gibt. Im Übrigen würde eine solche Erhebung in unzulässiger Weise in die Unabhängigkeit der Aufsichtsbehörde eingreifen, was wiederum zu Beanstandungen auf europarechtlicher Grundlage führen könnte. Nach Artikel 63 Abs. 3 Satz 2 der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt hat der Landesbeauftragte für den Datenschutz jedoch dem Landtag, an den er sich jederzeit wenden kann, über seine Tätigkeit und deren Ergebnisse zu berichten. Des Weiteren kann der Landesbeauftragte für den Datenschutz nach § 22 Abs. 4 und 5 des Datenschutzgesetzes Sachsen-Anhalt den Landtag in Fragen des Datenschutzes beraten und auf Ersuchen des Landtages und seiner Ausschüsse Hinweisen auf Angelegenheiten und Vorgänge, die seinen Aufgabenbereich 3 unmittelbar betreffen, nachgehen. Die Regelungen zu parlamentarischen Rechten stehen nach wie vor im Einklang mit dem europäischen Datenschutzrecht . Daher ist die Landesregierung der Auffassung, dass dem Landtag - anders als der Landesregierung - das Recht zusteht, die erbetenen Daten bei Bedarf unmittelbar beim Landesbeauftragten für den Datenschutz zu erfragen. 2. Nach Angaben des Landesbeauftragten für den Datenschutz wurden in der Vergangenheit durch die Videoüberwachung auch Fenster gegenüberliegender Gebäude erfasst. Welche Gebäude waren betroffen und wenn ja, bis zu welcher Höhe? Waren davon auch Gebäude der Martin-Luther- Universität Halle-Wittenberg betroffen und wenn ja, welche und bis zu welcher Höhe? 3. Soweit durch die Videoüberwachung Fenster gegenüberliegender Gebäude betroffen waren, in welchem Zeitraum/welchen Zeiträumen waren diese betroffen? Dauert diese Überwachung durch eine oder mehrere der drei Videokameras an und wenn ja, welche (inklusive der dadurch betroffenen Gebäude)? 4. Nach Angaben des Landesbeauftragten für den Datenschutz wurden in der Vergangenheit durch die Videoüberwachung auch öffentliche Straßen und Gehwege erfasst. Welche Straßen(abschnitte) und Gehweg(abschnitte) waren betroffen? 5. Soweit durch die Videoüberwachung auch öffentliche Straßen(abschnitte) und Gehweg(abschnitte) betroffen waren, in welchem Zeitraum/in welchen Zeiträumen waren diese betroffen? Dauert diese Überwachung durch eine oder mehrere der drei Videokameras an? Wenn ja, welche (inklusive der betroffenen Abschnitte). 6. Soweit die Videoüberwachung in der Vergangenheit in Teilen rechtswidrig statt-gefunden hat, wurden Auflagen zur Löschung der dabei entstandenen Daten erlassen, wurden diese Auflagen eingehalten und wie wurde dies überprüft? 7. Welche Auflagen wurden bezüglich der oben genannten Videoüberwachung bisher erlassen und wurden diese eingehalten? Bitte aufschlüsseln nach Datum, Inhalt der Auflage, Art und Datum etwaiger Überprüfungen , Ergebnis etwaiger Überprüfungen. 8. Soweit Auflagen nicht eingehalten wurden, welche Schritte wurden durch den Landesbeauftragten für den Datenschutz ergriffen? 9. Soweit Auflagen eine Einschränkung des durch die Kameras erfassten Bereichs betreffen (die nicht durch bauliche Maßnahmen/Blenden o. Ä. umgesetzt werden sollen) oder das (partielle) Verpixeln von Aufnahmen, wie wird deren Einhaltung überprüft und sichergestellt? 4 10. In welchem Stand befindet sich das Verfahren/befinden sich die Verfahren des Landesbeauftragten für den Datenschutz zur oben genannten Videoüberwachung ? Wann ist mit einem Abschluss der Verfahren zu rechnen? Werden dazu gerichtliche Auseinandersetzungen geführt und wenn ja, welche? Die Fragen 2 bis 10 werden zusammenhängend beantwortet. Es wird auf die Antwort auf Frage 1 verwiesen. 11. Weshalb lag die Einschätzung der Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Süd erst Anfang Februar dieses Jahres vor? Wie schätzt die Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Süd die Sicherheitslage am fraglichen Objekt ein? Die Erstinformation an den Landesbeauftragten für den Datenschutz bezüglich der am Objekt angebrachten Überwachungskameras übermittelte die Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Süd am 14. September 2017. Der Übermittlung der Information schloss sich ein wiederholter Informationsaustausch zwischen dem Landesbeauftragten für den Datenschutz und der Polizeidirektion Sachsen- Anhalt Süd an. Im Zuge dessen ist auch die polizeiliche Lagebewertung übermittelt worden. Die Auswertung der im Zeitraum vom 1. Januar 2017 bis zum 31. Oktober 2018 im Zusammenhang mit dem Objekt oder in dessen Nähe begangenen Straftaten belegt einen deutlichen Rückgang seit dem Februar 2018. Eine prognostische Aussage zur Sicherheitslage am Objekt ist nicht möglich. 12. Nach wie vor findet sich am Objekt kein Hinweisschild mit den gemäß Art. 1 DSGVO notwendigen Angaben. Wurden diese gegenüber dem Landesbeauftragten für den Datenschutz gemacht? Wenn ja, was sind nach Angaben der verantwortlichen Stelle für die Videoüberwachung: a) Name und Kontaktdaten des Verantwortlichen und ggf. seines Vertreters, b) Kontaktdaten des Datenschutzbeauftragten (sofern vorhanden), c) Zwecke und Rechtsgrundlage der Datenverarbeitung, d) berechtigte Interessen die verfolgt werden, e) Speicherdauer oder Kriterien für die Festlegung der Dauer. f) und wo sind weitere Informationen (ausführliches Hinweisblatt) zu erhalten? 13. Durch welche Maßnahmen öffentlicher Stellen können Anwohnerinnen und Anwohner, Studierende und Passantinnen und Passanten vor Überwachungsdruck durch die Videoüberwachung geschützt werden? Welche Möglichkeiten haben die Betroffenen selbst? 5 14. In der Antwort auf die Kleine Anfrage KA 7/1346 (Drs. 7/2365) führte die Landesregierung am 23. Januar 2018 aus, der Landesbeauftragte für den Datenschutz prüfe derzeit die Rechtmäßigkeit der Videoüberwachung am oben genannten Objekt. Tags darauf berichtete die Mitteldeutsche Zeitung im oben genannten Artikel darüber, dass der Landesbeauftragte für den Datenschutz die Videoüberwachung in Teilen untersagt hatte. War der Landesbeauftragte für den Datenschutz folglich bereits vor und/oder jedenfalls zum Zeitpunkt der Beantwortung der Anfrage durch die Landesregierung - anders als in der Antwort mitgeteilt - der Auffassung, dass die Videoüberwachung in Teilen rechtswidrig war? Die Fragen 12 bis 14 werden zusammenhängend beantwortet. Es wird auf die Antwort auf Frage 1 verwiesen.