Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 7/3744 18.12.2018 (Ausgegeben am 18.12.2018) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordnete Eva von Angern (DIE LINKE) Umbenennung des Standardkommentars zum Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) „Palandt“ Kleine Anfrage - KA 7/2123 Vorbemerkung des Fragestellenden: Der Palandt ist ein nach Otto Palandt benannter Kurzkommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) und einigen Nebengesetzen. Der erstmals 1938 und in aktualisierter Auflage seit 1949 jährlich erscheinende Kommentar zählt zu den wichtigsten Standardwerken der deutschen Rechtswissenschaft und zum ständigen Handwerkszeug fast aller Jurist*innen im Zivilrecht. Verlegt wird der Palandt im Verlag C. H. Beck. Otto Palandt zählte zu den einflussreichsten Juristen des Dritten Reichs. Er trat 1933 der NSDAP bei. Ab Juni 1933 war er Vizepräsident und seit Dezember 1933 Präsident des Preußischen Landesprüfungsamtes. 1934 wurde Palandt zum Präsidenten des Reichsjustizprüfungsamts und Abteilungsleiter im Reichsjustizministerium ernannt . In einem offenen Brief vom 30. Oktober 2018 haben die Justizminister bzw. Justizsenatoren der Länder Hamburg, Berlin und Thüringen den Beck-Verlag dazu aufgefordert , den Standardkommentar zum BGB „Palandt“ umzubenennen. Dem Ganzen ging voraus, dass der Beck-Verlag, nachdem bereits die Initiative „Palandt umbenennen“ im Jahr 2017 für Aufsehen in der Öffentlichkeit gesorgt hatte, sich für seine aktuelle 77. Auflage trotzdem dazu entschlossen hatte, den ursprünglichen Titel beizubehalten. Er fügte aber einen Hinweis auf die Verwicklung des Namensgebers in das NS-Unrechtssystem ein. 2 Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Justiz und Gleichstellung 1. Wie schätzt die Landesregierung den im Eingangstext beschriebenen Sachverhalt ein? 1.1 Teilt und unterstützt die Landesregierung die Positionierung und Forderung der Justizminister bzw. Justizsenatoren der Länder Hamburg, Berlin und Thüringen? Die Landesregierung hat die Initiative der genannten Länder zur Kenntnis genommen . Sie selbst ist stets bemüht, das historische Bewusstsein für das nationalsozialistische Unrecht zu schärfen. So betreut das Ministerium für Justiz und Gleichstellung in Kooperation mit der Stiftung Gedenkstätten Sachsen- Anhalt, der Landeszentrale für politische Bildung des Landes Sachsen-Anhalt, der Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen-Anhalt e. V. und der Konrad-Adenauer- Stiftung e. V. Politisches Bildungsforum Sachsen-Anhalt seit über 10 Jahren die Wanderausstellung "Justiz im Nationalsozialismus: Über Verbrechen im Namen des Deutschen Volkes". Sachsen-Anhalt setzt sich damit intensiv mit der national -sozialistischen Justizgeschichte in unserem Land auseinander. Auch in den juristischen Prüfungen sind die geschichtlichen und gesellschaftlichen Grundlagen des heutigen Rechts, zu denen insbesondere auch das nationalsozialistische Unrecht gehört, Gegenstand des Prüfungsgesprächs. Allerdings ist die Entscheidung des C.H.-Beck-Verlages, den von ihm herausgegebenen Standardkommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch weiter unter dem Titel „Palandt“ zu vermarkten, eine unternehmerische Entscheidung, die von der Landesregierung nicht bewertet wird. 1.2 Gab es im Vorfeld der abgegebenen Erklärung bzw. des offenen Briefes vom 30. Oktober 2018 Kontakt oder Absprachen zwischen den Justizministern der Länder? Im Vorfeld der Erklärung bzw. des offenen Briefes gab es zwischen dem Ministerium für Justiz und Gleichstellung und den Justizressorts der Initiatoren keine Absprachen und keinen Kontakt auf Ministerebene. Über Kontakte und Absprachen der Initiatoren mit anderen Justizressorts liegen keine Erkenntnisse vor. 1.3 War die Umbenennung des Standardkommentars zum Bürgerlichen Gesetzbuch schon einmal Thema auf einer Sitzung der Justizministerkonferenz ? Die Freie und Hansestadt Hamburg hatte zur Herbstkonferenz der Justizministerinnen und Justizminister am 9. November 2017 in Berlin unter dem Tagesordnungsabschnitt „Verschiedenes“ das Thema „Umbenennung des Standardkommentars zum Bürgerlichen Gesetzbuch Palandt“ angemeldet. Das Thema wurde unter den Teilnehmern ergebnisoffen erörtert. 3 2. Wie geht die Juristische Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle- Wittenberg mit der gegenwärtigen Diskussion und mit der Kritik am Namen des Standardkommentars zum Bürgerlichen Gesetzbuch um? 2.1 Gab es Schlussfolgerungen, Empfehlungen oder Konsequenzen? Und wenn ja, welche? Zu dieser Frage wurde die Juristische und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg beteiligt, welche die folgende Stellungnahme abgegeben hat: „Der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg ist es ein wichtiges Anliegen, sich im Rahmen der rechtswissenschaftlichen Ausbildung intensiv mit dem Justizunrecht des 20. Jahrhunderts auseinanderzusetzen. Die gerade in Deutschland besonders eindringlich gemachte Erfahrung, dass auch Unrecht in der Form des Rechts auftreten kann, konfrontiert die Rechtswissenschaft mit der Aufgabe, das gegebene Recht immer wieder auf den Prüfstand der wissenschaftlichen Analyse zu stellen. Vor diesem Hintergrund begrüßt es die Juristische und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, dass auch im Hinblick auf den nach Otto Palandt benannten Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch eine reflektierte Debatte geführt wird. Unabhängig von der aktuellen Diskussion werden Publikationen, bei denen eine durch die Diktaturen des 20. Jahrhundert geprägte politische Motivation der Autorin und des Autors erkennbar wird, an der Juristischen und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät seit deren Neugründung zum Anlass genommen, im Rahmen des wissenschaftlichen Diskurses sowie der rechtswissenschaftlichen Ausbildung das historische Bewusstsein für das nationalsozialistische wie das DDR-Unrecht zu schärfen und damit eine fundierte und reflektierte Auseinandersetzung zu fördern.“ 3. Ist in Sachsen-Anhalt der Standardkommentar zum BGB im juristischen Staatsexamen zugelassen? 3.1 Ist „Der Palandt“ in Sachsen-Anhalt der einzig zugelassene Gesetzeskommentar für Prüflinge im juristischen Staatsexamen? Wenn ja, warum? Gemäß Ziffer 1.6 a der AV zu den Hilfsmitteln in den juristischen Staatsprüfungen ist für die Aufgaben im zweiten juristischen Staatsexamen aus dem Zivilrecht (einschließlich der anwaltlichen Aufgabenstellung) der Palandt als einziger Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch zugelassen. Hintergrund dafür ist, dass zum einen die Auswahl an Kurzkommentaren zum Bürgerlichen Gesetzbuch begrenzt und der „Palandt“ in der Rechtspraxis und der juristischen Ausbildung das führende Standardwerk ist. Zum anderen ist die Zulassung von mehreren Kommentaren aus klausurorganisatorischen Gründen nur schwer möglich. Die Verwendung mehrerer Hilfsmittel für eine Aufgabenstellung erfordert wegen des unterschiedlichen Bearbeitungsstandes einen zusätzlichen hohen Aufwand für die Prüfungsbehörde und birgt die Gefahr einer Fehlerquelle. Darüber hinaus soll mit der Festlegung auf einen Kommentar eine Benachteiligung von Rechtsreferendarinnen und Rechtsreferendaren vermieden werden, denen eine Anschaffung von mehreren Kommentaren finanziell nicht zugemutet werden kann und die so gegenüber finanzstarken Kandidatinnen und Kandidaten einen Nachteil in der Kommentarausstattung hätten.