Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 7/3793 02.01.2019 (Ausgegeben am 03.01.2019) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordnete Eva von Angern (DIE LINKE) Funkzellenabfrage und „stille SMS“ zur Kriminalitätsbekämpfung Kleine Anfrage - KA 7/2142 Vorbemerkung der Fragestellenden: Jede Funkzellenabfrage ist ein Eingriff in die Grundrechte der Bürger*innen. Denn bei einer Funkzellenabfrage fordern Ermittler von den Telekommunikationsanbietern alle Handydaten an, die zu einem bestimmten Zeitraum im Bereich einer Funkzelle registriert wurden, um Straftäter zu identifizieren. Die Abfrage ist umstritten, weil dabei auch Mobiltelefone unbescholtener Bürger*innen ohne deren Wissen erfasst werden. Der Staat ist verpflichtet, die Bürger*innen über diesen Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung zu informieren, zumindest im Nachhinein, wenn die dazugehörigen Ermittlungsverfahren abgeschlossen sind. Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Inneres und Sport Namens der Landesregierung beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: 1. In wie vielen Fällen und in welchem Umfang wurden die Instrumente der Funkzellenauswertung und der so genannten „stillen SMS“ durch welche Behörden Sachsen-Anhalts in den letzten fünf Jahren eingesetzt? Bitte differenziert nach Jahren aufzeigen. Die Anzahl der im Rahmen der Verkehrsdatenerhebung erfolgten Funkzellenabfragen sowie der sogenannten „stillen SMS“ können der nachfolgenden Übersicht entnommen werden. 2 Eine Aufschlüsselung nach Polizeibehörden oder Ermittlungsverfahren ist nicht möglich, da hierüber keine statistische Erfassung erfolgt. Jahr Anordnung Verkehrsdatenerhebung davon Funkzellenabfragen Anzahl stiller SMS 2013 342 155 8.369 2014 390 213 13.296 2015 462 321 8.299 2016 514 338 9.322 2017 451 294 8.875 2. Aufgrund welcher konkreten Voraussetzungen, bei welchen Straftatbeständen und auf welcher Rechtsgrundlage ist dies in den letzten 5 Jahren geschehen? 3. Wie viele Personen und Ermittlungsverfahren waren jeweils von diesen Maßnahmen betroffen? 4. Wie viele Betroffene sind hierüber nachträglich benachrichtigt worden? Die Fragen 2 bis 4 werden zusammenhängend beantwortet. Die Erhebung von Verkehrsdaten im Sinne des Telekommunikationsgesetzes (TKG) ist in den §§ 100g und 101a der Strafprozessordnung (StPO), die Funkzellenabfrage in § 100g Abs. 3 StPO geregelt. Rechtsgrundlage für die sogenannte „stille SMS“ ist nach aktueller Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes der § 100i StPO. Die Maßnahmen bedürfen bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen einer richterlichen Anordnung. Statistische Daten zu Ermittlungsmaßnahmen werden zur Erfüllung der jährlichen Berichtspflichten des § 101b StPO erfasst. Sofern solche Daten nach Erfüllung der Berichtspflichten nicht mehr benötigt werden, sind sie nach § 101 Abs. 1 und § 101a Abs. 3 Satz 4 StPO in entsprechender Anwendung des § 101 Abs. 8 StPO zu löschen, sodass konkrete Verfahren nicht mehr identifizierbar und insbesondere zugehörige Aktenzeichen auf diesem Wege nicht zu ermitteln sind. Es finden keine statistischen Erfassungen zu Funkzellenabfragen und sogenannten „stillen SMS“ im Sinne der Fragestellung statt. Um im Sinne der Fragestellungen antworten zu können, ist eine manuelle und einzelfallbezogene Auswertung aller relevanten Ermittlungsverfahren erforderlich, die innerhalb der für die Beantwortung von Kleinen Anfragen zur Verfügung stehenden Zeit und bei fortlaufender Aufgabenerledigung nicht möglich ist. 3 5. Wurden die Funkzellenauswertung oder das Versenden „stiller SMS“ jemals im Phänomenbereich politischer Versammlungen oder auf andere Weise mit einer größeren Anzahl von erfassten Unbeteiligten in den letzten 5 Jahren angewandt? Wenn ja, a) bei welchen? b) mit welchem zeitlichen und räumlichen Umfang? c) wie viele Personen wurden während der Abfrage erfasst, und wie viele Datensätze wurden erhoben und d) wie viele Tatverdächtige konnten aufgrund der Funkzellenauswertung ermittelt werden? Das allgemeine Erheben von Verkehrsdaten oder das Bestimmen von Standortdaten von Mobilfunkendgeräten bei Versammlungen als strafprozessuale Maßnahme wäre rechtswidrig. Diese könnten nur nach richterlicher Anordnung erfolgen, wenn vor, während oder nach der Versammlung Straftaten, die den Tatbestandsvoraussetzungen des § 100g Abs. 3 und § 100i Abs. 1 Nr. 2 StPO entsprechen, begangen wurden. Um im Sinne der Fragestellungen antworten zu können, ist eine manuelle und einzelfallbezogene Auswertung aller relevanten Ermittlungsverfahren erforderlich , die innerhalb der für die Beantwortung von Kleinen Anfragen zur Verfügung stehenden Zeit und bei fortlaufender Aufgabenerledigung nicht möglich ist. 6. Wie wird die weitere Entwicklung der Funkzellenabfrage bzw. -auswertung oder das Versenden „stiller SMS“ zur polizeilichen Strafverfolgung auf Länderebene insbesondere innerhalb der Ständigen Konferenz der Innenminister oder ihrer Unterarbeitsgruppen koordiniert, evaluiert oder projektiert? Es gibt gegenwärtig kein spezielles bundesweites Gremium, beispielsweise in Form einer Experten- oder Arbeitsgruppe, welches sich mit der weiteren Entwicklung der Funkzellenabfrage bzw. -auswertung oder dem Versenden stiller SMS beschäftigt. Die vorgenannten Maßnahmen sind gleichwohl regelmäßig Gegenstand des Erfahrungsaustausches in den bestehenden Gremienstrukturen der IMK. Derzeit besteht jedoch kein expliziter Auftrag an eine Arbeitsgruppe, entsprechende Maßnahmen auf Länderebene zu koordinieren, zu projektieren oder zu evaluieren . 7. Wie beabsichtigt die Landesregierung künftig für mehr Transparenz bei Funkzellenabfragen zu sorgen? Hierfür wird gegenwärtig kein Bedarf gesehen. Die bestehende Pflicht der Strafverfolgungsbehörden zur detaillierten Berichterstattung nach § 101b StPO gewährleistet eine umfassende Kontrolle zu in Ermittlungsverfahren verdeckt durchgeführten Maßnahmen nach §§ 100a, 100b, 100c und 100g StPO. Benachrichtigungspflichten zur Erhebung von Verkehrsdaten sind hinreichend in 4 § 101a Abs. 6 StPO geregelt. Zahlen zu Funkzellenabfragen werden erstmals für das Jahr 2018 berichtet werden (§ 100g Abs. 3, § 101b Abs. 5 StPO). Sie liegen zurzeit noch nicht vor. 8. Sieht die Landesregierung in dem in Berlin geschaffenen „Funkzellenabfrage -Transparenz-System“ auch für Sachsen-Anhalt die Lösung, um das gesamte Verfahren transparenter zu gestalten? Wenn nicht, warum nicht? Aus Sicht der Landesregierung ist das Berliner Pilotprojekt des SMS-Informationssystems kritisch zu betrachten, da es der Regelung des § 101a Abs. 6 Satz 2 StPO i. V. m. § 101 Abs. 4 Satz 5 StPO zuwiderlaufen könnte. Nachforschungen zur Identitätsfeststellung allein zum Zwecke der Benachrichtigung haben aus verfahrensökonomischen Gründen, aber auch um eine Vertiefung des Grundrechtseingriffs zu vermeiden, zu unterbleiben. Der Wunsch des Einzelnen, per SMS über eine Erhebung seiner Daten im Rahmen einer Funkzellenabfrage informiert zu werden, dürfte die Identifizierung sämtlicher in einer Funkzelle festgestellten Anschlüsse voraussetzen, um einen entsprechenden Abgleich vornehmen zu können. Dies könnte für die sonstigen Betroffenen eine Vertiefung des Grundrechtseingriffs darstellen.