Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 7/3837 16.01.2019 Hinweis: Die Drucksache steht vollständig digital im Internet/Intranet zur Verfügung. Bei Bedarf kann Einsichtnahme in der Bibliothek des Landtages von Sachsen-Anhalt erfolgen oder die gedruckte Form abgefordert werden. (Ausgegeben am 16.01.2019) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordnete Henriette Quade (DIE LINKE) Zwangsvollstreckung soziokulturelles Zentrum Hasi - Teil 1 Kleine Anfrage - KA 7/2184 Vorbemerkung des Fragestellenden: Nach rechtlichen Bedenken der Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Süd (PD Süd) wurde am 21. November 2018 die Räumung des soziokulturellen Zentrums Hasi in der Hafenstraße 7 in Halle abgebrochen. Zuvor war der Räumungstitel gegen den Capuze e. V. vollstreckt worden und dazu Vollzugshilfe durch die PD Süd geleistet, der Verein übergab die Schlüssel. Nach Angaben des Sprechers der PD Süd („Warum der Präsident des Amtsgerichts der Polizei Vorwürfe macht“, Mitteldeutsche Zeitung, online, 24. November 2018) bat die Gerichtsvollzieherin in der Folge um Vollzugshilfe , um alle auf dem Gelände anwesenden Personen räumen zu lassen. Der Sprecher der PD Süd führte dazu im genannten Artikel aus „Dieses Vorgehen hielt und hält die Polizeidirektion nach wie vor für offensichtlich rechtswidrig“, weswegen die Vollzugshilfe verweigert wurde. Zudem habe die Gerichtsvollzieherin keine Vollzugshilfe angefordert , um in das Gebäude zu gelangen und etwaige Untermietverhältnisse zu überprüfen, die PD Süd habe auch bereits im Vorfeld ihre rechtlichen Bedenken mitgeteilt . Diese Sachverhaltsdarstellung wird durch Rechtsanwalt Kadler gestützt („Hasi -Anwalt befürchtet neue ‚rechtswidrige‘ Räumung“, dubisthalle, online, 23. November 2018), sowie durch die Parlamentarische Beobachterin Juliane Nagel. RA Kadler wirft (ebd.) der Gerichtsvollzieherin zudem vor, trotz mehrfacher Aufforderung „maßgebliche Momente“ der Räumung nicht protokolliert zu haben; weiterhin seien Untermietverhältnisse bzw. der dauerhafte Aufenthalt von Personen auf dem Grundstück der Gegenseite schon seit längerem bekannt gewesen. Er erhebt weiterhin auch den Vorwurf der „sehr einseitigen Gläubigervertretung“ gegen die Gerichtsvollzieherin („Rechtsanwalt Volker Kadler über die ausgesetzte Räumung der HaSi“, Radio Corax, online, 22. November 2018). 2 In irritierendem Widerspruch sowohl hinsichtlich der tatsächlichen als auch der rechtlichen Aspekte befindet sich die Pressemitteilung (AG Halle, PM Nr. 008/2018) vom 23. November 2018 des Präsidenten des Amtsgerichts Halle im Wege seiner Dienstaufsicht über die Gerichtsvollzieherin. Nach seinen Angaben habe die Gerichtsvollzieherin die Überprüfung von Untermietverhältnissen nicht vornehmen können, sei jedoch dennoch zum Ergebnis gekommen, diese seien lediglich vorgeschoben. Während die PD Süd, RA Kadler und die Parl. Beobachterin angeben, die Gerichtsvollzieherin habe keine Vollzugshilfe zur Überprüfung angefordert, führt der Präsident des AG Halle aus, diese - wohl nicht angeforderte - Vollzugshilfe habe geleistet werden müssen. Soweit er ausführt, der PD Süd habe keine eigene Rechtmäßigkeitsprüfung zugestanden, wurde eine solche durch die PD Süd nicht behauptet, sondern die offensichtliche Rechtswidrigkeit der angeforderten Vollzugshilfe für eine Zwangsvollstreckung gegen alle anwesenden Personen festgestellt. Hierfür sieht der Präsident des AG Halle hingegen ausweislich seiner Pressemitteilung keine Anhaltspunkte. Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Justiz und Gleichstellung Vorbemerkung der Landesregierung: Die Kleine Anfrage bezieht sich auf eine Zwangsvollstreckungsmaßnahme. Zum rechtlichen Rahmen und den hier einschlägigen zwangsvollstreckungsrechtlichen Besonderheiten unter Berücksichtigung der obergerichtlichen Rechtsprechung ist vorab Folgendes zu bemerken: Bei der Durchführung der Zwangsvollstreckungsmaßnahme der Räumung und Herausgabe einer unbeweglichen Sache muss sich der Titel (bzw. die beigebrachte Vollstreckungsklausel) gegen den Schuldner richten, der Besitzer der herauszugebenen Sache ist. Denn Gegenstand der Zwangsvollstreckung ist die Heraussetzung des Schuldners aus dem Besitz und die Einsetzung des Gläubigers in den Besitz; diese Aufgabe obliegt dem Gerichtsvollzieher (§ 885 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Besitzer ist rechtlich definiert als der Inhaber der tatsächlichen Sachherrschaft. Hierunter fällt insbesondere nicht der Besitzdiener, etwa ein dauerhaft tätiger Angestellter des Schuldners. Gegen Besitzdiener bzw. Personen, die keinen (unmittelbaren ) Besitz an der Wohnung haben, bedarf es keines weiteren eigenständigen Titels bzw. einer Vollstreckungsklausel. Vielmehr kann der Gläubiger hier die Vollstreckung gegen diese Personen aus dem Titel (bzw. der Vollstreckungsklausel) gegen den davon personenverschiedenen Räumungsschuldner betreiben (vgl. Gruber, Münchener Kommentar, 5. A. 2016, § 885, RN 15). Hierzu hat der 1. Zivilsenat des BGH in seiner Entscheidung vom 14. August 2008 (Az.: I ZB 39/08) ausgeführt: „Gegen Personen, die sich in den herauszugebenden Mieträumen aufhalten, ohne deren Besitzer oder Mitbesitzer zu sein - wie etwa Bedienstete oder Besucher - findet keine Zwangsvollstreckung statt, da sie nicht im Sinne des § 885 Abs. 1 ZPO aus dem Besitz der Mieträume zu setzen sind. Ihre Zwangsräumung hat ihre Grundlage in der allein gegen den Mieter als Besitzer der Mieträume gerichteten Zwangsvollstreckung (…). Da gegen diese Personen keine Zwangsvollstreckung stattfindet, müssen sie in dem Titel oder der Klausel auch nicht gemäß § 750 Abs. 1 ZPO namentlich bezeichnet sein.“ 3 Entsprechend hat der BGH in einem weiteren Beschluss vom 19. März 2008 (Az.: I ZB 56/07) ausgeführt, dass auch der Lebensgefährte einer Mieterin nicht ohne weiteres als Besitzer der Mietwohnung anzusehen sei. Vielmehr müsse hier „anhand der tatsächlichen Umstände des jeweiligen Falles beurteilt werden, ob der nichteheliche Lebensgefährte Mitbesitzer oder nicht nur Besitzdiener“ sei. Weiter heißt es in der Entscheidung: „Die tatsächlichen Besitzverhältnisse hat der Gerichtsvollzieher als Vollstreckungsorgan zu prüfen… Aus den Gesamtumständen muss sich klar und eindeutig ergeben, dass der Dritte Mitbesitzer ist, weil das Zwangsvollstreckungsverfahren formalisiert ist und der Gläubiger vor einer Verschleierung der Besitzverhältnisse durch den Schuldner zur Vereitelung der Zwangsvollstreckung geschützt werden muss.“ Auch bei einer Person, die beispielsweise behauptet, Untermieter zu sein, hat der jeweilige Gerichtsvollzieher als Vollstreckungsorgan vor Ort zu prüfen, ob diese Person Besitz an der zu räumenden Mietsache hat (vgl. Gruber in: Münchener Kommentar , a.a.O.). Es genügt insbesondere nicht, dass diese Person z. B. einen Untermietvertrag vorlegt. Vielmehr muss sich der Gerichtsvollzieher vor Ort davon überzeugen, ob die Person, die behauptet Untermieter zu sein, Besitzer der Mietsache ist (vgl. Gruber, a.a.O.). Hierbei hat der Gerichtsvollzieher als Vollstreckungsorgan „nicht das Recht zum Besitz zu beurteilen, sondern allein die tatsächlichen Besitzverhältnisse, gleich wie der Besitz erlangt ist.“(vgl. BGH, Beschluss vom 25.06.2004, Az.: I Xa ZB 39/04). Sodann hat der Gerichtsvollzieher „nur noch zu prüfen, ob sich die Räumungsverpflichtung nach dem vom Gläubiger beigebrachten Titel gegen den von ihm festgestellten (Mit-)Besitzer der Wohnung richtet“ (vgl. BGH, Beschluss vom 25.06.2004, Az.: I Xa ZB 29/04). Soweit der Gerichtsvollzieher zu der Überzeugung gelangt, dass etwa eine Person, die angibt Untermieter zu sein, im konkreten Fall kein (Mit-) Besitzer der zu räumenden Mietsache ist, bedarf es zur Vollstreckung keines eigenen Titels gegen diese Person. Vielmehr ist diese Person darauf verwiesen, eigenständig das behauptete Besitzrecht aus dem Untermietvertrag in einem eigenständigen Rechtsbehelfsverfahren vor Gericht geltend zu machen. Erst hier wird über das Besitzrecht etwa aus einem Untermietvertrag gestritten, dann aber in einem eigenständigen gerichtlichen Verfahren (vgl. Gruber, a.a.O.). Bei einer Herausgabe- und Räumungsvollstreckung muss die Besitzentziehung des Schuldners so zu erfolgen, dass der Gerichtsvollzieher in der Lage ist, dem Gläubiger die ungehinderte tatsächliche Gewalt an der Sache zu verschaffen. Zur Besitzeinweisung ist erforderlich, dass der Gerichtsvollzieher dem Gläubiger die tatsächliche Gewalt über das Grundstück und die Räume verschafft. Was im Übrigen jeweils notwendig ist, entscheidet das bürgerliche Recht (vgl. Bartels in Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozessordnung, 23. Auflage, § 885 ZPO, RN 19, 25). Die Räumung im mietrechtlichen Sinn erfordert dabei, dass der Mieter dem Vermieter den unmittelbaren Besitz verschafft. Das gilt auch dann, wenn der Mieter die Mietsache - berechtigt oder unberechtigt - einem Dritten überlassen hat oder er weder mittelbaren noch unmittelbaren Besitz hat (vgl. Wiederhold, Beck OK, §§ 546 RN 15). 4 1. Am 19. Oktober 2018 erging ein Urteil des Landgerichts Halle in der o. g. Sache gegen den Capuze e. V., was wurde in diesem Urteil bezüglich etwaigen Untermietern und/oder anderen dauerhaft im Objekt Hafenstraße 7 aufhältigen Personen ausgeführt? Das Gericht hat dazu in der Darstellung des streitigen Vortrages des Beklagten (Capuze e. V.) dessen bestrittene Behauptungen wie folgt dargestellt: „Im Termin zur mündlichen Verhandlung behauptet der Beklagte, der Verein habe nur noch fünf Mitglieder. Die tatsächliche Besitzlage sei eine Gemengelage. Neben den fünf Vereinsmitgliedern übten auch diverse andere Personen die Nutzung des streitgegenständlichen Objektes aus. Die Namen der fünf Vereinsmitglieder und der anderen Nutzer hat der Beklagte auf dahingehendes Auskunftsverlangen des Klägervertreters im Termin nicht mitgeteilt.“ In den Entscheidungsgründen hat das Gericht in dem Urteil ausgeführt: „Soweit der Beklagte im Verhandlungstermin ferner vorgebracht hat, es gäbe über die fünf aktuellen Vereinsmitglieder hinaus noch weitere „Mitnutzer bzw. Mitbesitzer “, kommt es auf die Namen vermeintlicher weiterer Mitbesitzer im vorliegenden Räumungsprozess, den die Klägerin gegen den Beklagten Verein angestrengt hat, nicht an.“ Dies hat das Gericht im Weiteren rechtlich begründet. 2. Wurde durch die Gläubigerin HWG bis zum 21. November 2018 eine Auskunftsklage gegen den Capuze e. V. angestrengt? Nein. 3. War das Urteil des Landgerichts Halle gegen den Capuze e. V. vom 19. Oktober 2018 am 21. November 2018 bereits rechtskräftig? Nein. 4. Enthielt das genannte Urteil eine Vollstreckungsklausel? Wenn ja: Gegen wen? Ja, gegen den Verein Capuze e. V. 5. Gegen wen lag der Gerichtsvollzieherin am 21. November 2018 ein vollstreckbarer Räumungstitel vor? Ein vollstreckbarer Räumungstitel lag gegen den Capuze e. V. vor. 6. Lag der Gerichtsvollzieherin am 21. November 2018 ein vollstreckbarer Räumungstitel gegen Untermieter und / oder andere dauerhaft im Objekt der Hafenstraße 7 aufhältige Personen vor? Ein eigenständiger vollstreckbarer Räumungstitel gegen dritte Personen lag nicht vor. 5 Im Hinblick auf die Bedeutung des Vollstreckungstitels und die Prüfung der tatsächlichen Besitzverhältnisse wird auf die obige Vorbemerkung der Landesregierung verwiesen. 7. Wann wurde die Gerichtsvollzieherin durch die Gläubigerin mit der Zwangsvollstreckung beauftragt und gegen wen? Die Gerichtsvollzieherin wurde am 30. Oktober 2018 beauftragt, die Zwangsvollstreckung gegen den Räumungsschuldner vorzunehmen. 8. Wann wurde durch die Gerichtsvollzieherin der Räumungstermin festgelegt ? Dies erfolgte am 30. Oktober 2018. 9. Wann wurde der Räumungstermin durch die Gerichtsvollzieherin der Gläubigerin mitgeteilt. Dies geschah am 30. Oktober 2018. 10. Wurde der Räumungstermin dem Capuze e. V. durch die Gerichtsvollzieherin mitgeteilt und wenn ja, wie und wann? Dies erfolgte durch Zustellung an den im Urteil namentlich bezeichneten Vorsitzenden des Capuze e. V. am 30. Oktober 2018. 11. Nach Angaben von RA Kadler wurde der Räumungstermin durch die Gerichtsvollzieherin festgesetzt, ohne dass ihr eine vollstreckbare Ausfertigung des Räumungstitels vorlag. Handelt es sich hierbei um ein übliches Vorgehen? Eine vollstreckbare Ausfertigung des Titels lag vor. 12. Soweit es sich dabei nicht um ein übliches Vorgehen handelt, wieso wurde dieses Vorgehen durch die Gerichtsvollzieherin gewählt? Wurde dieses Vorgehen durch die Dienstaufsicht geprüft und wenn ja, mit welchem Ergebnis? Hierzu wird auf die Antwort zur Frage 11. verwiesen. 13. Die PD Süd gibt an, die Gerichtsvollzieherin bereits im Vorfeld der Räumung über rechtliche Bedenken bezüglich der angeforderten Vollzugshilfe informiert zu haben. Über welche rechtlichen Bedenken wurde die Gerichtsvollzieherin im Vorfeld durch die PD Süd informiert? Wie wurden diese rechtlichen Bedenken durch die Gerichtsvollzieherin bewertet? Bei einer Einsatzbesprechung am 19. November 2018, die den angekündigten Widerstand gegen die Räumung zum Thema hatte, teilte ein polizeilicher Vertreter nach Erinnerung der Gerichtsvollzieherin mit, Rechtsanwalt Kadler - der anwaltliche Vertreter des Räumungsschuldners - habe sich bei ihm gemeldet und mitgeteilt, dass „wohl Untermietverträge aufgetaucht seien“. Die Nachfrage 6 der Gerichtsvollzieherin, um welche und wie viele Personen es sich handle, konnte er nicht beantworten. Der polizeiliche Vertreter äußerte zu diesem Zeitpunkt die Auffassung, dass aus dem Titel keine Räumung der „Untermieter“ möglich sei. Daraufhin erklärte die Gerichtsvollzieherin im Einklang mit der oben zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass sie dies überprüfen müsse. Am 20. November 2018, dem Vortag des Zwangsräumungstermins, erschien nach kurz vorher erfolgter telefonischer Ankündigung Herr Rechtsanwalt Kadler unaufgefordert im Büro der Gerichtsvollzieherin und bekundete, dass sie mit „40 oder auch 10“ Untermietern zu rechnen hätte. Sodann teilte er ihr mit, dass aus seiner Sicht eine Räumung deswegen nicht erfolgen könne. Auf eine rechtliche Diskussion mit dem Schuldnervertreter ließ sich die Gerichtsvollzieherin nicht ein. 14. Nach Angaben von RA Kadler wurden durch die Gerichtsvollzieherin „maßgebliche Momente“ der Zwangsvollstreckung nicht protokolliert. Was wurde durch die Gerichtsvollzieherin protokolliert? Die Gerichtsvollzieherin erstellte ein Protokoll mit Anlagen. Dabei verwendete sie ein übliches Protokollmuster und verzeichnete hierin sowie ergänzend in den Anlagen die Angaben zum Ablauf der Räumungsvollstreckung. 15. Wurde der Vorwurf von RA Kadler durch die Dienstaufsicht geprüft und wenn ja, mit welchem Ergebnis? Welche konkreten Vorwürfe Herr Rechtsanwalt Kadler zur Protokollierung erhebt , ist nicht bekannt. Ein Antrag auf Protokollergänzung oder Protokollberichtigung ist auch nicht eingegangen. Eine entsprechende Dienstaufsichtsbeschwerde des anwaltlichen Vertreters des Räumungsschuldners ist ebenfalls nicht eingegangen. Zu dienstaufsichtsrechtlichen Maßnahmen bestand hier nach Aktenlage kein Anlass.