Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 7/3958 20.02.2019 Hinweis: Die Drucksache steht vollständig digital im Internet/Intranet zur Verfügung. Bei Bedarf kann Einsichtnahme in der Bibliothek des Landtages von Sachsen-Anhalt erfolgen oder die gedruckte Form abgefordert werden. (Ausgegeben am 20.02.2019) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordnete Prof. Dr. Angela Kolb-Janssen (SPD) Aufarbeitung des kolonialen Erbes in Sachsen-Anhalt Kleine Anfrage - KA 7/2251 Vorbemerkung des Fragestellenden: Vor 100 Jahren ging mit dem Ende des Ersten Weltkriegs und dem Versailler Vertrag die Zeit des deutschen Kolonialismus zu Ende. Eine Aufarbeitung und Auseinandersetzung mit dem deutschen kolonialen Erbe steht im internationalen Vergleich erst am Anfang. Zahlreiche Exponate in Sammlungen von Museen haben eine koloniale Vergangenheit bzw. einen kolonialen Bezug, die nicht oder nur teilweise bekannt ist. Antwort der Landesregierung erstellt von der Staatskanzlei und Ministerium für Kultur Frage 1: Sind der Landesregierung zivilgesellschaftliche Initiativen bekannt, die sich mit dem kolonialen Erbe Sachsen-Anhalts auseinandersetzen? Der Museumsverband Sachsen-Anhalt e. V. ist zum Thema „Umgang mit Sammlungen aus kolonialen Kontexten“ seit drei Jahren im Bereich von Fort- und Weiterbildungen seiner Mitglieder aktiv. Auf der Grundlage einer zweijährigen Vorbereitung mit dem Berliner Verein OIKOS EINE WELT beginnt in diesem Jahr das mehrjährige Vorhaben „Weltenbummel“ zur Qualifizierung der Museen als außerschulische Lernorte . In diesem Projekt finden auch Fragen des Umgangs mit Sammlungen und Ausstellungen in kolonialen Kontexten Berücksichtigung. Im Hinblick auf die Sammlungsund Ausstellungstätigkeit der Museen führt der Museumsverband 2019 eine Fortbildung durch, der die relevanten Fragestellungen des Leitfadens des Deutschen Museumsbunds , der erst 2018 erschienen ist, vermittelt und anhand von best practice 2 Beispielen den komplexen Umgang mit entsprechenden Sammlungsbeständen in kleineren Museen thematisiert. Frage 2: Welche Forschungseinrichtungen und Universitäten des Landes beschäftigen sich mit dem Kolonialismus und dem kolonialen Erbe Sachsen-Anhalts? Unter den Hochschulen des Landes sind die Martin-Luther-Universität Halle- Wittenberg und die Hochschule Magdeburg-Stendal aktiv involviert. Der Landesschwerpunkt „Gesellschaft und Kultur in Bewegung“ der Martin-Luther- Universität Halle-Wittenberg (MLU) setzt sich in seinem englischsprachigen Graduiertenkolleg (aktuelle Kohorte gestartet 2018, gegründet 2008) mit den Folgen von Kolonialismus in der Gegenwart auseinander. Zu Ländern des globalen Südens forschen 87 % der Kollegiat/innen, von denen insgesamt 62 % aus Ländern des globalen Südens stammen, deren Gesellschaften nachhaltig vom Kolonialismus geprägt worden sind. Die interdisziplinäre Fächerkombination der Betreuer/innen aus Ethnologie , Soziologie, Politikwissenschaft, Jura, Kulturwissenschaft und Erziehungswissenschaft hilft dabei problemorientierte Promotionsprojekte zu realisieren, ebenso wie die enge Kooperation mit dem Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung in Halle. Der Schwerpunkt dieser Forschung liegt auf der Bewältigung von Problemen gegenwärtiger Gesellschaften, die in Teilen auch auf Kolonialismus zurückgeführt werden können. Deshalb wird nicht zwischen Ländern des kolonialen Südens mit früherer deutscher, englischer, französischer, belgischer, spanischer, holländischer oder portugiesischer Kolonialgeschichte unterschieden. Das Seminar für Philosophie der MLU, insbesondere die Professur für praktische Philosophie, beschäftigt sich mit dem Kolonialismus auch mit Blick auf Sachsen- Anhalt. Zu nennen sind: - ein von der DFG gefördertes Forschungsprojekt „Translationen des Rechts durch Kolonialismus und Rassentheorie“ (Leitung Prof. Dr. M. Kaufmann); dazu u. a. die Tagung „Civilization-Nature-Subjugation. Variations of (De)Colonization“ (Oktober 2018), - die Vorlesungsreihe „Amo-Lecture“ zu Ehren von Anton Wilhelm Amo, des ersten afrikanischen Philosophen in Europa. Zuletzt (November 2018) sprach Achille Membe in der Reihe über die Frage der Restitution, - eine Tagung zu Amo (Oktober 2018) (Leitung Dr. F. Wunderlich) und - das Seminar unter Leitung von Bashir Diagne „Translation Futures. From Decolonization to Planetary Hospitality“ (Oktober 2017). Das Zentralmagazin Naturwissenschaftlicher Sammlung der MLU (ZNS) hat mit der Ausstellung „Verschwindende Vermächtnisse - die Welt als Wald“ vom 20. Oktober bis 14. Dezember 2018 intensiv Kolonialismus als eine Ursache für den Waldverlust thematisiert. Der Fokus lag dabei auf dem damaligen Deutsch-Neuguinea und dem Bismarck-Archipel. Außerdem wurde mit Künstlern und lokalen Wissenschaftlern mittels Videoinstallationen diskutiert. 3 Die Geweih- und Gehörnesammlung (vor allem von afrikanischen Großsäugern) im ZNS, wurde größtenteils vom städtischen Museum Zwickau übernommen. Eine neue Tafel beschreibt den Unrechtskontext kolonialer Strukturen, stellt aber auch deren Forschungspotential, insbesondere für die Biodiversitätsforschung in den Herkunftsländern (Britisch-Ostafrika, Deutsch-Südwestafrika) heraus. Das ZNS hat zudem die Ausstellung zum Thema „Rassismus“ des Deutschen Hygiene -Museums Dresden mit Objektleihgaben und Wissen unterstützt. Dabei ging es um den Transfer von Karakulschafen aus dem Landwirtschaftlichen Institut der Uni Halle in das damalige Deutsch-Südwestafrika. Die Forschungsaktivitäten des Interdisziplinären Zentrums für die Erforschung der Europäischen Aufklärung (IZEA) zum Thema „Koloniales Erbe in Sachsen-Anhalt“ sind der Anlage zu entnehmen. Am Fachbereich Angewandte Humanwissenschaften der Hochschule Magdeburg- Stendal (Standort Stendal) schließlich wird in der Lehre der Völkermord an den Herero und Nama thematisiert, an denen mutmaßlich auch in der Altmark stationierte Regimentsmitglieder beteiligt gewesen sein sollen. Ebenso spielen die unkritische Bezugnahme auf diese Regimenter in zeitgenössischen Vereinen und auf Mahnmalen sowie rassistische Stereotype in den Schriften Winckelmanns eine Rolle. Frage 3: Welche Einrichtungen oder Initiativen der Provenienzforschung des Landes sind bekannt? Bitte ggf. Forschungsprojekte aufführen. Wenn nicht, sind Projekte in diesem Kontext geplant? Eine Antwort zu Initiativen der Provenienzforschung in Gänze bedarf der Differenzierung : Für die Suche nach NS-Raubgut und die Untersuchung der Provenienzen von Objekten hinsichtlich unrechtmäßiger Kulturgutentziehungen während der Zeit der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR ist der Einsatz von gezielt geschulten Historikern und Kunsthistorikern unabdingbar. Anders verhält es sich bei Sammlungsbeständen aus kolonialen Zusammenhängen: hier sind Ethnologen und verwandte Wissenschaftszweige mit den Untersuchungen zu betrauen. Für die Suche nach NS-Raubgut und Objekten aus Kulturgutentziehungen in der Zeit der sowjetischen Besatzungszone unterstützt die Landesregierung den Museumsverband Sachsen-Anhalt in Kooperation mit der Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste seit 2016 in der Durchführung sog. Erst-Checks an den kommunalen Museen des Landes. Bereits an 22 Museen konnten in diesem Zusammenhang Provenienzforschungen ermöglicht werden; nach Prüfung des Museumsverbandes ist dies bereits ein Drittel aller in Sachsen-Anhalt für eine solche Prüfung in Betracht zu ziehenden kommunalen Sammlungen. Gelegentlich treten hierbei auch Bestände aus kolonialen Kontexten zutage und werden dokumentiert, so im Museum Aschersleben . Da eine systematische Übersicht zu Sammlungen aus kolonialen Kontexten in den Museen in Sachsen-Anhalt bislang fehlt, wäre vor weitergehenden Maßnahmen eine Ersterfassung erforderlich. 4 Frage 4: Welche Anstrengungen unternehmen Museen oder Kultureinrichtungen, um Exponate in ihre Sammlungen auf einen kolonialen Kontext hin zu überprüfen? Ist der Leitfaden zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten des Deutschen Museumsbundes den Museen und Kultureinrichtungen des Landes bekannt und findet er in der Praxis Anwendung? Vgl. Antwort zu Frage 3. Der Museumsverband hat allen seinen Mitgliedern den benannten Leitfaden in digitaler Form zur Verfügung gestellt. Er ist in den Museen des Landes bekannt. Seine Anwendung ist durch die Landesregierung nicht zu erheben. Die Museen des Landes tragen der Kernforderung des Leitfadens nach einer seriösen wissenschaftlichen Erforschung und Auseinandersetzung mit den Objektbiographien sowie des interkulturellen Dialogs im Rahmen ihrer Möglichkeiten Rechnung. Gerade die außereuropäischen Sammlungen des 18. Jahrhunderts in den öffentlichrechtlichen Kulturstiftungen des Landes - hier die Franckeschen Stiftungen Halle und die Kulturstiftung Dessau-Wörlitz - sind andauernder Forschungsgegenstand dieser Institutionen. Die Herkunft der Bestände ist bekannt, die Aufarbeitung der Sammlungen und deren Veröffentlichung in wesentlichen Teilen bereits erfolgt; Anhaltspunkte für zweifelhafte Erwerbszusammenhänge ergaben sich dabei bislang nicht. Die sog. „Afrika-Sammlung“ im Museum Aschersleben bedarf der weitergehenden Provenienzforschung, nachdem die dort vorhandenen Objekte im Rahmen eines Erst-Checks 2016/17 dokumentiert wurden; hierzu befinden sich die Landesregierung und der Museumsverband in Abstimmungen mit der Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste zur gemeinsamen Finanzierung eines Anschlussprojekts im Jahr 2019. Betreffend die wissenschaftlichen Sammlungen in Sachsen-Anhalt teilt die MLU mit, dass alle Objekte im Zentralmagazin Naturwissenschaftlicher Sammlung der MLU in ihrer Herkunft bekannt sind, sodass sich eine Überprüfung der Sammlung auf einen kolonialen Kontext derzeit erübrigt. Frage 5: Sind der Landesregierung Exponate in Museen oder Sammlungen Sachsen- Anhalts bekannt, die während der Kolonialzeit in das heutige Sachsen-Anhalt gelangten? Bitte ggf. auflisten. Die naturwissenschaftlichen Sammlungen betreffend teilt die MLU mit: Das ZNS der MLU beherbergt vor allem Sammlungen aus eigener Sammelaktivität zumeist aus Zeiten und Regionen ohne deutsche Kolonialbeteiligung. Der Sammlungsfokus liegt auf der Karibik, Südamerika, Zentralasien und Mitteleuropa. Gerade Afrika (Deutsch- Ostafrika, Togo, Kamerun, Deutsch-Südwestafrika) und Neuguinea/Melanesien (Deutsch-Neuguinea, Bismarck-Archipel) sowie Polynesien (Samoa) sind mit Sammlungsobjekten in der Sammlung unterrepräsentiert und auch heute noch kein Forschungs - oder Sammelschwerpunkt. Aus dem chinesischen Tsingtau sind keine Sammlungsobjekte bekannt. Die Mehrzahl der Objekte der historischen Sammlungen am ZNS waren bis zum Jahre 1860 eingegangen, deutlich vor der Etablierung deutscher Kolonien. Spätere große Sammlungen kamen in Kooperationsprojekten mit den jeweiligen Ländern zustande (u. a. Russland, Kuba, Mongolei, China). Lediglich eine Gehörnesammlung (2016 aus Zwickau an das ZNS), einige wenige Vogelgelege 5 aus der Sammlung von Max Schönwetter (1962 aus Gotha an das ZNS), Kaufobjekte aus dem Pazifik aus dem Handelshaus Godeffroy (Vögel, Säuger, Mollusken, Fische, um 1880 von Hamburg an das ZNS) und die Karakulzucht verweisen auf Verbindungen zu deutschen Kolonien. Das ZNS arbeitet derzeit aktiv die Karakulzucht auf, auch mit einem Filmprojekt. Die kolonialen Machtstrukturen haben sicherlich bei dem einen oder anderen Objekt die Akquise erleichtert, aber große zusammenhängende Kolonialsammlungen von Naturobjekten gibt es am ZNS nicht. Die Kulturstiftung Dessau-Wörlitz beherbergt die sog. Forster-Sammlung, eine Gruppe von 31 Objekten aus der Südsee, die der Forscher Georg Forster von seiner Südseereise 1772-75 nach Deutschland brachte; Schmuck und Werkzeuge sowie Alltagsgegenstände finden sich darunter. Forster schenkte diese Objekte Fürst Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau, dem Begründer des Gartenreichs. Die Landesregierung hat die Erforschung und Restaurierung der Forster-Sammlung ermöglicht , die Sammlung wird ab 5. Mai 2019 dauerhaft in neuer Präsentation im Wörlitzer Schloss zu sehen sein, die Erkenntnisse zur Herkunft und Bedeutung der Objekte wurden in Katalogform publiziert. Daneben verfügt die Kulturstiftung Dessau-Wörlitz über drei präkolumbianische Objekte, drei Musikinstrumente aus dem Südseeraum und einige Musikinstrumente aus Afrika, die aus den fürstlichen Sammlungen des Hauses Anhalt stammen, entweder aus Schloss Großkühnau oder Schloss Zerbst. Aufgrund von Kriegsverlusten im historischen Archiv stehen keine Anhaltspunkte für die Erwerbszusammenhänge zu Gebote; die Stücke sind dokumentiert und andauernder Forschungsgegenstand im Rahmen der Aufgaben der Stiftung. Die barocke Kunst- und Naturalienkammer der Franckeschen Stiftungen Halle, deren Sammlung im Wesentlichen zwischen 1698 und 1748 entstand, umfasst auch 92 Objekte , die aus dem südöstlichen Indien stammen. Diese Objekte sind über die Dänisch -Hallesche Mission im 18. Jahrhundert nach Halle gelangt. Hinzu kommen 52 ethnographische Objekte aus Borneo, die zwei Missionare in den 1840er Jahren den Franckeschen Stiftungen geschenkt haben. Die Korrespondenz der von Halle aus initiierten ersten protestantischen Missionsunternehmung der Geschichte in Indien ist erhalten, wissenschaftlich erschlossen, digitalisiert sowie öffentlich zugänglich. Aus ihr wird deutlich, dass die musealen Objekte nicht geraubt oder anderweitig entwendet wurden, sondern durch Kauf oder Schenkung in den Besitz der Missionare gelangten. Nach ihrer Wiedergründung 1991 haben die Franckeschen Stiftungen zahlreiche Kooperationsprojekte mit ihren indischen Partnern durchgeführt, unter anderem 2006 mehrere tausend mikroverfilmte Handschriften aus dem Missionsarchiv zur Verfügung gestellt, um eine wissenschaftliche Benutzung dieses Quellenmaterials auch in Indien selbst zu ermöglichen. 2016 initiierten die Franckeschen Stiftungen zudem die Einrichtung eines Museums und Studienzentrums für den interkulturellen Dialog in dem ursprünglichen Missionsort Tharangambadi in Südostindien, dies mit finanzieller Unterstützung des Auswärtigen Amtes. Im Leitfaden zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten des Deutschen Museumsbundes wird auf den frühneuzeitlichen Sammlungstyp, der in der Kunst- und Naturalienkammer der Franckeschen Stiftungen verkörpert ist, nicht näher eingegangen. Hier besteht Forschungs- und Diskussionsbedarf, zu dem die Franckeschen Stiftungen eine Reihe wissenschaftlicher Konferenzen vorbereiten. 6 Das Museum Aschersleben beherbergt eine sog. „Afrika-Sammlung“ zusammen mit mehreren Stücken aus der Südsee. Diese Objekte gelangten spätestens ab 1938 und bis 1964 in das städtische Museum, die Erwerbszusammenhänge sind bislang nicht bekannt. Mit der Schaffung einer „ständigen kolonialen Abteilung“ im Städtischen Museum Aschersleben im Jahr 1938 sollte auf die wirtschaftliche Wichtigkeit der Kolonien für das Deutsche Reich Bezug genommen werden. Die Sammlung umfasst sowohl afrikanische Gegenstände, aber auch Objekte aus Übersee, wie Borneo und Neu-Guinea. Darunter befinden sich u. a. präparierte Tiere [Eidechsen] oder Tierreste [Nashörner, Schildkrötenpanzer, Krokodilschädel] oder verarbeitete Tiere [Gürteltiere], afrikanische Kunst [Musikinstrumente: Trommeln, Holzplastiken: Masken , Köpfe, Tierdarstellungen, Gebrauchsgegenstände: Tisch, Pfeile und Waffen, Sonstiges: Gräser, Fasern, Hölzer, Gestein. Große Teile der Afrika-Sammlung sind in den 1930er Jahren durch Schenkung des Aschersleber Schulrektors Wilhelm Lederbogen in das Museum gelangt. Wilhelm Lederbogen war zuvor Lehrer in den damaligen Kolonien Kamerun und Togo. Unbekannt ist bislang, wie er an die Stücke gelangte und wann und wie er diese nach Aschersleben transportieren konnte. Im Zuge einer größeren Öffentlichkeitsarbeit durch das Erstcheck-Projekt meldeten sich im Mai 2017 Nachfahren von Wilhelm Lederbogen telefonisch im Museum Aschersleben , hier sind weitere Erkenntnisse im Rahmen einer vertiefenden Provenienzforschung zu erhoffen. Bei den sich im Museum Aschersleben befindlichen Objekten aus Übersee wird eine Schenkung von Prof. Dr. Martin Schmidt aus den 1930er Jahren vermutet, einem bekannten Forschungsreisenden, Geologen und Paläontologen. Auch hier besteht weitergehender Forschungsbedarf. Die Landesregierung und der Museumsverband werden weitergehende Provenienzforschungen in Aschersleben noch im laufenden Jahr ermöglichen. Die Sammlung und Präsentation von Ethnologica gehörte Ende des 19./erstes Viertel des 20. Jahrhunderts auch zur Sammlungs- und Ausstellungspolitik des Kunstmuseums Moritzburg Halle. Die Ethnologica werden nicht mehr im Museum gezeigt, im Jahr 1953 wurden die Objekte dem Museum für Völkerkunde Leipzig (Grassi- Museum) übergeben. In der DDR mussten zahlreiche Museen ihre Bestände an übergeordnete Einrichtungen abgeben, wie z. B. auch das Altmärkische Museum Stendal seine Bestände zum Afrikaforscher Gustav Nachtigal an das Völkerkundemuseum Leipzig. Eine systematische Übersicht zu den Übergaben in der DDR liegt nicht vor. Die Sammlung „Ethnographica“ im Museum Schloß Moritzburg Zeitz umfasst 349 Einträge. Der weitaus größte Teil davon stammt aus dem Nachlass der Afrikaforscher Clemens und Gustav Denhardt, der 1929 ins Museum gelangte und ab 1931 in der Moritzburg Zeitz präsentiert wurde. Zweifelhafte Erwerbsumstände sind nicht naheliegend , da es sich in weiten Teilen um Handelsware handelt, teils für einen touristischen , europäischen Markt (Webmatten, Handfächer, Arbeitszimmermöbel). Hinzu kommen diverse Archivalien und Landkarten. Auch für die Moritzburg Zeitz wird aber eine vertiefende Provenienzforschung notwendig, die Landesregierung und der Museumsverband arbeiten auf ein diesbezügliches Projektvorhaben hin. Eine handhabbare Definition von „Sammlungen in kolonialen Kontexten“ lässt sich dem Leitfaden des Deutschen Museumsbundes nicht entnehmen. Die Zuordnung eines Objekts zu einem kolonialen Kontext ist nicht leicht vorzunehmen, die entsprechenden Objekte sind nicht auf den ersten Blick erkennbar. Der Leitfaden betont 7 deshalb die Schüsselrolle der Provenienzforschung im Einzelfall (ebd. S. 4). Die Landesregierung wird hierzu in Umsetzung des Koalitionsvertrages im laufenden Haushaltsjahr eine „Koordinierungsstelle Provenienzforschung in Museen Sachsen- Anhalts“ am Museumsverband Sachsen-Anhalt e. V. einrichten. Diese Koordinierungsstelle treibt vorrangig die Suche nach NS-Raubgut in den Museen des Landes voran, bearbeitet aber auch Provenienzforschungen zu Beständen im Kontext von SBZ/DDR-Unrecht; im Rahmen ihrer Möglichkeiten wird sie mittelfristig auch zu Sammlungen aus kolonialen Kontexten forschen. Frage 6: Sind Anfragen oder geltend gemachte Forderungen gegenüber Museen, Sammlungen oder wissenschaftlichen Einrichtungen in Sachsen-Anhalt im Kontext des kolonialen Erbes, die sich auf die Heraus- oder Rückgabe von Gegenständen , Sammlungen oder sonstigen Objekten und Materialien jedweder Art beziehen , der Landesregierung bekannt? Der Landesregierung sind keine Forderungen zur Heraus- oder Rückgabe von Gegenständen , Sammlungen oder sonstigen Objekten und Materialen bekannt. Bei allen ausländischen Sammlungsobjekten sollen aber etwaige Anfragen aus den Ursprungsländern immer bevorzugt beantwortet werden. Frage 7: Wenn Anfragen bekannt sind, wie wurde damit umgegangen und erfolgten ggf. Rückgaben? Vgl. Frage 6. Hierzu liegen der Landesregierung keine Informationen vor. Frage 8: Wie wird der Kolonialismus in den Lehrplänen thematisiert? Welche Formen der Aufarbeitung der Kolonialgeschichte sehen die Lehrpläne in Sachsen- Anhalt vor? In den Studienplänen des Studiengangs Soziologie an der MLU spielen im Lehrbereich Sozialstrukturanalyse soziale Ungleichheiten zwischen Ländern, deren Genese und Entwicklung in den Modulen „Einführung in die Sozialstrukturanalyse (SO1)“ und „Weltgesellschaft im Werden (SO3)“ eine Rolle. Die Kolonialgeschichte spielt dabei in Theorien und zu lesenden Texten eine Rolle. Der Schwerpunkt liegt bei der Analyse gegenwärtiger Probleme und dazugehöriger Lösungsansätze. Im Bildungsbereich gibt es für das Thema Kolonialismus folgende Verankerungen bzw. Anknüpfungspunkte in Fachlehrplänen: Das Thema „deutscher Kolonialismus“ ist verbindlicher Kompetenzschwerpunkt im Fach Geschichte am Gymnasium, Schuljahrgänge 7/8: Nationale Interessen und internationale Interessenkonflikte im Imperialismus und Kolonialismus bewerten. Dabei sind folgende Kompetenzen zu entwickeln: Interpretationskompetenz: Interpretation der Quellen zu Zielen und Methoden der Kolonialpolitik, Narrative Kompetenz: Charakterisierung des kolonialen Vormachtstrebens unter Berücksichtigung ideologischer Rechtfertigungen, 8 Geschichtskulturelle Kompetenz: Bewerten des gegenwärtigen Umgangs mit der deutschen Kolonialpolitik und Offenlegen der Bewertungsmaßstäbe. Zur Entwicklung dieser Kompetenzen sind folgende Wissensbestände von Bedeutung : – das Wilhelminische Kaiserreich als Kolonialmacht: Schutzgebiete und Kolonien, Konkurrenz zu anderen Kolonialmächten, – ideologische Rechtfertigungen der Kolonialpolitik: Rassismus, Sozialdarwinismus, zivilisatorisches Sendungsbewusstsein, – Methoden: Missionierung, Ausbeutung, „Zivilisierung“, – Widerstand (z. B. Herero und Nama, Boxeraufstand), – Möglichkeiten zum gegenwärtigen Umgang mit der Kolonialpolitik des Wilhelminischen Kaiserreiches (z. B. Übernahme moralischer Verantwortung, Reparationen ). Im Geschichtsunterricht an Sekundarschulen kann das Thema in den Schuljahrgängen 7/8 als Bestandteil des Methodenpraktikums „Geschichte in Sachtexten“ ausgewählt werden, indem entsprechende Sachtexte mit Bezug zum Thema „Kolonialismus “ verwendet und mit den Lernenden analysiert werden, auch zum Thema „Wiedergutmachung “. Einen möglichen Anknüpfungspunkt bietet indirekt auch der Kompetenzbereich „Charakter und Folgen des Ersten Weltkrieges“ im Schuljahrgang 9. Eine Behandlung des Themas „Kolonialismus“ wäre hier im Zusammenhang mit folgenden Wissensbeständen denkbar: – Ursachen des Krieges, – Versailler Vertrag. Über die konkreten Formen der unterrichtlichen Aufarbeitung der Kolonialgeschichte entscheiden die Schulen in eigener Verantwortung im Rahmen der schulinternen Planung. Dabei können die Schulen auch auf Medientipps, die der Landesbildungsserver bereithält, zurückgreifen. Lediglich beispielhaft sei verwiesen auf Medienangebote im emuTUPE-Medienpool wie: – „Streben der Mächte“, – „Ursachen und Kriegsverlauf [Erster Weltkrieg]“, – „Namibia – Spurensuche im früheren ‚Deutsch-Südwestafrika‘“.