Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 7/4054 05.03.2019 Hinweise: Eine Einsichtnahme des vertraulichen Teils o. g. Antwort ist für Mitglieder des Landtages in der Landtagsverwaltung - Akteneinsichtnahmeraum - nach Terminabsprache möglich. Die Drucksache steht vollständig digital im Internet/Intranet zur Verfügung. Bei Bedarf kann Einsichtnahme in der Bibliothek des Landtages von Sachsen-Anhalt erfolgen oder die gedruckte Form abgefordert werden. (Ausgegeben am 05.03.2019) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordnete Henriette Quade (DIE LINKE) Aryans-Prozess vor dem Landgericht Halle (Saale) Kleine Anfrage - KA 7/2327 Vorbemerkung des Fragestellenden: Derzeit wird vor dem Landgericht Halle (Saale) ein Strafprozess gegen Martina H. und Carsten M. geführt, sie sollen am 1. Mai 2017 - mit mehreren anderen Personen in zwei Autos - Menschen gejagt und angegriffen haben. Dabei trugen sie Kleidung die mit „Aryans - Support your race“ und einer 88 bedruckt waren. Teile der rechtsextremen Gruppierung skandierten laut Medienberichten zuvor „Ohne Polizei wärt ihr alle tot“. Im Vorfeld des Prozesses wurden in der Süddeutschen Zeitung („Wenn rechte Gewalt zur Normalität wird“, sz.de, 9. Januar 2019) erhebliche Vorwürfe gegen die Justiz in Sachsen-Anhalt erhoben, diese verharmlose und bagatellisiere rechtsextreme Gewalt. Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Justiz und Gleichstellung Vorbemerkung: Zwar ist der parlamentarische Informationsanspruch grundsätzlich auf die Beantwortung gestellter Fragen in der Öffentlichkeit angelegt. Die Landesregierung trifft aber eine Schutzpflicht gegenüber ihren nachrichtendienstlichen Quellen. Teile der Antwort der Landesregierung müssen insoweit als Verschlusssache „VS-VERTRAU- 2 LICH“ eingestuft werden. Hierbei wird der Rechtsprechung des Landesverfassungsgerichts Sachsen-Anhalt gefolgt, nach der bei der Erfüllung der Auskunftsverpflichtung gegenüber dem Parlament unter Geheimhaltungsaspekten wirksame Vorkehrungen gegen das Bekanntwerden von Dienstgeheimnissen mit einbezogen werden können (vgl. Landesverfassungsgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 17. September 2013, Az.: LVG 14/12; Urteil vom 25. Januar 2016, Az.: LVG 6/15). Hierzu zählt auch die Geheimschutzordnung des Landtages (GSO-LT). Die Einstufung als Verschlusssache ist im vorliegenden Fall im Hinblick auf das Wohl des Landes Sachsen-Anhalt und die schutzwürdigen Interessen Dritter geeignet, das Informationsinteresse des Parlaments unter Wahrung berechtigter Geheimhaltungsinteressen der Landesregierung zu befriedigen (Art. 53 Abs. 3 und 4 Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt). Die öffentliche Preisgabe von weiteren Informationen zu der Frage 19 würde Rückschlüsse auf sensible Verfahrensweisen und Taktiken der Verfassungsschutzbehörde des Landes Sachsen-Anhalt ermöglichen. Das Bekanntwerden dieser Informationen ließe somit befürchten, dass verfassungsfeindlichen Bestrebungen nicht mehr wirksam entgegengetreten werden kann und hierdurch dem Wohl des Landes Sachsen -Anhalt Nachteile zugefügt würden. Darüber hinaus ist das Vertrauen in die Fähigkeit der Verfassungsschutzbehörden, Nachrichtenzugänge zu schützen, für ihre Funktionsfähigkeit essentiell. Die öffentliche Mitteilung solcher weiteren Informationen, die Rückschlüsse auf Quellen zulassen , würde sich nachteilig auf die Fähigkeit der Verfassungsschutzbehörde des Landes Sachsen-Anhalt auswirken, solche Zugänge zu gewinnen oder solche Kontakte fortzuführen. 1. Gegen wie viele Personen wurden im Zusammenhang mit den o. g. Angriffen der „Aryans“-Gruppe Ermittlungsverfahren geführt? Wie viele der Verfahren werden noch geführt und wie viele wurden eingestellt und warum? Bitte aufschlüsseln nach Anzahl der Personen, Tatbeständen und etwaigen Einstellungsgründen. Im Zusammenhang mit zwei tätlichen Angriffen am 1. Mai 2017 wurde gegen insgesamt fünf identifizierte Beschuldigte in zwei Ermittlungsverfahren u. a. wegen besonders schweren Landfriedensbruchs und gefährlicher Körperverletzung ermittelt. Gegen die in dieser Kleinen Anfrage mit Martina H. und Carsten M. bezeichneten Personen wurde nach Abschluss der Ermittlungen Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung erhoben. Beide wurden vom Landgericht Halle am 8. Februar 2019 wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Gegen drei weitere Beschuldigte wurde das Verfahren wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß § 170 Absatz 2 StPO eingestellt, weil ihnen in diesem Zusammenhang keine konkrete strafbare Handlung nachgewiesen werden konnte. In einem gesonderten Verfahren gegen einen dieser Beschuldigten wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gemäß § 86a StGB wegen Zeigen des sog. „Hitlergrußes“ im Rahmen des Versammlungsgeschehens am 1. Mai 2017 wurde im September 2017 eine Geldstrafe verhängt. 3 2. Soweit noch Verfahren geführt werden, in welchem Stand befinden sich diese derzeit? Bitte aufschlüsseln nach Tatverdächtigen und Tatbeständen. Auf die Antwort auf Frage 1 wird verwiesen. 3. Nach Aussagen der Zeuginnen und Zeugen im o. g. Verfahren wurden die Angriffe aus zwei vollbesetzten Autos heraus geführt, zudem sollen mit den Autos Menschen gejagt worden sein. Weshalb wurde nur gegen zwei Personen, nicht aber die anderen Insassen der Autos Anklage erhoben? Auf die Antwort auf Frage 1 wird verwiesen. 4. Weshalb erhob die Staatsanwaltschaft Halle lediglich vor dem Amtsgericht Halle Anklage, statt vor dem Landgericht Halle? Durch wen wurde diese Entscheidung in der Staatsanwaltschaft Halle getroffen? In Strafsachen sind die Amtsgerichte nach Maßgabe des § 24 Absatz 1 Satz 1 Ziffer 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) grundsätzlich zuständig, wenn nicht im Einzelfall etwa eine höhere Strafe als vier Jahre Freiheitsstrafe oder die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus erwartet wird oder gemäß § 24 Absatz 1 Satz 1 Ziffer 3 GVG die Staatsanwaltschaft wegen eines besonderen Schutzbedürfnisses von Verletzten der Straftat, die als Zeugen in Betracht kommen, eines besonderen Umfangs des Verfahrens oder der besonderen Bedeutung des Falles Anklage beim Landgericht erhoben wird. Die Beurteilung dieser Umstände in Würdigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls oblag der zuständigen Dezernentin der Staatsanwaltschaft Halle bei Erhebung der Anklage am 22. Januar 2018 zum Amtsgericht. 5. Wurde das Ministerium für Justiz und Gleichstellung bei dieser Entscheidung einbezogen und wenn ja, in welcher Form? Nein. 6. Weshalb wird die Staatsanwaltschaft Halle in dem Verfahren nicht durch die für die Ermittlungen zuständige Staatsanwältin vertreten? Die Einteilung zur Sitzungsvertretung obliegt grundsätzlich der Behördenleitung unter Berücksichtigung der Verfügbarkeit der jeweiligen Anklageverfasser. Die zuständige Staatsanwältin war hier durch andere Verfahren gebunden. 7. Die für die Ermittlungen zuständige Staatsanwältin ordnete die Angriffe auf eine Wandergruppe und Teilnehmende des Gegenprotests laut dem o. g. Artikel als „typisches Alltagsgeschäft“ ein. Nach Medienberichten ermittelt der Generalbundesanwalt seit März 2018 gegen die „Aryans“ wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung, der in Halle angeklagte Carsten M. soll dabei zu den „führenden Köpfen“ gerechnet werden. Teilt die Landesregierung die Einschätzung der Staatsanwältin, dass es sich bei den in Rede stehenden Taten einer mutmaßlichen terroristischen Vereinigung und 4 deren Führungsperson um „typisches Alltagsgeschäft“ in Sachsen-Anhalt handelt? 8. Die Staatsanwältin bemerkte laut Medienberichten weiterhin: „Die von den Angeklagten gezeigte Aggressivität geht nicht über das hinaus, was bedauerlicherweise im Umfeld sogenannter politischer Veranstaltungen inzwischen üblich ist.“ Teilt die Landesregierung diese Einschätzung? Sieht die Landesregierung die Staatsanwältin vor dem Hintergrund dieser für Prozessbeobachterinnen und Prozessbeobachter wie auch Verfahrensbeteiligte irritierenden Verharmlosung neonazistischer Gewalt weiterhin als geeignet an, Ermittlungen im Bereich politisch motivierter Kriminalität zu führen? 9. Bei dem Angeklagten Carsten M. wurden unter anderem Pistolen, Messer, Armbrüste und weitere Waffen/gefährliche Gegenstände in seiner Wohnung gefunden, dazu eine SS-Flagge, Aufkleber der „Division Braune Wölfe “ und weitere rechtsextreme Materialien. Die für das Verfahren zuständige Staatsanwältin kommentierte dies laut o. g. Artikel mit der Bemerkung: „Über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten.“ Inwiefern ist diese Bemerkung geeignet, den politischen Hintergrund des Angeklagten und der Tat zutreffend zu beschreiben und sieht die Landesregierung die Staatsanwältin vor dem Hintergrund dieser Äußerung weiterhin als geeignet an, Ermittlungen im Bereich politisch motivierter Kriminalität zu führen ? Gemeinsame Antwort auf die Fragen 7. - 9. Die zuständige Staatsanwältin hat keinerlei Äußerungen gegenüber Medien getätigt. Aktenkundig sind allein Stellungnahmen der zuständigen Staatsanwältin gegenüber den beteiligten Gerichten zur rechtlichen Frage, ob eine besondere Bedeutung der Sache im Sinne des § 24 Abs.1 Nr.3 GVG vorliegt. Derartige Stellungnahmen dienen gerade nicht der öffentlichen Diskussion und politischen Auseinandersetzung. Eine Verharmlosung des Tatgeschehens war damit weder verbunden noch beabsichtigt. Bei Anklageerhebung und bei nachfolgender Abgabe der genannten Stellungnahmen lagen der Staatsanwaltschaft Halle weder ausreichende Hinweise auf eine etwa bestehende terroristische Vereinigung noch auf ein entsprechendes Ermittlungsverfahren der Bundesanwaltschaft vor. Die für den Wohnort der Person zuständige Polizeidienststelle hat ein Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz eingeleitet. 10. Nach Medienberichten soll Carsten M. zu den „führenden Köpfen“ der mutmaßlichen terroristischen Vereinigung der „Aryans“ gerechnet werden. War der Verdacht der Bildung einer terroristischen Vereinigung auch Gegenstand der Ermittlungsverfahren in Sachsen-Anhalt? 11. Wurde durch die Ermittlungsbehörden in Sachsen-Anhalt erwogen, die Ermittlungen an den Generalbundesanwalt abzugeben? Gemeinsame Antwort auf die Fragen 10. und 11. 5 Nein. 12. Wurde wegen des Verdachts des Landfriedensbruchs gegen Carsten M. und Martina H. ermittelt und wenn ja, mit welchem Ergebnis? Die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Landfriedensbruchs wurden geprüft und verneint. Das bestätigte auch das Landgericht Halle mit Urteil vom 8. Februar 2019. 13. Inzwischen wurde bekannt, dass die Angeklagte Martina H. auf ihre Bitte hin von einem hessischen Polizeibeamten Informationen aus einem internen Polizeiinformationssystem erhielt. Welche Informationen wurden an Martina H. aus welchem polizeilichen Informationssystem wann weitergegeben ? Waren darunter auch Informationen über/personenbezogene Daten zu im o. g. Prozess Beteiligten und wenn ja, welche? Wurden die Betroffenen informiert? Die vermeintliche Herausgabe von Daten erfolgte nicht in Sachsen-Anhalt. Der Landesregierung liegen keine Informationen vor, welche Daten herausgegeben worden sind. 14. Wann wurden die Ermittlungsbehörden in Sachsen-Anhalt über die Weitergabe von Informationen an die Angeklagte Martina H. informiert? Der Schlussbericht der PD Sachsen-Anhalt Süd vom 28.09.2017 enthält einen Hinweis auf einen Kontakt zwischen der Beschuldigten Martina H. und einem (damals hessischen) Polizeibeamten. Dazu wurde bereits bei der Polizei ein gesondertes Verfahren wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses eingeleitet und an die örtlich zuständige Dienststelle abgegeben. 15. Liegen der Landesregierung Erkenntnisse vor, dass die Angeklagten oder Personen gegen die Ermittlungsverfahren geführt wurden oder werden durch Polizeibeamtinnen und/oder Polizeibeamte Informationen über die Ermittlungen gegen sie oder ihnen bekannte Personen erhalten haben und wenn ja, welche? Hinweise auf Informationen aus den Reihen der Polizei an die Beschuldigten zu den laufenden Ermittlungen liegen den Strafverfolgungsbehörden in Sachsen-Anhalt nicht vor. 16. Im Prozess vor dem Landgericht Halle haben die ermittelnden Beamten ausgesagt, dass bei Carsten M. fünf Handys beschlagnahmt wurden, jedoch nur eines, das der Angeklagten Martina H. zugeordnet und auch ausgewertet wurde. Der ermittelnde Beamte sagte weiterhin aus, er habe von der Staatsanwaltschaft Halle die Anweisung bekommen, die anderen Handys nicht auszuwerten, da man ja schon habe, was man brauche. Durch wen in der Staatsanwaltschaft Halle wurde die Anweisung erteilt, die übrigen Handys nicht auszuwerten und warum? Der ermittelnde Beamte sagte im Rahmen der Verhandlung am Landgericht Halle (Saale) aus, dass bei der Angeklagten H. zwei Mobiltelefone beschlagnahmt und 6 ausgewertet worden sind. Die Anweisung, die beschlagnahmten Mobiltelefone des Angeklagten M. vorerst nicht auszuwerten, erfolgte durch die für die Verfahren zuständige Dezernentin. Die vorliegenden Beweismittel waren für die Anklageerhebung ausreichend. 17. Ist es üblich, dass das Handy eines Angeklagten - hier Carsten M. - nicht ausgewertet wird? 18. In dem o. g. Prozess wurden den Zeugen auch in den Akten protokollierte Aussagen vorgehalten, nach denen Zeugen in polizeilichen Vernehmungen im Ermittlungsverfahren den Angeklagten Carsten M. als Rädelsführer der Angriffe am 1. Mai 2017 beschrieben haben, zudem sagten Zeugen aus, dass sie mit ihm über den Verlauf des Tages und die Koordinierung der beiden Fahrzeuge kommuniziert haben sollen. Wieso waren diese Aussagen kein Anlass für die Staatsanwaltschaft Halle, sein Handy - über das diese Kommunikation erfolgt sein soll - auszuwerten? Gemeinsame Antwort auf Fragen 17. und 18.: Die Entscheidung zur Beweiserhebung zum Nachweis von Tat und Täterschaft erfolgt grundsätzlich einzelfallbezogen und sachverhaltsabhängig in enger Abstimmung der Staatsanwaltschaft und der ermittelnden Polizeibeamten. Die sachbearbeitende Staatsanwältin hat hier auf die weitere Handyauswertung verzichtet , da dies für den Nachweis der angeklagten Taten nicht erforderlich war. Die Hauptverhandlung hat diese Einschätzung bestätigt. Eine weitere Auswertung hätte angesichts der knappen polizeilichen Ressourcen die Ermittlungen zeitlich deutlich verzögert, ohne dass ein wesentlicher Erkenntnisgewinn für die angeklagten Taten zu erwarten gewesen wäre. 19. Welche Erkenntnisse liegen der Landesregierung zu Aktivitäten der „Aryans “ in Sachsen-Anhalt vor? Die rechtsextremistische Gruppierung „Kameradschaft Aryans“ ist nach der erstmaligen Feststellung im Rahmen der geschlossenen Teilnahme an der Versammlung der rechtsextremistischen Szene am 1. Mai 2017 in Halle (Saale) und im Zusammenhang mit dem in Rede stehenden Tatgeschehen nicht mehr geschlossen und öffentlichkeitswirksam in Sachsen-Anhalt in Erscheinung getreten. Die Mitteilung weiterer Erkenntnisse ist der Landesregierung in dem für die Öffentlichkeit einsehbaren Teil der Beantwortung der Kleinen Anfrage aus Geheimhaltungsgründen nicht möglich. Zur Begründung wird auf die Vorbemerkung der Landesregierung zu dieser Kleinen Anfrage verwiesen. Die vollständige Antwort der Landesregierung muss deshalb als Verschlusssache „VS-VERTRAULICH“ eingestuft werden. Sie kann bei der Geheimschutzstelle des Landtages nach Maßgabe der Geheimschutzordnung des Landtages eingesehen werden.