Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 7/442 06.10.2016 (Ausgegeben am 07.10.2016) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordnete Sarah Sauermann (AfD) Zukunft der Ortschaftsräte Kleine Anfrage - KA 7/210 Vorbemerkung des Fragestellenden: Ortschaftsräte für Ortschaften unter 300 Einwohnern sollten laut Änderung der Kommunalverfassung ab 2019 komplett abgeschafft werden. Aufgrund von Protesten soll diese Änderung jedoch wieder zurückgenommen werden1. Herr Innenminister Stahlknecht erklärte in einem Interview gegenüber der Volksstimme vom 18. August 2015, dass an alle Ortsbürgermeister Fragebögen verteilt worden wären, die den Bedarf von Ortschaftsräten einschätzen sollten2. Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Inneres und Sport Namens der Landesregierung beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Nachbemerkung der Landesregierung: Im Zuge der Weiterentwicklung des Kommunalverfassungsrechts ist im Sinne der Stärkung von Demokratie und Transparenz im Rahmen der Änderung des Kommunalverfassungsgesetzes vorgesehen, dass auch in Ortschaften mit bis zu 300 Einwohnern die Möglichkeit eröffnet wird, hinsichtlich der Ortschaftsvertretung zwischen einem von den wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürgern der Ortschaft gewählten Ortschaftsrat oder Ortsvorsteher wählen zu können. 1 http://www.mdr.de/sachsen-anhalt-heute/ortschaftsraete-schenkendorf-sachsen-anhalt-100_zc- 37460f2c_zs-0dc2cd9a.html (abgerufen am 10. August 2016) 2 http://www.volksstimme.de/sachsen-anhalt/20150818/kommunalverfassung-protest-gegen-aus-derortschaftsrte (abgerufen am 04. August 2016) 2 1. Wie viele Ortsbürgermeister wurden insgesamt befragt und wie viele waren dafür und wie viele dagegen? Warum wurden nur die Ortsbürgermeister und nicht die betroffenen Ortschaftsräte selbst befragt? Wie viele Ortschaften unter 300 Einwohnern hatten zu diesem Zeitpunkt Ortschaftsräte und wie viele nicht? Das am 15. Mai 2014 vom Landtag verabschiedete Kommunalverfassungsgesetz des Landes Sachsen-Anhalt wurde bereits im Vorfeld des Gesetzgebungsverfahrens durch einen offenen Diskurs mit haupt- und ehrenamtlichen Repräsentanten der kommunalen Ebene begleitet. So wurden kommunale Mandatsträger und Vertreter aus Verwaltung und Politik frühzeitig und umfassend in das Gesetzesvorhaben eingebunden. Im Rahmen von Symposien, Regionalkonferenzen und Workshops wurden mit Vertretern aus den Kommunen die Erfahrungen und Probleme aus der kommunalen Praxis mit der Anwendung des Kommunalrechts diskutiert sowie Hinweise und Anregungen zur Optimierung der rechtlichen Rahmenbedingungen erörtert, u. a. zu Änderungserfordernissen im Ortschaftsrecht. Die Beteiligung der kommunalen Ebene im Vorfeld des Gesetzgebungsverfahrens umfasste auch die Ortsbürgermeister und Ortschaftsräte in den annähernd 1 000 Ortschaften, die in den Einheitsgemeinden des Landes eingerichtet waren , darunter etwa 230 Ortschaften unter 300 Einwohner. Ziel der Umfrage der ehrenamtlichen Mandatsträger auf der Ortschaftsebene war es, anhand verschiedener Fragen die tägliche Praxis und Handhabbarkeit der Ortschaftsverfassung zu reflektieren und aus den praktischen Erfahrungen Ansätze für eine Fortentwicklung und Optimierung des Ortschaftsrechts abzuleiten. Die vorgegebenen sieben Fragekomplexe umfassten die Bestellung von Ortsbürgermeistern in Ortschaften mit örtlicher Verwaltung, die Zuständigkeiten des Ortschaftsrates gegenüber und in Abgrenzung vom Gemeinderat, die Befugnisse des Ortsbürgermeisters und des Ortsvorstehers, die Durchführung von Einwohnerfragestunden , die Aufhebung der Ortschaftsverfassung und sonstige Anmerkungen zum rechtlichen Rahmen der Ortschaftsverfassung. Die Fragebögen wurden allen Ortsbürgermeistern und Ortschaftsräten mit der Bitte zugeleitet, sich in den Prozess der Fortentwicklung des Ortschaftsrechts einzubringen und sich bei Beantwortung der Fragen nach Möglichkeit im Ortschaftsrat abzustimmen. An der Fragebogenaktion haben sich 117 Ortschaften beteiligt. Ergebnis der Befragung waren insgesamt etwa 200 Hinweise auf als problematisch lokalisierte rechtliche Sachverhalte und Änderungsvorschläge zu unterschiedlichen Inhalten des Ortschaftsrechts. 2. Gab es Prognosen über die einzusparenden Kosten durch die Abschaffung der Ortschaftsräte? Ziel der Anknüpfung des Modells der Ortschaftsvertretung an die Einwohnerzahl der Ortschaft ab Beginn der Wahlperiode 2019 war nicht, finanzielle Einsparungen zu erzielen, sondern die Sicherung der Funktionsfähigkeit einer wirksamen Ortschaftsvertretung in kleinen Ortschaften. Entsprechend der allgemeinen Begründung des Gesetzentwurfs der Landesregierung zum Kommunalrechtsreformgesetz (Drucksache 6/2247, S. 136, 137) zielte die künftige Dif- 3 ferenzierung des Modells der Ortschaftsvertretung in Abhängigkeit von der Einwohnerzahl der Ortschaft darauf ab, den in kleinen Ortschaften vielfach bestehenden Schwierigkeiten bei der Gewinnung von Bewerbern für die ehrenamtliche Tätigkeit in einer Ortschaftsvertretung zu begegnen und zu vermeiden, dass die Wahrnehmung der Ortschaftsinteressen an erfolglosen Wahlen mangels ausreichender Kandidaten scheitert. 3. Scheinbar gibt es Rückbestrebungen ehemaliger Städte mehr Kompetenzen ihren Ortschaftsräten zuzuführen. Zudem wollen sich mehrere Ortschaften wieder als Stadt bezeichnen. Wie erklärt sich die Landesregierung das? Ortschaften sind nicht rechtsfähige Teile einer Gemeinde, die eine engere Gemeinschaft bilden und mit einem Ortschaftsrat oder einem Ortsvorsteher die ortspezifischen Interessen im Rahmen des gesetzlich festgelegten Verfahrens sowie der zugewiesenen Entscheidungszuständigkeiten wahrnehmen und die positive Entwicklung innerhalb der Gemeinde fördern. Zum Umfang der Entscheidungskompetenzen, die den Ortschaftsräten in den landesweit eingerichteten Ortschaften jeweils übertragen sind, liegen der Landesregierung keine Erkenntnisse vor. Ebenso wie die Einrichtung und Änderung der Ortschaftsverfassung ist auch die Übertragung von Entscheidungsbefugnissen auf den Ortschaftsrat eine Angelegenheit der kommunalen Selbstverwaltung , die vom Gemeinderat der jeweiligen Gemeinde im Rahmen der Gesetze eigenverantwortlich entschieden wird. Die Entscheidung des Gemeinderates, ob und in welchem Umfang nach Maßgabe der Rechtsordnung Aufgabenkompetenzen auf den Ortschaftsrat übertragen werden, hängt von den besonderen örtlichen Verhältnissen und von der Abwägung der Umstände des Einzelfalls ab und ist insoweit ein dem Gemeinderat vorbehaltener Akt wertender Erkenntnis. Soweit sich Ortsteile wieder als Stadt bezeichnen wollen, beruht dies auf § 14 Abs. 2 des am 1. Juli 2014 in Kraft getretenen Kommunalverfassungsgesetzes (KVG LSA). Die Neuregelung eröffnet für Ortsteile, die vor einer Gebietsänderung als ehemals selbständige Gemeinde die Bezeichnung „Stadt“ geführt , diese jedoch als Folge des mit der Gebietsänderung verbundenen Verlustes der rechtlichen Existenz verloren hatten, die Möglichkeit, ihre bisherige Bezeichnung wieder führen zu dürfen. Damit wurde dem Anliegen zahlreicher ehemaliger Gemeinden entsprochen, mit der Wiedererlangung der vor der Gebietsänderung langjährig geführten Bezeichnung „Stadt“ einen Teil ihrer historischen Identifikation wieder zum Ausdruck bringen zu können. 4. Macht es nach Einschätzung der Landesregierung Sinn, den Ortschaftsräten über die Kommunalverfassung wieder mehr Eigenständigkeit zu übertragen? Wenn ja, welche Kompetenzen? Dem Ortschaftsrat sind durch Gesetz keine Beschluss- bzw. Entscheidungszuständigkeiten zugewiesen. Ebenso wie die Vorgängerregelung des § 87 Abs. 2 der Gemeindeordnung für das Land Sachsen-Anhalt stellt es auch § 84 Abs. 3 KVG LSA in das Ermessen des Gemeinderates, ob und in welchem Umfang er Entscheidungsbefugnisse auf den Ortschaftsrat überträgt. Übertragbar auf den Ortschaftsrat sind alle die Ortschaft betreffenden Angelegenheiten des eigenen 4 Wirkungskreises, mit Ausnahme der ausschließlich dem Gemeinderat vorbehaltenen Aufgaben nach § 45 Abs. 2 und 3 KVG LSA und der dem Bürgermeister kraft Gesetzes obliegenden Aufgaben. Das geltende Recht stellt insoweit weitreichende Möglichkeiten zur konkreten Ausgestaltung der Ortschaftsverfassung zur Verfügung. Bis auf relativ wenige Ausnahmen lassen sich zahlreiche Sachentscheidungszuständigkeiten auf den Ortschaftsrat übertragen. Soweit die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Ortschaftsverfassung die Entscheidung darüber, welche Entscheidungsbefugnisse dem Ortschaftsrat übertragen werden, den Gemeinden selbst überlassen, trägt dies dem Grundsatz der Subsidiarität Rechnung und stärkt die Stellung der Gemeinden. Der Gemeinderat kann nach Abwägung aller Einzelgesichtspunkte, wie Größe und Anzahl der Ortschaften in der Gemeinde, finanzielle Möglichkeiten der Gemeinde und finanzieller Bedarf in den Ortschaften, und unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse entscheiden, welche realisierbaren Entscheidungsbefugnisse dem Ortschaftsrat im Interesse der Erhaltung der bürgerschaftlichen Selbstverwaltung in den Ortschaften und zu Gunsten ortsnaher Entscheidungen übertragen werden.