Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 7/491 24.10.2016 (Ausgegeben am 24.10.2016) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordnete Dagmar Zoschke (DIE LINKE) Ärztliche Versorgung in Sachsen-Anhalt Kleine Anfrage - KA 7/231 Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Arbeit, Soziales und Integration 1. Bei wie vielen Hausarztpraxen in Sachsen-Anhalt zeichnet sich nach Kenntnis oder Schätzung der Landesregierung derzeit ein Nachfolgeproblem ab und wie hoch ist der Fluktuationsbedarf in den kommenden fünf Jahren insgesamt? Bitte auflisten nach Landkreisen und kreisfreien Städten. Derzeit sind landesweit 141 Hausarztstellen unbesetzt (siehe Abb. 1). Für 12 der 32 hausärztlichen Planungsbereiche wurde eine drohende Unterversorgung durch den Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen Sachsen-Anhalt festgestellt. Aufgrund der Altersstruktur der Hausärzte wird der Nachbesetzungsbedarf in den nächsten Jahren weiter steigen. 409 Hausärzte, die 385 Versorgungsaufträge innehaben, haben 60 Lebensjahre erreicht oder sind älter (siehe Tabelle 1). 2 Abbildung 1: Zulassungsmöglichkeiten in der hausärztlichen Versorgung Quelle: Bedarfsplan für die vertragsärztliche Versorgung Sachsen-Anhalt vom 24.05.2013, 15. Versorgungsstandsmitteilung vom 14. Juni 2016 Tabelle 1: Anzahl der Hausärzte „60 Jahre und älter“, Stand: 30. Juni 2016 (Quelle: KV S-A) Hausärzte - „60 Jahre und älter“ (Anzahl) Landkreis/Kreisfreie Stadt Personen Versorgungsaufträge Altmarkkreis Salzwedel 10 9,75 Anhalt-Bitterfeld 37 35,5 Börde 35 34 Burgenlandkreis 34 33,25 Dessau-Roßlau 17 16,25 Halle (Saale) 29 27,5 Harz 34 30,5 Jerichower Land 16 12,25 Magdeburg 38 34,75 Mansfeld-Südharz 24 22,5 Saalekreis 28 26,75 Salzlandkreis 53 50 Stendal 24 24 3 Wittenberg 30 28 Sachsen-Anhalt 409 385 Berechnungen der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen-Anhalt berücksichtigen die erwarteten Facharztanerkennungen durch die Ärztekammer Sachsen-Anhalt im Umfang der vergangenen Jahre und den Anteil der ambulant Tätigen. Im Ergebnis errechnet sich ein Fehlbestand für das Land von 225,85 Arztstellen (Versorgungsaufträgen ) zum Jahr 2025 (siehe Tabelle 2), der nicht für die Landkreise und kreisfreien Städte dargestellt werden kann, da die Verortung der angerechneten neu hinzutretenden Hausärzte in diesem Modell nicht möglich ist. Tabelle 2: Prognostizierter Nachbesetzungsbedarf an Hausärzten in Sachsen-Anhalt bis zum Jahr 2025 Erwartete Bedarfsentwicklung Nachbesetzungsbedarf in Stellen *) Durchschnittliche Facharzt-Anerkennung pro Jahr Zu erwartendes Defizit 2025 in Arztstellen ***) 98,71 % 824,6 44,4**) - 225,85 *) Prognose zur Nachfrage nach ärztlichen Leistungen durch das Zentralinstitut für die KV (ZI) - Quellen: Arztbestand Kassenärztliche Vereinigung Sachsen-Anhalt (Stand: 06.06.2012), Ärztekammer Sachsen-Anhalt **) einschließlich der Hälfte der Internisten ohne Schwerpunkt ***) Bedarf unter Berücksichtigung der prozentual ambulant Tätigen 2. Wie schätzt die Landesregierung die Facharztversorgung aktuell grundsätzlich ein? Bitte differenzieren nach Facharztbezeichnung sowie nach Landkreisen und kreisfreien Städten. Die Regelungen des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) in Verbindung mit der Bedarfsplanungsrichtlinie geben den Rahmen für die vertragsärztliche Bedarfsplanung vor. Für jede Arztgruppe ist ein als angemessen angesehenes Verhältnis von Einwohnern je Ärzte vorgegeben. Wird diese Verhältniszahl innerhalb eines Planungsbereichs erreicht, liegt ein Versorgungsgrad von 100 Prozent vor. Bis zu einem Versorgungsgrad von 110 Prozent sind Neuzulassungen möglich. Derzeit bestehen Zulassungsmöglichkeiten im gesamten vertragsärztlich-fachärztlichen Bereich im Umfang von 83,5 Versorgungsaufträgen . In zehn Planungsbereichen liegt der Versorgungsgrad unterhalb von 100 Prozent. Im Bedarfsplan für die vertragsärztliche Versorgung des Landes Sachsen-Anhalt werden Kennzahlen wie Versorgungsgrad und aktuelle Zulassungsmöglichkeiten je Arztgruppe und Planungsbereich angegeben. In der fachärztlichen Versorgung ergeben sich insgesamt 156 Planungsbereich- Arztgruppen-Kombinationen. Die aktuellen Zulassungsmöglichkeiten nach Arztgruppe und Planungsbereich sind nachfolgend dargestellt. Ist in einem Planungsbereich keine Zulassungsmöglichkeit für eine Arztgruppe gegeben, so besteht eine Überversorgung bzw. wird eine Zulassungsbeschränkung angeordnet. 4 Tabelle 3: Zulassungsmöglichkeiten in der allgemeinen fachärztlichen Versorgung Planungsbereich : Landkreis/ Kreisfreie Stadt Altmarkkreis Salzwedel 4,0 Anhalt-Bitterfeld 7,0 Börde 1,0 1,0 3,5 Burgenlandkreis 4,0 Dessau-Roßlau 3,5 Halle (Saale) 1,0 Harz 2,5 4,5 Jerichower Land 2,0 Magdeburg 8,0 Mansfeld- Südharz 2,5 0,5 6,0 Saalekreis 4,0 Salzlandkreis 3,5 Stendal 0,5 1,0 1,0 Wittenberg 2,0 5,5 Quelle: Bedarfsplan für die vertragsärztliche Versorgung Sachsen-Anhalt vom 24. Mai 2013, 15. Versorgungsstandsmitteilung vom 14. Juni 2016 Für Chirurgen, Frauenärzte, Kinderärzte und Orthopäden besteht in allen Landkreisen und kreisfreien Städten eine Überversorgung, so dass in diesen Planungsbereichen für die genannten Arztgruppen Zulassungsbeschränkungen angeordnet werden . Augenärzte Hautärzte HNO-Ärzte Nervenärzte Psychotherapeuten Urologen 5 Tabelle 4: Zulassungsmöglichkeiten in der spezialisierten fachärztlichen Versorgung Planungsbereich: Raumordnungsregion Kinder- u. Jugendpsychiater Radiologen Altmark (Landkreise Stendal und Altmarkkreis Salzwedel) 1,0 2,0 Halle (Saale) (Landkreise Mansfeld-Südharz , Saalekreis und Burgenlandkreis , kreisfreie Stadt Halle/Saale) 1,0 Magdeburg (Landkreise Börde, Jerichower Land, Salzlandkreis und Harz, Landeshauptstadt Magdeburg) 4,0 Anhalt-Bitterfeld-Wittenberg (Landkreise Anhalt-Bitterfeld und Wittenberg, kreisfreie Stadt Dessau-Roßlau) Quelle: Bedarfsplan für die vertragsärztliche Versorgung Sachsen-Anhalt vom 24. Mai 2013, 15. Versorgungsstandsmitteilung vom 14. Juni 2016 Ist nach dieser Übersicht für eine oder beide Arztgruppen keine Zulassungsmöglichkeit verzeichnet, liegt in dem jeweiligen Planungsbereich Überversorgung vor. Ebenso ist eine Überversorgung für die Arztgruppen der Anästhesisten und Fachinternisten (fachärztlich tätig) in allen vier Planungsbereichen mit der Folge der Zulassungsbeschränkung gegeben. In der Arztgruppe der Physikalischen Rehabilitationsmediziner bestehen Zulassungsmöglichkeiten im Umfang von 7 Versorgungsaufträgen. Der Planungsbereich ist das Land Sachsen-Anhalt. Der Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen hat eine Unterversorgung im Planungsbereich Landkreis Mansfeld-Südharz in der Arztgruppe der Hautärzte, eine drohende Unterversorgung im Planungsbereich Wittenberg bei den HNO-Ärzten sowie eine drohende Unterversorgung in der Raumordnungsregion Magdeburg in der Arztgruppe der Kinder- und Jugendpsychiater festgestellt. Ein zusätzlicher lokaler Versorgungsbedarf mit konservativ tätigen Augenärzten besteht mit jeweils einer Vertragsarztstelle in der Stadt Zerbst sowie in der Landeshauptstadt Magdeburg, beschränkt auf die Stadtteile Berliner Chaussee, Cracau, Brückfeld, Friedensweiler. Wie schon bei der Antwort auf die Kleine Anfrage KA 6/8269 vom 18. März 2014 (LT- Drs. 6/3030) ausgeführt, ist festzustellen, dass die Anzahl der Fachärzte im Vergleich zur Entwicklung der Anzahl der Hausärzte in den vergangenen Jahren leicht zunehmen konnte. Der überwiegende Teil der Facharztpraxen wird nachbesetzt. Ausnahmen bilden hier einzelne Arztgruppen. Insbesondere in der Arztgruppe der Augenärzte , der Hautärzte und der HNO-Ärzte konnten einige Praxen nicht nachbesetzt werden bzw. sind seit längerem Arztstellen unbesetzt. Die Fachgruppe der Kinder- und 6 Jugendpsychiater ist ebenfalls zu nennen. Auch mittels bundesweiter Ausschreibungen und finanzieller Unterstützungsangebote waren oftmals die Stellen nicht zu besetzen. 3. Welche und wie viele Fachärzte fehlen nach Kenntnis der Landesregierung in Sachsen-Anhalt mit Perspektive auf die kommenden fünf Jahre? Bitte differenzieren nach Facharztbezeichnung sowie nach Landkreisen und kreisfreien Städten. Der Landesregierung liegt durch das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (ZI), Arztbestand der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen-Anhalt vom 6. Juni 2012, eine Prognose zur Nachfrage nach ärztlichen Leistungen für das Jahr 2025 vor, nicht hingegen für die kommenden fünf Jahre. Eine Differenzierung nach Landkreisen und kreisfreien Städten ist in der Prognose des ZI nicht erfolgt. Arztgruppe Nachbesetzungsbedarf in Stellen Zu erwartendes Defizit 2025 in Arztstellen nur für den ambulanten Bereich Augenärzte 111,8 61,33 Chirurgen 61,2 32,94 Urologen 52,0 13,55 Hautärzte 44,1 7,84 4. In welchem Umfang wurde bisher das Stipendienprogramm für Medizinstudierende angenommen, das an eine Hausarztniederlassung auf dem Land gekoppelt ist? Das Ministerium für Arbeit, Soziales und Integration hat von 2010 bis 2013 zusammen mit der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen-Anhalt und der AOK Sachsen- Anhalt - Die Gesundheitskasse Stipendien an Medizinstudierende vergeben. Voraussetzung war, dass diese sich für eine bestimmte Zeit nach der ärztlichen Weiterbildung zur vertragsärztlichen Tätigkeit - vornehmlich im Bereich der hausärztlichen Versorgung - in Regionen mit Sicherstellungsbedarf in Sachsen-Anhalt (vorwiegend ländlicher Raum) verpflichten. Aus diesem Programm haben 30 Stipendiaten eine Förderung erhalten. Die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen-Anhalt bietet zwei Stipendienprogramme an: Ein Programm richtet sich an Studierende aller deutschen Universitäten, die eine spätere Tätigkeit „in strukturschwachen Gebieten Sachsen-Anhalts (Regionen mit ungedecktem Versorgungsbedarf)“ planen („Allgemeines Stipendienprogramm“). Die Auswahl der Region erfolgt in Abstimmung mit der Stipendiatin bzw. dem Stipendiaten . Bisher haben 70 Stipendiaten eine Förderung erhalten: 66 von ihnen haben sich zu einer späteren Tätigkeit als Facharzt für Allgemeinmedizin in Sachsen-Anhalt verpflichtet . Weitere 4 Stipendiaten haben sich zu einer Tätigkeit in folgenden Fachrichtungen verpflichtet: Innere Medizin (2x) sowie je einmal Neurologie und Dermatologie . 7 Das zweite Programm der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen-Anhalt richtet sich an Studierende der Universitäten Halle und Magdeburg, die in einer „Klasse Allgemeinmedizin “ eingeschrieben sind. Das Stipendienprogramm für Medizinstudierende der „Klasse Allgemeinmedizin“ der Martin-Luther-Universität Halle/Wittenberg nutzen 27 Stipendiaten. Sie werden nach der fachärztlichen Weiterbildung hausärztlich „in strukturschwachen Gebieten Sachsen-Anhalts (Regionen mit ungedecktem Versorgungsbedarf )“ tätig sein. Derzeit befinden sich 37 Stipendiaten in der Weiterbildung, davon 35 zum Facharzt für Allgemeinmedizin, ein Stipendiat zum Facharzt für Neurologie und ein Stipendiat zum Facharzt für Innere Medizin mit der Absicht, hausärztlich tätig zu werden. 5. Welche weiteren Maßnahmen plant die Landesregierung im Zusammenhang mit dem beginnenden Ärztemangel und wurde die Möglichkeit einer Landeskinderquote, die im Koalitionsvertrag angekündigt wurde, bereits vollzogen? Falls ja, mit welchem Ergebnis? Auf Initiative des Ministeriums für Arbeit, Soziales und Integration erfolgte am 16. September 2015 die Gründung der Allianz für Allgemeinmedizin. Mitglieder sind alle gesetzlichen Krankenkassen, die Private Krankenversicherung, die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen-Anhalt, die Ärztekammer Sachsen-Anhalt , die Krankenhausgesellschaft, die Ostdeutsche Psychotherapeutenkammer , der Hausärzteverband, die Kommunalen Spitzenverbände, die Universitätsklinika und die medizinischen Fakultäten der Universitäten Halle und Magdeburg . Die Gründung wurde im Dezember 2015 auf dem Hausärztetag öffentlich bekanntgegeben . Ebenfalls im Dezember fand eine Arbeitsgruppenbesprechung statt, auf der über die Priorisierung eines Maßnahmenkataloges diskutiert wurde . An vorderer Stelle steht die mögliche Errichtung sogenannter „Kompetenzzentren Weiterbildung Allgemeinmedizin“. Damit sind Einrichtungen bei den medizinischen Fakultäten gemeint, die eine Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin von Anfang an begleiten und organisieren und schon zu Beginn des Studiums bei den Medizinstudierenden das Interesse für das Fach Allgemeinmedizin wecken sollen. Die Diskussion über die konkreten Umsetzungsmaßnahmen dauert an. Im Koalitionsvertrag auf Bundesebene ist die Erstellung eines „Masterplanes Medizinstudium 2020“ vereinbart, der gegenwärtig zwischen der Gesundheitsministerkonferenz (GMK), der Kultusministerkonferenz (KMK), dem Bundesministerium für Bildung und Forschung und dem Bundesministerium für Gesundheit abgestimmt wird. Dabei ist ein Ziel die Stärkung der Allgemeinmedizin im Medizinstudium. Das Land Sachsen-Anhalt ist durch das Ministerium für Arbeit, Soziales und Integration in einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe vertreten, die die konkreten Umsetzungsmaßnahmen diskutieren und für die Ministerkonferenzen vorbereiten soll. Offener Punkt ist die Einführung einer „Landarztquote“. Sie besagt, dass ein bestimmtes Kontingent von Studienplätzen solchen Bewerbern vorbehalten ist, die sich für eine spätere Tätigkeit als Allgemeinmediziner in ländlichen Regionen verpflichten. Die Umsetzung dieser Maßnahme ist nicht unumstritten: 8 Gegen die Rechtsansicht, nach der die Einführung einer solchen Quote unter Beachtung einiger Vorgaben durch ein Landesgesetz rechtlich möglich sei, werden verfassungsrechtliche Bedenken angeführt. Die Diskussion soll auf Ebene der Ministerinnen und Minister weiter geführt werden. Die in Sachsen-Anhalt im Koalitionsvertrag vereinbarte „Landeskinderquote“ entspricht inhaltlich der „Landarztquote“. Das Ergebnis der Diskussion auf Bundesebene über die rechtliche Zulässigkeit bleibt abzuwarten.