Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 7/723 09.12.2016 (Ausgegeben am 12.12.2016) Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung Abgeordneter Daniel Roi (AfD) Unterbringung von Flüchtlingen im Gästehaus des BIG-Hotels in Wolfen Kleine Anfrage - KA 7/354 Vorbemerkung des Fragestellenden: Bundesweit stehen Kommunen aufgrund der von der Bundesregierung verursachten Asylkrise vor sehr schwierigen Herausforderungen. Die Frage der Unterkunft und deren kurzfristiger Zurverfügungstellung hat dabei eine herausragende Bedeutung. Umso verwerflicher sind die umtriebigen Unternehmungen privater und kommerzieller Immobilieneigentümer und -verwalter zu bewerten, die aus Profitgier an der schwierigen Situation zusätzliche Gewinne machen wollen. In der jüngsten Vergangenheit gab es viele Kehrtwenden in der Causa Flüchtlingsunterbringung im BIG-Hotel in Wolfen. In der Berichterstattung drängt sich der Gedanke auf, dass dies eine Geschichte voller Missverständnisse und um ein Gerangel der Kompetenzen geht. Es wurden viele Fehler begangen. Vor allem wurden die Verantwortlichen in der Stadt Bitterfeld-Wolfen nicht einbezogen. Der Vertrag wurde laut einem Artikel der MZ vom 1. März 2016 erst im Februar 2016 unterschrieben, nach dem es von Seiten der Landesregierung zeitweise einen Stopp der Verteilung von Asylbewerbern gab und auch insgesamt die Zahl der Zuweisungen an das Land und weiter an die Kreise stark zurückgegangen war. Trotz öffentlichen Drucks, einer Einwohnerversammlung dazu und trotz einer Positionierung des Hauptausschusses des Stadtrates der Stadt Bitterfeld-Wolfen gegen eine solche Gemeinschaftsunterkunft und trotz eines geltenden Beschlusses des Kreistages, der dezentrale Unterbringung vorsieht, hielt der Landrat an seinem Alleingang fest und entschied am Kreistag und seinen Ausschüssen vorbei eigenständig über diesen Vertrag. 2 Antwort der Landesregierung erstellt vom Ministerium für Inneres und Sport Namens der Landesregierung beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: 1. Warum hat es der Landkreis Anhalt-Bitterfeld unterlassen, die gesetzlich vorgeschriebene Ausschreibung der Flüchtlingsunterbringung im BIG- Hotel in Wolfen vorzunehmen? 2015 stieg die Zahl der Flüchtlinge, die nach Sachsen-Anhalt kamen, sprunghaft an. Die zunehmende Zahl der Schutzsuchenden hat Bund, Länder und Kommunen im Hinblick auf eine angemessene Unterbringung und Versorgung dieser Menschen vor enorme Herausforderungen gestellt. Der unerwartete Anstieg von aufzunehmenden Flüchtlingen hat in Sachsen-Anhalt teilweise dazu geführt, dass die für die Unterbringung und Versorgung verantwortlichen Kommunen kurzfristig wesentlich mehr Unterbringungsmöglichkeiten und Versorgungskapazitäten zur Verfügung stellen mussten, als zu erwarten war. Gegenüber dem Landkreis Anhalt-Bitterfeld wurden ab September 2015 ständig steigende Sollzuweisungszahlungen (September: 251 Personen, Oktober: 374 Personen, November: 492 Personen und Dezember: 451 Personen) avisiert. Zum Zeitpunkt der Annahme des Angebotes der Bayrisch-Sächsischen Gesellschaft für Herbergen und Liegenschaften GmbH am 19. November 2015 bestand daher zunächst vorrangig das dringende Erfordernis einer sofortigen menschenwürdigen Unterbringung ankommender Flüchtlinge, weshalb von einer entsprechenden Ausschreibung abgesehen werden konnte (vgl. Rundschreiben des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie vom 9. Januar 2015, Az.: IB6-270100/14 und 270100/15, und vom 24. August 2015, Az.: IB6- 270100/14). In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Landkreis Anhalt- Bitterfeld zum damaligen Zeitpunkt zwei Gemeinschaftsunterkünfte ausgeschrieben hatte, die jedoch frühestens im März des Jahres 2016 verfügbar gewesen wären. 2. Aus welchen Gründen hat der Landkreis Anhalt-Bitterfeld den Vertragsschluss mit dem BIG-Hotel ohne vorherige Beteiligung des Kreistages, inklusive seiner Ausschüsse, vorgenommen? Aufgrund der dringenden Notwendigkeit der umgehenden Sicherstellung von menschenwürdigen Unterbringungsmöglichkeiten hat der Landrat des Landkreises Anhalt-Bitterfeld im Wege eines Eilverfahrens eine abschließende Entscheidung des Vergabeverfahrens herbeigeführt und als gesetzlicher Vertreter des Landkreises Anhalt-Bitterfeld den entsprechenden Mietvertrag abgeschlossen . Auf die Antwort zu Frage 1 wird Bezug genommen. Hinsichtlich der Notwendigkeit der Beteiligung des Kreistages des Landkreises Anhalt-Bitterfeld und/oder seiner Ausschüsse wird auf die diesbezüglichen Ausführungen zu Frage 3 verwiesen. 3 3. Hat das Landesverwaltungsamt als zuständige Aufsichtsbehörde den obigen Sachverhalt, insbesondere die Rechtmäßigkeit des Vertragsabschlusses zwischen dem Landkreis Anhalt-Bitterfeld und dem BIG-Hotel sowie die vorangegangene Verfahrensweise, geprüft? a) Falls ja, zu welchem Ergebnis ist das Landesverwaltungsamt im Rahmen seiner Prüfung gekommen? b) Falls nein, aus welchen Gründen ist die Prüfung unterblieben? Das Landesverwaltungsamt hat aus Anlass einer entsprechenden Beschwerde den Sachverhalt und dabei insbesondere die Rechtmäßigkeit des Vertragsabschlusses zwischen dem Landkreis Anhalt-Bitterfeld und der Bayrisch-Sächsischen Gesellschaft für Herbergen und Liegenschaften GmbH geprüft. Dabei wurde festgestellt, dass es keine Anhaltspunkte für ein rechtswidriges Handeln des Landkreises Anhalt-Bitterfeld gab. Auf die Antwort zu Frage 1 wird Bezug genommen. Die Vergabeentscheidung hätte gemäß § 6 Abs. 4 der Hauptsatzung des Landkreises Anhalt-Bitterfeld dem Vergabeausschuss oblegen. Aufgrund der Eilbedürftigkeit der Entscheidung konnte eine Entscheidung des Vergabeausschusses jedoch nicht rechtzeitig eingeholt werden. Der Vergabeausschuss wurde im Nachgang zeitnah über den Abschluss des Vergabeverfahrens und den Abschluss des Mietvertrages informiert; der Ausschuss hatte die Entscheidung des Landrates im Nachhinein als sachgerecht und zulässig akzeptiert. Gleiches gilt für den Kreis- und Finanzausschuss sowie den Sozial- und Gesundheitsausschuss, die ebenfalls umgehend über den Abschluss des Mietvertrages in Kenntnis gesetzt wurden. 4. Wurde der Sachverhalt, z. B. durch das Landesverwaltungsamt, der zuständigen Staatsanwaltschaft und dem Rechnungshof zur Prüfung vorgelegt ? a) Falls ja, zu welchem Ergebnis ist man im Rahmen der Prüfungen gekommen bzw. wie ist der aktuelle Stand der Verfahren? b) Falls nein, aus welchen Gründen wurde von einer Prüfung abgesehen? Aufgrund der Tatsache, dass das Handeln des Landkreises Anhalt-Bitterfeld im Ergebnis nicht zu beanstanden war, ergab sich keine Veranlassung, den Sachverhalt der zuständigen Staatsanwaltschaft und dem Landesrechnungshof des Landes Sachsen-Anhalt zur Prüfung vorzulegen. 5. Wie bewertet die Landesregierung die Vorgehensweise des Kreistagsvorsitzenden , Herrn Wolpert, der sich in der Sitzung des Kreistages Anhalt- Bitterfeld, am 9. Juni 2016 weigerte, einen fristgerecht eingereichten Antrag , der die Kündigung des Vertrages zum BIG-Hotel vorsah, auf die Tagesordnung zu nehmen? Er ließ den Kreistag über die Zulässigkeit des Antrages der AfD-Fraktion abstimmen, obwohl er selbst den Verweis auf das KVG lieferte. Der Antrag wurde in einer Abstimmung über die Zulässigkeit mit 5 Ja, 22 Nein und 11 Enthaltungen abgelehnt. 4 a) War der Antrag als zulässiger Antrag auf die Tagesordnung zu setzen? b) War die Abstimmung und/oder die darauf erfolgte Nichtaufnahme dieses Antrages rechtswidrig? Der Antrag der Fraktion der AfD war nach den hier vorliegenden Erkenntnissen erst nach Ablauf der Einberufungsfrist gemäß § 53 Abs. 4 Satz 2 des Kommunalverfassungsgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt (KVG LSA) eingereicht worden. Er konnte demnach bei der Festlegung der Tagesordnung gemäß § 53 Abs. 4 Satz 1 KVG LSA nicht berücksichtigt werden. Der Beschluss des Kreistages des Landkreises Anhalt-Bitterfeld vom 9. Juni 2016, den besagten Antrag für unzulässig zu erklären und nicht in die Tagesordnung aufzunehmen, ist materiell-rechtlich nicht zu beanstanden. Der allein auf die Kündigung des Mietvertrages und damit auf die Aufhebung der Vergabeentscheidung gerichtete Antrag hätte unmittelbare Auswirkungen auf den Vollzug der gesetzlichen Aufgabe der Aufnahme und Unterbringung von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern im Landkreis Anhalt-Bitterfeld entfaltet. Die Aufgabe der Aufnahme und Unterbringung von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern obliegt nach § 1 Abs. 1 Satz 1 des Aufnahmegesetzes den Landkreisen und kreisfreien Städten als Aufgabe des übertragenen Wirkungskreises, die der Hauptverwaltungsbeamte nach § 66 Abs. 4 KVG LSA grundsätzlich in eigener Zuständigkeit erledigt. Der Antrag der Fraktion der AfD hätte unter Nichtbeachtung der dem Landrat als Hauptverwaltungsbeamten des Landkreises Anhalt-Bitterfeld gesetzlich zugewiesenen Kompetenzen unmittelbar in den Vollzug dieser Aufgabe des übertragenen Wirkungskreises und damit in den Verantwortungsbereich des Landrates eingegriffen. Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Missstandes in der Verwaltung, die ein gesetzeskonformes Tätigwerden der Vertretung auf der Grundlage des § 45 Abs. 1 Satz 2, 2. Halbsatz KVG LSA gerechtfertigt hätten, sind nicht ersichtlich. 6. Wer trägt mögliche Schadensersatzkosten, die seitens des Eigentümers des BIG-Hotels gegenüber dem Landkreis Anhalt-Bitterfeld erhoben werden (können), nachdem der Landkreis den Vertrag nunmehr wieder gekündigt hat? Die Entscheidung darüber, ob und inwieweit die Bayrisch-Sächsische Gesellschaft für Herbergen und Liegenschaften GmbH gegenüber dem Landkreis Anhalt -Bitterfeld Schadensersatzansprüche aufgrund der zwischenzeitlichen Kündigung des Mietvertrages beanspruchen kann, obliegt den Vertragsparteien und gegebenenfalls den insoweit zuständigen Gerichten. Einen entsprechenden Schadensersatzanspruch hat die Bayrisch-Sächsische Gesellschaft für Herbergen und Liegenschaften GmbH bisher nicht geltend gemacht .