STAATSMINISTERTUM DES INNERN SÄCHSISCHES STAATSMINISTERIUM DES INNERN 01095 Dresden Präsidenten des Sächsischen Landtages Herrn Dr. Matthias Rößler Bernhard -von -Lindenau -Platz 1 01067 Dresden Kleine Anfrage der Abgeordneten Juliane Nagel, Fraktion DIE LINKE Drs.-Nr.: 6/10352 Thema: Dublin-ldentitätsbescheinigungen und Rechtmäßigkeit anderer alternativer Identitätsbescheinigungen Sehr geehrter Herr Präsident, den Fragen sind folgende Ausführungen vorangestellt: „Das Bundesverfassungsgericht erklärte mit Urteil vom 06. März 2003 (2 ByR 397/02): ,Es entspricht der gesetzgeberischen Konzeption des Ausländergesetzes , einen vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen entweder unverzüglich abzuschieben oder ihn nach § 55 Abs. 2 AuslG zu dulden.' Das Bundesverwaltungsgericht erklärte mit Urteil vom 25. September 1997 (1 C 3/97): ,Eine Duldung ist grundsätzlich auch dann zu erteilen, wenn die Abschiebung zwar möglich ist, die Ausreisepflicht des Ausländers aber nicht ohne Verzögerung durchgesetzt werden kann (BTDrucks 11/6321 S. 76 zu § 55). Die Ausländerbehörde hat also nicht nur zu untersuchen , ob die Abschiebung des Ausländers überhaupt durchgeführt werden kann, sondern auch zu prüfen, innerhalb welchen Zeitraums dies möglich ist. Auch wenn dieser Zeitraum ungewiß ist, ist eine Duldung zu erteilen.' In Drs. 6/9127 antwortet die Staatsregierung auf Anfrage der Fragestellerin , dass Grenzübertrittsbescheinigungen nur dann ausgestellt werden , wenn kein Rechtsnapsurch auf eine Duldung bestehe. Die Leipziger Ausländerbehörde stellte einem Schutzsuchenden am 06. Juni eine ,Dublin -Identitätsbescheinigung` aus. Das Dokument liegt der Fragestellerin vor." Freistaat SACHSEN Der Staatsminister Aktenzeichen (bitte bei Antwort angeben) 24a-1053/31/48 Dresden, 5. September 2017 Hausanschrift: Sächsisches Staatsministerium des Innern Wilhelm-Buck-Str. 2 01097 Dresden Telefon +49 351 564-0 Telefax +49 351 564-3199 www.smi.sachsen.de Verkehrsanbindung: Zu erreichen mit den Straßenbahnlinien 3, 6,7, 8, 13 Besucherparkplätze: Bitte beim Empfang Wilhelm- Buck-Str. 2 oder 4 melden. STAATSMINISTEMM DES INNERN Namens und im Auftrag der Sächsischen Staatsregierung beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1: Werden Dublin -Identitätsbescheinigungen von der Leipziger Ausländerbehörde und gegebenenfalls weiteren sächsischen Ausländerbehörden nach Zustellung des Bescheids über die unzulässige Antragstellung oder nach Ablauf der Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 2 S. 1 Dublin III-VO ? Dazu teilte die Stadt Leipzig mit, dass sie „Identitätsbescheinigungen Dublin" dann ausstellt, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge der Ausländerbehörde mitteilt, dass die erlassene Abschiebungsanordnung nach § 34a Asylgesetz (AsylG) vollziehbar und somit die Aufenthaltsgestattung nach § 67 Abs. 1 Nr. 5 AsylG erloschen ist. Neben der Stadt Leipzig stellen auch die Ausländerbehörden der Landkreise Zwickau und Mittelsachsen „Dublin -Identitätsbescheinigungen" aus. Alle anderen unteren Ausländerbehörden stellen keine oder die in der zusammenfassenden Antwort der Staatsregierung auf die Fragen 1 bis 3 der Kleinen Anfrage Drs.-Nr. 6/9127 genannten Bescheinigungen aus. Frage 2: Erkennt die Staatsregierung, dass mit Blick auf die angeführten Urteile des Bundesverfassungs - wie Bundesverwaltungsgerichts, ihre Antwort in Drs. 6/9127, die Grenzübertrittsbescheinigungen würden „für den Zeitraum der Prüfung von Duldungsgründen " ausgestellt, nicht durch Bundesrechtssprechung gedeckt ist? Mit Blick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zur Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) aus tatsächlichen und/oder rechtlichen Gründen vermag die Sächsische Staatsregierung einen Rechtsverstoß sächsischer Ausländerbehörden im Fall der Ausstellung von sog. Grenzübertrittsbescheinigungen nicht zu erkennen, da es sich hierbei um eine andere Fallkonstellation handelt. Die in der zusammenfassenden Antwort der Staatsregierung auf die Fragen 1 bis 3 der Kleinen Anfrage Drs.-Nr. 6/9127 genannten Grenzübertrittsbescheinigungen werden einem vollziehbar Ausreisepflichtigen weder im Fall eines Rechtsanspruchs nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG noch für den Zeitraum der Prüfung von Duldungsgründen ausgestellt . Der Ausländer erhält mit der Abschiebungsandrohung oder im Rahmen der Festsetzung einer Ausreisefrist nach § 50 Absatz 2 AufenthG eine Grenzübertrittsbescheinigung , die er aufgrund eines entsprechenden Hinweises zum Zwecke der Ausreise beim Grenzübertritt (§ 13 AufenthG) der mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragten Behörde oder der deutschen Auslandsvertretung im Heimatstaat vorlegt, vgl. Ziffer 50.4.1.1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz vom 26.10.2009 (GMBI. 2009S. 877) — AufenthG-VwV. Freistaat SACHSEN Seite 2 von 4 STAATSIVI1NISTER1UM DES INNERN Frage 3: Erkennt die Staatsregierung, dass mit Blick auf die angeführten Urteile des Bundesverfassungs - wie Bundesverwaltungsgerichts, sich der Rechtsanspruch auf Duldung bereits durch die vollziehbare Ausreisepflicht ergibt sofern die Abschiebung nicht unverzüglich möglich ist? Die Sächsische Staatsregierung und die Ausländerbehörden sind an die Rechtsprechung des BVerfG und BVerwG gebunden und setzen diese um. In Bezug auf die Frage , wann der Ausländer einen Rechtsanspruch auf Erteilung einer Duldung wegen tatsächlicher Unmöglichkeit der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG hat, ist nach der Rechtsprechung von Folgendem auszugehen: Das Rechtsinstitut der Duldung soll dem Umstand Rechnung tragen, dass die Ausreisepflicht des Ausländers nicht in allen Fällen ohne Verzögerung durchgesetzt werden kann und ihre Durchsetzung mitunter auf nicht absehbare Zeit unmöglich ist (BVerwG Urteil 25. September 1997 — Az. 1 C 3/97). Sobald keine Zweifel an der Zulässigkeit der Abschiebung eines ausreisepflichtigen Ausländers mehr bestehen, ist es grundsätzlich eine nicht mehr im Ermessen stehende gesetzliche Pflicht der Ausländerbehörde , die Ausreisepflicht unverzüglich durchzusetzen (BVerwG a. a. 0.). Die Systematik des Aufenthaltsgesetzes lässt grundsätzlich keinen Raum für einen derartig ungeregelten Aufenthalt. Vielmehr geht das Gesetz davon aus, dass ein ausreisepflichtiger Ausländer entweder abgeschoben wird oder zumindest eine Duldung erhält. Ausgehend von diesen Vorgaben ist eine Duldung zu erteilen, wenn die Abschiebung zwar möglich ist, jedoch der Zeitraum der Abschiebung, innerhalb dessen die Abschiebung durchgeführt werden kann, ungewiss ist und/oder die Ausreisepflicht des Ausländers nicht ohne Verzögerung durchgesetzt werden kann (vgl. BVerfG Urteil vom 6. März 2003 — Az. 2 ByR 397/02; BVerwG Urteil vom 25. September 1997 — Az. 1 C 3/97 sowie Haedicke, HTK-AusIR / § 60a AufenthG / Allgemein 08/2016 Nr. 7). Die Ausländerbehörde hat also nicht nur zu untersuchen, ob die Abschiebung des Ausländers überhaupt durchgeführt werden kann, vielmehr hat sie auch zu prüfen, innerhalb welchen Zeitraums dies möglich ist. Ist dieser Zeitraum ungewiss, ist eine Duldung zu erteilen (dazu BVerfG Beschluss vom 6. März 2003 — Az. 2 ByR 397/02; BVerwG a. a. 0.). Dabei ist zu berücksichtigen, dass der für die Durchführung der Abschiebung notwendige Zeitraum, der für administrative Vorkehrungen benötigt wird, diese nicht zeitweise unmöglich macht. Für diesen Zeitraum braucht die Ausländerbehörde damit keine Duldung zu erteilen (BVerwG a. a. 0.). Frage 4: Werden mit der beschriebenen Verwaltungspraxis die Zeiträume von 18 Monaten beziehungsweise vier beziehungsweise sechs beziehungsweise acht Jahren unterbrochen , die als Voraussetzung für die Gewährung eines Aufenthaltstitels nach den §§ 25 Abs. 5, 25 a sowie 25b definiert sind? Die Frage wird dahingehend ausgelegt, dass danach gefragt wird, ob diejenigen Zeiträume , in denen der Ausländer nicht im Besitz einer Bescheinigung über die Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 4 AufenthG, aber im Besitz einer der in der zusammenfassenden Antwort der Staatsregierung auf die Fragen 1 bis 3 der Kleinen Anfrage Drs.-Nr. 6/9127 genannten (vorübergehenden) Bescheinigungen, mit Ausnahme der Grenzübertrittsbescheinigung, ist, auf die in den §§ 25 Abs. 5, 25a, 25b Aufenth G vorausgesetzten Mindestaufenthaltszeiten angerechnet werden bzw. diese unterbrechen . Freistaat SACHSEN Seite 3 von 4 STAATSMINISTERIUM DES INNERN fEine nterprechung findet nicht statt. Der Status als Geduldeter ergibt sich von Gesetzes egen, die Duldungsbescheinigung nach § 60a Abs. 4 AufenthG wirkt während des orli4ens der Duldungsvoraussetzungen nur deklaratorisch. Mit freuridlichen Grüßen Mätkus Ulbig Freistaat SACHSEN Seite 4 von 4 2017-09-05T10:40:56+0200 GRP: Elektronisches Dokumentations- und Archivsystem Erstellung des Nachweisdokumentes