STAATSMINISTERIUM DES INNERN SÄCHSISCHES STAATSMINISTERIUM DES INNERN 01095 Dresden Präsidenten des Sächsischen Landtages Herrn Dr. Matthias Rößler Bernhard -von -Lindenau -Platz 1 01067 Dresden Kleine Anfrage des Abgeordneten Klaus Bartl, Fraktion DIE LINKEN Drs.-Nr.: 6/10916 Thema: Störungen und Vorkommnisse in Wahllokalen im Freistaat Sachsen insbesondere im Zusammenhang mit sog. „Wahlbeobachtern " Sehr geehrter Herr Präsident, den Fragen sind folgende Ausführungen vorangestellt: „Verschiedene Medien (u. a. Junge Welt vom 26. September 2017) berichteten , das sich in Dresden ein langjähriger Wahlbüroleiter von AfD- ,Wahlbeobachtern` derart bedroht fühlte, dass er erklärte, künftig für diese ehrenamtliche Tätigkeit nicht mehr zur Verfügung zu stehen. Tatsächlich hat insbesondere die AfD im Vorfeld der Bundestagswahlen Mitglieder und Sympathisanten aufgerufen, in möglichst großer Zahl in Wahllokalen den Ablauf der Stimmauszählung zu kontrollieren. Auf Flyern wurden dabei derartige potenzielle ‚Wahlbeobachter' ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie durch Wahlvorstände nicht des Raumes verwiesen werden dürften, da nur die Polizei das Recht dazu habe." Namens und im Auftrag der Sächsischen Staatsregierung beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1: Führte die AfD-„Wahlbeobachter"-Kampagne nach Erkenntnissen der Staatsregierung zu einer im Verhältnis zu früheren Wahlen auffälligen Präsenz derartiger „Wahlbeobachter" in den Wahllokalen im Freistaat Sachsen und führte dies in irgendeiner Weise zu Störungen bzw. Beeinträchtigungen der Abläufe in den Wahllokalen? Frage 2: Kam es im Zusammenhang mit den Wahlhandlungen zur Bundestagswahl am 24. September 2017 in Wahllokalen der Städte und Gemeinden des Freistaats Sachsen zu Vorfällen dergestalt, dass Wahlvorstände bedroht, beschimpft oder in sonstiger Weise in der Ausübung ihrer Tätigkeit beeinträchtigt wurden? Freistaat SACHSEN Der Staatsminister Aktenzeichen (bitte bei Antwort angeben) 21-1053/37/31 Dresden, 30. Oktober 2017 Hausanschrift: Sächsisches Staatsministerium des Innern Wilhelm-Buck-Str. 2 01097 Dresden Telefon +49 351 564-0 Telefax +49 351 564-3199 www.smi.sachsen.de Verkehrsanbindung: Zu erreichen mit den Straßenbahnlinien 3, 6, 7, 8, 13 Besucherparkplätze: Bitte beim Empfang Wilhelm- Buck-Str. 2 oder 4 melden. STAATSMINISTERIUM DES INNERN Frage 3: Ist es zutreffend, dass in Dresden oder anderen Ortes im Freistaat Sachsen derartige Störungen von „Wahlbeobachtern" ausgingen, respektive von Personen, die sich bei Störungen oder übergriffigen Handlungen auf diesen „Status" beriefen ? Wenn ja, in welcher Art? Zusammenfassende Antwort auf die Fragen 1 bis 3: Im Freistaat Sachsen waren zu der diesjährigen Bundestagswahl 4.139 Urnen- und Briefwahlvorstände tätig. Über die Wahlhandlung sowie die Ermittlung und Feststellung des Wahlergebnisses ist von den Wahlvorständen jeweils nach einem Muster eine Wahlniederschrift zu fertigen (§ 72 Abs. 1 BWO). Dort sind auch besondere Vorkommnisse während der Wahlhandlung und der Ermittlung und Feststellung des Wahlergebnisses festzuhalten. Gemäß Artikel 51 Absatz 1 Satz 1 der Verfassung des Freistaates Sachsen ist die Staatsregierung verpflichtet, Fragen einzelner Abgeordneter oder parlamentarische Anfragen nach bestem Wissen unverzüglich und vollständig zu beantworten. Nach dem Grundsatz der Verfassungsorgantreue ist jedes Verfassungsorgan verpflichtet, bei der Ausübung seiner Befugnisse den Funktionsbereich zu respektieren, den die hierdurch mitbetroffenen Verfassungsorgane in eigener Verantwortung wahrzunehmen haben. Dieser Grundsatz gilt zwischen der Staatsregierung und dem Parlament sowie seinen einzelnen Abgeordneten, so dass das parlamentarische Fragerecht durch die Pflicht des Abgeordneten zur Rücksichtnahme auf die Funktions- und Arbeitsfähigkeit der Staatsregierung begrenzt ist. Die Staatsregierung muss nur das mitteilen, was innerhalb der Antwortfrist mit zumutbarem Aufwand in Erfahrung gebracht werden kann. Im vorliegenden Fall wäre durch eine vollständige Beantwortung die Arbeits- und Funktionsfähigkeit der Staatsregierung gefährdet, weil eine Auswertung der 4.139 Wahlniederschriften mit vertretbarem Aufwand nicht möglich ist. Durch eine umfangreiche und zeitaufwändige Einzelauswertung aller Wahlniederschriften wäre die vollständige Beantwortung der Frage innerhalb der zur Verfügung stehenden Zeit mit zumutbarem Aufwand nicht zu leisten. Die manuelle Durchsicht dieser 4.139 Wahlniederschriften würde selbst bei einem unterstellten Minimalaufwand von fünf Minuten pro Niederschrift zu einem rechnerischen Gesamtaufwand von ca. 345 Stunden führen und damit — bei 40 Arbeitsstunden pro Woche — neun Arbeitswochen entsprechen. Dabei ist zusätzlich noch der Zeitaufwand für das Beschaffen der Wahlunterlagen in allen mit der Organisation und Durchführung der Bundestagswahl betrauten Städten und Gemeinden des Freistaates Sachsen und die schriftliche Dokumentation der gefundenen Ergebnisse zu berücksichtigen. Die Staatsregierung kam daher bei der vorzunehmenden Abwägung zwischen dem parlamentarischen Fragerecht einerseits und der Gewährleistung der Funktionsfähigkeit der Staatsregierung sowie der sächsischen Städte und Gemeinden andererseits zu dem Ergebnis, dass eine exakte Beantwortung der Frage auch unter Berücksichtigung des hohen Rangs des parlamentarischen Fragerechts unverhältnismäßig und ohne erhebliche Einschränkung des Verwaltungsbetriebes nicht zu leisten ist. Freistaat SACHSEN Seite 2 von 4 STAATSMINISTERWM DES INNERN Sie hat deshalb bei den Kreiswahlleitern der sächsischen Bundestagswahlkreise um Stellungnahme zu der Kleinen Anfrage gebeten. Die Kreiswahlleiter haben summarisch über die ihnen vorliegenden Erkenntnisse aus den jeweiligen Wahlkreisen berichtet. Allgemein ist hiernach in der überwiegenden Zahl der Wahlkreise im Freistaat Sachsen eine erhöhte Präsenz von Wahlbeobachtern festzustellen gewesen. Einzelne Kreiswahlleiter berichteten, dass die Wahlhelfer sich in einigen Wahllokalen durch die Anwesenheit der Wahlbeobachter verunsichert gefühlt hätten. Die Schilderungen bezogen sich wiederholt darauf, dass die anwesenden Wahlbeobachter sich bei der Ermittlung des Wahlergebnisses sehr nahe an dem Wahltisch aufhielten. Mehrfach wurde ebenfalls darüber berichtet, dass es zu Diskussionen mit Wahlbeobachtern kam, die die Tätigkeit der Wahlhelfer fotografiert oder gefilmt hatten oder dieses beabsichtigten zu tun. In zwei Wahllokalen des Wahlkreises 166 — Vogtlandkreis — habe die Präsenz der Wahlbeobachter die Wahlhelfer aus dem Konzept gebracht, so dass teilweise Zählvorgänge wiederholt werden mussten. Ebenfalls aus diesem Wahlkreis berichtete die Kreiswahlleiterin von zwei Fällen der Beschimpfung von Wahlvorständen durch Wahlbeobachter. Im einen Fall hätte der Wahlbeobachter aggressiv auf die Aufforderung reagiert, das Fotografieren von Wahlhandlungen zu unterlassen. In dem zweiten Fall sei der Wahlhelfer durch einen Wahlbeobachter hinsichtlich seiner persönlichen und politischen Vergangenheit beschimpft worden. In allen Fällen sei die Motivation oder politische Orientierung der Wahlbeobachter jedoch nicht bekannt gewesen. Die Aussage, dass die Beweggründe der anwesenden Wahlbeobachter nicht erkennbar waren, wird auch von der überwiegenden Zahl der Kreiswahlleiter getroffen. Lediglich aus dem Wahlkreis 158 — Sächsische Schweiz-Osterzgebirge — wurde berichtet, dass sich dort vereinzelt Wahlbeobachter darauf berufen hätten, zur Wahlbeobachtung „von der AfD aufgefordert" worden zu sein. Nach Auskunft des Kreiswahlleiters hätten sich hieraus jedoch keine überwiegenden Störungen und Beeinträchtigungen der Abläufe in den Wahllokalen ergeben. Frage 4: Gab es Erklärungen bzw. Ankündigungen von Wahlbüroleitern bzw. sonstigen im Zuge der Wahlen zum Deutschen Bundestag in sächsischen Wahllokalen ehrenamtlich Helfenden, künftig für eine derartige Tätigkeit nicht mehr zur Verfügung stehen, da die Betroffenen sich durch „Wahlbeobachter" bzw. deren Handeln im eigenen Handeln bedroht, persönlich angegriffen, beleidigt oder ähnliches sahen ? In Reaktion auf eine als „provozierend stille Wahlbeobachtung" empfundene Anwesenheit von Wahlbeobachtern in den Wahllokalen wurde nur aus einer Kommune im Wahlkreis 158 — Sächsische Schweiz-Osterzgebirge — angezeigt, dass sich einzelne Wahlvorstände dahingehend geäußert hätten, künftig für die ehrenamtliche Tätigkeit nicht mehr zur Verfügung zu stehen. Aus den übrigen Wahlkreisen wurde über keine derartigen Erklärungen oder Ankündigungen berichtet. Freistaat SACHSEN Seite 3 von 4 STAATSMINISTER11JM DES INNERN Frage 5: Kam es zu Situationen, in denen Wahlvorstände wegen der von „Wahlbeobachtern " oder von anderen ausgehenden Störungen oder ähnliches die Unterstützung der Polizei in Anspruch nahmen und wie stellen sich diese Sachverhalte jeweils aus Sicht der Staatsregierung dar? Es sind lediglich vier Fälle bekannt, in denen die Unterstützung der Polizei von Wahlvorständen in Anspruch genommen wurde. In einem Fall handelte es sich um eine Person , die ihre Gesinnung als sog. Reichsbürger lautstark kundtat, dadurch im Wahllokal den Wahlbetrieb störte und die Wahlhelfer beleidigte, weil er mangels eines amtlichen Wahlscheines an der Wahl nicht teilnehmen konnte. In dem zweiten Fall handelte es sich um eine unzulässige Beeinflussung der Wähler mit einem Plakat politischen Inhalts unmittelbar vor dem Wahllokal. In den weiteren zwei Fällen wurde die Polizei hinzugerufen , weil Wahlbeobachter sich weigerten, das Filmen der Stimmenauszählung zu unterlassen bzw. sich weigerten, die Aufnahmen zu löschen. In beiden Fällen konnten die Störungen durch die polizeilichen Einsatzkräfte behoben werden. Zu der Motivation oder politischen Orientierung dieser Wahlbeobachter bestehen keine Erkenntnisse . Hinsichtlich der Frage nach der Sicht der Staatsregierung auf diese Sachverhalte wird von ef i er Beantwortung abgesehen. Die Frage ist auf eine Bewertung gerichtet. Zur Abga e einer Bewertung ist die Staatsregierung nicht verpflichtet. Das Fragerecht dient nach Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nicht dazu, die Staatsregierung zu e ner Bewertung anzuhalten, die der Abgeordnete für geboten hält, sondern nur dazu , den A geordneten Informationen zu verschaffen (SächsVerfGH, Urteil vom 22. April 2004, Vf. 44-1-03). , Mit freu dlichen Grüßen rArkus Ulbig Freistaat SACHSEN Seite 4 von 4 2017-10-30T08:48:48+0100 GRP: Elektronisches Dokumentations- und Archivsystem Erstellung des Nachweisdokumentes