SACHSISCHE STAATSKANZLEì SÄCHSISCHE STAATSKANZLEI 01095 Dresden Präsidenten des Sächsischen Landtages Herrn Dr. Matthias Rößler Bernhard-von-Lindena u-Platz 1 01067 Dresden Kleine Anfrage des Abgeordneten Dr. Gerd Lippold (GRUNE) Drs.-Nr.: 6/11336 Thema: Kritik des Ministerpräsidenten an Studie zur Energiewende Sehr geehrter Herr Präsident, den Fragen sind folgende Ausführungen vorangestellt "Die Agora-Kurzanalyse,,Kohleausstieg, Stromimporte und -exporte sowie Versorgungssicherheit" vom 10. November 20'17 kommt zur Schlussfolgerung, dass ein schrittweiser Kohleausstieg mit Abschaltung von 8,4 Gigawatt der ältesten Braunkohlenkraftwerkskapazitäten bis 2020 auch unter Annahmen einer Dunkelflaute als ,,worst case" Situation weder 2020 noch 2023 die Versorgungssicherheit gefährde. Stanislaw Tillich schrieb laut Sächsischer Zeitung vom 15.11.2017 (S.19) in einem Brief an die Bundesregierung u.a.: ,,Unsere Stabilität in der Energieversorgung wird fahrlässig riskiert, wenn Gutachten wie das der Agora Energiewende suggerieren, die Versorgungssicherheit könnte auch ohne Braunkohleverstromung in jedem Fall gewährleistet werden." ,,Tatsächlich ist es jedoch so, dass für den deutschen Strommarkt2020 ein Leistungsbilanzdefizit envartet werden muss." ,,Agora gehe von einer bis 2023 gleichbleibenden Spitzenlast aus. Dies widerspreche aller Erfahrung." " Namens und im Auftrag der Sächsischen Staatsregierung beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage l: Woher bezieht die Staatsregierung die Datenbasis für ihre Aussage, der schrittweise Ausstieg aus der Braunkohleverstromung in der vonder kritisierten Agora-Studie vorgeschlagenen Art würde die Versorgungssicherheit gefährden? (Wir bitten um eine Aufschlüsselung von Quelle bzw. Studie mit Erscheinungsdatum, Autor) Freistaat SACHSEN Ghef der Staatskanzlei und Staatsminister für Bundes- und Europaangelegenheiten Durchwahl Telefon +49 351 564-1020 ïelefax +49 351 564-1025 poststelle@ sk.sachsen.de Geschäftszeichen (bitte bei Antwort angeben) sK.25.2-1051/1t3134- 20171113425 Dresden, 2017 12.o"." ø., Die Kampagne des Freistaates Sachsen. Hausanschrift: Sächsische Staatskanzlei Archivstraße 1 01097 Dresden .. SO GEHT sAcHsrscH Seite 1 von 4 www.sachsen.de SÄcHSìScHE STAATSKANZLEI Freistaat SACHSEN5 Frage 2= Auf welchen Studien oder einsehbaren Analysen beruht die Annahme, dass im Jahr 2020 ein Leistungsbilanzdefizit erwartet werden muss? (Wir bitten um eine Aufschlüsselung mit Namen, Erscheinungsdatum, Autor) Frage 3: Welche Studien oder einsehbare Analysen liegen der Staatsregierung vor, nach der die Spitzenlast bis 2023 signifikant ansteigen wird? (Wir bitten um eine Aufschlüsselung mit Namen, Erscheinungsdatum, Autor) Zusammenfassende Antwort auf die Fragen I bis 3: Die Staatsregierung bezieht sich bei ihren in dem Schreiben von Ministerpräsident Tillich an Bundeskanzlerin Merkel vom 13. November 2017 getätigten Aussagen auf öffentlich zugängliche Daten der Bundesnetzagentur, der deutschen Ubertragungsnetzbetreiber , des Bundesverbands der Energie- und Wassenruirtschaft (BDEW) sowie auf die in derAgora-Kurzanalyse vom 10. November 2017 vorgenommene Berechnung zur Leistungsbilanz für die Jahre 2020 und 2023. Der Präzisierung halber ist an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass in dem Schreiben auf ein Leistungsbilanzdefizit nach dem Jahr 2020 und nicht für das Jahr 2020 hingewiesen wird. Hierzu ist auf Basis der genannten Datenlage Folgendes festzuhalten: Bereits aus dem am 30. Juni 2016 genehmigten Szenariorahmen für die Netzentwicklungspläne Strom 2017 bis 2030 der Bundesnetzagentur wird ersichtlich, dass die installierte Leistung aus Kernenergie, Braunkohle und Steinkohle, die wesentlich zur gesicherten Leistung in Deutschland beitragen, im nächsten Jahrzehnt deutlich zurückgehen wird. ln diesen Szenarien ist die in den Sondierungsgesprächen diskutierte vorzeítige Stilllegung von Braunkohle-Kraftwerkskapazitäten noch nicht enthalten. Entwicklung der installierten Leistung ausgewählter Erzeugungstechnologien in GW Quelle: BNetzA, Genehmigung des Szenariorahmens für die Netzentwicklungspläne Strom 2017-2030, Bonn, 30. Juni 2016, S. ll. Nach der BDEW-Kraftwerksliste 2016 (Stand: 12. Mai 2016, abrufbar unter https://bdew.de/internet.nsf/id/01F243585F6F3C43C1257FC4003641 15/$file/1 3 2%20 BDEW-Kraftwerksliste.pdf) ist bis 2025 ein Rückgang von Kapazitäten mit hoher Referenz 2015 Szenario A 2030 Szenario B 2030 Szenario B 2035 Szenarío c 2030 Kernenergie 10,8 0,0 0,0 0,0 0,0 Braunkohle 21,1 11,5 9,5 9,3 9,3 Steinkohle 28,6 21,7 14,8 10,8 10,8 Erdoas 30,3 30.5 37,8 41,5 37.8 Biomasse 7,0 5,5 6,2 6,0 7,0 Wind onshore 41,2 54,2 58.5 61.6 62,1 Wind offshore 3,4 14,3 15,0 19,0 15,0 Photovoltaik 39.3 58,7 66,3 75,3 76.8 Seite 2 von 4 SÄCHSISCHE STAATSKANZLE'I Freistaat SACHSEN5 Verfügbarkeit um mehr als 18 GW zu enuarten. Dabei sind Neuanlagen mit hoher Realisierungswahrschei nl ichkeit bereits eingerechnet. Legt man die in der obigen Tabelle für das Jahr 2015 aufgeführten Referenzzahlen des Jahres 2015 zu Grunde, so ergibt sich einschließlich der Biomasse eine installierte Kapazität von 97,9 GW, die einen sehr hohen Beitrag zur gesicherten Leistung liefert. Bereits die prognostizierte Verminderung um ca. 18 GW würde daher - bei der sehr optimistischen Annahme einer konstanten Spitzenlast von 81,8 GW (siehe unten) - zu einer rechnerischen Unterdeckung in Spitzenlastzeiten führen, wobei zu beachten ist, dass aufgrund von planmäßigen Revisionen sowie ungeplanten Ausfallzeiten in der Praxis nicht jederzeit die gesamte installierte Erzeugungskapazität zur Verfügung steht. Die Staatsregierung hat bereits in der Vergangenheit wiederholt darauf hingewiesen, dass dieser absehbare Rückgang an gesicherter Leistung negative Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit in Deutschland haben kann und dass deshalb - über die vorgesehenen Kraftwerkstilllegungen hinaus keine weiteren konventionellen Kraftwerkskapazitäten vom Netz genommen werden können. ln der Kurzanalyse ,,Kohleausstieg, Stromimporte und -exporte sowie Versorgungssicherheit" vom 10. November 2017 vertritt Agora Energiewende basierend auf einer eigenen Fortschreibung der von den Ubertragungsnetzbetreibern erstellten Leistungsbilanzen - die These, dass selbst bei einer Stilllegung von 8,4 GW Braunkohle-Kraftwerkskapazitäten in Deutschland noch ein Leistungsbilanzüberschuss von 5,6 GW (in 2O2O)bzw.4,2 GW (in 2023) bestünde. Die Berechnung von Agora Energiewende beruht jedoch nach Einschätzung der Staatsregierung auf Annahmen, die mit den bestehenden praktischen Erfahrungen kaum in Einklang stehen: Verringerung ungeplanter Ausfallzeiten: Agora rechnet ohne nähere Begründung mit einer mehr als S0-prozentigen Reduzierung der ungeplanten Ausfallzeiten (von aktuell 7 GW auf 3 GW in 2023). Dies erscheint unrealistisch; aufgrund des zunehmenden Alters und Verschleißes der Anlagen ist vielmehr von steigenden Ausfallzeiten auszugehen. a a a Stromimporte aus dem europäischen Ausland: ln ihrer Berechnung geht die Agora davon aus, dass Deutschland in Spitzenlastzeiten auf bis zu 3 GW aus nicht näher benannten Ländern (,,Leistungsausgleichseffekte mit dem europäischen Ausland") und zusätzlich auf weitere 3,4 GW aus Österreich und Luxemburg (,,Gesicherte Leistung in den zur deutschen Regelzone gehörenden Regionen in Nachbarländern") zurückgreifen kann. Sich in Knappheitssituationen auf Stromimporte aus dem europäischen Ausland zu verlassen, erscheint jedoch fahrlässig, weil es derzeit keinen europäischen Rahmen für ein grenzüberschreitendes Erzeugungs-Engpassmanagement gibt und beispielsweise Frankreich bei der Sicherstellung der eigenen Versorg u ngssicherheit ebenfalls zu nehmend auf Strom i m porte setzt. Entwicklung der Spitzenlast und des Lastmanagement-Potentials: Bei der Betrachtung der Spitzenlast erscheinen die Annahmen von Agora zweifelhaft. Seite 3 von 4 SACHSISCHE STAATSKANZLEI Freistaat SACHSEN5 Zum einen wird für die nächsten 6 Jahre eine grundsätzlich unveränderte Spitzenlast von 81,8 GW unterstellt. Dies ist angesichts des anhaltenden Wirtschaftsaufschwungs und des Bevölkerungszuwachses sowie vor dem Hintergrund der enruarteten (und gewollten) stärkeren Sektorenkopplung wenig realistisch. Statt dessen sollte mindestens von einem moderaten Anstieg der Spitzenlast ausgegangen werden. Zudem unterstellt Agora eine Vervierfachung des Lastmanagement-Potentials von aktuell 1 GW auf 4 GW in 2023. Abgesehen von den damit verbundenen Kosten bleibt unberücksichtigt, dass mit diesem lnstrument jeweils nur einige Stunden und nicht länger anhaltende ,,kalte Dunkelflaute"-Perioden überbrückt werden können. ln der Summe sind daher aus Sicht der Staatsregierung mindestens 10 GW nicht schlüssig untersetzt, weshalb der von Agora prognostizierte Leistungsbilanzüberschuss in der Praxis kaum als gesichert betrachtet werden kann. Mit einer Abschaltung von 8,4 GW würde - unter Berücksichtigung der ebenfalls bis 2023 vom Netz gehenden Blöcke der so genannten ,,Sicherheitsbereitschaft" - etwa die Hälfte der bestehenden Braunkohle-Kapazitäten stillgelegt. Wenn man bedenkt, dass die Braunkohleverstromung durch relativ niedrige variable Kosten, aber hohe Tagebau- Fixkosten gekennzeichnet ist, könnte eine derartige Reduzierung der Braunkohle- Kraftwerksleistung zudem die Wirtschaftlichkeit des Braunkohle-Tagebaus gefährden, was wiederum Auswirkungen auf die verbleibenden Kraftwerksblöcke hätte. Eine seriöse Planung der Versorgungssicherheit sollte sich nicht auf zu optimistische Annahmen stützen, sondern realitätsnah erfolgen. Daher erscheint die Annahme, man könne auf 8,4 GW Braunkohle-Kraftwerksleistung verzichten ohne die Versorgungssicherheit zu gefährden, mit hohem Risiko behaftet. Mit freundlichen Grüßen ? ,J1 Dr. Fritz J Seite 4 von 4 2017-12-13T13:11:16+0100 GRP: Elektronisches Dokumentations- und Archivsystem Erstellung des Nachweisdokumentes