STAATSMINISTERIUM FÜR WIRTSCHAFT ARBEIT UND VERKEHR Freistaat. SACHSEN Der Staatsminister Sächsisches Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr Postfach 10 03 29 | 01073 Dresden Präsidenten des Sächsischen Landtages Herrn Dr. Matthias Rößler Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 01067 Dresden Durchwahl Telefon: 0351 564-8001 Telefax: 0351 564-8024 Kleine Anfrage der Abgeordneten Eva Jähnigen, Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drs.-Nr.: 6/1206 Thema: Anwendung des sächsischen Vergabegesetzes in der Praxis Aktenzeichen (bitte bei Antwort angeben) 13-1053/51/3 Dresden, 1 5, AFR. 2015 Sehr geehrter Herr Präsident, namens und im Auftrag der Sächsischen Staatsregierung beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1: Dürfen öffentliche Vergabestellen in Sachsen nach dem geltenden sächsischen Vergaberecht Ausschreibungen und Vergaben mit einer Bindung der Anbieter an branchenübliche Tarife verbinden? Das Sächsische Vergaberecht enthält keine Regelungen für öffentliche Ausschreibungen und Vergaben mit einer Bindung der Anbieter an branchenübliche Tarife. Zertifikat seit 2006 audit hcrüfundfamiisc Frage 2: Falls die Antwort zu 1. ja lautet: mit welchen Einschränkungen in bei welchen Leistungen/in welchen Bereichen aufgrund welcher Rechtsgründe gilt das gegebenenfalls (Auflistung der Ausnahmen und der Rechtsgründe hierfür einzeln erbeten.)? Frage 3: Falls die Antwort zu 1 nein lautet: aus welchen Gründen nicht? Zusammenfassende Antwort auf die Fragen 2 und 3: Das Sächsische Vergabegesetz enthält hierzu keine Regelungen. Hausanschrift: Sächsisches Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr Wilhelm-Buck-Straße 2 01097 Dresden Außenstelle: Hoyerswerdaer Straße 1 01097 Dresden Die bundesgesetzliche Regelung des § 97 Abs. 4 Satz 2 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) lautet: wvwv.smwa.sachsen.de Verkehrsanbindung: Zu erreichen mit den Straßenbahnlinien 3, 7,8 Haltestelle Carolaplatz Seite 1 von 3 Kein Zugang für elektronisch signierte sowie für verschlüsselte elektronische Dokumente. STAATSM1N1STER1UM FÜR WIRTSCHAFT ARBEIT UND VERKEHR Freistaat SACHSEN „Für die Auftragsausführung können zusätzliche Anforderungen an Auftragnehmer gestellt werden, die insbesondere soziale, umweltbezogene oder innovative Aspekte betreffen, wenn sie im sachlichen Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand stehen und sich aus der Leistungsbeschreibung ergeben.“ Danach kann ein Auftraggeber bei der Vergabe öffentlicher Aufträge die Einhaltung bestimmter Sozialstandards, also von sozialen Aspekten, die im sachlichen Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand stehen, fordern. Allerdings müssen bei Vergabeverfahren mit grenzüberschreitendem Bezug (Entsendung von Arbeitnehmern von einem in einem Mitgliedstaat ansässigen Unternehmen in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates) die Grundfreiheiten des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), das sekundäre Gemeinschaftsrecht sowie die Grundsätze, die sich aus der Entscheidung in der Rechtsache C-346/06 des Europäischen Gerichtshofs vom 3. April 2008 („Rüffert“) ergeben, beachtet werden. Nach dieser Entscheidung ist eine Vorgabe zur Anwendung von Tarifverträgen mit dem Unionsrecht nur vereinbar, wenn die Festlegungen der Richtlinie 96/71 /EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen beachtet wurden. Voraussetzung nach dieser Richtlinie ist, dass der jeweilige Tarifvertrag durch Rechtsoder Verwaltungsvorschriften oder durch für allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge festgelegt ist. Anders ist die Rechtslage im Bereich der öffentlichen Personenverkehrsdienste auf der Schiene und der Straße. Hierfür gilt die Verordnung EG Nr. 1370/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007. Die Grundsätze der vorgenannten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes finden auf den Sektor Verkehr nach herrschender Auffassung keine Anwendung. In Artikel 4 Abs. 5 der VO Nr. 1370/2007 werden an einen Betriebsübergang angelehnte Rechte geregelt. Dort heißt es: „Unbeschadet des nationalen Rechts und des Gemeinschaftsrechts, einschließlich Tarifverträge zwischen den Sozialpartnern, kann die zuständige Behörde den ausgewählten Betreiber eines öffentlichen Dienstes verpflichten, den Arbeitnehmern, die zuvor zur Erbringung der Dienste eingestellt wurden, die Rechte zu gewähren, auf die sie Anspruch hätten, wenn ein Übergang im Sinne der Richtlinie 2001/23/EG erfolgt wäre. Verpflichtet die zuständige Behörde die Betreiber eines öffentlichen Dienstes, bestimmte Sozialstandards einzuhalten, so werden in den Unterlagen des wettbewerblichen Vergabeverfahrens und den öffentlichen Dienstleistungsaufträgen die betreffenden Arbeitnehmer aufgeführt und transparente Angaben zu ihren vertraglichen Rechten und zu den Bedingungen gemacht, unter denen sie als in einem Verhältnis zu den betreffenden Diensten stehend gelten.“ Hinsichtlich einer Forderung nach der Anwendung von Tarifverträgen enthält die VO Nr. 1370/2007 keine konkrete Ermächtigungsgrundlage. Allerdings geht die herrschende Meinung unter Heranziehung des 17. Erwägungsgrundes von der Zulässigkeit aus. Seite 2 von 3 STAATSMINISTERIUM FÜR WIRTSCHAFT ARBEIT UND VERKEHR Freistaat SACHSEN Dieser lautet: „Gemäß dem Subsidiaritätsprinzip steht es den zuständigen Behörden frei, soziale Kriterien und Qualitätskriterien festzulegen, um Qualitätsstandards für gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen aufrechtzuerhalten und zu erhöhen, beispielsweise bezüglich der Mindestarbeitsbedingungen, der Fahrgastrechte, der Bedürfnisse von Personen mit eingeschränkter Mobilität, des Umweltschutzes, der Sicherheit von Fahrgästen und Angestellten sowie bezüglich der sich aus Kollektivvereinbarungen ergebenden Verpflichtungen und anderen Vorschriften und Vereinbarungen in Bezug auf den Arbeitsplatz und den Sozialschutz an dem Ort, an dem der Dienst erbracht wird. Zur Gewährleistung transparenter und vergleichbarer Wettbewerbsbedingungen zwischen den Betreibern und um das Risiko des Sozialdumpings zu verhindern, sollten die zuständigen Behörden besondere soziale Normen und Dienstleistungsqualitätsnormen vorschreiben können.“ Die Erwägungsgründe selbst entfalten zwar keine unmittelbare Rechtswirkung, begründen aber die Absichten des Verordnungsgebers. Die herrschende Meinung schließt daraus, dass der Verordnungsgeber von der Zulässigkeit der Anwendung von Tarifverträgen in wettbewerblichen Vergabeverfahren ausgeht. Frage 4: Ist der Staatsregierung bekannt, dass der Verkehrsverbund VMS die Vereinbarung branchenüblicher Tarifverträge bei Bestellung für Verkehrsleistungen in Sachsen rechtlich für unzulässig hält? Anlässlich eines Treffens mit Gewerkschaftsvertretern wurde von diesen mitgeteilt, dass der Verkehrsverbund Mittelsachsen GmbH (VMS GmbH) die Vereinbarung branchenüblicher Tarifverträge bei der Bestellung von Verkehrsdienstleistungen in Sachsen unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache C-549/13 vom 18. September 2014 („Bundesdruckerei“) für rechtlich unzulässig halte. Der Europäische Gerichtshof hatte hierin entschieden, dass deutsche Auftraggeber Bietern aus dem EU-Ausland, wenn die Leistungen in dem anderen Land erbracht werden sollen, nicht die Anwendung der in Deutschland geltenden Mindestlöhne vorschreiben dürfen. Frage 5: Wird diese Rechtsauffassung des VMS von der Regierung geteilt und falls ja, warum? Die Rechtsauffassung der Staatsregierung ergibt sich aus der zusammengefassten Antwort auf die Fragen 2 und 3. Seite 3 von 3