STAATSMINISTERIUM DES INNERN Freistaat SACH SEN SÄCHSISCHES STAATSMINISTERIUM DES INNERN 01095 Dresden Präsidenten des Sächsischen Landtages Herrn Dr. Matthias Rößler Bernhard -von -Lindenau -Platz 1 01067 Dresden Kleine Anfrage der Abgeordneten Juliane Nagel, Fraktion DIE LINKE Drs.-Nr.: 6/12654 Thema: Nachfrage zu Drs 6/12051: Probleme des Identitätsnachweises von Staatsangehörigen aus Eritrea, Somalia und Afghanistan Sehr geehrter Herr Präsident, den Fragen sind folgende Ausführungen vorangestellt: „Die Schwierigkeiten von Angehörigen von Drittstaaten hinsichtlich der Klärung ihrer Identitäten war bereits Gegenstand einer Kleinen Anfrage (Drucksache 6/12051). Die Antworten des Staatsministers des Innern, Prof. Dr. Roland Wöller, vom 13.02.2018 konnten jedoch den Sachverhalt in Hinblick auf somalische und afghanische Staatsangehörige nicht vollumfänglich klären. Meinen Fragen möchte ich folgende Ausführungen auf Basis von zwei Beispielen aus der Praxis voranstellen, da der Staatsminister von einer Bewertung absah bzw. auf Einzelfallentscheidungen verwies. Fall 1 (Somalia) In Somalia existriert mindestens seit Beginn der 1990er Jahre kein zentrales Personenregister. Selbst in der Hauptstadt Mogadischu werden Geburtsurkunden weder systemtisch ausgestellt noch erfasst. Die meisten sich in Sachsen aufhaltenden somalischen Staatsangehörigen haben nie einen Pass noch ein anderes Dokument zu ihrer Identität besessen. Innerhalb des Landes wird durch den Ortsvorsteher bei Bedarf nachträglich eine Geburtsurkunde ausgestellt. Diese beruht in Ermangelung von schriftlichen Registern allein auf den Angaben des Antragstellers und ihrer Stichhaltigkeit. Auf Grundlage dieser Geburtsurkunde kann innerhalb des Landes und bei wenigen Auslandsvertretungen weltweit - darunter seit 2017 jedoch nicht mehr die Botschaft in Berlin - ein Reisepass beantragt werden. Hierfür prüfen die somalischen Behörden mit Unterstützung, soweit vorhanden, der lokalen Polizei bzw. von dem Antragsteller nahestehenden Zeugen den Leumund des Antragstellers . Gemäß einer Allgemeinverfügung des Bundesministerium Der Staatsminister Aktenzeichen (bitte bei Antwort angeben) 24a-1053/42/69 Dresden, .3. April 2018 Hausanschrift: Sächsisches Staatsministerium des Innern Wilhelm-Buck-Str. 2 01097 Dresden Telefon +49 351 564-0 Telefax +49 351 564-3199 www.smi.sachsen.de Verkehrsanbindung: Zu erreichen mit den Straßenbahnlinien 3, 6, 7, 8, 13 Besucherparkplätze: Bitte beim Empfang Wilhelm- Buck-Str. 2 oder 4 melden. STAATSMINISTERIUM DES INNERN Freistaat SACHSEN des Innern vom 6. April 2016 können somalische Pässe generell nicht anerkannt werden (vgl. BAnz. AT 25. April 2016 B1). Die Botschaft Somalias in Berlin stellt somalischen Staatsangehörigen gegen eine Gebühr von 130 Euro einen Nachweis ihrer Identität aus. Dabei wird ähnlich wie von den Behörden im Heimatland verfahren, d. h. die Angaben des Antragstellers werden mündlich hinterfragt. Andere Dokumente zur Feststellung der Identität können durch die Botschaft in Berlin nicht ausgegeben werden. Ein somalischer Staatsangehöriger, der in Deutschland eine Ehe schließen will, wird in Sachsen jedoch vom Standesamt bzw. im Zuge eines Antrags zur Befreiung von der Beibringung eines Ehefähigkeitszeugnisses vom Oberlandesgericht aufgefordert, einen Nachweis zur Identitätsfeststellung zu erbringen. De facto ist es somalischen Antragstellern jedoch unmöglich, ihre Identität zweifelsfrei zu bescheinigen. Fall 2 (Afghanistan) Das gängie Ausweisdokument in Afghanistan ist ein Tazkira. Dieser wird vom zuständigen Ortsvorsteher ausgefertigt und durch den Stempel eines Distrikgerichtes , in entlegenen Orten aufgetragen durch einen bevollmächtigten Vertreter, beglaubigt. Zur Beantragung eines Reisepasses muss ein Tazkira durch das Außenministerium in Kabul beglaubigt werden. Kann ein Antragsteller nicht selbst nach Kabul reisen, kann die Beglaubigung durch einen beauftragten Anwalt erfolgen . Afghanische Tazkira werden erst mit ihrer Beglaubigung durch das Außenministerium systematisch erfasst. Offiziell kann ein Tazkira erst nach persönlichem Vorsprechen der Person beim Ortsvorsteher bzw. Vertreter des zuständigen Gerichts ausgestellt werden. Da für die Ausstellung bzw. den Stempel nicht dokumentierte Gebühren zu zahlen sind, ist es in den meisten Provinzen möglich, mittels einer höheren "Gebühr" ein Tazkira mit dem vom Antragsteller gewünschten Angaben zu erhalten. Mangels eines verschriftlichten Personenregisters ist eine stichhaltige Prüfung der Angaben in einem Tazkira kaum möglich. Sächsische Ausländerbehörden fordern afghanische Staatsangehörige jedoch auf, für die Verlängerung einer Aufenthaltsgenehmigung ein Tazkira vorzulegen bzw. einen afghanischen Reisepass zu beantragen. Auch zur Beurkundung einer Ehe wird, wie in Fall 1 geschildert, die Vorlage eines Reisepasses verlangt." Namens und im Auftrag der Sächsischen Staatsregierung beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1: Art. 6 GG und Art. 8 Europäische Menschenrechtskonvention gebieten dem Staat, Ehe und Familie unabhängig von Nationalität und Herkunft zu schützen. Dazu zählt nicht nur die Ausräumung von Zweifeln an der Ehefähigkeit der Heiratswilligen sondern auch, einer Eheschließung keine unzumutbaren Härten entgegen zu stellen. Weder somalische noch afghanische Antragsteller haben in der Regel die Möglichkeit, durch Vorlage von über alle Zweifel erhabenen Dokumenten ihre Identität zu erklären. Ist es in Fällen, wo die Heiratswilligen alles in ihrer Möglichkeit Stehende getan haben, eine Eheschließung auf Grundlage von Erklärungen an Eides statt bzw. analog des Rechts des Heimatslands unter Hinzuziehung nahestehender Zeugen zu beurkunden? Seite 2 von 6 STAATSMINISTERIUM DES INNERN Freistaat SACHSEN Die Frage ist zu bejahen. Im Rahmen der Beweispflichtigkeit der Antragsteller bezüglich ihrer Identität und ihres Personenstandes kann als „ultima ratio" auf eidesstattliche Versicherungen der betroffenen Person oder anderer Personen/Zeugen zurückgegriffen werden, wenn die erforderlichen Dokumente objektiv nicht beschaffbar sind (gesetzliche Regelung: im Standesamt gem. § 9 Abs. 2 Personenstandsgesetz [PStG] in Verbindung mit § 27 Verwaltungsverfahrensgesetz bzw. beim Oberlandesgericht [OLG] im Befreiungsverfahren nach § 1309 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB] gem. § 31 Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit ). Ein Nachweis zur Staatsangehörigkeit muss aber immer vorliegen. Weil eine Versicherung an Eides statt nur Tatsachen zum Inhalt haben und keine Werturteile oder rechtliche Schlussfolgerungen enthalten kann, wäre es nicht möglich, eine solche zur Staatsangehörigkeit abzugeben. Die Aussagekraft der Versicherung an Eides statt unterliegt der freien Beweiswürdigung durch das Standesamt/Gericht. Die Versicherung ist im Rahmen der Überzeugungsbildung nur ein Anhaltspunkt von mehreren. Frage 2: In Somalia oder Afghanistan ausgestellte Identitätsnachweise sind aktuell weder vor Ort nachprüfbar noch in Ermangelung zentraler Register über alle Zweifel erhaben. Auf welcher Grundlage werden Antragsteller aus diesen Ländern trotzdem aufgefordert, diese Dokumente beizubringen und in Kauf nehmend, dass durch Zahlung entsprechend erhöhter "Gebühren" eine Ausstellung mit den vom Antragsteller gewünschten Daten gegebenenfalls möglich ist? Im Personenstandswesen gilt, dass die Vorlage eines Identitäts-/Staatsbürgerschaftsnachweises zwingend notwendig ist, um das anwendbare Recht zu ermitteln und Falschbeurkundungen zu vermeiden. Nur auf dieser Grundlage können die Eheschließungsvoraussetzungen und ggf. bestehende Ehehindernisse festgestellt und, falls notwendig, beseitigt werden. Eine Beurkundung der Eheschließung im deutschen Personenstandsregister beweist nicht nur die Tatsache der Eheschließung an sich, sondern auch „die darüber gemachten näheren Angaben sowie die sonstigen Angaben über den Personenstand der Personen , auf die sich der Eintrag bezieht", § 54 PStG. Daher muss der Standesbeamte die Mitwirkung bei der Eheschließung bei nicht nachgewiesener Identität der Heiratswilligen ablehnen, §§ 12, 13 PStG. Den Beteiligten steht der Weg der Beschwerde bei Gericht offen, § 46 PStG. Eine Ablehnung der Befreiung vom Ehefähigkeitszeugnis durch das OLG Dresden ist bei durchschnittlich 1.000 Verfahren pro Jahr im Freistaat Sachsen in den letzten fünf Jahren lediglich dreimal erfolgt und betraf weder Somalia noch Afghanistan. Grund hierfür war nicht die mangelnde Vorlage von Urkunden, sondern Zweifel am Familienstand . Seite 3 von 6 STAATSMINISTERIUM DES INNERN Freistaat SACHSEN Nach dem Ausländerrecht sind Ausländer, wenn sie keinen gültigen Pass oder Passersatz besitzen, verpflichtet, an der Beschaffung des Identitätspapiers mitzuwirken, § 48 Abs. 3 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG verpflichtet Ausländer zudem, die erforderlichen Nachweise über ihre persönlichen Verhältnisse, die sie erbringen können, unverzüglich beizubringen. Hiermit werden mehrere Ziele verfolgt. Neben der Identitätsklärung geht es darum, dass die Ausländer in die Lage versetzt werden, ihrer Ausweispflicht genügen zu können und für den Fall, dass sie ausreisepflichtig werden, eine Rückführung in den Herkunftsstaat ermöglicht wird. Die Verpflichtung zur Beschaffung solcher Dokumente ist nicht an die Voraussetzung geknüpft, dass der Beweiswert der Dokumente des Herkunftslandes als generell außer Frage stehend anzusehen sein müsste. Die Dokumente können auch bei einem herabgesetzten Beweiswert indiziellen Charakter für die Identitätsfeststellung haben. Sind Pässe, wie im Fall von Somalia, für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet nicht anerkennungsfähig, so können sie doch als Heimreisedokumente herangezogen werden. Die Verpflichtung zur Beschaffung von Dokumenten entfällt auch nicht, wenn es in dem betreffenden Herkunftsstaat als möglich erscheint, dass in Einzelfällen auf Grund von Korruption falsche Dokumente ausgestellt werden. Damit ist allerdings keine Akzeptanz gesetzeswidriger Praktiken verbunden. Die Verpflichtung zur Beschaffung der Dokumente bezieht sich nur auf die Nutzung legaler Möglichkeiten. Frage 3: Wann erfüllen Antragsteller aus Somalia bzw. Afghanistan trotz der eingangs erwähnten Umstände den Tatbestand einer sanktionierbaren Weigerung an der Mitwirkung zur Klärung ihrer Identität? Die sich aus den genannten ausländerrechtlichen Bestimmungen ergebenden Verpflichtungen zur Mitwirkung bei der Identitätsklärung können unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit begrenzt sein. Welche konkreten Anforderungen an das Vorliegen einer Unzumutbarkeit zu stellen sind, ist nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalles durch die zuständige Ausländerbehörde zu beurteilen (vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17. Mai 2016 - 18 A 951/15). Wenn die betreffenden Ausländer ihren Verpflichtungen zur Mitwirkung an der Identitätsklärung nicht nachkommen, können Sanktionen in Betracht kommen. Frage 4: Welche Möglichkeiten und ggf. Fallbeispiele sind der sächsischen Staatsregierung bekannt, wie afghanische bzw. somalische Staatsangehörige die für eine Eheschließung notwendigen Unterlagen beibringen konnten? 1. Afghanistan: a) Standesämter Als Geburtsnachweis ist ein Auszug aus dem Zivilregister (Tazkira) erforderlich. Die Familienstandsbescheinigung ist in Form einer eidesstattlichen Erklärung von mindestens zwei Zeugen bei einem dortigen Gericht oder einer Bescheinigung der Afghanischen Botschaft vorzulegen. Teilweise nimmt ebenfalls das Standesamt noch eine eigene eidesstattliche Versicherung zum Familienstand entgegen. Zum Nachweis der Identität ist ein gültiger Heimatpass vorzulegen. Da Afghanistan derzeit keine Urkunden Seite 4 von 6 STAATSMINISTERIUM DES INNERN Mh. I M ! 1AM=WB Freistaat SACHSEN legalisiert, bedürfte es einer Vor -Ort -Ermittlung, die nach Auskunft der Botschaft derzeit jedoch nicht möglich ist. Das Standesamt nimmt den Antrag auf Befreiung von der Beibringung des Ehefähigkeitszeugnisses entgegen, welcher dem OLG Dresden übersandt wird (§ 1309 Abs. 2 BGB). Zur Entscheidung des OLG siehe unter b). Die Standesämter, die auf Erfahrungswerte mit afghanischen Heiratswilligen zurückgreifen können, haben übereinstimmend mitgeteilt, dass es bisher zu keiner Ablehnung der Mitwirkung an der Eheschließung auf Grund nicht feststellbarer Identität gekommen sei. Es konnten alle erforderlichen Unterlagen (Personenstandsurkunden und Pässe) vorgelegt werden. In einem Fall wurde berichtet, dass Angehörige in Afghanistan bei der Dokumentenbeschaffung behilflich gewesen sein sollen. b) OLG Dresden Von afghanischen Staatsbürgern wurden in den letzten Jahren durchschnittlich zehn Anträge pro Jahr gestellt und es wurde kein Antrag zurückgewiesen. Afghanische Antragsteller haben bisher, ggf. nach Aufforderung und Erläuterung der Notwendigkeit, stets die geforderten Dokumente, die sich aus dem Merkblatt (https://www.iustiz.sachsen.de/olo/download/Afohanistan.pdf) ergeben, beigebracht. Darunter waren auch Antragsteller, die Pässe bei der Afghanischen Botschaft beantragt haben und diese später dort ausgehändigt bekamen. Afghanische Auslandsvertretungen sind auch befugt, Personenstandsurkunden auszustellen. Ebenso wurde in mehreren Fällen die Ausstellung einer Tazkira über die Botschaft beantragt und diese in vertretbarer Zeit vorgelegt. Die Botschaft selbst darf keine Tazkira ausstellen, nimmt allerdings die Anträge auf Ausstellung einer solchen entgegen und leitet diese an die zuständigen afghanischen Behörden weiter. 2. Somalia: a) Standesämter Auf Grund der politischen Verhältnisse in Somalia können derzeit keine Personenstandsurkunden beschafft werden. Die Legalisation ist ausgesetzt. Eine Urkundenüberprüfung vor Ort ist derzeit ebenfalls nicht möglich. Lediglich ein Standesamt teilte mit, dass für zwei somalische Staatsangehörige, welche beide angaben, bereits verwitwet zu sein, die Mitwirkung an der Eheschließung wegen nicht feststellbarer Identität und ungeklärtem Familienstand verweigert wurde. Das Amtsgericht Leipzig hat das Standesamt nicht angewiesen, bei der Eheschließung mitzuwirken . Dagegen haben die Beteiligten beim OLG Beschwerde eingelegt. Eine Entscheidung ist bisher noch nicht ergangen. Weitere Erfahrungswerte über somalische Heiratswillige liegen den Standesämtern nicht vor. Seite 5 von 6 STAATSMINISTERIUM DES INNERN Freistaat SACHSEN b) OLG Dresden In den letzten beiden Jahren wurden keine Anträge gern. § 1309 BGB von somalischen Staatsbürgern gestellt. Auf Grund der politischen Verhältnisse in Somalia (weitgehender Zusammenbruch der Staatsgewalt) und der Tatsache, dass Personenstandsdokumente derzeit kaum beschaffbar sind, werden zum Nachweis des Personenstandes aktuell lediglich eine eigene eidesstattliche Versicherung sowie ein Nachweis zur Identität und Staatsangehörigkeit gefordert. Letzterer kann entweder durch einen seit 2007 ausgestellten Reisepass mit biometrischen Daten erbracht werden oder, falls dieser nicht vorhanden ist, in Form einer Bescheinigung der somalischen Botschaft. Diese Bescheinigung wird somalischen Antragstellern nach einem Interview bei der Botschaft ausgestellt. Selbst wenn die Daten zur Identität nur nach Angaben des Antragstellers übernommen werden, kann die Botschaft in diesen Fällen zumindest feststellen, ob es sich um einen Staatsbürger Somalias handelt. Ohne die Vorlage eines entsprechenden Nachweises wäre nicht feststellbar, welchem Recht der Antragsteller unterliegt. Mit freundlichen Grüßen in Vertretung Dr. Matthias hfaß Seite 6 von 6 2018-04-04T09:45:46+0200 GRP: Elektronisches Dokumentations- und Archivsystem Erstellung des Nachweisdokumentes