STAATSNI1N1STERIUM DES INNERN SÄCHSISCHES STAATSMINISTERIUM DES INNERN 01095 Dresden Präsidenten des Sächsischen Landtages Herrn Dr. Matthias Rößler Bernhard -von -Lindenau -Platz 1 01067 Dresden Kleine Anfrage der Abgeordneten Juliane Nagel (DIE LINKE) Drs.-Nr.: 6/14307 Thema: Sächsisches Gewaltschutzkonzept für Erstaufnahmeeinrichtungen und dessen Umsetzung Sehr geehrter Herr Präsident, den Fragen sind folgende Ausführungen vorangestellt: „Mindestens seit Dezember 2016 existiert ein ,Konzept zur Prävention von, Schutz vor und Hilfe bei Gewalt gegen Frauen und Kinder sowie andere besonders schutzbedürftige Personen in Erstaufnahmeeinrichtungen des Freistaates Sachsen — Gewaltschutzkonzept, URL: https://vvww.asylinfo.sachsen.de/download/asy1/161202 Gewaltschutzkonzept .pdf Laut Gewaltschutzkonzept soll die Landesdirektion (LDS) ein Leitbild entwerfen welches ,auf eine klare Haltung gegen und den aktiven Schutz vor Gewalt ausgerichtet.' Es soll Bewohnerinnen wie Mitarbeiterinnen der Betreiber und Sicherheitsdienste ‚kommuniziert' werden. Für das Personal sollen Fortbildungsangebote, u.a. zu den Themen sexualisierte Gewalt in Institutionen, Gewaltprävention, Erkennen von bzw. Sensibilisierung für Personen mit Traumatisierung, etc. organisiert und durchgeführt werden. Es sollte eine Risikoanalyse der damals bereits bestehenden Einrichtungen vorgenommen werden und anhand einer von der LDS erarbeiteten Checkliste bestehende Maßnahmen und Angebote zur Gewaltprävention und —intervention evaluiert und weiterhin notwendige entwickelt werden. Es soll ,interne Ansprechpartnerinnen bzw. Kontaktpersonen (Gewaltschutzbeauftragte ) in der Erstaufnahmeeinrichtung tätig sein um Beschwerden entgegennehmen zu können." Freistaat SACHSEN Der Staatsminister Aktenzeichen (bitte bei Antwort angeben) 2-1053/42/213 Dresden, 5. September 2018 Hausanschrift: Sächsisches Staatsministerium des Innern Wilhelm-Buck-Str. 2 01097 Dresden Telefon +49 351 564-0 Telefax +49 351 564-3199 www.smi.sachsen.de Verkehrsanbindung: Zu erreichen mit den Straßenbahnlinien 3, 6, 7, 8, 13 Besucherparkplätze: Bitte beim Empfang Wilhelm-Buck- Str. 2 oder 4 melden. STAATSM1N1STER1UM DES INNERN Namens und im Auftrag der Sächsischen Staatsregierung beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1: Hat die Landesdirektion das Leitbild entworfen und wenn nein, warum, ist es veröffentlicht und wenn nein, warum und wie gestaltet sich konkret die Kommunikation des gegebenenfalls entworfenen Leitbilds gegenüber Bewohnerinnen wie Mitarbeiterinnen der Betreiber und Sicherheitsdienste? Die Landesdirektion Sachsen (LDS) hat ein Leitbild entworfen. Dieses ist als Anlage beigefügt. Alle beteiligten Mitarbeiter, sowohl der LDS, der Betreiber als auch der Wachschutzdienstleister, sind darüber in Kenntnis gesetzt und angehalten, die Grundsätze des Leitbildes zu beachten. Es erfolgen regelmäßig Abstimmungen aller Beteiligten, in denen das Leitbild kommuniziert und anhand von im Alltag auftretenden Situationen operationalisiert wird. In den Erstaufnahmeeinrichtungen (EAE) finden zudem regelmäßige Abstimmungen zwischen den Betreibern und den Bewohnern statt. Überdies werden den Bewohnern der Einrichtungen in Konfliktsituationen die Grundsätze des Leitbildes gesondert nahegebracht. Frage 2: Hat die LDS die Risikoanalyse vorgenommen und die Checkliste erarbeitet und wie lautet das Ergebnis der Evaluation der zu welchem Zeitpunkt stattgefundenen Evaluation und welche neue Maßnahmen und Angebote zur Gewaltprävention und —intervention wurden entwickelt? Die LDS hat die Risikoanalyse durchgeführt und eine darauf beruhende Checkliste erarbeitet . Dabei haben sich teilweise Optimierungsmöglichkeiten ergeben, welche zu baulichen Änderungen, wie z. B. der Einrichtung von Rückzugsräumen für Frauen führten . Im Bereich der Gewaltprävention erfolgt, u. a. auch über die regelmäßig stattfindenden Sicherheitskonferenzen, eine ständige Weiterentwicklung von Aktivitäten und Maßnahmen zur Gewaltprävention. Frage 3: Welche Fortbildungsangebote werden durch wen für die in welchen Erstaufnahmeeinrichtungen tätigen Mitarbeiterinnen welcher Behörden beziehungsweise Unternehmen angeboten (bitte Anzahl der Mitarbeiterinnen, aufgeschlüsselt nach Behörde bzw. Unternehmen sowie Erstaufnahmeeinrichtung, pro teilgenommen Kurs unter Angabe dessen Themas seit Januar 2017 angeben)? Die in den EAE tätigen Mitarbeiter sind entsprechend ausgebildet und werden regelmäßig fortgebildet. Themen sind insbesondere: Interkulturelle Kompetenzen und Traumata , Sensibilisierung zur Prävention sexualisierter Gewalt, Gewaltprävention, Deeskalationstraining , Interkulturelles Konfliktmanagement (Umgang mit Migranten und Flüchtlingen , Asylrecht, Mediation im interkulturellen Kontext). Bei den Fortbildungsangeboten der in den EAE tätigen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen lag der Schwerpunkt in den letzten Jahren auf der Förderung der interkulturellen Kompetenz. Eine statistische Erfassung dieser Fortbildungen erfolgt nicht. Hinsichtlich des gewünschten Detailierungsgrades der Fortbildungen, die durch Mitarbeiter beauftragter Unternehmen wahrgenommen wurden, ist eine Beantwortung nicht Freistaat SAC1-I SEN Seite 2 von 3 STAATSMINISTERIUM DES INNERN ...-«11111 MM. =JIM möglich, da hierzu keine Daten bei den Betreibern erhoben werden konnten. Aufgrund der derzeit laufenden Ausschreibungsverfahren zur weiteren Betreibung der EAE haben die Betreiber aus wettbewerbsrechtlichen Gründen keine Aussagen zu den erfragten Detailinformationen getroffen. Frage 4: Welche Kriterien müssen Gewaltschutzbeauftragte erfüllen, nehmen sie an der Auswertung von Gewaltvorfällen zwischen Betreiber, LOS und Sicherheitsdienst teil, wie viele Beauftragte pro Erstaufnahmeeinrichtung gibt es und wie gestaltet sich ihre Erreichbarkeit und Kommunikation (insbesondere hinsichtlich der Sprachmittlung) mit den BewohnerInnen? Gewaltschutzbeauftragte sollten folgende Kriterien erfüllen: - Teilnahme an Gewaltschutzschulungen, - hohe Sensibilität für Gefährdungspotential, - regelmäßige Fortbildungen, - Eignung zur Durchführung von Teamschulungen, - Erfahrung in der Arbeit mit Asylbewerbern, - hohes Einfühlungsvermögen, - sehr gute Kommunikationsfähigkeit und Gesprächsführungskompetenzen, - Kenntnisse kulturspezifischen Konfliktverhaltens, - kulturspezifische Arbeitsweise, - Kenntnisse und Verständnis der Abläufe in der EAE. Grundsätzlich ist für jede EAE ein Gewaltschutzbeauftragter bestellt, der rund um die Uhr zu erreichen ist. Zur Sprachmittlung stehen dabei qualifizierte Mitarbeiter zur Verfügung . Auswertungen erfolgen mit den Gewaltschutzbeauftragten im Rahmen der ständigen Dienstbesprechungen und darüber hinaus nach Bedarf. Frage 5: Inwieweit sieht das Staatsministerium des Inneren die Vorgaben an „Mindeststandards zum Schutz von Kindern, Jugendlichen und Frauen" von UNICEF, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend et. al. im eigenen Gewaltschutzkonzept als erfüllt an, insbesondere in Hinblick auf bauliche Maßnahmen , Zusammenarbeit mit und Zugang von externen Kooperationspartner Innen, Schutz von Privatsphäre z.B. über Rückzugsräume sowie der Maßgabe einer betreiberunabhängigen Beschwerdestelle? Die in der Fragestellung aufgeführten Schwerpunkte wurden bei der Erarbeitung des Gewaltschutzkonzepts des Staatsministeriums des Innern berücksichtigt. Hinsichtlich der Errichtung von Rückzugsräumen wird auf die Antwort auf die Frage 2 sowie auf die Antwort der Staatsregierung auf die Kleine Anfrage Drs.-Nr. 6/13790 verwiesen. Miteeidndlichen Grüßen AA. rof! Dr. Roland Wöller Anlage Freistaat SACHSEN Seite 3 von 3 LANDESD1REKTION SACHSEN Anlage zu Drs.-Nr. 6/14307 Freistaat SACHSEN Leitbild: Prävention — Intervention — Reaktion Gewaltschutz für Frauen, Kinder und besonders schutzbedürftige Personen In Deutschland genießen alle Menschen die gleichen Rechte. Niemand darf aufgrund seines Geschlechts oder seiner sexuellen Identität benachteiligt werden. Jeder Mensch hat das Recht auf den Schutz seiner körperlichen Unversehrtheit und Anspruch auf einen respektvollen Umgang mit seiner Person. Frauen, Kinder und LSBTTIQ-Menschenl stehen in den Erstaufnahmeeinrichtungen des Freistaates Sachsen unter besonderem Schutz. Wir dulden in unseren Einrichtungen keine Form von Gewalt! • In Deutschland ist jede Form von Gewalt, insbesondere auch gegen Frauen, Kinder und LSBTTIQ-Menschen verboten. Hierzu zählen neben der Körperverletzung auch Belästigungen und Nachstellungen, sexuelle Nötigungen oder Gewaltandrohungen. Unerlaubte Gewalt ist auch die seelische Misshandlung, die Einstufung von Frauen, Kindern und LSBTTIQ-Menschen als minderwertig und hieraus folgende Demütigungen. • Wenn ein Mensch darum bittet, allein gelassen zu werden, muss das akzeptiert werden. Insbesondere die Wohnräume von Frauen, Kindern und LSBTTIQ-Menschen sollen nicht ohne Anklopfen oder Eintrittserlaubnis betreten werden. Vor allem sind sexuelle Handlungen gegen den Willen eines anderen Menschen strafbar. Es ist daher vor allem auch verboten, Frauen, Kindern oder LSBTTIQ-Menschen bei der Körperpflege zuzusehen, Fotografien in Dusch- und Waschräumen anzufertigen, diesen Personen aufzulauern oder sie sexuell zu bedrängen. Besonders gekennzeichnete Rückzugsräume für diese Personen dürfen nicht unberechtigt betreten werden. • Kinder stehen unter dem besonderen Schutz des Staates. Es darf ihnen kein psychischer Schaden zugefügt werden und sie dürfen vor allem nicht körperlich gezüchtigt werden, auch nicht durch die Eltern. • LSBTTIQ-Menschen dürfen ihre Liebe zueinander öffentlich zeigen und auch rechtlich anerkannte Lebenspartnerschaften eingehen. Ihnen darf insbesondere auch deswegen keine Gewalt angedroht werden oder widerfahren. Zum Schutz von Frauen, Kindern und besonders schutzbedürftigen Personen gilt: ‘7 Prävention — Wir vermeiden Gewalt! • Alle Mitarbeiter und Bewohner pflegen einen respektvollen, freundlichen und weltoffenen Umgang mit- und untereinander. Hierbei achten alle auf einen angemessenen Umgang mit Nähe und Distanz. Sie bekennen sich eindeutig gegen jede Form von Gewalt und sorgen für eine vertrauensvolle Atmosphäre. • Für alle in den Erstaufnahmeeinrichtungen tätigen haupt- oder ehrenamtlichen Mitarbeiter wird durch die Einrichtungsleitung sichergestellt, dass sie sich in regelmäßigen Schulungen und Workshops die Erscheinungsformen von Gewalt bewusst machen und über die notwendigen Kenntnisse verfügen, spezifische Gewalt gegen Frauen, Kinder und LSBTTIQ-Menschen zu erkennen und ihr unter Beachtung des Eigenschutzes aktiv zu begegnen. • Bereits bei der Aufnahme wird eine besondere Betreuungssituation erkannt. Besonders Schutzbedürftige werden getrennt untergebracht. Abschließbare Sanitäranlagen und die Installation von Notrufsystemen in Rückzugsräumen und sonstigen sensiblen Bereichen werden sichergestellt. 1 LSBTTIQ ist eine aus dem englischen Sprachraum kommende Abkürzung für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transsexuelle, Transgender, Intersexuelle und Queer-Menschen. ‘7 Intervention — Wir erkennen Gewalt und helfen! • Wir schauen nicht weg! Die haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter sowie die Bewohner sind angehalten, wahrgenommene Gewalt frühzeitig zur Sprache bringen. Gewalt ist hierbei jede Art von Grenzüberschreitung, die insbesondere dann vorliegt, wenn Anhaltspunkte für körperliche oder seelische Vernachlässigung, Misshandlung oder sexuelle Gewalt gegenüber Frauen, Kindern und LSBTTIQ-Menschen beobachtet oder festgestellt werden. • Die Betreiber stellen durch die Gewaltschutzbeauftragten sicher, dass Opfer von Gewalt aber auch Zeugen von Gewalt permanente Ansprechpartner vorfinden, mit denen sie über erlebte Gewalt und Ängste sprechen können und denen sie vertrauen können. Ansprechpartner sind auch die Mitarbeiter der sozialen Betreuung der Landesdirektion Sachsen. • Die Gewaltschutzbeauftragten sind wie alle Mitarbeiter zur Verschwiegenheit verpflichtet. Das gilt auch für Dolmetscher, die vorurteilsfrei zu übersetzen haben. • Wird die Gewalt aktuell durch Mitarbeiter wahrgenommen, setzen sie sich unverzüglich für eine Deeskalation ein; es werden im Rahmen der Erforderlichkeit und der Verfügbarkeit schnellstmöglich Dolmetscher hinzugezogen. Wenn notwendig, erfolgt eine sofortige räumliche Trennung von Täter und Opfer, die Hinzuziehung von Ärzten und/oder Psychologen sowie die Verständigung der Polizei. Reaktion — Wir verfolgen Gewalttaten konsequent! • Gewalt und Grenzüberschreitungen werden durch die Gewaltschutzbeauftragten schriftlich dokumentiert. Ihnen ist bewusst, dass sie als Zeuge einer Straftat in Betracht kommen können. • Opfer von Gewalt haben Rechte. Sie können verlangen, dass sich der Täter durch eine Entscheidung des Gerichts von ihnen fernzuhalten hat. Sie können aber auch verlangen, dass der Täter strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wird und sie als Verletzte in diesem Verfahren angehört und in Einzelfällen auch neben der Staatsanwaltschaft als Nebenkläger zugelassen sind. Die Gewaltschutzbeauftragten stellen sicher, dass die Opfer — durch qualifizierte Stellen — über ihre Rechte aufgeklärt und ihnen die Rechtsdurchsetzung ermöglicht wird. • Gewalttäter haben davon auszugehen, dass sie mit allen rechtlichen gebotenen Mitteln zur Verantwortung gezogen werden. Die Sanktionen reichen von Hausverboten über gerichtliche Beschlüsse, sich von dem Opfer entfernt zu halten bis hin zu Strafverfahren, die Geld — und vor allem im Bereich der Körperverletzungen und Sexualstraftaten — auch Gefängnisstrafen zur Folge haben können. Strafrechtliche Verurteilungen können außerdem direkte Auswirkungen auf das Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland haben und im Einzelfall sogar bei bereits bestehendem Aufenthaltsrecht zu einer Ausweisung und Abschiebung führen. 2 2018-09-05T11:20:22+0200 GRP: Elektronisches Dokumentations- und Archivsystem Erstellung des Nachweisdokumentes