STAATSMINISTERIUM DER JUSTIZ SACHSISCHES STAATSMINISTERIUM DER JUSTIZ Hospitalstraße 7 101097 Dresden Präsidenten des Sächsischen Landtages Herrn Dr. Matthias Rößler Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 01067 Dresden Kleine Anfrage des Abgeordneten Klaus Bartl (DlE LINKE) Drs.-Nr.: 6114376 Thema: Umsetzung der Behandlungspflicht gemäß S 66 c Abs. 1 und 2 SIGB bereits während der der Sicherungsverwahrung vorangehenden Strafvollstreckung Sehr geehrter Herr Präsident, den Fragen sind folgende Ausführungen vorangestellt: ,nVorbemerkung: Nach $ 66c Abs. 2 SIGB ist bei angeordneter Unterbringung in der Sicherungsverwahrung dem Täter schon im Strafvollzug eine Betreuung im Sinne des $ 66c Abs. I Nr. I SIGB, insbesondere eine sozialtherapeutische Behandlung anzubieten, mit dem Zieln die Vollstreckung der Unterbringung möglichst entbehrlich zu machen. Sämtliche im 5 66c StGB zum therapie-orientierten Vollzug getroffenen Anordnungen dienen dabei dem vorrangigen Ziel, die "Gefährlichkeit des Sicherungsverwahrten für die Allgemeinheit so zu mildern, dass die Vollstreckung der Maßregel möglichst bald zur Bewährung ausgesetzt oder für erledigt erklärt werden kann" (9 66c Abs. I Nr. 1b SIGB)." Namens und im Auftrag der Sächsischen Staatsregierung beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: U FreistaatSACHSEN Der Staatsminister Durchwahl Telefon +49 351 564-1500 Telefax +49 351 564-1509 staatsminister@ smj.justiz.sachsen.de* Aktenzeichen (bitte bei Antwort angeben) 1040E/13/1319 - KLR Dresden, ¿l/Septenber 2018 w$'ltt JoB'M¡Ï.J.DE Hausanschrift: Sächs¡sches Staatsmin¡sterium der Just¡z Hosp¡talstraße 7 01097 Dresden Briefpost über Deutsche Post 01095 Dresden www.iust¡z.sachsen.de/smj Verkehfsverb¡ndung: Zu erreichen mit Straßenbahnlinien 3,6,7,8, t1 Parken und behindertengerechter Zugang über Einfahrt Hospilalstraße 7 *Zugang für elektronisch signierte sowie lür verschlùsseltg gleklron¡sche Dokumente nur liber das Elektronische Ger¡chts- und Verwaltungspostfach; nähere lnformationsn unter w'¡/w.ogvp.dc TOB MIT , o !illBirñõltütg:ç¡wrrr Seite 1 von 7 STAATSMINISTERIUM DER JUSTIZ Freistaat SACHSENw Vorbemerkung: Hinsichtlich des Vollzugs an weiblichen Verurteilten wird mitgeteilt, dass seit Einführung des S 66c SIGB durch das Gesetz zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung vom 5. Dezember 2012 im sächsischen Justizvollzug keine Gefangene inhaftiert war, bei der während des Vollzugs der Freiheitsstrafe die anschließende Sicherungsverwahrung angeordnet oder deren Anordnung vorbehalten war (Fragen 4 und 5). Die Justizvollzugsanstalt Chemnitz ist für den Vollzug an weiblichen Gefangenen, bei denen während des Vollzugs der Freiheitsstrafe die anschließende Sicherungsverwahrung angeordnet oder deren Anordnung vorbehalten ist, zuständig. Da ein solcher Fall aber bisher nicht eingetreten und dies auch nicht absehbar ist, sind derzeit keine besonderen Maßnahmen afi Betreuung von weiblichen Gefangenen mit angeordneter oder vorbehaltener Sicherungsverwahrung in der Justizvollzugsanstalt Chemnitz vorgesehen . Für den Fall, dass eine entsprechende Gefangene aufzunehmen wäre, wird die Justizvollzugsanstalt Chemnitz ein auf den Einzelfall abgestimmtes Behandlungskonzept für die betreffende Gefangene erarbeiten, welches den gesetzlichen Vorgaben im Sinne des S 66c Abs. 1 und 2 SIGB genügt. Für den Vollzug an männlichen Verurteilten werden die Fragen wie folgt beantwortet: Frage 1: Durch welche Maßnahmen ist im Freistaat Sachsen gewährleistet, dass die Behandlungspflicht gemäß S 66c Abs. 1 und 2 SIGB schon in dem der Sicherungsverwahrung vorangehenden Strafvollzug erfüllt wird? Frage 2: Wie wird der hinsichtlich der zu gewährenden Behandlungsangebote im Gesetz angelegten Privilegierung der Strafgefangenen mit anschließender Sicherungsverwahrung gegenüber den "normalen" Strafgefangenen realisiert und wie kommt dies im "Vollzugsalltag" für die bzw. den betreffenden Gefangenen zur Wirkung? Seite 2 von 7 STAATSMINISTERIUM DER JUSTIZ Freistaat SACHSENw Frage 3: Gibt es Unterschiede in der Beanspruchbarkeit und Gewährung sozialtherapeutischer Behandlung zum einen für Gefangene, bei denen bereits die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach Strafverbüßung angeordnet ist und zum anderen bei Gefangenen, bei denen das Gericht auf vorbehaltene Sicherungsverwahrung erkannt hat und wenn ja, welche und wie kommt dies in der Anlage des Strafvollzugs jeweils zum Ausdruck? Zusammenfassende Antwort auf die Fragen 1 bis 3 Gemäß der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4, Mai 2011 (Az.2 BvR 2365/09) verpflichtet das Ultima-ratio-Prinzip dazu, schon während des Vollzugs der Freiheitsstrafe alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um die Gefährlichkeit der Gefangenen , bei denen Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten ist, zu reduzieren und dadurch ihre Unterbringung in der Sicherungsverwahrung entbehrlich zu machen. Nach S 3 Absatz 3 SächsStVollzG sind Gefangene mit angeordneter oder vorbehaltener Sicherungsverwahrung daher individuell und intensiv zu betreuen, um ihre Unterbringung in der Sicherungsverwahrung entbehrlich zu machen. Soweit standardisierte Maßnahmen nicht ausreichen oder keinen Erfolg versprechen, sind individuelle Maßnahmen zu entwickeln. lm sächsischen Justizvollzug wurden daher zur Privilegierung der Strafgefangenen mit anschließender Sicherungsverwahrung gegenüber den übrigen Strafgefangenen ab dem Jahr 2014 spezielle Abteilungen zur Unterbringung von Gefangenen mit angeordneter und vorbehaltener Sicherungsverwahrung in den Justizvollzugsanstalten Dresden und Bautzen eingerichtet. Seit dem ab 3. April 2018 wird eine solche Abteilung in der Justizvollzugsanstalt Waldheim betrieben, die diejenige in der Justizvollzugsanstalt Bautzen ersetzt. Grundlage für die gegenüber den übrigen Strafgefangenen intensivierte Vollzugsgestaltung bildet eine zwischen den Justizvollzugsanstalten, dem Kriminologischen Dienst des Freistaates Sachsen und dem Sächsischen Staatsministerium der Justiz abgestimmte Konzeption. Darin sind folgende Behandlungsgrundsätze verankert: Seite 3 von 7 STAATSMINISTERIUM DER JUSTIZ Freistaat SACHSENlw Menschenbild: Die Grundlage eines jeden Behandlungsmodells muss die Uberzeugung von der grundsätzlichen Veränderbarkeit des lndividuums sein. Dahinter steht ein ganzheitliches Menschenbild, das den Menschen in seinen Polaritäten wie etwa Zuneigung vs. Aggression, Kreativität vs. Destruktivität oder interpersoneller Bezogenheit vs. Abwendung sieht. Behandlungsklima: Die Gestaltung des vollzuglichen Alltags in diesen Bereichen soll sich von den ansonsten üblichen Rahmenbedingungen des Regelvollzugs deutlich wahrnehmbar und wirksam unterscheiden. Das betrifft insgesamt die Tagesabläufe auf der Station, aber auch den Umgang der Bediensteten mit den und das Herangehen an die Gefangenen. Adaptive lntervention: Der gesamte lnterventionsprozess wird nach dem lndividualisierungs - und lntensivierungsgebot konzipiert. Behandlerische Leitlinien: Aufgrund der schwerwiegenden statischen Risikofaktoren muss sich die Behandlung in erster Linie auf eine Stabilisierung und Regulierung auf struktureller Ebene konzentrieren, um dadurch einen nachhaltigen Einfluss auf die dynamischen Risikofaktorcn zu erreichen. Ziel ist die Verbesserung des seelischen Wohlbefindens der Gefangenen und der Abbau von Vorbehalten und Ängsten gegenüber dem Behandlungsteam. Damit ist zunächst die Grundlage für den effektiven Einsatz weiterer Maßnahmen zu schaffen. Ein weiteres wichtiges Ziel der Behandlung ist die Erarbeitung einer stabilen intrinsischen Therapie- und Veränderu ngsmotivation. Die darauf aufbauenden Behandlungsziele werden wie folgt kategorisiert: Aufbau und Verbesserung der Beziehungsfähigkeit, Entwicklung emotionaler und sozialer Kompetenzen, Entwicklung von Empathiefertigkeiten, Verbesserung der intellektuellen Leistungsfähigkeit, Lernen sozial erwünschter Möglichkeiten der Bedürfniserfüllung, soziomoralische Entwicklung. Seite 4 von 7 STAATSMINISTERIUIVI DER JUSTIZ Freistaat SACHSENw Der gesamte Behandlungsverlauf gliedert sich in drei Phasen: Orientierungs- und Diagnostikphase, lnterventionsphase und Übergangsphase. Die Übergänge der Behandlungsphasen sind fließend und richten sich nach den individuellen Behandlungserfordernissen der Gefangenen. ln einem Wochenplan wird individuell gemeinsam mit jedem Gefangenen die Woche strukturiert. Es werden alle behandlerischen und auch unspezifischen Maßnahmen wie Freizeitangebote vermerkt. Entsprechend der individuellen Behandlungsbedarfe und Festlegungen im Vollzugsplan erfolgt unter Berücksichtigung der Eignung des Gefangenen die Teilnahme an Einzel- und Gruppenmaßnahmen stationsspezifisch oder bereichsübergreifend . Das sind beispielsweise psychologische Einzelgespräche, sozialpädagogische und kunsttherapeutische Einzel- oder Gruppenangebote, Angebote der Suchtberatung oder Angebote durch externe Therapeuten, wie die tiergestützte lnterventionsmaßnahme . Strukturell wichtig für die Arbeit mit Gefangenen mit angeordneter oder vorbehaltener Sicherungsverwahrung ist ein fester Mitarbeiterstamm, da alle Bediensteten als Team in die Behandlung der Gefangenen involviert sind. Das Personal wird daher gezielt ausgewählt. Die Qualitätssicherung wird durch eine regelmäßige externe Supervision sowie begleitende Aus- und Fortbildung sichergestellt. Aufgrund eines gegenüber dem regulären Strafvollzug höheren Personalschlüssels können die Gefangenen intensiv betreut werden. Bei der therapeutischen Ausrichtung der Arbeit mit den Gefangenen wird nicht unterschieden zwischen angeordneter oder vorbehaltener Sicherungsverwahrung. Grundlegend für die Arbeit sind die individuellen Behandlungsbedarfe der einzelnen Personen. Die Arbeit der Abteilungen für Gefangene mit angeordneter und vorbehaltener Sicherungsverwahrung unterliegt fortlaufend der fachlichen Begleitung durch den Kriminologischen Dienst des Freistaates Sachsen. Zudem erfolgt jährlich eine bundesweite Evaluation durch die Kriminologische Zentralstelle e.V. Seite 5 von 7 STAATSMINISTERIUM DER JUSTIZ Freistaat SACHSENIt Frage 4: Wie hat sich die Zahl der im Freistaat Sachsen eine Freiheitsstrafe mit angeordneter oder vorbehaltener anschließender Sicherungsverwahrung verbüßenden Verurteilten seit der Einführung des $ 66c SIGB durch das Gesetz zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung vom 05.12.2012 (BGBI I, S. 2425) entwickelt (bitte getrennt ausgewiesen für die einzelnen Jahre) und in wie vielen Fällen konnte durch die Wirkung eines entsprechenden therapieorientierten vorhergehenden Strafvollzugs die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung generell vermieden, resp. deren Vollziehung noch während bzw. zum Ende des Strafvollzugs zur Bewährung ausgesetzt werden (bitte wiederum getrennt nach Jahresscheiben und unter Wiedergabe der JVA, in welcher der vorhergehende Strafvollzug realisiert wurde). Die Zahl der Gefangenen mit angeordneter oder vorbehaltener Sicherungsverwahrung hat sich wie folgt entwickelt: a a a a 2012., 201 3; 2014', 201 5: 2016: 2017: 201 8: 2014: 2015: 2016: 26 31 29 24 22 23 25 1 x JVA Bautzen 1 x JVA Bautzen 1 x JVA Dresden a a Die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung konnte durch Entlassung aus dem Strafvollzug in folgenden Fällen vermieden werden: a a a ln einem Fall wurde im Jahr 2015 der Vorbehalt der Sicherungsverwahrung für erledigt erklärt (JVA Dresden). Seite 6 von 7 STAATSMINISTERIUM DER JUSTIZ Freistaat SACHSENIt Frage 5: ln wie vielen Fällen wurde seit lnkrafüreten des I 66c SIGB die erfolgte Unterbringung in der Sicherungsverwahrung durch deren entsprechende Ausgestaltung dergestalt erfolgreich abgeschlossen, dass der weitere Vollzug der Sicherungsverwahrung zur Bewährung ausgesetzt oder für erledigt erklärt werden konnte und in welchen Einrichtungen waren die betreffenden Untergebrachten jeweils "einsitzend"? Seit lnkrafttreten des S 66c StGB konnte der weitere Vollzug der Sicherungsverwahrung bei in der Justizvollzugsanstalt Bautzen Untergebrachten in acht Fällen zur Bewährung ausgesetzt oder für erledigt erklärt werden. Mit freundlichen Grüßen Sebastian Gemkow Seite 7 von 7 2018-09-12T09:19:56+0200 GRP: Elektronisches Dokumentations- und Archivsystem Erstellung des Nachweisdokumentes