STAATSMINISTERIUM DES INNERN SÄCHSISCHES STAATSMINISTERIUM DES INNERN 01095 Dresden Präsidenten des Sächsischen Landtages Herrn Dr. Matthias Rößler Bernhard -von -Lindenau -Platz 1 01067 Dresden Kleine Anfrage der Abgeordneten Juliane Nagel (DIE LINKE) Drs.-Nr.: 6/14502 Thema: Versammlungsgeschehen am 27. August 2018 in Chemnitz Sehr geehrter Herr Präsident, den Fragen sind folgende Ausführungen vorangestellt: „Am 27. August 2018 fand in Chemnitz ein rechter Aufmarsch vermeintlich aus Anlass des gewaltsamen Todes eines Menschen statt. Dagegen formierte sich Protest. Während des Versammlungsverlaufes kam es zu Eskalationen vor allem aus der rechten Versammlung. Die Polizei räumte im Nachgang ein, dass man ,mit einigen Hundert Teilnehmern gerechnet und sich entsprechend vorbereitet [habe] , aber nicht mit einer solchen Teilnehmerzahl'." Namens und im Auftrag der Sächsischen Staatsregierung beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1: Wie viele Versammlungen wurden am 27. August 2018 in Chemnitz mit welcher Zahl von Teilnehmerinnen und Teilnehmern und welcher Routenführung angemeldet und durchgeführt? (bitte nach Veranstalterin, Datum der Anmeldung, Versammlungsort, angemeldeter und tatsächlicher Teilnehmerinnenzahl aufschlüsseln) Es wird auf die Anlage verwiesen. Frage 2: Welche Gefahrenprognose gab es auch angesichts der Eskalation bei einer Ansammlung von Neonazis und Hooligans am 26.8.2018 und der massiven Mobilisierung in sozialen Netzwerken für das Versammlungsgeschehen am 27.8.2018, welche Beauflagungen, Einsatz- und Kräfteplanungen wurden vor diesem Hintergrund vorgenommen und wie konnte es trotzdem zu einem medial eingeräumten „Personalmangel " auf Seiten der Polizei kommen? Auf Grund vorliegender dienstlicher Erkenntnisse wurde in der Lageeinschätzung von einer Teilnehmerzahl im unteren bis mittleren vierstelligen Bereich ausgegangen. Hintergrund bildeten flächendeckende, bundesweite Freistaat SACHSEN Der Staatsminister Aktenzeichen (bitte bei Antwort angeben) 3-1053/63/73 Dresden, 26. September 2018 Hausanschrift: Sächsisches Staatsministerium des Innern Wilhelm-Buck-Str. 2 01097 Dresden Telefon +49 351 564-0 Telefax +49 351 564-3199 www.smi.sachsen.de Verkehrsanbindung: Zu erreichen mit den Straßenbahnlinien 3, 6, 7, 8, 13 Besucherparkplätze: Bitte beim Empfang Wilhelm-Buck- Str. 2 oder 4 melden. STAATSMINISTERIUM DES INNERN Mobilisierungen und Anreisebekundungen verschiedener politischer Ausrichtungen. Weiterhin lagen Erkenntnisse hinsichtlich der Teilnahme von Gruppierungen aus der gewaltbereiten Fußballanhänger- und Kampfsportszene vor. In der Beurteilung der Lage war davon auszugehen, dass sich Gruppierungen aus dem Versammlungsgeschehen lösen und an anderen Orten Straf- und Gewalttaten begehen könnten. Gleiches galt für im Zu- und Ablauf zum Versammlungsgeschehen befindliches Personenpotenzial, das nach Konfrontations- und Tatgelegenheiten suchen würde . Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung als auch gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen den politischen Gegnern waren nicht auszuschließen. Für die Durchführung der Versammlung einer Einzelperson unter dem Motto „Sicherheit in Chemnitz" sowie der Versammlung der Partei DIE LINKE Chemnitz unter dem Motto „Nein zu Rassismus und Gewalt" hat die Versammlungsbehörde folgende Beschränkungen /Anordnungen verfügt: „1. Für die Durchführung einer öffentlichen Versammlung am 27.08.2018 in Chemnitz wird Folgendes angeordnet: 1.1 Der Versammlungsleiter und/oder sein Stellvertreter haben sich vor Beginn der Kundgebung für den Einsatzleiter der Polizei zu erkennen zu geben. Der Versammlungsleiter und/oder sein Stellvertreter haben während der gesamten Veranstaltungsdauer anwesend zu sein. Der Versammlungsleiter und/oder sein Stellvertreter haben für den ordnungsgemäßen Ablauf der Versammlung zu sorgen . Sie sind dafür verantwortlich, dass der festgelegte zeitliche und räumliche Verlauf eingehalten wird. Für die Einhaltung der Auflagen sind der Versammlungsleiter und/oder sein Stellvertreter verantwortlich. Kommt es zu Ausschreitungen einzelner unfriedlicher Teilnehmer und können diese Ausschreitungen durch Weisungen des Versammlungsleiters /Stellvertreters oder der Ordner nicht unterbunden werden, so haben der Versammlungsleiter/Stellvertreter bzw. die Ordner unverzüglich die Polizei zu informieren. Sie haben darauf hinzuwirken, dass unfriedliche Teilnehmer isoliert werden. 1.2 Der Versammlungsleiter und/oder sein Stellvertreter haben dafür zu sorgen, dass alle genehmigten Ordner während der Dauer der Versammlung ständig anwesend sind. Die Ordner sind mit einer weißen Armbinde mit der Aufschrift „Ordner" kenntlich zu machen. Die Ordner müssen volljährig (Vollendung des 18. Lebensjahres) und im Besitz eines gültigen Personalausweises sein. Dieser ist auf Verlangen der Polizei oder Versammlungsbehörde vorzuweisen. 1.3 Glasflaschen bzw. Glasbehälter, gleich welchen Inhalts, dürfen während der gesamten Kundgebung nicht mitgeführt werden. Freistaat SAC1-I SEN Seite 2 von 6 STAATSMINISTERIUM DES INNERN 1.4 Der Konsum von alkoholischen Getränken und der Konsum von Drogen und Rauschmitteln während der Versammlung werden untersagt. 1.5 Das Mitführen von Hunden während der Versammlung ist untersagt. Dies gilt nicht für ausgebildete Behindertenbegleithunde, deren notwendiger Einsatz nachweisbar sein muss. 1.6 Es ist untersagt, an der Versammlung in einer Aufmachung teilzunehmen, die geeignet oder darauf gerichtet ist, die Feststellung der Identität zu verhindern. 1.7 Transparente dürfen nicht so aufgespannt oder mitgeführt werden, dass sie als Sichtschutz für die Versammlungsteilnehmer dienen können, d. h. dass durch sie die Gesichtsbereiche des Trägers und der hinter dem Transparent befindlichen Personen verdeckt werden. Front- und Seitentransparente dürfen eine Länge / Breite von maximal 5 Metern nicht überschreiten und dürfen zur Sicherung von polizeilichen Maßnahmen weder ineinander noch zum Fronttransparent oder anderen frontal zur Laufrichtung mitgeführten Transparenten verseilt oder verknotet werden und damit zur Abwehr polizeilicher Maßnahmen zweckentfremdet werden. Zwischen den Transparenten (Front- und Seitentransparente) ist ein Abstand von einem Meter einzuhalten. Hochtransparente, Schilder und Fahnen sind über Kopf zu tragen. 1.8 Die Lautstärke der mitgeführten Beschallungsmittel ist so einzustellen, dass ein dauerhafter Lärmpegel von 85 db(A) im Abstand von 5 Metern zur Versammlung nicht überschritten wird. 1.9 Kommt es zu Verstößen gegen versammlungsrechtliche oder sonstige strafrechtliche Bestimmungen oder zu Ausschreitungen einzelner unfriedlicher Teilnehmer und können diese Verstöße bzw. Ausschreitungen durch Weisungen des Versammlungsleiters /Stellvertreters oder der Ordner nicht unterbunden werden, so hat der Versammlungsleiter/Stellvertreters bzw. die Ordner unverzüglich die Polizei zu informieren. Sie haben darauf hinzuwirken, dass unfriedliche Teilnehmer isoliert werden. 1.10 Den Weisungen der Polizei ist Folge zu leisten. Fahrzeugen der Feuerwehr und des Rettungsdienstes ist die An- oder Durchfahrt über die gesamte Veranstaltungsdauer zu gewährleisten. 1.11 Der Veranstalter ist für die Einhaltung von Ordnung und Sauberkeit auf der genutzten Fläche verantwortlich. 1.12 Der Versammlungsleiter und/oder sein Stellvertreter haben den Teilnehmern den Schluss der Versammlung bekannt zu geben. 1.13 Die nachträgliche Anordnung weiterer Auflagen durch die Versammlungsbehörde oder Polizei bleibt vorbehalten. 2. Die sofortige Vollziehung von Ziffer II. 1.1- 1.12 des Bescheides wird angeordnet ." Freistaat SACHSEN Seite 3 von 6 STAATSM1N1STER1UM DES INNERN Mit den Versammlungsanzeigen lag die Teilnehmerzahl bei 1.500 Personen. Ausgehend von den Ereignissen und Teilnehmerzahlen am 26. August 2018 sowie der bundesweiten Mobilisierung für die Versammlungen am 27. August 2018 wurde diese Zahl für die Vorbereitung der Einsatzmaßnahmen auf 3.000 Teilnehmer verdoppelt. Tatsächlich folgten den Versammlungsaufrufen der verschiedenen Bündnisse und Gruppen am 27. August 2018 ca. 7.500 Personen. Frage 3: Wie viele Polizeibeamt*Innen (bitte nach Einheiten und Dienststellen aufschlüsseln sowie auch Anzahl der eingesetzten Spezialeinsatzkräfte und zivilen Beamtinnen angeben) und technische Einsatzmittel (Wasserwerfer, Hubschrauber etc.) waren im Zusammenhang mit dem Veranstaltungsgeschehen im Einsatz und entsprach insbesondere der Kräfteansatz den Anforderungen aus 2.? Am Einsatztag, 27. August 2018, waren aus Anlass des Versammlungsgeschehens insgesamt folgende Polizeikräfte im Einsatz: Dienststelle und Organisationseinheit (inkl. Spezialkräfte) Anzahl Polizeibedienstete , einschl. Tarifbeschäftigte (teilweise gerundet) Polizeidirektion (PD) Chemnitz 125 Präsidium der Bereitschaftspolizei Sachsen 450 PD Dresden 1 PD Görlitz 4 PD Leipzig 1 Staatsministerium des Innern 6 Bund/Bundesland Anzahl Polizeibedienstete Bundespolizei 1 Brandenburg 1 Thüringen 2 Es wurden zwei Wasserwerfer und zwei Polizeihubschrauber eingesetzt. Angaben zur Anzahl der eingesetzten Polizeibediensteten in ziviler Kleidung sind nicht automatisiert recherchierbar. Um dem Fragerecht der Fragestellerin Rechnung zu tragen wurde versucht, sich der Fragestellung inhaltlich weitestgehend anzunähern, indem für die Beantwortung der Frage nach der „Anzahl ziviler Beamtinnen" die Einsatzabschnitte Berücksichtigung fanden, in denen Einsatzkräfte üblicherweise in ziviler Bekleidung zum Einsatz kommen. Ohne die Anzahl der eingesetzten Tarifbeschäftigten waren mindestens etwa 80 Polizeibedienstete in ziviler Kleidung im Einsatz. Die geplante und tatsächlich eingesetzte Anzahl von Einsatzkräften begründete sich auf der im Vorfeld des Polizeieinsatzes durchgeführten Beurteilung der Lage. Freistaat SACHSEN Seite 4 von 6 STAATSMINISTERIUM DES INNERN Frage 4: Gegen wie viele Personen wurde während des und nach dem Versammlungsgeschehen aus welchen wesentlichen Gründen Strafverfahren oder Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet? (bitte nach Tatvorwurf, Tatort, Deliktsgruppe, politische Einordnung und Zusammenhang zu angemeldeten Versammlungen aufschlüsseln ) und warum führten die aus der rechten Versammlung heraus begangenen Straftaten (Wurfgeschosse und Verstöße gegen das Sprengstoffgesetz) nicht zum Abbruch jener Versammlung? Sämtliche politisch motivierte Straftaten im Zusammenhang mit den demonstrativen Ereignissen Ende August/Anfang September 2018 in Chemnitz werden in einer Gemeinsamen Ermittlungsgruppe (GEG C-entrum) des Landeskriminalamtes Sachsen und der PD Chemnitz bearbeitet. Mit Stand vom 17. September 2018 hat die „GEG C-entrum" insgesamt 166 Verfahren in Bearbeitung, von denen allein 68 Fälle im Zusammenhang mit den Ereignissen am 27. August 2018 stehen. Insoweit kann festgestellt werden, dass es am Anfang der Ereignisse einen sehr schnellen Anstieg der Straftaten gab, der am 27. August 2018 seinen vorläufigen Höhepunkt hatte; in den Folgetagen ging das Straftatenaufkommen deutlich zurück. Bei den Delikten handelt es sich hauptsächlich um Körperverletzungen , Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Verstöße gegen das Versammlungsgesetz. Es wird darauf hingewiesen, dass die strafrechtlich relevanten Vorgänge derzeit Gegenstand der Ermittlungen sind. Diese Ermittlungen sind — abgesehen von einigen wenigen Einzelfällen — noch nicht abgeschlossen, so dass zu vielen Einzelfragen abschließende Antworten zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht möglich sind und die Angaben aufgrund der laufenden Bearbeitung Änderungen unterliegen. Gemäß § 15 Abs. 3 Nr. 2 Sächsisches Versammlungsgesetz (SächsVersG) kann eine Auflösung einer Versammlung nur erfolgen, wenn die Voraussetzungen für ein Verbot nach § 15 Abs. 1 oder Abs. 2 SächsVersG vorliegen und kein milderes, gleich geeignetes Mittel zur Beseitigung der unmittelbaren Gefährdung vorliegt. Da die Störung nur von einzelnen Versammlungsteilnehmern ausging, kam es nach Einschätzung der einsatzführenden Dienststelle am Einsatztag nicht zur Feststellung eines unfriedlichen Verlaufs, der den Abbruch der Versammlung insgesamt gerechtfertigt hätte. Frage 5: In welchem Umfang haben an der Demonstration Personen teilgenommen, die welchen Bestrebungen der extremen Rechten und welchen Hooligangruppierungen angehören und als Fans der „Kategorie B oder C" bekannt sind? (bitte Namen der Zusammenschlüsse bzw. Fangruppierungen angeben) Bezüglich der Verwendung des Begriffes „extreme Rechte" wird auf die Vorbemerkung Nummer I. der Antwort der Staatsregierung auf die Große Anfrage Drs.-Nr. 5/4956 verwiesen. An der Demonstration am 27. August 2018 beteiligten sich nach gegenwärtigem Kenntnisstand auch Vertreter der parteiungebundenen sowie der parteigebundenen rechtsextremistischen Szene, darunter Mitglieder und Anhänger der Partei „Der Dritte Freistaat SACHSEN Seite 5 von 6 STAATSM1N1STER1UM DES INNERN Weg", der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands, der Jungen Nationalen, der Partei „Die Rechte", einzelne Neonationalsozialisten sowie Angehörige der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene. Abschließende Angaben sind auf Grund der noch laufenden Erkenntnisgewinnung und -auswertung derzeit nicht möglich. Bei der Versammlung konnten vermeintliche Fans der Fußballvereine Energie Cottbus, Rot Weiß Erfurt, LOK Leipzig, FC Wismut Aue und Chemnitzer FC festgestellt werden. Zur konkreten Anzahl und Kategorisierung liegen keine Erkenntnisse vor. MiYfreAndlichen Grüßen z Hof. R`olani1-171/811er Anlage Freistaat SACHSEN Seite 6 von 6 Anlage zu Drs.-Nr. 6/14502 Datum der Versammlungsanzeige Veranstalter Versammlungsort bzw. Aufzugsstrecke Anzahl Teilnehmer angezeigt tatsächlich 26.08.2018 Einzelanmelder _ Chemnitz Karl -Marx -Monument — Brückenstraße — Theaterstraße — Bahnhofstraße — Brückenstraße 1.000 ca. 6.000 27.08.2018 DIE LINKE Chemnitz Stadthallenpark 500 ca. 1.500 2018-09-26T12:27:50+0200 GRP: Elektronisches Dokumentations- und Archivsystem Erstellung des Nachweisdokumentes