STAATSM1N1STER1UM DES INNERN SÄCHSISCHES STAATSMINISTERIUM DES INNERN 01095 Dresden Präsidenten des Sächsischen Landtages Herrn Dr. Matthias Rößler Bernhard -von -Lindenau -Platz 1 01067 Dresden Kleine Anfrage des Abgeordneten Enrico Stange (DIE LINKE) Drs.-Nr.: 6/14710 Thema: Hetzjagd, Mob und Pogrom — Lagefilm der Polizei Sehr geehrter Herr Präsident, den Fragen sind folgende Ausführungen vorangestellt: „In der Regierungserklärung des Sächsischen Ministerpräsidenten am 05.09.2018 äußerte Ministerpräsident Michale Kretschmer bezüglich der Vorkommnisse in Chemnitz: ,Es gab keinen Mob, es gab keine Hetzjagd, es gab keine Pogrome' (Quelle: https://vvww.zeit.de/politik/deutschland/2018-09/reqierunqserklaerungchemnitz -sachsen-michael-kretschmer, zuletzt aufgerufen am 12.09.2018) In der ‚Frankfurter Allgemeinen' vom 09.09.2018 ist zu lesen: ,In Chemnitz haben am 1. September mehrere Rechtsradikale eine Gruppe sozialdemokratischer Demonstranten gehetzt und geschlagen. [...] Die Opfer gehörten zu einer Gruppe von etwas mehr als 30 Sozialdemokraten aus Marburg. Nach Angaben von drei Zeugen, mit denen die F.A.S. sprach, ereignete sich der Angriff, als diese Frauen und Männer nach der Demonstration auf dem Weg zu ihrem Bus waren. Die Angreifer seien im Laufschritt herangestürmt, mehrere Gruppenmitglieder seien geflohen. Die Angreifer hätten ihnen mit dem Ruf ‚Deutschland- Verräter!' nachgesetzt. [...] Sachsens Ministerpräsident Michale Kretschmer (CDU) bestätigte der F.A.S., dass er über diesen Vorfall informiert war, als er am 5. September in einer Regierungserklärung bestritt , dass es in Chemnitz ‚Hetzjagden' oder einen ‚Mob' gegeben habe .' (Quelle: http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/chemnitzsozialdemokraten -von-rechtsradikalen-qehetzt-worden-15778213.html, zuletzt aufgerufen am 12.09.2018) Auf der Internetseite des ZDF ist zu lesen: ,Die Polizei in Chemnitz hatte es am Montag, dem 27. August 2018, mit einer intensiven Bedrohungslage zu tun. Das geht aus einem sogenannten internen Lagefilm der Polizei hervor, den Frontal 21 einsehen und auswerten konnte. [...] Der Einsatzbericht konterkariert Aussagen des sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer, CDU. Er hatte im sächsischen Landtag zu Chemnitz gesagt, es gab keinen Mob, keine Hetzjagd und keine Pogrome`. Der Polizeibericht spricht von ‚Vermummten', die sich ,mit Freistaat SAC1-1 SEN Der Staatsminister Aktenzeichen (bitte bei Antwort angeben) 3-1053/65/52 Dresden,11. Oktober 2018 Hausanschrift: Sächsisches Staatsministerium des Innern Wilhelm-Buck-Str. 2 01097 Dresden Telefon +49 351 564-0 Telefax +49 351 564-3199 www.smi.sachsen.de Verkehrsanbindung: Zu erreichen mit den Straßenbahnlinien 3, 6, 7, 8, 13 Besucherparkptätze: Bitte beim Empfang Wilhelm-Buck- Str. 2 oder 4 melden. STAATSMINISTERIUM DES INNERN Steinen bewaffnen' und die ,Ausländer suchen' und ein jüdisches Restaurant überfallen. [...] Um 21.42 Uhr heißt es in dem Bericht: ,100 vermummte Personen (rechts) suchen Ausländer.'" (Quelle: https://wwvv.zdf.de/politik/frontal- 21/pressemitteilung-interner-polizeibericht-chemnitz-100.html, zuletzt aufgerufen am 12.09.2018)" Namens und im Auftrag der Sächsischen Staatsregierung beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1: Wie definiert die Sächsische Staatsregierung die Begriffe Mob, Hetzjagd, Pogrom ? In einer freiheitlichen, pluralistischen Gesellschaft ist es nicht Aufgabe einer Regierung Worte zu definieren. Sie sind in ihrer historischen Entwicklung, Kontextualisierung und im jeweiligen Diskurs einzuordnen und mit Ausnahme juristisch strafbewehrter Formulierungen ist deren Bedeutung in einem exekutiven Kollegialorgan nicht einheitlich festlegbar . Frage 2: Wann und in welcher Form erhielten der Sächsische Ministerpräsident und der Sächsische Staatsminister des Innern Kenntnis von der Bedrohung und Verfolgung sozialdemokratischer Demonstranten (Vorfall geschildert in der Vorbemerkung )? Der Vorfall wurde relativ zeitnah nach dem Ereignis in den Sozialen Medien verbreitet und hierdurch sowohl dem Sächsischen Ministerpräsidenten als auch dem Sächsischen Staatsminister des Innern bekannt. Frage 3: Wann und in welcher Form erhielten der Sächsische Ministerpräsident und der Sächsische Staatsminister des Innern Kenntnis von dem „internen Lagefilm" der Polizei über die Einsatzlage und die Vorkommnisse am 27. August 2018 in Chemnitz? Frage 5: Wann und in welcher Form wurden der Sächsische Staatsminister des Innern und der Landespolizeipräsident sowie das Lagezentrum des SMI über die im „internen Lagefilm" aufgeführten Sachverhalte, Übergriffe und Straftaten informiert? Zusammenfassende Antwort auf die Fragen 3 und 5: Es ist weder vorgesehen noch erfolgte die Vorlage des Lagefilms an den Sächsischen Ministerpräsidenten bzw. den Staatsminister des Innern. Das Lagezentrum des Staatsministeriums des Innern (SMI) informierte mit der täglich erstellten zusammenfassenden Lageinformation über relevante Vorkommnisse im Freistaat Sachsen am 28. August 2018, um 06:22 Uhr die Sächsische Staatskanzlei, den Staatsminister des Innern und den Landespolizeipräsidenten u. a. über die Versamm- Freistaat SACHSEN Seite 2 von 3 STAATSMINISTERIUM DES INNERN lungslage am 27. August 2018 in Chemnitz, welche jedoch keine Verweise auf Einzelsachverhalte der Einsatzdokumentation der Polizeidirektion Chemnitz enthielt. Bezüglich der Information des Lagezentrums des SMI wird auf die zusammenfassende Antwort der Staatsregierung auf die Fragen 1 bis 5 der Kleinen Anfrage Drs.-Nr. 6/14676 verwiesen. Der Landespolizeipräsident erhielt den Lagefilm auf Anforderung am 11. September 2018 um 19:00 Uhr elektronisch übersandt. Frage 4: Auf welche Erkenntnisse stütze der Sächsische Ministerpräsident seine Einschätzung während der Regierungserklärung, es habe in Chemnitz keinen Mob, keine Hetzjagd und keine Pogrome gegeben? Der Ministerpräsident hat in seiner Regierungserklärung Beispiele für konkrete Übergriffe und Ausschreitungen benannt und diese nachdrücklich verurteilt: „So sehr klar ist und es keinen Zweifel daran geben kann, dass dieses Tötungsdelikt durch nichts zu entschuldigen ist, ist auch klar, dass das, was danach passiert ist - Angriffe auf Journalisten , auf Menschen, die als Ausländer erkennbar oder als solche vermutet werden - nicht akzeptiert, von uns mit der gleichen Intensität verfolgt wird und die Leute zur Rechenschaft gezogen werden. Das gilt gerade auch für diejenigen, die mit Hass, Propaganda und dem Hitlergruß durch Chemnitz gezogen sind." Damit hat er diejenigen klar benannt und adressiert, die durch unanständiges, menschenfeindliches, gewalttätiges Verhalten den Boden des Miteinanders verlassen haben. Es sind gleichzeitig diejenigen davon abgegrenzt, die wegen Trauer, Protest und Sorge mit auf die Straßen gegangen sind und die sich durch eine rhetorische Verallgemeinerung durch das Wort Mob falsch angesprochen fühlen dürften. Denn in den folgenden Absätzen der Regierungserklärung wurde Bezug darauf genommen, dass vereinzelte Beschreibungen über die Ereignisse in Chemnitz mit der Wahrnehmung vor Ort nicht übereinstimmen und nicht dazu beitragen, den demokratischen Dialog zur Aufarbeitung und den Zusammenhalt in der Gesellschaft zu befördern. Die Freie Presse schrieb unter der Überschrift : „Darum sprechen wir nicht von Hetzjagd.", dass es schlimm genug war und keiner Dramatisierung bedarf. In gleichem Sinne wurde auch der Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft zitiert. Das Wort Pogrom wird zuallererst mit dem konzertierten gewaltigen Verbrechen an der Menschlichkeit durch Nationalsozialisten im gesamten Land verbunden. Es auf Chemnitz anzuwenden ist unverhältnismäßig und relativiert die Gräueltaten, die vor genau 80 Jahren stattfanden. Im Übrigen wird auf Antwort auf die Frage 1 verwiesen. Mit freundlichen Grüßen in Vertretung Dr. Matthias Haß Freistaat SACHSEN Seite 3 von 3 2018-10-11T10:32:55+0200 GRP: Elektronisches Dokumentations- und Archivsystem Erstellung des Nachweisdokumentes