STAATSMlNlSTERlUM FÜR SOZlALES UND VERBRAUCHERSCHUTZ SÄCHSISCHES STAATSMINISTERIUM FÜR SOZIALES UND VERBRAUCHERSCHUTZ Albertstraße 10 101097 Dresden Präsidenten des Sächsischen Landtages Herrn Dr. Matthias Rößler Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 01067 Dresden Kleine Anfrage der Abgeordneten Janina Pfau (DIE LINKE) Drs.- Nr.: 6/14740 Thema: Mobbing an Kindern und Jugendlichen 2012 bis 2017 Sehr geehrter Herr Präsident, namens und im Auftrag der Sächsischen Staatsregierung beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Vorbemerkung: Was unter Mobbing zu verstehen ist, ist nicht eindeutig gesetzlich definiert. Allgemein versteht man unter Mobbing, dass jemand über einen längeren Zeitraum hinweg in sozialen Gemeinschaften (Schule, Arbeitsplatz) systematisch schikaniert, drangsaliert, benachteiligt und ausgegrenzt wird, wobei damit neben psychischer Gewalt (Drangsalieren) auch physische Gewalt (Schlagen, Treten etc.) verbunden sein kann. Frage 1: Wie viele Fälle von Mobbing an Kindern und Jugendliche wurden in den Jahren 2012-2017 gemeldet? (Bitte die Anzahl der Fälle nach Alter, Geschlecht, Jahren sowie Landkreisen und kreisfreien Städten aufführen) Mobbing findet in verschiedenen Kontexten statt. Von diesen Kontexten ist es abhängig, ob ein Sachverhalt überhaupt als „Mobbing" registriert und was genau erfasst wird. Amtliche Statistiken, die Mobbing gesondert ausweisen, existieren nicht. 1. Für den Bereich der Kinder- und Jugendhilfe gilt: Gemäß Artikel 50 der Verfassung des Freistaates Sachsen (SächsVerf) ist die Staatsregierung verpflichtet, über ihre Tätigkeit den Landtag insoweit zu informieren , als dies zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich ist. Dieser Informationspflicht entspricht das Frage- und Auskunftsrecht der Abgeordneten gegenüber der Staatsregierung nach Artikel 51 SächsVerf. Die Staatsregierung ist dem Landtag und den Abgeordneten nur für ihre Amtsführung im Sinne einer Rechenschafts- und Einstandspflicht für eigenes Handeln verantwortlich . Sie ist daher nur in solchen Angelegenheiten zur Auskunft verpflichtet, die Freistaat SACHSEN Die Staatsministerin Durchwahl Telefon +49 351 564-5601 Telefax +49 351 564-5791 Ihr Zeichen Ihre Nachricht vom Aktenzeichen (bitte bei Antwort angeben) 42-0142.51-18/829 Dresden, 15. Oktober 2018 Hausanschrift: Sächsisches Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz Albertstraße 1 O 01097 Dresden www.sms.sachsen.de STAATSM1N1STER1UM FÜR SOZlALES UND VERBRAUCHERSCHUTZ Freistaat in ihre Zuständigkeit fallen und muss nicht auf Fragen eingehen, die Vorgänge oder Umstände außerhalb ihres Verantwortungsbereichs betreffen (vgl. SachsAnh VerfG, Urteil vom 17. Januar 2000, NVwZ 2000, 671 ). Letzteres ist vorliegend der Fall, denn die Landkreise und kreisfreien Städte als Träger der öffentlichen Jugendhilfe erledigen die ihnen nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) zugewiesenen Aufgaben in kommunaler Selbstverwaltung. Jugendhilfe hat das Ziel, junge Menschen in ihrer Entwicklung zu eigenständigen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten zu fördern. Hierfür stehen vielfältige Angebote zur Verfügung, die durch eine Vielzahl von Inhalten, Methoden und Arbeitsformen gekennzeichnet sind. Wie das Thema „Mobbing" von den Trägern der Jugendhilfe aufbereitet wird, obliegt dabei kommunaler Selbstverwaltung. 2. Für den Bereich der Strafverfolgung gilt: Einen eigenen Straftatbestand „Mobbing" gibt es nicht. Mobbing kann sich zum Beispiel in Delikten wie Bedrohung (§ 241 StGB), Beleidigung (§ 185 StGB), üble Nachrede(§ 186 StGB), Verleumdung(§ 187 StGB) oder Körperverletzung (§ 223 StGB) äußern. Eine Auswertung solcher zur Anzeige gebrachten Straftaten danach, ob den Taten Mobbing -Motive zugrunde lagen und wo die Tat verübt wurde, würde einen unverhältnismäßigen Aufwand für die sächsische Polizei bedeuten, die ihre Funktionsfähigkeit erheblich einschränken würde. Gemäß Artikel 51 Absatz 1 Satz 1 der Verfassung des Freistaates Sachsen ist die Staatsregierung verpflichtet, Fragen einzelner Abgeordneter oder parlamentarische Anfragen nach bestem Wissen unverzüglich und vollständig zu beantworten. Nach dem Grundsatz der Verfassungsorgantreue ist jedes Verfassungsorgan verpflichtet, bei der Ausübung seiner Befugnisse den Funktionsbereich zu respektieren, den die hierdurch mitbetroffenen Verfassungsorgane in eigener Verantwortung wahrzunehmen haben. Dieser Grundsatz gilt zwischen der Staatsregierung und dem Parlament sowie seinen einzelnen Abgeordneten , so dass das parlamentarische Fragerecht durch die Pflicht des Abgeordneten zur Rücksichtnahme auf die Funktions- und Arbeitsfähigkeit der Staatsregierung begrenzt wird. Die Staatsregierung muss nur das mitteilen, was innerhalb der Antwortfrist mit zumutbarem Aufwand in Erfahrung gebracht werden kann (vgl. SächsVerfGH, Urteil vom 16. April 1998, Vf. 14-1-97). Im vorliegenden Fall wäre durch eine vollständige Beantwortung die Arbeits- und Funktionsfähigkeit der Staatsregierung gefährdet, weil sie ohne erhebliche Einschränkung der Funktionsfähigkeit der sächsischen Polizei nicht zu leisten ist. Für die oben genannten Delikte besteht eine Aussonderungs- und Löschfrist von 24 Monaten , so dass valide Angaben lediglich für 2017 zur Verfügung stehen. Im Polizeilichen Auskunftssystem Sachsen (PASS) sind für das Jahr 2017 insgesamt 4 570 Straftaten mit Opfern unter 18 Jahren im Sinne der vorgenannten Delikte erfasst. Diese Vorgänge Seite 2 von 5 SACHSEN STAATSMlNlSTERlUM FÜR SOZIALES UND VERBRAUCHERSCHUTZ müssten einer Einzelfallprüfung unterzogen werden, ob die Motive, die der Tatzugrundeliegen , dem Phänomen Mobbing zuzurechnen sein könnten, und wenn ja, an welchem Ort die Tat geschehen ist. Wenn man einen Zeitansatz von 30 Minuten für die Auswertung eines Ermittlungsverfahrens ansetzt, wären dies weit über 2 000 Stunden für die Auswertung aller Ermittlungsverfahren . Bei einer 40-Stunden-Woche wäre ein Sachbearbeiter über 57 Wochen mit dieser Auswertung befasst. Dieses Personal stünde dann für Kernaufgaben des Polizeivollzugsdienstes nicht bzw. nur sehr eingeschränkt zur Verfügung. Die Staatsregierung ist daher bei der vorzunehmenden Abwägung zwischen dem parlamentarischen Fragerecht einerseits und der Gewährleistung der Funktionsfähigkeit der Staatsregierung sowie der ihr zugeordneten Polizeibehörden andererseits zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Beantwortung der Frage auch unter Berücksichtigung des hohen Rangs des parlamentarischen Fragerechts unverhältnismäßig und ohne erhebliche Einschränkung der Funktionsfähigkeit der sächsischen Polizei nicht zu leisten ist. 3. Für den Bereich des Schulwesens gilt: Das Sächsische Staatsministerium für Kultus führt keine Erhebung zu Mobbing-Fällen an Kindern und Jugendlichen durch. Die im Tätigkeitsbericht der Schulpsychologen des Landesamtes für Schule und Bildung aufgeführten Mobbingfälle stellen lediglich eine nicht repräsentative Teilmenge dar, in denen ein Schulpsychologe oder eine Schulpsychologin hinzugezogen worden ist. Frage 2: Wie hat sich die Zahl der Gerichtsverfahren wegen Mobbing an Kindern im oben genannten Zeitraum entwickelt? (Bitte nach Jahren und Straftatbeständen getrennt aufführen) Es wird nach Gerichtsverfahren gefragt, die die typischerweise in diesem Kontext verübten Straftatbestände der Körperverletzung (§ 223 StGB), der gefährlichen Körperverletzung (§ 224 StGB), der Nachstellung (§ 238 StGB), der Beleidigung (§ 185 StGB) und des Diebstahls (§ 242 StGB) zum Gegenstand haben und bei welchen Kinder und/oder Jugendliche Geschädigte der Tat waren. Ausgehend davon wird von einer Beantwortung der Frage wegen des hierfür erforderlichen unverhältnismäßigen Aufwandes abgesehen. Eine aussagekräftige statistische Erfassung im Sinne der so ausgelegten Fragestellung findet nicht statt, da das Alter der Geschädigten in einem Strafverfahren nicht zwingend in den Datenbanken zu erfassen ist. Die vollständige Beantwortung der Frage wäre daher nur möglich, wenn man sämtliche Akten bei sächsischen Staatsanwaltschaften und Gerichten, deren Tatvorwurf einen oder mehrere der oben genannten Straftatbestände erfasst, händisch auswerten würde. Dies wäre nur mit einem unverhältnismäßigen Aufwand möglich, der ohne den Verlust der Funktionsfähigkeit der Staatsanwaltschaften und Gerichte in der für die Beantwor- Seite 3 von 5 Freistaat SACHSEN STAATSMlNlSTERlUM FÜR SOZIALES UND VERBRAUCHERSCHUTZ tung der Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Frist nicht zu leisten wäre. Allein wegen das Tatvorwurfs der Körperverletzung gemäߧ 223 StGB wurden im abgefragten Zeitraum im Freistaat Sachsen insgesamt 12. 562 Personen verurteilt. Es wären umfangreiche und zeitaufwendige Recherchen in den Aktenbeständen der sächsischen Staatsanwaltschaften erforderlich. Dabei ist der Zeitaufwand für das Ziehen der Akten aus den Geschäftsstellen und staatsanwaltschaftlichen Archiven, der Aufwand zur Beiziehung versendeter Akten, das Auswerten der Akten und die schriftliche Dokumentation des gefundenen Ergebnisses zu berücksichtigen. Für die entsprechende Auswertung der Akten ist daher von einem Arbeitsaufwand von durchschnittlich mindestens 30 Minuten je Akte auszugehen. Dies zugrunde gelegt, wird der für die händische Auswertung der Akten zu insgesamt 12.562 Personen anfallende zeitliche Aufwand auf mindestens 785 Arbeitstage für einen Mitarbeiter geschätzt. Auch unter Berücksichtigung des hohen Rangs des parlamentarischen Fragerechts erscheint der zur vollständigen Beantwortung der Fragen erforderliche Aufwand nicht mehr verhältnismäßig und zumutbar. Eine weitergehende Beantwortung würde in erheblichem Umfang eine größere Anzahl von Bediensteten in sächsischen Staatsanwaltschaften, die für laufende Arbeiten nicht mehr zur Verfügung stünden, binden. Die Staatsregierung kam bei der Abwägung zwischen dem parlamentarischen Fragerecht einerseits und der Sicherung der Funktionsfähigkeit der Staatsregierung und der ihr nachgeordneten Behörden andererseits daher zu dem Ergebnis, dass eine weitergehende Beantwortung der Fragen unverhältnismäßig und ohne erhebliche Einschränkung der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege nicht zu leisten ist. Frage 3: Welche Ursachen von Mobbing an Kindern und Jugendlichen sind der Staatsregierung im oben genannten Zeitraum bekannt geworden? (Bitte die Anzahl der Fälle nach Alter, Geschlecht und Jahren aufführen) Mobbing ist ein Phänomen, das vielfältige Ursachen hat. Jeder Einzelfall liegt anders. Auch ist nicht in jedem Fall eine einzelne Ursache allein maßgebend. Es kommt nicht nur auf den sozialen Kontext an, in dem Mobbing stattfindet, sondern auch auf die konkreten persönlichen Verhältnisse und die konkreten Lebensumstände sowohl der Opfer als auch derjenigen, die mobben. Faktoren können deshalb zum Beispiel sein: Streben nach Macht und Dominanz (auf Täterseite), Hilflosigkeit (auf Opferseite), Selbstwertinstabilität, mangelnde Fähigkeiten zur Konfliktlösung sowie die soziale Stimmung im Wohnumfeld. Frage 4: Welche Erkenntnisse über die Orte, an denen es zu Mobbing an Kindern und Jugendlichen kam, liegen der Staatsregierung vor? (Bitte nach Jahren getrennt aufführen) Es wird auf die Antworten zu den Fragen 1 bis 3 verwiesen. Seite 4 von 5 Freistaat SACHSEN STAATSM1N1STER1UM FÜR SOZlALES UND VERBRAUCHERSCHUTZ Frage 5: Welche Anlaufstellen gibt es in Sachsen für Opfer von Mobbing? (Bitte Art und Umfang der Unterstützung nach Projekten getrennt angeben) Die Jugendämter und die Träger der freien Jugendhilfe stellen für Kinder und Jugendliche und deren Erziehungsberechtigte zahlreiche Hilfsangebote zur Verfügung, die durch eine Vielfalt von Inhalten, Methoden und Arbeitsformen gekennzeichnet sind. Sie orientieren sich am Bedarf. So vielfältig, wie die Ursachen und Erscheinungsformen von Mobbing sind und so unterschiedlich der Kontext ist, in dem Mobbing stattfindet, so vielfältig sind die Hilfsangebote. Anlaufstellen können daher beispielsweise sein: Familien- und Lebensberatungsstellen, Erziehungsberatungsstellen, Schulsozialarbeiter, Streetworker oder Kinder- und Jugendtelefone. In der Schule sind grundsätzlich Schul- und Klassenleitungen und die Schulsozialarbeiter erste Ansprechpartner. Bei Bedarf 'können die Schulen die Unterstützung weiterer Stellen erbeten, zum Beispiel von: · Schulpsychologen, Regionalbegleitern Schulmediation, Demokratiepädagogen, Multiplikatoren für das Projekt „Mobbingfreie Schulen", Präventionsbeauftragten oder externen Beratungsstellen wie der Opferhilfe „Sachsen eV'. Soweit Mobbing sich in strafbaren Delikten äußert, sind die Strafverfolgungsbehörden, also Polizei und Staatsanwaltschaften, für entsprechende Strafanzeigen und die Entgegennahme von Strafanträgen zuständig. Mit freundlichen Grüßen '3 bp1t: Barbara Klepsch Seite 5 von 5 Freistaat SACHSEN 2018-10-15T13:48:03+0200 GRP: Elektronisches Dokumentations- und Archivsystem Erstellung des Nachweisdokumentes