STAATSM1N1STER1UM FÜR SOZlALES UND VERBRAUCHERSCHUTZ SÄCHSISCHES STAATSMINISTERIUM FÜR SOZIALES UND VERBRAUCHERSCHUTZ Albertstraße 1 O 1 01097 Dresden Präsidenten des Sächsischen Landtages Herrn Dr. Matthias Rößler Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 01067 Dresden Kleine Anfrage des Abgeordneten Rene Jalaß (DIE LINKE) Drs.-Nr.: 6/15054 Thema: Einstellung der Sächsischen Landesärztekammer zur medizinischen Verwendung von Cannabis Sehr geehrter Herr Präsident, den Fragen sind folgende Ausführungen vorangestellt: ,,Der Präsident der Sächsischen Landesärztekammer (SLÄK) hatte sich bereits 2016 auf dem 26. Sächsischen Ärztetag gegen eine medizinische Verwendung von Cannabis ausgesprochen. Man sehe in einer Freigabe auf Rezept die Gefahr einer Weiterverbreitung der Drqge. Die darauffolgenden Einlassungen der SLÄK gegen das entsprechende „Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften" hatte die SLÄK dann auch oftmals im Kern kritisiert." Namens und im Auftrag der Sächsischen Staatsregierung beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1: Welche Anregungen und Unterstützungsformen zur praktischen Umsetzung hat die SLÄK vor und nach Inkrafttreten des o. g. Gesetzes den sächsischen Ärzt*innen wann angeboten? (Bitte vollständig aufschlüsseln ) Die Kommission „Sucht und Drogen" der Sächsischen Landesärztekammer (SLÄK) bietet den Kammermitgliedern Beratung zu Fragen des Betäubungsmittelverkehrs an. Gegenstand kann eine allgemeine Anfrage, eine fachliche Anfrage bei einem individuellen Behandlungsfall, aber auch eine eigene Suchterkrankung sein. Darüber hinaus finden je nach Anfrage auch einzelne Beratungen statt. Frage 2: Welche Fort- & Weiterbildungsangebote mit welcher Zielrichtung bietet die SLÄK bezüglich der medizinischen Verwendung von Cannabis ihren Mitgliedern an? Freistaat SACHSEN Die Staatsministerin Durchwahl Telefon +49 351 564-5601 Telefax +49 351 564-5791 Ihr Zeichen Ihre Nachricht vom Aktenzeichen (bitte bei Antwort angeben) 35-0141.51-18/897 D;esden, / November 2018 Hausanschrift: Sächsisches Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz Albertstraße 1 O 01097 Dresden www.sms.sachsen.de STAATSM1N1STER1UM FÜR SOZlALES UND VERBRAUCHERSCHUTZ Freistaat Nach der Weiterbildungsordnung der SLÄK existiert zu generellen Fragen der Suchtmedizin eine Zusatzweiterbildung „Suchtmedizinische Grundversorgung". Ziel der Weiterbildung ist die Erlangung der fachlichen Kompetenzen in Suchtmedizinischer Grundversorgung . Frage 3: Wie werden Ärzt*innen im Rahmen der entsprechenden Gesetzesänderung dabei im Vorfeld unterstützt sog. ,,Deckdiagnosen" o. ä. zu vermeiden? Die Mitglieder der SLÄK werden auf die vertragsarztrechtlichen Besonderheiten unter Bezugnahme auf die vorhandenen Informationen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung verwiesen. Bei konkreten Anfragen werden die Kammermitglieder von der Kommission „Sucht und Drogen" beraten. Frage 4: Welche Texte, welchen konkreten Inhalts, wurden durch die SLÄK oder in Verbindung mit ihren Gremien (z. B. der Kommission Sucht und Drogen) bis heute zum Thema publiziert? (Bitte die entsprechenden Texte im Wortlaut beifügen) Die publizierten Texte können der nachfolgenden Tabelle entnommen werden. Die Texte sind als Anlagen angefügt. Jahr der Veröf- Titel Anlage fentlichung September 2004 Drogenkonsum - eine zur Sucht führende psychische 1 VerhaltensstörunQ (Ärzteblatt Sachsen) April 2014 25. Jahrestagung des Suchtausschusses der Bundesdi- 2 rektorenkonferenz (Ärzteblatt Sachsen) August 2017 Cannabis für Schwerkranke - Politik lässt Ärzte im Re- 3 gen stehen (Pressemitteilung SLÄK) September 2017 Cannabis für Schwerkranke (Ärzteblatt Sachsen) 4 September 2017 Anwendung von Cannabis in der Praxis (Ärzteblatt Sach- 5 sen) September 2017 Cannabis - Verordnungshilfe für Ärzte (Ärzteblatt Sach- 6 sen) November 2017 Bundesärztekammer: Mehr Forschung zu Cannabis-Me- 7 dikamenten notwendig (Pressemitteilung SLÄK) Februar 2018 Cannabis-Patientenausweis (Ärzteblatt Sachsen) 8 Mai 2018 Cannabis für medizinische Zwecke - Gemeinsame Po- 9 sition der SLÄK und SLAK Mai 2018 Cannabis für medizinische Zwecke - Bilanz nach einem 10 Jahr ernüchternd - Gemeinsame Position der SLÄK und SLAK August 2018 Ärzteblatt Sachsen - Themenheft Sucht und Drogen 11 SACHSEN Frage 5: Wie ist sichergestellt, dass Veröffentlichungen zum Thema, bspw. im Ärzteblatt inhaltlich korrekt und nicht mindestens fragwürdig bis konkret fehlerhaft und irreführend sind? Ärzte üben ihren Beruf nach ihrem Gewissen, den Geboten der ärztlichen Ethik und der Menschlichkeit aus (vgl. § 2 abs. 1 der Berufsordnung der SLÄK). Die gewissenhafte Ausübung des Berufs erfordert insbesondere die notwendige fachliche Qualifikation und Seite 2 von 3 STAATSM1N1STER1UM FÜR SOZlALES UND VERBRAUCHERSCHUTZ die Beachtung des anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse (vgl. § 2 Abs. 3 Berufsordnung Ärzte). Vor diesem Hintergrund sind Ärzte, die sich zu medizinischen Fragestellungen fachwissenschaftlich äußern, in medizinisch-inhaltlicher Sicht grundsätzlich frei in ihren Ausführungen . Jeder Autor geht bei medizinisch-inhaltlichen Fachinformationen mit der notwendigen Sorgfalt vor und spricht seine ärztliche Überzeugung nach bestem Wissen aus. Die SLÄK stellt vor der Veröffentlichung des Ärzteblatts Sachsen durch Beratungen im Redaktionskollegium sicher, dass Veröffentlichungen „inhaltlich korrekt und nicht mindestens fragwürdig bis konkret fehlerhaft oder irreführend" sind. Mit freundlichen Grüßen 0:L Barba·ra~p eh „ Anlagen Seite 3 von 3 Freistaat SACHSEN Anlage 1 zur Kleinen Anfrage Drs.-Nr.: 6/15054 1 2 3 4 5 6 25. Jahrestagung des Suchtausschusses der Bundesdirektorenkonferenz Am 23. und 24. Januar 2014 fand im Bezirksklinikum Regensburg die 25. Jahrestagung des Suchtausschusses der Bundesdirektorenkonferenz statt. Sie ist repräsentativ für die stationäre Suchtpsychiatrie des gesamten Landes . Über 100 Kollegen waren der Einladung gefolgt. Nach den Grußworten und dem Bericht aus der Bundesdirektorenkonferenz und dem Suchtausschuss sprach Herr Dr. Fleischmann (Wöllershof ) zum neuen Vergütungssystem PEPP und seinen Auswirkungen auf die Suchtpsychiatrie. Er schlug dabei den Bogen von der Koalitionsvereinbarung der neuen Bundesregierung bis zu den Dokumentationsdetails der Therapieverläufe, den zur Anwendung kommenden Inhalten und Bausteinen der Behandlungen und den Risiken. Besonders aufgefordert wurde, an die präzise Erfassung der soziotherapeutischen und psychotherapeutischen Behandlungselemente und des dabei eingesetzten Personals zu denken. Später stand die neue S3 Behandlungsleitlinie „Screening, Diagnostik und Behandlung alkoholbezogener Störungen“ im Zentrum der Ausführungen . Prof. Dr. Wodarz (Regensburg ) schilderte die Entwicklung der Behandlungsleitlinie von ihren Quellen bis zur bewertenden Beschreibung der Inhalte. Wesentlich ist die Fixierung der durchschnittlichen Behandlungszeit für den qualifizierten Entzug in der Behandlungsleitlinie auf 21 Tage. Im nachfolgenden Beitrag ergänzte Frau Dr. Richter (Wiesloch) seine Ausführungen zur Pharmakotherapie des Entzugs in der Praxis. Nach wie vor ist die Anwendung von Clomethiazol und Benzodiazepinen Goldstandard im Entzug. Der Medikationsbeginn wird vom Ausmaß und Auftreten der Entzugserscheinungen moderiert. Die Ergänzung durch Vitamingaben und Mineralien bleibt nach Lage des individuellen Falles dringlich geboten. Weitere Varianten der Behandlung unter verschiedenen Mittelkombinationen wurden vorgestellt und auch diskutiert. Der abschließende Praxisworkshop „Neue Drogen hat das Land“ mit mehreren Beiträgen zu Spice, Badesalzen , Badesalzpsychosen, Crystal und den Nachweismöglichkeiten neuer und alter Drogen brachte viele Anregungen. Zu Beginn gab Prof. Dr. Wodarz einen kurzen Überblick über die Substanzgruppen. Er führte zu „Spice“ an, dass es sich um mehrfach wirksamere synthetische Cannabinoide handele, in sogenanntem „Badesalz “ können je nach aktueller Angebotslage amphetaminähnliche Substanzen unterschiedlicher Zuordnung und erheblicher chemischer Varianz angetroffen werden (Cathinone, Tryptamine und anderes). Verbote müssen nach Betäubungsmittelrecht jeweils für die einzelne nachgewiesene Substanz erfolgen und können nicht stoffgruppenweise stattfinden. Nach einem Verbot erscheint dann bald die nächste, variierte Substanz auf dem Drogenmarkt. Verbindendes Kennzeichen seien die Wirkungssteigerung der Substanzen gegenüber vergleichbaren älteren Drogen und die ausgeprägten Effekte hinsichtlich Erregungsniveau und Ausmaß psychotischer Symptomatik bei den Patienten in ihren psychotischen Dekompensationen . Diese Substanzen werden häufig bei substituierten Patienten angetroffen, aber auch bei Cannabiskonsumenten , die gesteigerte Wirksamkeit suchten, oder bei Konsumenten , die ganz spezielle Drogeneffekte wünschten bzw. jede erreichbare Droge nehmen. Sehr zu beachten sei für die exzessive Symptomatik der unmittelbar nach Konsum eintretende Drang zum „Nachlegen “ bei Badesalzen. Über den Umfang der Konsumentengruppen konnte trotz steigender Fallzahlen zurzeit keine klare Angabe erfolgen. Es wurde darauf hingewiesen, dass die nötigen Urinkontrollen nicht nur bei Substituierten unter Sicht erfolgen müssen und Aufmerksamkeit erfordern, da inzwischen über das Internet sogar künstliche Genitalattrappen , die Urinfüllung aufnehmen können, zu kaufen seien. In der Szene bestünden auch Angebote für drogenfreien Urin. Prof. Dr. Dr. Dr. Tretter (München) stellte danach seine praktischen Erfahrungen mit Badesalzpsychosen dar. Er bestätigte, dass es sich bei den Substanzen um Amphetaminähnliche oder Cathinone handelt und überwiegend schon länger opiatsubstituierte Patienten darauf zugreifen. Die Behandlung gestalte sich dann häufig aufgrund der hohen Dynamik sehr schwierig und die Patienten brauchten öfter auch Wochenfristen für eine Besserung. Kommentierend ist hier anzumerken, dass Suchterkrankungen eben bei Fortsetzung des Konsums progredient verlaufen. Eine Tendenz zur Ausweitung der Mittelpalette ist Abhängigkeitserkrankungen ohne Abstinenz ebenfalls immanent . Daraus resultieren dann Erweiterungen des Komorbiditätsspektrums mit zu sätzlicher Verschlechterung des Verlaufs und der Prognose. Das deckt sich mit Ergebnissen der PREMOS-Studie, wo unter Opiatsubstitution ebenfalls keine Besserung der psychischen Komorbidität zu verzeichnen war. Im Schlussbeitrag sprach Herr Weinfurtner (Regensburg) sehr klar und nachdrücklich zu den Möglichkeiten und Grenzen des Nachweises neuer und alter Drogen. Er betonte, dass Enzymimmunoassays in der täglichen Diagnostik und abgesehen von besonderen forensischen Fragestellungen heute noch als ausreichend zur Begleitdiagnostik anzusehen sind. Er wies noch daraufhin, dass unter Quetiapingabe falsch positive Ergebnisse auf Methadon zustandekommen können. Den Ausrichtern und Organisatoren der Tagung ist sehr für ihren Einsatz und das aussagekräftige Programm zu aktuellen Brennpunkten der Suchtpsychiatrie zu danken. Die Veranstaltung fand in einem angenehmen Klima statt. Sie wird im Januar 2015 in Radebeul bei Herrn Chefarzt Dr. Schöne in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Elblandklinikums eine Fortsetzung finden mit der 26. Tagung. Dr. med. Frank Härtel Suchtbeauftragter der SLÄK Tagungsberichte 159Ärzteblatt Sachsen 4 / 2014 Anlage 2 zur Kleinen Anfrage Drs.-Nr.: 6/15054 Anlage 3 zur Kleinen Anfrage Drs.-Nr.: 6/15054 Gesundheitspolitik 393Ärzteblatt Sachsen 9 / 2017 Cannabis für Schwerkranke Anfang oder Ende qualifizierter Versorgung? Eine Nachbetrachtung zum Gesetzesbeschluss des Bundestages vom 19. Januar 2017 Der Bundestag hat am 19. Januar 2017 das „Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften“ nach zweiter und dritter Beratung ohne Stimmenthaltung und ohne Gegenstimme im Plenum mit den Stimmen aller Fraktionen beschlossen. Hier soll dargestellt werden, was geregelt wurde, was nicht geregelt wurde, auf welcher Grundlage beides geschah und welche Effekte und Auswirkungen absehbar eintreten werden. Geregelt wurde, dass zukünftig Cannabis , auch in Form von getrockneten Blüten aus einem Anbau, der zu medizinischen Zwecken unter staatlicher Kontrolle erfolgt, sowie in Zubereitungen als Fertigarzneimittel zugelassen wird. Die Menge von Cannabis in Form von getrockneten Blüten wird mit 100 Gramm monatlich , in begründeten Ausnahmen sogar noch mehr, oder als Extrakte verordnungsfähig. An Fertigarzneimitteln wird die Versorgung mit Präparaten , die die Wirkstoffe Dronabinol oder Nabilon enthalten, explizit erwähnt. Weiter wurde beschlossen, dass „Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung“ Anspruch haben auf diese Versorgung, wenn nach Einschätzung des behandelnden Arztes eine allgemein anerkannte medizinische Standardleistung nicht zur Verfügung steht oder nicht zur Anwendung kommen kann und eine „nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung “ auf Krankheitsverlauf oder schwerwiegende Symptome besteht. Für die Krankenkassen gibt es de facto eine Genehmigungspflicht, die nach Lage des Falles noch auf maximal drei Tage verkürzt werden kann. Eine Begleiterhebung über die Anwendung ist vorgesehen. Ihren Umfang und Details gibt das Bundesministerium für Gesundheit mit Rechtsverordnung vor. Problemlage Keinerlei Aussagen oder Regelungen wurden getroffen ■ zu den Diagnosen und Indikationen einer Verordnung von Cannabis , Cannabisextrakten oder synthetischen Reinsubstanzen sowie ■ zu den Rahmenbedingungen einer Verordnung unter Berücksichtigung vorheriger Behandlungen , ihrer Effekte und des Erkrankungsverlaufs . Problematisch ist, dass nicht ausschließlich Reinsubstanzen favorisiert werden, sondern genau das giftige Cannabiskraut mit all seinen Begleitstoffen und schädlichen Nebeneffekten zur Anwendung kommen wird, das Abhängige verwenden. Es fehlt auch im Gesetzestext unverständlicherweise jeder Hinweis auf den Konsumweg, gerade unter Bezug auf das Cannabiskraut. Wird vielleicht doch überwiegend, wie bei Missbrauch und Abhängigkeit, das Cannabiskraut mit allen Nebenwirkungen geraucht werden? Es fehlt auch jeder Hinweis, ob in diesem Falle andere Regeln als beim Tabakrauchen Anwendung finden sollen. Darf vielleicht zukünftig der Schwerkranke in geschlossenen öffentlichen Räumen seinen medizinischen Joint rauchen? Kritik Die gesamte Entscheidungslast wird bei dünnsten Vorgaben der Ärzteschaft aufgebürdet. Somit haben die Ärzte mal wieder den schwarzen Peter. Quod erat demonstrandum! Es fehlen neben Diagnosen und Indi- Cannabis für medizinische Zwecke per Gesetz zugelassen. © Archiv Anlage 4 zur Kleinen Anfrage Drs.-Nr.: 6/15054 1 kationen klare Angaben zum Altersbezug der Verordnung. Insbesondere junge Menschen, die Hirnreifung endet durchschnittlich mit dem 23. Lebensjahr, sind durch Cannabis bis zu diesem Zeitpunkt extrem gefährdet . Körperliche, psychische und psychotische , aber auch soziale Extremschäden , die einen gesunden Le - bensweg völlig durchkreuzen, treten ein. Dieses grobe Defizit der Folgenkritik scheint illustriert in der Sachverständigenauswahl für die einschlägige Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestages für dieses Gesetz. Andere als zustimmende Positionen waren, bei großer Zurückhaltung zum Beispiel der GKV und des MDK, nicht präsent. Insbesondere fehlten Experten von kinder- und jugendpsychiatrischen Fachgesellschaften und Fachverbänden . Bestätigung findet diese Einschätzung im „Deutschen Ärzteblatt“ (Heft 8/2017, S. A 352ff.) in einem Artikel von Prof. Dr. med. Kirsten Müller-Vahl und Dr. med. Franjo Grotenhermen , die für diese Risiken fälschlich „fehlende Daten“ behaupten . Es drängt sich hier die Frage auf, wie es zu diesem Gesetzesbeschluss kommen konnte, obwohl in den Beratungen der Bundestagsabgeordneten im Gesundheitsausschuss, im Plenum über alle Fraktionen und auch von den eingeladenen Sachverständigen das Fehlen verlässlicher wissenschaftlicher Ergebnisse mit Evidenz für den Einsatz von Cannabiskraut , Cannabisextrakten etc. be - kannt war und ausdrücklich in fast jedem Redebeitrag betont wurde. Man wusste um das Manko! Es wurde in den zugängigen Protokollen aus dem Bundestag ständig nur von klinischen Erfahrungen, Fallbeispielen , Eindrücken und vermeintlichen Hinweisen auf die Positiveffekte gesprochen, eine wissenschaftliche Fundierung konnte nicht ge zeigt werden, da es sie nicht gibt. Man muss sich vor Augen halten: Es gibt keine tragfähigen wissenschaftlichen Ergebnisse, keinen sicheren wissenschaftlichen Bezug zwischen Diagnosen und „Therapie mittels Cannabiskraut“. Auch hat sich in den letzten über 150 Jahren Medizingeschichte Cannabis in allen Anwendungsformen keineswegs als der erlösende Renner zur Behandlung diverser, auch exotischer Problemfälle , durchsetzen können. Es kommt nie als Mittel der ersten Wahl zur Behandlung von Krankheitszuständen vor, wissenschaftlich gesichert sind allerdings die Schadwirkungen. Auf dieser Grundlage wurde dieses Gesetz beschlossen. Strikt wissenschaftlich begleitete Behandlungen mit Reinsubstanzen, also ohne die vermeidbaren Nebenwirkungen des Cannabiskrauts, wurden nicht ins Gesetz aufgenommen. In einem, auch großzügig angelegten Therapieversuch hätten ja bislang fehlende und neue wissenschaftliche Daten gefunden werden können, zum Beispiel für den Einsatz von Reinsubstanzen. Stattdessen hat man Umfang und Präzision der Begleituntersuchungen nach breit diskutierten Datenschutzerwägungen reduziert. Honi soit qui mal y pense! Es kommt also hier bei der Gesetzgebung im Bundestag zu einer Koalition von „Meinen und Glauben“ gegen „Wissen und Rationalität“, so als hätte es die Zeit der Aufklärung nie gegeben. Die Kosten dafür werden dem Beitragszahler zum Begleichen zugewiesen. Ein Kostenanstieg kann in erheblichem Umfang erwartet werden. Der Schaden für die Suchtprävention und die Resistenz gerade junger Menschen gegenüber dem Cannabiskonsum wird immens sein. Die begriffliche Umtopfung des giftigen Cannabiskrauts zu „medizinischem Cannabis“ oder „Cannabisarzneimitteln “ spricht der Prävention Hohn und wird die Schadeffekte, Suchtentwicklungen und den Missbrauch nicht verringern, auch wenn die Verordnung von ärztlicher Hand erfolgt. Ein Triumph ideologischer Schwarmgeisterei über ärztlichen Sachverstand. Welche Ärzte, welche Schmerztherapeuten ohne spezielle zusätzliche Qualifikation können allein sicher somatische Schmerzen, chronische Schmerzen, psychogene Schmerzen und die Angabe von Schmerzen im Rahmen einer Suchtentwicklung differenzieren ? Das juristische Risiko bei solcher Gesetzgebung bleibt ihnen jedoch allemal gewiss. Ergebnis: Meinungsstarke, (ge)wissensarme Politik schafft neue Risiken für Patienten, Ärzte, Beitragszahler und Gesellschaft. Dr. med. Frank Härtel im Namen der Kommission „Sucht und Drogen“ Gesundheitspolitik 394 Ärzteblatt Sachsen 9 / 2017 2 kationen klare Angaben zum Altersbezug der Verordnung. Insbesondere junge Menschen, die Hirnreifung endet durchschnittlich mit dem 23. Lebensjahr, sind durch Cannabis bis zu diesem Zeitpunkt extrem gefährdet . Körperliche, psychische und psychotische , aber auch soziale Extremschäden , die einen gesunden Le - bensweg völlig durchkreuzen, treten ein. Dieses grobe Defizit der Folgenkritik scheint illustriert in der Sachverständigenauswahl für die einschlägige Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestages für dieses Gesetz. Andere als zustimmende Positionen waren, bei großer Zurückhaltung zum Beispiel der GKV und des MDK, nicht präsent. Insbesondere fehlten Experten von kinder- und jugendpsychiatrischen Fachgesellschaften und Fachverbänden . Bestätigung findet diese Einschätzung im „Deutschen Ärzteblatt“ (Heft 8/2017, S. A 352ff.) in einem Artikel von Prof. Dr. med. Kirsten Müller-Vahl und Dr. med. Franjo Grotenhermen , die für diese Risiken fälschlich „fehlende Daten“ behaupten . Es drängt sich hier die Frage auf, wie es zu diesem Gesetzesbeschluss kommen konnte, obwohl in den Beratungen der Bundestagsabgeordneten im Gesundheitsausschuss, im Plenum über alle Fraktionen und auch von den eingeladenen Sachverständigen das Fehlen verlässlicher wissenschaftlicher Ergebnisse mit Evidenz für den Einsatz von Cannabiskraut , Cannabisextrakten etc. be - kannt war und ausdrücklich in fast jedem Redebeitrag betont wurde. Man wusste um das Manko! Es wurde in den zugängigen Protokollen aus dem Bundestag ständig nur von klinischen Erfahrungen, Fallbeispielen , Eindrücken und vermeintlichen Hinweisen auf die Positiveffekte gesprochen, eine wissenschaftliche Fundierung konnte nicht ge zeigt werden, da es sie nicht gibt. Man muss sich vor Augen halten: Es gibt keine tragfähigen wissenschaftlichen Ergebnisse, keinen sicheren wissenschaftlichen Bezug zwischen Diagnosen und „Therapie mittels Cannabiskraut“. Auch hat sich in den letzten über 150 Jahren Medizingeschichte Cannabis in allen Anwendungsformen keineswegs als der erlösende Renner zur Behandlung diverser, auch exotischer Problemfälle , durchsetzen können. Es kommt nie als Mittel der ersten Wahl zur Behandlung von Krankheitszuständen vor, wissenschaftlich gesichert sind allerdings die Schadwirkungen. Auf dieser Grundlage wurde dieses Gesetz beschlossen. Strikt wissenschaftlich begleitete Behandlungen mit Reinsubstanzen, also ohne die vermeidbaren Nebenwirkungen des Cannabiskrauts, wurden nicht ins Gesetz aufgenommen. In einem, auch großzügig angelegten Therapieversuch hätten ja bislang fehlende und neue wissenschaftliche Daten gefunden werden können, zum Beispiel für den Einsatz von Reinsubstanzen. Stattdessen hat man Umfang und Präzision der Begleituntersuchungen nach breit diskutierten Datenschutzerwägungen reduziert. Honi soit qui mal y pense! Es kommt also hier bei der Gesetzgebung im Bundestag zu einer Koalition von „Meinen und Glauben“ gegen „Wissen und Rationalität“, so als hätte es die Zeit der Aufklärung nie gegeben. Die Kosten dafür werden dem Beitragszahler zum Begleichen zugewiesen. Ein Kostenanstieg kann in erheblichem Umfang erwartet werden. Der Schaden für die Suchtprävention und die Resistenz gerade junger Menschen gegenüber dem Cannabiskonsum wird immens sein. Die begriffliche Umtopfung des giftigen Cannabiskrauts zu „medizinischem Cannabis“ oder „Cannabisarzneimitteln “ spricht der Prävention Hohn und wird die Schadeffekte, Suchtentwicklungen und den Missbrauch nicht verringern, auch wenn die Verordnung von ärztlicher Hand erfolgt. Ein Triumph ideologischer Schwarmgeisterei über ärztlichen Sachverstand. Welche Ärzte, welche Schmerztherapeuten ohne spezielle zusätzliche Qualifikation können allein sicher somatische Schmerzen, chronische Schmerzen, psychogene Schmerzen und die Angabe von Schmerzen im Rahmen einer Suchtentwicklung differenzieren ? Das juristische Risiko bei solcher Gesetzgebung bleibt ihnen jedoch allemal gewiss. Ergebnis: Meinungsstarke, (ge)wissensarme Politik schafft neue Risiken für Patienten, Ärzte, Beitragszahler und Gesellschaft. Dr. med. Frank Härtel im Namen der Kommission „Sucht und Drogen“ Gesundheitspolitik 394 Ärzteblatt Sachsen 9 / 2017 Anwendung von Cannabis in der Praxis Informationen zur Pharmakologie und Anwendung von Cannabis in Form von Cannabisblüten (Droge), Cannabisextrakt oder Reinsubstanzen Das Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 6. März 2017 („Cannabis-Gesetz“, BGBl. 2017 Teil I Nr. 11, ausgegeben am 9. März 2017) ermöglicht die Verordnung von Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in „standardisierter Qualität“. Selbstverständlich können auch weiterhin die isolierten Cannabiswirkstoffe Tetrahydrocannabinol (THC, Dronabinol) und Cannabidiol (CBD) verordnet werden. Cannabisblüten und -extrakte sowie Dronabinol unterliegen dem Betäubungsmittelgesetz . Cannabidiol ist lediglich verschreibungspflichtig! Derzeit stehen 14 Cannabissorten zur Verfügung, die sich im THC- und CBD-Gehalt unterscheiden. Für jede dieser Cannabissorten muss ein individuelles Dosierungsschema gefunden werden. Dieses ist abhängig von der komplexen Pharmakologie der Cannabinoide, interindividuellen ge - netischen Unterschieden hinsichtlich der Metabolisation von THC, der individuellen Struktur und Funktion der Cannabinoidrezeptoren, sowie Unterschieden in der Rezeptordichte und -verteilung. Anlage 5 zur Kleinen Anfrage / Drs.-Nr.: 6/15054 1 Cannabisblüten können inhalativ (Rauchen, Inhalieren) oder oral (Tee, Kekse) aufgenommen werden. Da - mit eine Wirkung erzielt wird, müssen die inaktiven Säuren von THC und CBD durch Erhitzen decarboxyliert und damit in die pharmakologisch wirksame Form überführt werden . Folgende Probleme können dabei auftreten: Inhalation/Rauchen von Cannabisblüten Beim Rauchen von Cannabisblüten (zusammen mit Tabak) entstehen schädliche Verbrennungsprodukte! Um dies zu vermeiden, wird unter anderem auf die Möglichkeit der Inhalation mittels eines Verdampfers (Vaporisator) hingewiesen. Vaporisatoren erhitzen Cannabisblüten (üblicherweise auf 180 bis 210 °C), wobei sich freies THC und CBD bilden . Die systemische Bioverfügbarkeit beträgt bei korrekter Applikation 29 bis 40 Prozent. Es kommt zu einer raschen Anflutung, aber auch zu einem ebenso schnellen Absinken des Spiegels im Blut. Cannabis als Teezubereitung Für diese Zubereitung werden Cannabisblüten in kochendes Wasser gegeben und 15 Minuten am Sieden gehalten. Aufgrund der schlechten Wasserlöslichkeit der Cannabinoide und der bei 100 °C nur langsam verlaufenden Decarboxylierung (und damit Überführung in die pharmakologisch wirksame Form) beträgt die Ausbeute an THC nur ca. fünf Prozent . Die Ausbeute lässt sich durch längere Kochzeit vergrößern, bei 30 Minuten erhöht sie sich um das Eineinhalbfache . Cannabis als Kekszubereitung Beim Einbacken in Kekse kann die Dosis pro Anwendung nicht reproduziert werden. Deshalb ist diese Anwendung aus Gründen der Arzneimittel- und Therapiesicherheit nicht zu empfehlen. Weiteres Problem bei der Anwendung von Cannabisblüten ist die fehlende Dosierungsgenauigkeit. In der Regel wird beim Einsatz von Cannabinoiden langsam auftitriert und dann mit der niedrigsten möglichen Dosis fortgesetzt. Das gelingt mit rezepturmäßig hergestellten Dronabinol -Zubereitungen hervorragend, erklären bisherige Verordner und Anwender. Phytopharmaka – Anwendung von Reinsubstanzen oder standar disierten Extrakten empfohlen Der Einsatz ganzer Drogen ist in der modernen Medizin kaum noch verbreitet . In der Regel kommen standardisierte Extrakte zum Einsatz oder sogar Reinsubstanzen, die in vielen Fällen synthetisch hergestellt werden. Vor der Verordnung von Cannabisblüten sollten daher die verfügbaren standardisierten, teilweise isolierten Inhaltsstoffe des Cannabis verordnet werden. Folgende Fertigarzneimittel und Ausgangsstoffe für Rezepturarzneimittel sind verfügbar: Sativex® Spray Sativex® Spray zur Anwendung in der Mundhöhle enthält pro Sprühstoß 2,7 mg Delta-9-Tetrahydrocannabinol und 2,5 mg Cannabidiol. Canemes® Canemes® enthält pro Kapsel 1 mg Nabilon, eine vollsynthetische Variante von THC. Dronabinol (THC) Dronabinol kann in drei verschiedenen standardisierten Rezepturen verordnet werden: ■ Ölige Dronabinol-Tropfen 25 mg/ ml (NRF 22.8.) ■ Dronabinol-Kapseln 2,5 mg/5 mg/ 10 mg (NRF 22.7.) ■ Ethanolische Dronabinol-Lösung 10 mg/ml zur Inhalation (NRF 22.16.) Eingestelltes, raffiniertes Cannabisölharz Cannabisölharz wird aus den Blüten von Cannabis sativa L. hergestellt. Die gelbe bis gelbbraune Flüssigkeit enthält fünf Prozent THC und unterschiedliche Mengen an CBD, die deklariert werden müssen. Cannabisölharz wird umgangssprachlich auch als Cannabisextrakt (5 % THC) be - zeichnet. Zu beachten ist, dass der ölige Extrakt nicht zur Inhalation geeignet ist. Die standardisierte Herstellung sollte nach der Rezepturvorschrift „Ölige Cannabisölharz- Lösung 25 mg/ml Dronabinol (NRF 22.11.)“ erfolgen. Cannabisölharz ist derzeit in Deutschland noch nicht verfügbar. Vor Verordnung kontaktieren Sie bitte eine Apotheke. Cannabidiol (CBD) Cannabidiol unterliegt als Monosubstanz nicht dem Betäubungsmittelrecht . Da kein entsprechendes Fertigarzneimittel am Markt ist, wurde ein Rezepturarzneimittel ins Neue Rezeptur-Formularium (NRF) aufgenommen als „Ölige Cannabidiol- Lösung“ (NRF 22.10.) Ein einziges schwaches Argument spricht unter Umständen für den Einsatz der Gesamtdroge: Bei Phyto- Gesundheitspolitik 395Ärzteblatt Sachsen 9 / 2017 Anzeige_Ärzteblatt_Sachsen_92x62_2017_1c.indd 1 22.02.17 09:50 2 pharmaka ist in der Regel der Gesamtextrakt Wirkstoff. Das bedeutet , dass nicht nur die Leitsubstanzen für die Wirkung verantwortlich sind, sondern auch Begleitstoffe. Diese könnten beispielsweise die Resorption verbessern. Bei Cannabis jedoch besteht der Expertenmeinung zu - fol ge diesbezüglich erheblicher Forschungsbedarf . Problematik der Indikationen der Cannabisverordnung Im zu Grunde liegenden Bundesgesetz sind keine verwertbaren Aussagen zu Indikationen des Einsatzes von Cannabisblüten, Cannabisextrakt oder Reinsubstanzen zu finden. Das hat klare Gründe. Auf wissenschaftlicher Grundlage gibt es keine gesicherten Indikationen zur Cannabisanwendung . Cannabis kommt nicht bei einer einzigen Indikation auf den ersten Rangplatz. Versucht wurde auch häufig der Einsatz als Additivum zu first-line-Therapien ohne stringentes Ergebnis. Zweifelsohne gibt es eine Unmenge an Erfahrungsberichten und Erfolgsmeldungen etc., deren Motivationslagen weitere Fragen aufwerfen. Fest steht jedoch: Seit Mitte des 19. Jahrhunderts hatte es Versuche auf verschiedensten Feldern gegeben, Cannabis als Medikament zu etablieren. Bis heute ist die wissenschaftliche Datenlage sehr schlecht und kann den medizinischen Einsatz nicht rechtfertigen. Ein gewisses Renommee haben Cannabisprodukte, hier insbesondere die THC-haltigen Produkte , bei Appetitstörungen und Übelkeit/Erbrechen, meist im Zusammenhang mit malignen Erkrankungen und deren gezielter Chemotherapie , zur Besserung von zum Beispiel typischen Nebenwirkungen. Das nicht den betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften zur Verschreibung unterliegende Cannabidiol hat Effekte bei Spastik gezeigt, zum Beispiel im Zusammenhang mit Multipler Sklerose. Von Vorteil ist, dass dieser Reinsubstanz ein eigenes Suchtrisiko fehlt. Durchweg problematisch erweisen sich alle Indikationen in der Schmerztherapie . Die Studienlage ist auch hier sehr schwach, um nicht zu sagen schlecht und unbefriedigend. Das hängt mit den mehrfachen Überlappungen chronischer Schmerzen zwischen organischer, funktioneller und psychogener Genese zusammen, die selbst erfahrene Schmerztherapeuten an differentialdiagnostische Grenzen oder das Feld „diagnostischen Wohlmeinens“ führen. So haben wir erst vor kurzem von schmerztherapeutisch arbeitenden Kollegen Hinweise erhalten, dass sich bislang unbekannte Patienten mit den Selbstdiagnosen Kopfschmerzen , Migräne und anderen an sie wenden, um Cannabisverordnungen einzufordern. Hier fällt dann die Entscheidung zwischen ärztlich gesehener Indikation oder medikamentösem Wunschkonzert. Für chronische und akute Schmerzen steht eine Vielzahl verschiedener und auch bewährter Präparate mit wissenschaftlich belegter Wirksamkeit zur Verfügung – Cannabis gehört nicht dazu. Die gelegentlich in Diskussionen für Cannabisverordnung vertretene Ansicht, Opiate beziehungsweise Opioide sedierten bei chronischen Verläufen stärker als Cannabis, kann nicht gestützt werden. Bei stabiler Dosis pegelt sich eine mögliche Anfangssedation unter Opiaten rasch ein. Wird die Dosis gesteigert, ist auch unter Cannabis dosisabhängig Sedation nicht auszuschließen. Wir verweisen hier nur auf die nach dem Gesetz mögliche monatlich zu verordnende Dosishöhe von 100 Gramm Cannabisblüten und mehr. Neben diesen vier häufig genannten Anwendungsbereichen Appetitstörungen , Übelkeit/Erbrechen, Spastik und Schmerz gibt es eine Anzahl anderer, mehr oder weniger exotischer Indikationen mit zweifelhafter pathophysiologischer Herleitung auf deren Erörterung wir verzichten. Risiken und Kontraindikationen der Cannabisverordnung Juristische Risiken Die Legislative im Bundestag hat mit ihrer politisch gewollten Entscheidung für dieses Gesetz die juristischen Risiken auf die Seite der Ärzte und ihrer Entscheidungen verlagert und unserem Berufsstand die Folgenlast aufgebürdet. Im gesamten Gesetzestext findet sich kein Wort zu Risiken, sondern nur Ausführungen zu neuen Möglichkeiten. Von Suchtrisiko und seiner Förderung, von Folgekrankheiten, Schäden für die Prävention, von haftungsrechtlichen , strafrechtlichen, dann notwendigerweise auch berufsrechtlichen Sanktionen für Ärzte ist nichts zu finden . Lebensalter der Konsumenten Einschränkungen für die Cannabisanwendung aus dem Lebensalter der Konsumenten kommen in den gesetzlichen Grundlagen nicht vor. Es waren auch zu den Anhörungen im Bundestag Vertreter von kinderärztlicher und kinderpsychiatrischer Seite nicht vertreten. Warnungen der einschlägigen Fachgesellschaften wurden zielstrebig überhört. Dabei haben Cannabis und Cannabisprodukte eine erhöhte lebensalterbezogene Schädlichkeit vor Abschluss der Hirnreifung. Die Hirnreifung endet aber bekanntermaßen in Mitteleuropa beim weiblichen Geschlecht mit 21 Jahren, beim männlichen Ge - schlecht mit 23. Vorher kann also ein gewissenhafter Arzt diese Substanzen nicht zur Anwendung bringen. Psychiatrische Folgemorbidität Zu beachten ist auch die psychiatrische Folgemorbidität. Das Vorkommen von schizophrenen Erkrankungen verdoppelt sich mindestens, Persönlichkeitsstörungen und Leistungsstörungen (Schulabschluss, Berufsabschluss ) wegen anhedonisch-morosen Verstimmungszuständen und längerfristigen kognitiven Einbußen, die eine existenzielle Fehlentwicklung einleiten, drohen im Zusammenhang mit Cannabis. Die Risiken einer Kombination mit anderen Substanzen (Alkohol, illegale Drogen) muss ebenfalls berücksichtigt werden . Fahreignung Juristische Brisanz birgt auch die Frage der Fahreignung. Die regelmä- Gesundheitspolitik 396 Ärzteblatt Sachsen 9 / 2017 3 ßige Einnahme führt nach Fahrerlaubnisverordnung (FeV) Anlage 4 zur Nichteignung als Kraftfahrzeugführer . Die Bundesanstalt für das Straßenwesen bewertete 2015 die Medikamenteneinnahme wie folgt: „Für den Fall der Dauermedikation gilt gemäß Nr. 9.6.2 der Anlage 4 der FeV, dass die Fahreignung dann nicht gegeben ist, wenn die Leistungsfähigkeit zum Führen von Kraftfahrzeugen unter das erforderliche Maß beeinträchtigt ist. Die Überprüfung der Leistungsfähigkeit ist also bei allen Medikamenten, die regelmäßig eingenommen werden, gegebenenfalls im Rahmen einer Einzelfallprüfung durchzuführen.“ Nach dieser Empfehlung wären eine fachärztliche Begutachtung und eine MPU (Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit des Patienten) erforderlich. Wer wiederholt Cannabis konsumiert , ist nach Ansicht der Kommission „Sucht und Drogen“ dauer - haft fahruntauglich. Zur juristischen Sicherheit sollte sich jeder verordnende Arzt die Aufklärung und gründliche Information über diese Tatsache vom Konsumenten unterschriftlich bestätigen lassen. Öffentliche Diskussionen zu diesem Punkt, zur „toleranteren“ Beurteilung auffälliger Laborwerte sind das eine, Anklagen oder Urteile vom Gericht gegenüber Ärzten nach einem Unfall das andere. Das vorliegende Gesetzregelt diesbezüglich nichts. Wir raten hier dringend zum Eigenschutz unserer ärztlichen Kollegen zum konsequenten Befolgen unserer Empfehlung . Iatrogen geförderte Suchtentwicklung Gleichermaßen kann zu einem späteren Zeitpunkt aus verschiedenen Gründen die Frage einer iatrogen geförderten Suchtentwicklung aufkommen . Zu erinnern ist hier an das bekannte Kölner Verwaltungsgerichtsurteil vom Juli 2014 (Az: 7 K 4447/11). Während des Verhandlungszeitraums stieg beim Kläger die monatliche Konsumdosis auf das Zehnfache an. Bevor juristische Konsequenzen resultieren, wird sich jeder Verordner in seinem Aufklärungsverhalten und den Dokumentationsstandards mit diesem Problem differenziert auseinanderzusetzen haben. Es kommt hier auch nicht nur auf die verdachtslenkende Dosissteigerung an. Begleituntersuchungen Die Verordnung von Cannabis und Cannabisprodukten soll eine Begleituntersuchung flankieren. Die wissenschaftlich qualifizierte, ursprünglich vorgesehene breite Erhebung wurde aus unklaren Gründen zusammengestrichen . Die beabsichtigte Begleit- Gesundheitspolitik 397Ärzteblatt Sachsen 9 / 2017 Zusammenfassung zur Anwendung von Cannabis/Cannabisprodukten in der Praxis Vereinzelte Anwendung hat Cannabis gefunden bei: ■ Appetitstörungen und Übelkeit/Erbrechen (bei malignen Erkrankungen und deren Chemotherapie) ■ Spastik (zum Beispiel bei Multipler Sklerose) Die Anwendung bei „chronischen Schmerzen unklarer Herkunft“ (mit sehr problematischer Differenzierung von psychogenen Schmerzen) muss Ausnahmen vorbehalten bleiben. Schon jetzt mehren sich die Hinweise schmerztherapeutisch tätiger Kollegen für steigende Inanspruchnahme durch Missbräuchler oder Abhängige, die über Deckdiagnosen Verordnung erzwingen wollen. Vor der Verordnung von Cannabisblüten sollten die verfügbaren standardisierten , teilweise isolierten Inhaltsstoffe des Cannabis verordnet werden. Für keine dieser Anwendungen gibt es gesicherte positive wissenschaftliche Studienergebnisse! Einzig der Arzt stellt die Indikation für die Verordnung ! 4 untersuchung ist so gestaltet, dass Ergebnisse erst 2022 zur Verfügung stehen werden. Es gehen also mindestens noch fünf Jahre ins Land, bis in einem breiteren Rahmen Daten – von vielleicht fraglicher Qualität und Zusammensetzung – zur Verfügung stehen. Die schwachen wissenschaftlichen Kenntnisse zum Cannabiseinsatz in der Medizin lassen dann auch in fünf Jahren nicht eine fundiertere Basis erwarten. Cannabisverordnung in der Medizin bleibt weiter Spielball einer fragwürdigen Drogenpolitik zwischen Wunschvorstellung, Ideologie und Obskurantismus. Prävention Der Schaden für die Prävention allerdings wird eine vielfältige Ausgestaltung gewinnen. Nach den voranlaufenden öffentlichen Diskussionen der letzten Jahre werden viele Kinder und Jugendliche die medizinische Verwendung von Cannabis als Einladung zu eigenem Konsum missverstehen . Suchtentwicklungen mit dem Herausfallen aus der sozialen Entwicklung werden resultieren. Interessierten Kollegen können folgende Quellen für weiterführende Informationen genannt werden: ■ Franjo Grotenhermen/Klaus Häußermann : Cannabis. Verordnungshilfe für Ärzte; 1. Auflage, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbh, Stuttgart 2017 (Rezension siehe Seite 426) ■ Peter Cremer-Schaeffer: Cannabis – Was man weiß, was man wissen sollte; 2. aktualisierte Auflage , S. Hirzel Verlag, Stuttgart 2017 (Rezension siehe Seite 427) ■ FAQ-Liste zum Einsatz von Cannabis in der Medizin www.bundesaerztekammer .de Das Sozialgericht Düsseldorf hat aktuell entschieden, dass ein Patient dann keinen Anspruch auf Kostenübernahme für eine Cannabisbehandlung durch die Krankenkasse hat, wenn die aktuellen Behandlungsmethoden noch nicht ausgeschöpft sind und vom behandelnden Arzt auch nicht begründet dargelegt wurde, dass die regulären Behandlungsmethoden beim Patienten keine Anwendung finden können (S 27 KR 698/17 ER). Dr. med. Frank Härtel im Namen der Kommission „Sucht und Drogen“ Gesundheitspolitik 398 Ärzteblatt Sachsen 9 / 2017 5 Cannabis Verordnungshilfe für Ärzte Autoren: Dr. med. Franjo Grotenhermen / Dr. Klaus Häußermann Verlag: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH Stuttgart, 1. Auflage 2017, 53 Seiten Preis: 19,80 Euro ISBN: 978-3804736283 Die beiden Autoren hatten sich vorgenommen , interessierten Ärzten eine Hilfestellung beim Umgang mit Cannabis zur Verfügung zu stellen. Das Ziel ist löblich und hat aktuell Bedeutung in der Praxis. Die ge wählte Gliederung des Heftes in sieben verschiedene Kapitel wirkt auch auf den ersten Blick informativ und Interesse weckend. Im Einzelnen werden behandelt: Geschichte der medizinischen Verwendung von Cannabis, rechtliche Grundlagen der medizinischen Verwendung, praxisorientierte Grundlagen (von Botanik über Endocannabinoidsystem, Pharmakokinetik zur Verabreichung und Decarboxylierung von Cannabinoiden ), Einsatzgebiete für Cannabis und Cannabinoide, Nebenwirkungen und Kontraindikationen, Verschreibung , Dosierung und Art der An - wendung, spezielle Themen aus der Praxis. Trotz einer ganzen Anzahl relevanter Inhalte, so zum Beispiel in dem Kapitel sechs über die Verschreibung, Dosierung und Art der Anwendung von Cannabis und Cannabisprodukten fällt der Tenor des Heftes für den euphemistischen Einsatz von Cannabis und Cannabisprodukten recht einseitig aus. Das zeigt sich zum einen in einer Vielzahl von Indikationsangaben, die vorher versucht werden über das Endocannabinoidsystem quasi rechtfertigend herzuleiten, denen jedoch jede relevante wissenschaftliche Untermauerung fehlt. Es wird aber mit der Auflistung auf Seite 16 der Anschein erweckt, als stehe ein omnipotentes, schon lange bewährtes Pharmakon zur Verfügung. Ge - nau das ist nicht der Fall. Die kritisch belastbare Datenlage für den Cannabiseinsatz jedweder Art in der Medizin ist schlecht. Auch bei den sogenannten „etablierten“ Indikationen (Übelkeit und Erbrechen, Appetitlosigkeit und Kachexie, chronische Schmerzen und Spastik) erreichen Cannabis und Cannabisprodukte nie die höchste Effektstärke. Die Möglichkeit , bei Spastik Cannabidiol (kein Suchtpotenzial) ohne Betäubungsmittelrezept zu verordnen, wird erst gar nicht erwähnt. Zu dem Systembruch im deutschen Gesundheitswesen durch das Cannabisgesetz positionieren sich die Autoren nicht ausreichend. Der Systembruch besteht darin, dass entgegen allen bisherigen Qualitätsforderungen unseres Gesundheitswesens nun Präparate ohne wissenschaftlichen Beleg in Umlauf kommen . Der gesamte Aufwand wird angetrieben von Hoffnungen und Wünschen ohne substanzielle Grundlage. In ähnlicher Weise wird das Risiko für Jugendliche und junge Erwachsene verleugnet und eine Anwendung nur bis zum 18. Lebensjahr limitiert. Damit nehmen die Autoren das physiologische Ende der Hirnreifung zwischen dem 21. und 23. Lebensjahr nicht zur Kenntnis. Gerade aber bis dahin wirkt Cannabis besonders giftig für die individuelle Entwicklung. Auch das belegte Risiko von Folge erkrankungen, zum Beispiel Schizophrenie, wird abgeschwächt behandelt. Zum anderen werden juristische Risiken für die ärztlichen Kollegen in den Bereichen Strafrecht, Haftungsrecht und Berufsrecht nicht angemessen berücksichtigt. Gerade bei dem Führen eines Kraftfahrzeugs unter Cannabis liegen die Tretminen für die tägliche Arbeit nicht nur am Wegesrand, wenn es zu Unfällen oder anderen Komplikationen kommt. Werden wohlmeinende Absichten verordnender Ärzte vor Gericht exkulpierenden Schutz bieten? Kann bei iatrogen eintretender Abhängigkeitsentwicklung Schadensersatzanspruch geltend gemacht werden? Die Nutzung des Heftes kann nur eingeschränkt und kritischem Auge empfohlen werden. Dr. med. Frank Härtel, Zwickau Anmerkung der Redaktion: Die 2. Auflage ist Ende August erschienen. 426 Ärzteblatt Sachsen 9 / 2017 Buchbesprechung Anlage 6 zur Kleinen Anfrage Drs.-Nr.: 6/15054 Anlage 7 zur Kleinen Anfrage Drs.-Nr.: 6/15054 Berufspolitik 53Ärzteblatt Sachsen 2 / 2018 Cannabis-Patientenausweis Risiko für Ärzte und Patienten Aus Apotheken erhielten wir Kenntnis , dass die Firma Cannamedical einen „Patientenausweis“ für An - wender von Medizinal-Cannabis ausstellt (www.cannamedical.de). Den Kontakt zwischen Patient und Firma soll die beliefernde Apotheke übernehmen . Der Ausweis soll belegen, dass der Besitzer vom Arzt verschriebenes Medizinal-Cannabis besitzt und dazu berechtigt ist, dieses bei sich zu führen und zu sich zu nehmen. Die Kommission „Sucht und Drogen“ der Sächsischen Landesärztekammer zweifelt die Funktion dieses Ausweises an, da nicht sichergestellt ist, aus welcher Quelle der Besitzer mitgeführtes Cannabis bezog. Es erscheint nicht ausreichend, dass der Ausweis in Verbindung mit der Kopie des Rezeptes, einem Lichtbildausweis und der Bescheinigung durch den Arzt oder der Krankenkasse vorgelegt werden soll. Ein einmal ausgestelltes ärztliches Rezept reicht aus, um einen solchen Ausweis zu erhalten !! Nach Therapieende ist der Patient verpflichtet, den Ausweis zu vernichten . Eine Kontrolle darüber gibt es nicht. Es ist aus juristischer Sicht in mehrfacher Weise unsicher, ob das Mitführen einer Rezeptkopie ausreichend ist beziehungsweise wie der Patient darüber zu informieren ist. Muss entschieden werden, ob ärztlich verordnete Cannabisdroge vorliegt oder illegale Ware, ist eine analytische Untersuchung zu veranlassen. Die genaue Angabe der aktuell ärztlich verordneten Cannabissorte ist daher entscheidend. Weiterhin ist nicht auszuschließen, dass der Ausweis Patienten fälschlich in Sicherheit wiegt, ein Kraftfahrzeug führen zu können. Aussagen zur Fahrtauglichkeit können mit dem Ausweis nicht begründet werden. Die Kommission „Sucht und Drogen“ sieht in dem Ausweis erhebliche Risiken für Patienten und Ärzte, die zu juristischen Folgen führen können und warnt vor seiner Anwendung. Es wird keine Möglichkeit geben, Kollegen vor juristischen Folgen zu schützen . Dr. med. Frank Härtel, Tobias Hückel Kommission „Sucht und Drogen“ der Sächsischen Landesärztekammer Anlage 8 zur Kleinen Anfrage Drs.-Nr.: 6/15054 ~ SÄCHSISCHE ':J! ~~2,~~~~2.~~;~:h~KAMMER Cannabis für medizinische Zwecke Gemeinsame Position Sächsische a Landesärztekammer Körperschaft des öffl!l1tlichen Rechts ~ der Sächsischen Landesärztekammer und der Sächsischen Landesapothekerkammer Am 19. Januar 2017 beschloss der Bundestag das "Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften". Die entsprechenden Regelungen traten im März 2017 in Kraft. Danach haben Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität. Zuvor war bereits eine Versorgung mit nabilonhaltigen Arzneimitteln in einem definierten Anwendungsgebiet möglich. Aus Sicht der Sächsischen Landesärztekammer und der Sächsischen Landesapothekerkammer ist es reichlich ein Jahr später an der Zeit, ein erstes Resümee zu ziehen. Zuallererst ist festzustellen, dass unsere Einwände und Bedenken wegen der offensichtlich vorrangig gesellschaftspolitischen Motivation für das gesetzgeberische Handeln auch nach einem Jahr fortbestehen . Es gibt aus unserer Sicht nach wie vor keine hinreichende medizinische Evidenz für die therapeutische Anwendung von Cannabis bei Patientinnen und Patienten. Hier steht der medizinische Einsatz der Substanz im klaren Widerspruch zu der ansonsten ja sehr konsequent verfolgten Nutzenorientierung bei der Zulassung und Verordnung von Arzneimitteln und Therapieverfahren insbesondere im Rahmen der Gesetzlichen Krankenversicherung. fusofem befinden sich die Ärztinnen und Ärzte in einer ausgesprochen schwierigen Situation, insbesondere dann, wenn sie aufgrund der medialen Aufmerksamkeit für das Thema mit Verordnungswünschen von Patienten konfrontiert werden. Anhand der von der Sächsischen Landesapothekerkammer und der AOK PLUS zusammengetragenen Verordnungsdaten lässt sich feststellen, dass sich die Mehrheit der Ärztinnen und Ärzte dieser unbefriedigenden Lage offenbar bewusst ist und versucht, mit der neuen Behandlungsmöglichkeit verantwortungsvoll umzugehen. Dafür spricht zumindest der geringe Anteil der nach unserer Einschätzung aus medizinisch-pharmazeutischen und drogenpolitischen Gründen besonders problematischen Verordnung von Cannabisblüten zum Rauchen. Seit März 2017 wurden in 52 % der befragten sächsischen Apotheken ca. 2.800 ärztlich verordnete Cannabisrezepte vorgelegt, davon ca. 89 % zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung und ca. 11 % Privatrezepte. 60,9 % der Patienten, die Cannabis oder entsprechende Zubereitungen auf ärztliche Verordnung erhielten, waren zwischen 30 und 65 Jahre alt. 31,6 % waren älter als 65 Jahre, lediglich 7,5 % der Patienten jünger als 30 Jahre. Verordnet wurden Cannabis und seine Zubereitungen in der überwiegenden Mehrzahl von Fachärzten, wie Onkologen und Neurologen sowie Schmerztherapeuten (insgesamt 78,2 %). Zum Rauchen wurden unverarbeitete Cannabisblüten nur auf 3,42 % der vorgelegten Betäubungsmittel-Rezepte abgegeben, die Abgabe von Cannabisblüten zur sonstigen Weiterverarbeitung, z. B. zum Einbacken in Kekse, etc. erfolgte in keinem nennenswerten Umfang (0,27 %). Fälle des offensichtlichen Erschleichens von Rezepten und des anschließenden Missbrauchs der Substanz, wie sie im futernet dokumentiert wurden, sind uns in Sachsen zumindest nicht bekannt geworden. Unsere gemeinsame Bilanz des ersten Jahres nach der Anwendung der neuen gesetzlichen Regelung fällt gleichwohl kritisch und überwiegend ernüchternd aus: Die geschaffene Möglichkeit zur Verordnung ist mit großem bürokratischem Aufwand für alle Beteiligten verbunden. Ärzte und Krankenkassen sind gezwungen, jeden Einzelfall in einem Antragsverfahren mit aufwendiger Begründung zu bearbeiten. Es ist aus unserer Sicht zunächst dringend erforderlich, die völlig unzureichende Evidenzlage zu den Möglichkeiten eines Einsatzes von Cannabis definitiv zu klären. Wie für alle anderen Arzneimittel, muss auch für Cannabisprodukte deren Wirksamkeit, Qualität und Unbedenklichkeit nachvollziehbar belegt werden. Dies sollte auch weiterhin den Genehmigungsbehörden vorbehalten bleiben. Es ist nicht absehbar, ob eine Begleiterhebung einen gesicherten Beitrag für die evidenzbasierte Medizin in Anlage 9 zur Kleinen Anfrage Drs.-Nr.: 6/15054 1 Sächsische I Landesärztekammer ~- Körperschaft des öffentlichen Rechts ~ der Qualität von kontrollierten Studien leisten kann. Die Ärztinnen und Ärzte benötigen klare und eindeutige Belege dafür, ob und bei welchen Krankheitsbildern Cannabis tatsächlich wirksam ist. Dies ist insbesondere für die Sinnhaftigkeit einer Verordnung von Cannabisblüten zu fordern. Gleiches gilt für die Apothekerinnen und Apotheker bei der Beratung der anwendenden Patientinnen und Patienten. Auch hier liegt das besondere Augenmerk auf der extrem aufwendigen und überdies pharmazeutisch problematischen Zubereitung und Anwendung unverarbeiteter Cannabisblüten. Des weiteren muss jedem Versuch, aus der nunmehr zulässigen medizinischen Anwendung von Cannabiszubereitungen mögliche inhaltliche Argumente und Begründungen für eine Änderung der bisherigen restriktiven Haltung gegenüber Cannabis als Genussmittel herzuleiten, mit aller Entschiedenheit entgegengetreten werden. Cannabis bleibt eine suchterzeugende und insbesondere für Jugendliche hochgefahrliche Substanz. Die sächsischen Ärzte und Apotheker fühlen sich der Gesundheit ihrer Patienten und Versicherten verpflichtet und lehnen eine Liberalisierung des Verkehrs mit Drogen ab, das gilt auch und gerade für Cannabis. Dresden, den & _ 5 _ 20;<' ~- Erik Bodendieck Präsident Sächsische Landesärztekammer Literaturhinweise: ~[-_i Friedemann Schmidt Präsident Sächsische Landesapothekerkammer Auf die schwache Evidenzlage, die Möglichkeiten eines Einsatzes von Cannabis oder seiner wichtigsten Reinsubstanzen und die zahlreichen offenen Fragen generell und im Detail für die verschiedenen Indikationen und Kontraindikationen gaben im letzten Jahr mehrere Fachpublikationen einen fundierten Überblick. Ausdrücklich benannt werden sollen hier wissenschaftliche Studien: P. Cremer-Schaeffer, Cannabis- Was man weiß, was man wissen sollte, S. Hirze1 Verlag, 2. Auflage 2017 W. Häuser et al., Cannabinoide in der Schmerz-und Palliativrnedizin, Deutsches Ärzteblatt 2017, H. 38, S. 627-634 E. Hoch et al. Cannabis: Potential und Risiken. Eine wissenschaftliche Analyse (CaPRis), 2017. 2 Anlage 10 zur Kleinen Anfrage Drs.-Nr.: 6/15054 315Ärzteblatt Sachsen 08|2018 Inhalt vorwort • Suchtgefahren frühzeitig erkennen . . . . . . . . . . . . . 316 • Sucht und Drogen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 themenheft • Epidemiologie suchtbezogener Problemlagen und Struktur der Versorgung suchtkranker Menschen in Sachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 • Abstinenz versus kontrollierter Konsum – Therapieziel bei Abhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 • „Mama denk’ an mich” (MAMADAM) . . . . . . . . . . . . . 331 • Auswege und Hilfen für suchtkranke Kinder und Jugendliche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 • Aktuelle Nachweismethoden von Substanzkonsum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 • Nikotin und Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 • Internetabhängigkeit – Symptom der Zeit? . . . . . . . 350 • Cannabiseinsatz in der Schmerz- und Palliativmedizin – Mythen und Fakten . . . . . . . . . . . 354 • Drogennotfälle in der Psychiatrie . . . . . . . . . . . . . . . 357 • Cannabis: Potential und Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . 363 amtliche • Satzung zur Änderung der Berufsordnung bekanntmachungen der Sächsischen Landesärztekammer . . . . . . . . . . . 368 mitteilungen der geschäftsstelle • Konzerte und Ausstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 ausschuss senioren • 23. Sächsisches Seniorentreffen 2018 . . . . . . . . . . . 369 verschiedenes • Treffen der Studienabgänger der Uni Leipzig . . . . . . 369 aus den kreisärztekammern • Seniorentreffen der KÄK Dresden . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 mitteilungen der kvs • Ausschreibung und Abgabe von Vertragsarztsitzen . . 370 personalia • Jubilare im September 2018 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 medizingeschichte • Hans Falladas prägende Jahre in Leipzig und seine Drogensucht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 einhefter • Fortbildung in Sachsen – Oktober 2018 Auswege und Hilfen für suchtkranke Kinder und Jugendliche seite 338 Cannabiseinsatz in der Schmerz- und Palliativmedizin – Mythen und Fakten seite 354 Aktuelle Nachweismethoden von Substanzkonsum seite 343 Anlage 11 zur Kleinen Anfrage Drs.-Nr.: 6/15054 Barbara Klepsch, Sächsische Staatsministerin für Soziales und Verbraucherschutz 316 Ärzteblatt Sachsen 08|2018 vorwort So vielfältig wie sich das Krankheitsbild „Sucht“ darstellt, so unterschiedlich ist die Situation jedes einzelnen Suchtkranken . Suchtmittelabhängigkeit ist in Entstehung und Verlauf ein jahrelanger Prozess . Wann der Suchtkranke den Zugang in das Hilfesystem findet, hängt von vielen unterschiedlichen Faktoren ab und unterliegt nicht selten einer Zufälligkeit . Ärztliches Wissen um die Symptome von Abhängigkeitserkrankungen und deren Vielfältigkeit sowie die verschiedenen Bausteine des Hilfesystems sind Möglichkeiten den Zugang zu Hilfen zu erleichtern und zu beschleunigen . Nach Angaben des Epidemiologischen Suchtsurveys 2015 leben im Freistaat Sachsen in der Altersgruppe der 15- bis 64-Jährigen derzeit 528 .000 Personen mit einem riskanten Alkoholkonsum von durchschnittlich mindestens 12 (Frauen) beziehungsweise 24 (Männer) Gramm Reinalkohol pro Tag . Rund 444 .000 Personen haben einen wöchentlichen Schmerzmittelgebrauch . Es gibt 178 .000 starke Raucher mit einem Konsum von mindestens 20 Zigaretten pro Tag sowie 145 .000 Cannabiskonsumenten und 12 .700 (männliche) Methamphetamin-Konsumenten bezogen auf die letzten zwölf Monate vor der Befragung . Für Frauen liegen keine gesicherten Zahlen vor . Von einem klinisch relevanten Substanzkonsum bezogen auf die letzten zwölf Monate betroffen, sind 493 .000 Personen im Zusammenhang mit Alkohol, 236 .000 Personen im Zusammenhang mit Tabak, 84 .000 Personen im Zusammenhang mit Medikamenten und 36 .000 Personen im Zusammenhang mit Cannabis . Die Gefahren, suchtkrank zu werden, nehmen nach allgemeiner Einschätzung derzeit weiter zu . Wir wissen um den weitgehend gesellschaftlich akzeptierten und alltäglich gewordenen Um gang mit Alkohol . Wir müssen eine große Gruppe abhängiger Konsumenten von Medikamenten konstatieren . Wir erleben die Diskussionen zur Legalisierung von Cannabis als Genussmittel . In Sachsen haben wir darüber hinaus eine hohe Zahl von Menschen, die auf Grund ihres Crystal- Konsums behandlungsbedürftig sind . Sucht ist ein komplexes und umfassendes Krankheitsbild, das psychische und physische Störungen für den einzelnen Betroffenen bedeutet, in seinen Begleiterscheinungen und Wirkungen jedoch sein gesamtes Umfeld beeinflusst . In der Folge müssen wir, neben der suchtkranken Person, eine hohe Zahl mitbetroffener Angehöriger, insbesondere Kinder, mit in den Fokus nehmen . Suchterkrankungen und übermäßiger substanzgebundener und substanzungebundener Konsum stellen auf Grund ihres epidemiologischen Ausmaßes inzwischen ein Problem dar, das weit über eine gesundheitspolitische Thematisierung hinausgeht . Angesichts der gesundheitlichen und sozialen Folgen von Suchterkrankungen für den Einzelnen und sein persönliches Umfeld sowie den volkswirtschaftlichen Auswirkungen des Suchtmittelkonsums verfolgt die sächsische Staatsregierung die Zielsetzungen der Verhinderung des Konsums insbesondere bei Kindern und Jugendlichen, die Reduzierung des schädlichen Konsums , die Förderung der Eigenverantwortung und Risikokompetenz , ein frühzeitiges Erkennen einer Suchtgefährdung und deren Beseitigung, die Behandlung der Suchtkranken durch ein differenziertes Angebot an Hilfen, aber nicht zuletzt auch eine Angebotsreduzierung und Repression . Ärztliche Kompetenz ist essentiell in diesem Aufgabenspektrum und kann als Hintergrund des achtsam geführten Arzt- Patient-Gespräches entscheidend zum frühzeitigen Erkennen einer Suchtgefährdung sowie deren adäquater Behandlung und Begleitung beitragen . Gleichzeitig ist ärztliche Expertise Teil eines komplexen Hilfesystems , welches von Präventionsprojekten, Angeboten der Frühintervention, ambulanter und stationärer Behandlung über Rehabilitationseinrichtungen bis zu Angeboten der Nachsorge sowie der Selbsthilfe, reicht . Beispielhaft herausgreifen möchte ich aus diesem Hilfesystem die insgesamt 46 Suchtberatungsund -behandlungsstellen (SBB) in Sachsen . Diese haben zusätzlich Außenstellen eingerichtet, um auch in ländlichen Gebieten eine möglichst wohnortnahe Beratung und Betreuung für Betroffene und deren Angehörige realisieren zu können . Zur Bezuschussung der Sach- und Personalkosten für die SBB wurden den Landkreisen und kreisfreien Städten vom Sächsischen Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz Fördermittel allein für 2017 von 5,5 Millionen Euro bewilligt . Mit diesem Themenheft bietet die Sächsische Landesärztekammer eine Plattform für eine umfassende und breite Information der sächsischen Ärzte . Dafür möchte ich mich ausdrücklich bedanken . Barbara Klepsch Sächsische Staatsministerin für Soziales und Verbraucherschutz © SM S Suchtgefahren frühzeitig erkennen 317Ärzteblatt Sachsen 08|2018 vorwort Dr . med . Frank Härtel, Vorsitzender der Kommission Sucht und Drogen Suchtmedizin ist eine Querschnittsdisziplin der gesamten Medizin . Mit nahezu allen medizinischen Fächern ist sie nicht nur über die originären Suchterkrankungen, sondern auch über Folge- und Begleiterkrankungen verbunden und beeinflusst fachliches Handeln . Die mit Prävention, Diagnostik und Therapie sowie Nachsorge verbundenen Kosten sind erheblich und werden je nach benutzter Quelle auf 40 Milliarden Euro und mehr in Deutschland beziffert . Einer intensiven gegenseitigen Beeinflussung unterliegen Suchtmedizin und Gesellschaft . Dabei spielt das angewendete Suchtmodell beziehungsweise Suchtverständnis – auch das in der öffentlichen Meinung – mit den resultierenden Anforderungen und Folgen für beide Bereiche und die Prävention eine ganz besondere Rolle, weil so gesellschaftliches und individuelles Denken und Handeln bewertend reguliert werden . Der Bedeutung des Suchtfeldes angemessen, können wir uns über unterstützende Worte unserer zuständigen Staats ministerin , Frau Barbara Klepsch, freuen . Den Umfang und die sächsischen Akzente der Versorgung Suchtkranker bringt uns dann auf sehr prägnante Weise Dr . rer . medic . Olaf Rilke nahe . Nach allen einschlägigen Statistiken bildet der Freistaat Sachsen zurzeit den Hauptplatz in der Auseinandersetzung mit der Methamphetamin-Problematik und ihren schwerwiegenden Folgen . Zwar dominieren auch in Sachsen die legalen Drogen Nikotin und Alkohol samt ihren biopsychosozialen Konsequenzen, es realisieren sich jedoch die methamphetaminbezogenen Schäden, wenn auch in kleinerer Zahl und in aber noch niedrigerem Lebensalter der Konsumenten und Abhängigen mit rascher eintretenden und ausgeprägteren Schäden . Auswege aus den Suchtproblemen zu finden, ist in den letzten Jahrzehnten breit diskutiert worden und hat auch den Anschein verschiedener Lösungsmöglichkeiten erweckt . Der grundlegenden Frage „Abstinenz oder kontrollierter Konsum“ widmet Dr . med . Theresa M . Glöckler ihren Beitrag . Das Optimum an Verbesserung kann ein Suchtkranker eben nur mit Abstinenz erzielen . Keine der im Suchtbereich konsumierten Substanzen oder praktizierten Verhaltensweisen ist existenziell unverzichtbar . Wegen des hohen Crystalkonsums häufen sich in Sachsen die überdauernden Schädigungen Ungeborener durch elterliches Fehlverhalten . Jeder Fall ist hier einer zu viel und wir wollen die Erfassung fördern und Möglichkeiten zur Fürsorge und Behandlung aufzeigen . Die Beiträge von Priv .-Doz . Dr . med . Jürgen Dinger et al . und Dr . med . Edelhard Thoms geben darüber fundiert Aufschluss . Ein sicherer Substanznachweis bildet die Grundlage weiteren Vorgehens bei häufig ungenügenden, anamnestischen Angaben . Wegen der Risiken, Urinproben zu manipulieren, haben wir eine aktualisierte Darstellung von Nachweis methoden für unverzichtbar gehalten, deren Autoren Dr . rer . medic . Michael Böttcher und Dr . med . Michael Waizmann sind . Der Beitrag von Prof . Dr . med . habil . Ekkehart Paditz über die Tabakproblematik zeigt, dass eine Änderung der öffentlichen Meinung für den Umgang mit Suchtstoffen positive Effekte zeitigt , wenn sie zudem noch restriktiv unterstützt wird . Die Quote jugendlicher Raucher hat in den letzten Jahren klar abgenommen , auch wenn mit diesem Erfolg die Schwierigkeiten nicht erledigt sind . Nun ist mit den substanzgebundenen Suchterkrankungen Pandoras Potenzial noch nicht erschöpft . Dipl .-Psychologe Endrik Böhle macht uns auf die suchtmedizinischen Risiken und Nebenwirkungen der IT-Branche aufmerksam . Die Zukunft wird zeigen, inwieweit wir es hier mit einer kommenden Volksseuche zu tun bekommen werden . Nach wissenschaftlich ungerechtfertigter Gesetzgebung, Cannabis zu medizinischen Zwecken zuzulassen, machen Priv .-Doz . Dr . med . Ulrich Schuler und Prof . Dr . med . habil . Rainer Sabatowski auf die einlaufenden Fehlentwicklungen des Cannabiseinsatzes in der Schmerz- und Palliativmedizin aufmerksam . Eine evidenzfreie Indikationsspreizung droht unter Schein- und Deckdiagnosen eher Cannabisabhängigkeit zu fördern, als schwer chronisch Kranken zu helfen . Unser Themenangebot endet mit dem Beitrag von Sven Kaanen zu einer praxisnahen knappen Übersicht erster Maßnahmen beim Drogennotfall . © SL ÄK Sucht und Drogen 318 Ärzteblatt Sachsen 08|2018 vorwort Wegen des fachlichen Streits um den medizinischen Cannabiseinsatz fand am 18 . Juli 2018 in der Sächsischen Landesärztekammer eine Informationsveranstaltung zur CaPRis-Studie und der Kritik an der Cannabisgesetzgebung statt . Moderiert wurde die Veranstaltung von dem Präsidenten der Sächsischen Landesärztekammer , Erik Bodendieck, über die wir aktuell berichten . Suchtmedizin erfordert neben diagnostischen Kenntnissen und therapeutischer Kompetenz unverzichtbar Regeln und Normen . Bei Suchterkrankungen und schädlichem Gebrauch handelt es sich um Erkrankungsgruppen, deren Kernelemente Grenzüberschreitung und chronische Progredienz bilden . Laissez faire oder Freigabe weiterer Substanzen bedeuten Preisgabe Betroffener . Prävention allein kann das nicht aufhalten . Die Auseinandersetzungen mit Suchterkrankungen werden Suchtmedizin und Gesellschaft erhalten bleiben, mit Konsequenz und Grenzsetzung aber besser zu bewältigen sein . Auch wenn‘s schwerfällt! Dr . med . Frank Härtel Vorsitzender der Kommission Sucht und Drogen und Suchtbeauftragter der Sächsischen Landesärztekammer (C ) E nr ic o M ay er 319Ärzteblatt Sachsen 08|2018 O . Rilke Zusammenfassung Übermäßiger Substanzkonsum, Suchterkrankungen und verhaltensbezogene Abhängigkeitserkrankungen zählen in Deutschland und auch speziell in Sachsen zu den häufigsten Gesundheitsproblemen mit gravierenden sozialen und ökonomischen Auswirkungen . Dies ist keine neue Feststellung, sondern beschäftigt unsere Gesellschaft, insbesondere die Sozial- und Gesundheitspolitik und das Hilfe- und Behandlungssystem , seit vielen Jahrzehnten . Deutlich ausgeprägt ist aktuell der Trend einer stärkeren Differenzierung und Komplexität suchtbezogener Problemlagen durch Veränderungen in der Verfügbarkeit psychoaktiver Substanzen (NPS, Crystal in Sachsen), Konsummuster (Mischkonsum), Ausdehnung auf verschiedenste Konsumentengruppen sowie aufgrund zunehmender stoffungebundener Suchtproblematiken , zum Beispiel im Zusammenhang mit Glücksspielen oder exzessivem Medienkonsum . Unabhängig davon zählen nach wie vor alkoholbezogene Störungen zu den häufigsten Suchtproblemen in den verschiedensten Versorgungsbereichen suchtkranker Menschen . Zur Bewältigung von Suchtproblemen und Suchterkrankungen ist ein differenziertes Hilfesystem vernetzter An - gebote erforderlich, die multiprofessionell aufgestellt sind und Hilfeleistungen im Rahmen niedrigschwelliger Arbeit, Beratung, Akutversorgung, Entwöhnung beziehungsweise zur sozialen und beruflichen Reintegration realisieren . In den Hilfeprozess sind neben direkt Betroffenen auch Angehörige, insbesondere die mitbetroffenen Familien einzubeziehen . Epidemiologie – Umfang und Differenzierung suchtbezogener Problemlagen in Sachsen Erhebungen zum Substanzkonsum und substanzbezogenen Störungen in der Bevölkerung werden regelmäßig durchgeführt , um bedarfsgerechte Angebote der Suchthilfe zu planen und suchtpolitische Maßnahmen, die zum Beispiel die Verfügbarkeit von Suchtmitteln einschränken , zu be gründen . Rechnerisch ergibt sich für die in Abbildung 1 aufgeführten Suchtformen ein Gesamtumfang von circa 4,2 Millionen sucht kranker Menschen (nach ICD-10) in Deutschland beziehungsweise bezogen auf Sachsen etwa 210 .000 Einwohner . Hinzu kommen betroffene Menschen mit anderen Suchtstörungen, so im Zusammenhang mit einer Medien- Abhängigkeit (PC/Internet), die als ei - genständige Abhängigkeitserkrankung („ga ming disorder“) im neuen ICD-11 aufgenommen werden soll . In der Summe besteht bei einem nicht geringen Bevölkerungsanteil von etwa zehn Prozent mindestens eine behandlungsrelevante Suchtproblematik . Be troffen sind von den Auswirkungen nicht nur die suchtkranken Menschen, sondern auch Angehörige in der Familie und im sozialen Umfeld . Aussagen zur Häufigkeit suchtbezogener Problemlagen werden auf Grundlage repräsentativer Erhebungen (= Epidemiologische Suchtsurveys) ge troffen, die jedoch methodisch begrenzt sind, da die Teilnahme an der Befragung freiwillig erfolgt und durch den Befragungsmodus bestimmte, unter Um - ständen stark suchtbelastete Bevölkerungsgruppen , wie Wohnungslose und Gefängnisinsassen, nicht erfasst werden . Dies führt zu Verzerrungen und themenheft Epidemiologie suchtbezogener Problem lagen und Struktur der Versorgung suchtkranker Menschen in Sachsen 320 Ärzteblatt Sachsen 08|2018 zur Unterschätzung der Suchtproblematik vor allem im Bereich der illegalen Drogen . Auch werden in der Regel differenzierte Konsumprofile, zum Beispiel bei Stimulanzien die Unterscheidung von Amphetamin, Methamphetamin , Ecstasy nicht erfasst . Die Erhebungen charakterisieren eher einen bundesweiten Durchschnitt zur Häufigkeit eines problematischen Substanzkonsums bei den vorherrschenden Problemsubstanzen beziehungsweise Substanzgruppen . Demnach ist ein beträchtlicher Bevölkerungsanteil von circa 20 Prozent mit einem klinisch relevanten (= problematischen) Alkoholkonsum zu registrieren . Des Weiteren wird eine Cannabis- Konsumprävalenz von sechs Prozent in der befragten Personengruppe der 18- bis 64-Jährigen festgestellt . Cannabis ist somit die am häufigsten konsumierte illegale Droge in Deutschland und speziell auch in Sachsen . Ein klinisch relevanter Cannabiskonsum ist bei 1,3 Prozent der Befragten anzunehmen . Sig nifikante Unterschiede im Freistaat Sachsen zu den bundesweiten Durchschnittswerten bestehen in den ge wählten Parametern nicht . Zu beachten sind jedoch geschlechtsspezifische Unterschiede . themenheft auswahl suchtbezogener störungen in deutschland/sachsen: art der suchtbezogenen problematik bundesweiter durchschnitt (in Klammern: absolute Zahlen hochgerechnet für Sachsen-SN) schätzungen zur anzahl ausgewählter abhängigkeitserkrankungen Alkohol-Abhängigkeit Medikamente Illegale Drogen (v .a . Cannabis, Stimulanzien, Opiate) Pathologisches Glücksspielen 1,8 Mio . (90 .000 in SN) 1,9 Mio . (95 .000 in SN) 319 .000 (15 .000 in SN) 200 .000 (10 .000 in SN) 12-Monats-Prävalenz von Hinweisen auf klinisch relevanten alkoholkonsum (AUDIT –Test) 19 – 20% Männer: ca . 30% Frauen: ca . 9% 12-Monats-Prävalenz des Konsums von cannabis 12-Monats-Prävalenz eines klinisch relevanten konsums von cannabis (SDS-Test) 6% Männer: ca . 7,5% Frauen: ca . 4% 1,3% DHS (2018) Jahrbuch Sucht 2018 Quelle: IFT (2017) Epidemiologischer Suchtsurvey in Deutschland, Befragung 18- bis 64-Jährige Abb . 1: Daten zum Umfang der Sucht-Problematik in Deutschland (Sachsen) a: Die Häufigkeit der Crystal-Delikte korreliert mit der Blau-Einfärbung in den Regionen . Quelle: aus BKA (2017) Rauschgiftkriminalität . Bundeslagebild 2016 b: Interaktive Karte mit der Darstellung von Abwasseruntersuchungen von Crystal (Methamphetamin) und Abbauprodukten im Jahr 2017 . Alle untersuchten Städte werden mit einem Kreissymbol gekennzeichnet . Die Höhe der Belastung korreliert mit dem Kreisumfang . Quelle: www .emcdda .europa .eu/topics/pods/waste-water-analysis Abb . 2 a, b: Indikatoren zur regionalen Verbreitung der Crystal (Methamphetamin)-Problematik in Deutschland Wie bereits erwähnt, sind Verzerrungen in der Konsumprävalenz mit Unterschätzung der Problematik im Zusammenhang mit illegalen Drogen zu berücksichtigen . Auch sind deutschlandweite Repräsentativerhebungen weniger geeignet, um regionale Besonderheiten in der Problemhäufung mit speziellen illegalen Drogen zu registrieren und differenzierte Aussagen zu substanzspezifischen Auswirkungen zu treffen . Insbesondere wird die be - sondere sächsische Problematik im Zusammenhang mit Methamphetamin (= Crystal) nicht deutlich . Berichte des Bundeskriminalamtes zu den Drogen-Sicherstellungen und Drogendelikten verdeutlichen die Konzentration crystalbezogener Problemfälle im Freistaat Sachsen und den angrenzenden Regionen . Ähnliche Muster der regionalen Verteilung liefern aktuelle Untersuchungen von Crystal-Abbauprodukten in den Abwässern ausgewählter Regionen in Deutschland . Diese Untersuchungen haben sich seit 2010 europaweit etabliert und erstmalig nahmen im letzten Jahr 16 Städte in Deutschland an Abwasseruntersuchun- gen zu Kokain, Amphetamin, Methamphetamin (= Crystal) und MDMA (= Ecstasy ) teil . Deutschlandweit wurden 2017 die mit Abstand höchsten methamphetaminbezogenen Abwasserwer- te in den Städten Chemnitz, Erfurt und Dresden gemessen (siehe Abb . 2 a, b) . Die besondere epidemiologische Situation in Bezug auf den Crystal-Missbrauch im Freistaat Sachsen bildet sich seit 2011 in der zunehmenden Inanspruchnahme suchtbezogener Hilfen in der ambulanten und stationären Suchthilfe ab . Aktuell werden mehr als ein Fünftel der Beratungsleistungen in den sächsischen Suchtberatungsstellen auf Grund einer Crystal-Problematik geführt . Besondere Herausforderungen bestehen in den häufigen komorbiden psychischen Störungen, der notwendigen Berücksichtigung be - sonderer Problemlagen im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Elternschaft sowie in den Anforderungen für die Vermittlung in suchtspezifische Beratung und Behandlung (das heißt niedrigschwellig, zeitnah, nahtlos) [1] . In Abbildung 3 sind die Verhältnisse zur Inanspruchnahme der ambulanten Suchthilfe in Sachsen im Bereich der Stimulanzien (F15-Diagnosen nach ICD10) im Zeitverlauf sowie im Vergleich zu bundesdeutschen Durchschnitts werten dargestellt . Zusammengefasst werden unter der Diagnose F15 Stimulanzien, das heißt in Abgrenzung zum Kokain die „anderen Stimulanzien“, wie Ecstasy, Amphetamin und Methamphetamin (= Crystal) . In Sachsen ist diese Kategorie zu circa 95 Prozent aufgrund crystalbezogener Problemlagen belegt . Der Beratungsanteil im Bereich der Stimulanzien ist in Sachsen um mehr als das Dreifache höher im Vergleich zum Bundesdurchschnitt . Für 2015 und 2016 wird eine leicht rückläufige Entwicklung der Beratungsanteile in Sachsen dokumentiert, die sich wohl auch im Jahr 2017 fortsetzt [2] . Unabhängig von der geschilderten Crystal-Problematik spielen alkoholbezogene Störungen im Vergleich der verschiedenen Suchtprobleme eine dominierende Rolle in der Suchthilfe . Laut Krankenhausstatistik sind die F10 (alkoholbezogenen)-Diagnosen mit einem Anteil von 74 Prozent bei den suchtbezogenen Diagnosen in Sachsen vertreten [2] . Besorgniserregend sind die seit 2014 zunehmenden Fallzahlen von Kindern und Jugendlichen mit einer Alkoholintoxikation in den sächsischen Krankenhäusern (Zunahme auf 745 Fälle in 2016 im Vergleich zu 515 Fällen im Jahr 2014) . In den sächsischen Suchtberatungsstellen besteht bei 56 Prozent der Hilfesuchenden eine Alkoholproblematik (Abb . 4) . Circa ein Drittel aller Beratungen werden aufgrund von Suchtproblemen im Zusammenhang mit illegalen Drogen (vor allem Crystal, Cannabis und Opiate) geführt . Die sogenannten stoff ungebundenen (= verhaltensbezogenen ) Suchtformen (pathologisches themenheft 322 Ärzteblatt Sachsen 08|2018 Glücksspielen, Medienabhängigkeit) spielen mit jeweils ein bis zwei Prozent eine untergeordnete Rolle . Steigende Trends zeichnen sich aber ab, sodass die Bedeutung dieser Suchtproblematiken zukünftig weiter zunehmen und eine differenzierte Angebotsentwicklung in den Suchthilfeeinrichtungen notwendig wird . Festzuhalten ist eine zunehmende Breite suchtbezogener Problemlagen sowohl innerhalb der stoffgebundenen als auch stoffungebundenen Suchtformen , die keine Randgruppen, sondern viele Menschen in nahezu allen Altersgruppen und unabhängig vom Ge - schlecht betreffen . Werden Hilfeangebote zu spät angenommen, führen Suchtprobleme häufig zu Abhängigkeitserkrankungen mit erheblichen ge - sundheitlichen und sozialen Beeinträchtigungen , wie familiäre Belastungen , berufliches Scheitern, Schulden und sozialer Rückzug . So liegt der Anteil erwerbsloser, suchtkranker Menschen , die in den sächsischen Suchtberatungsstellen be treut werden, zwischen 47 Prozent bei Alkoholabhängigkeit und bis zu 70 Prozent bei einer Suchtproblematik im Zusammenhang mit Opioiden beziehungsweise Crystal . Die Verbesserung der Ausbildungs- und Beschäftigungssituation ist somit neben medizinischen/psychotherapeutischen Ansätzen ein wichtiges Handlungsfeld , das zur Bewältigung suchtbezogener Problemlagen beiträgt . Eine besondere Herausforderung für die Suchtkrankenbehandlung und -be treuung besteht aktuell in der Zu - nahme komorbider Störungen (unter anderen sogenannten „Doppeldiagnosen “), das heißt suchtbezogener Problemlagen und psychische Erkrankung, wie Depression, Angststörungen sowie Mehrfachabhängigkeit in den verschiedensten Ausprägungen, zum Beispiel der Kombination von Alkoholabhängigkeit und Crystalproblematik oder pathologisches Glücksspielen und Crystalkonsum . Struktur der Versorgung suchtkranker Menschen in Sachsen Die dargestellte Vielfalt suchtbezogener Störungen und der durch diese beeinträchtigten Bereiche (zum Beispiel Gesundheit, Familie, Kinder, Arbeitswelt, Sicherheit) erfordern ein Netz differenzierter und leicht zugänglicher Einrichtungen mit Betreuungs-/ Unterstützungsangeboten, die sich an individuellen Bedarfslagen ausrichten, flexible Übergänge zwischen den Betreuungs- und Behandlungsangebo- Abb . 3: Beratungsanteile aufgrund Stimulanzien in der ambulanten Suchthilfe (2009 – 2016) im Vergleich Sachsen und Bundesdurchschnitt Quelle: DSHS 2009 – 2016 aus Sucht 2017, Bericht der Suchtkrankenhilfe in Sachsen SLS e .V . Abb . 4: Anzahl der Hilfesuchenden und Anteile der verschiedenen Suchtproblematiken in den sächsischen Suchtberatungsstellen 2017 themenheft stimulanzien (f15, u.a. crystal)-bedingter hilfebedarf in der ambulanten suchthilfe, 2009 – 2016 12.670 4.544 2.160 959 919 655 409 230 Alkohol Crystal Cannabioide Sonstige Opioide Glücksspiel andere ill. Drogen Medien Gesamtzahl 22.546 323Ärzteblatt Sachsen 08|2018 ten zulassen und multiprofessionelle Hilfestellungen für die bio-psychosozialen Krankheitsaspekte realisieren . Die jeweiligen Behandlungsziele bilden ein gestuftes Bedarfsspektrum ab und reichen von dringlichen kurzfristigen Zielen zur Sicherung des Überlebens bis hin zu weitreichend langfristigen Entwicklungen (berufliche/soziale Reintegration ; autonome Lebensgestaltung) . Ein wichtiger Handlungsansatz ist ein möglichst frühzeitiges Erkennen und Intervenieren bei suchtbezogenen Problemlagen , um Folgeschäden zu minimieren und Chronifizierung mit einhergehenden schweren gesundheitlichen und sozialen Beeinträchtigungen zu vermeiden . In der Umsetzung differenzierter Hilfestellungen bereiten die unterschiedlichen Zuständigkeiten (= Kosten-/Leistungsträgerschaft , geregelt im jeweiligen Sozialgesetzbuch SGB ) Schwierigkeiten und erfordern eine enge Zu - sammenarbeit zwischen den Akteuren, um bedarfsgerechte, nahtlose und nachhaltige Hilfeleistungen zu realisieren . In Abbildung 5 sind wichtige Versorgungsgrundsätze und Bausteine im Suchthilfesystem zusammengefasst . Während früher von der Behandlungskette ge sprochen wurde, spricht man heute vom Behandlungsnetz, da die Behandlungspfade weniger linear sind, sondern die Behandlung/Betreuung/ Unter stützung idealerweise flexibel auf Grundlage des individuellen Bedarfes ausgerichtet ist . Dies erfordert häufig koordinierende Unterstützungen im Sinne eines Fallmanagements, das regionale Suchtberatungsstellen übernehmen . Auch die ersten Kontakte zur Auseinandersetzung mit der Sucht finden häufig über Suchtberatungsstellen statt, sodass eine kontinuierliche Begleitung in der Krankheitsbewältigung stattfinden kann . Zusätzlich werden Bezugspersonen, wie zum Beispiel Angehörige von suchtkranken Menschen , beraten und unterstützt . Regionale Angebote von Suchtberatungsund Behandlungsstellen (in Sachsen = SBB) werden als Pflichtaufgaben innerhalb des Sächs .PsychKG (Sächsisches Gesetz über die Hilfen und die Unterbringung bei psychischen Krankheiten, aktuelle Fassung vom 7 . August 2014) Abb . 5: Kurzdarstellung zu Anforderungen und Bausteinen des Hilfenetzes für suchtbezogene Problemlagen themenheft 324 Ärzteblatt Sachsen 08|2018 vorgeschrieben . Mit der finanziellen Unterstützung durch den Freistaat Sachsen erfolgt die Ausgestaltung und Umsetzung der ambulanten Suchthilfe in der Verantwortung der kommunalen Gebietskörperschaft auf Ebene der Landkreise und kreisfreien Städte . In den letzten Jahren fand für die gestiegenen suchtbezogenen Aufgaben eine Angebotsentwicklung mit der Verbesserung der Fachkraft-Ausstattung statt [2] . In der Mehrzahl sächsischer Regionen wird aktuell (Stand 31 . De - zember 2017) ein Versorgungsgrad von mindestens einem Suchtberater pro 20 .000 Einwohner registriert (Ab - bildung 6) . Therapievorbereitung und -vermittlung zählen zu den wichtigen Aufgaben von Suchtberatungsstellen . Kooperationspartner sind sowohl die Einrichtungen der Akutversorgung, Entwöhnungsbehandlung aber auch Jugendhilfe oder Eingliederungshilfe . Aufgrund der zu - nehmenden Crystal-Problematik haben sich die erbrachten Hilfeleistungen in Kooperation mit Trägern der Jugendhilfe (zum Beispiel bei Crystalkonsum im Kontext Schwangerschaft und Elternschaft, Realisierung von Unterstützungsangeboten für suchtbelastete Familien, für Kinder beziehungsweise Eltern) um ein Vielfaches erhöht . Aber auch niedergelassene Ärzte, Einrichtungen der medizinischen Grundversorgung sind wichtige Netzwerkpartner und fungieren häufig als Anlaufstelle für suchtkranke beziehungsweise sucht gefährdete Menschen insbesondere im Zusammenhang mit somatischen und/oder psychischen Be - schwerden und durch die Einbeziehung suchtspezifischer Diagnostik, Kurzintervention und Weitervermittlung . Zu den wirksamsten suchtspezifischen Behandlungsoptionen zählen Entwöhnungsbehandlungen unter anderem im Anschluss an eine qualifizierte Entzugsbehandlung . So beträgt die katamnestische Erfolgsquote ein Jahr nach der Beendigung einer Alkoholentwöhnungsbehandlung über 40 Prozent [3] . Von Seiten der Kostenträger und Leistungserbringer erfolgten in den letzten Jahren verschiedene Bemühungen, Übergänge von der Akutbehandlung in die Entwöhnungsbehandlung (= Postakutbehandlung ) über sogenannte Nahtlosverfahren mittels gemeinsamer Rahmenkonzepte der Kostenträger zu verbessern und die Behandlungsformen flexibel umzusetzen mit der Zielstellung einer weiteren Stärkung der Therapie-Inanspruchnahme und des Behandlungserfolges . Nunmehr stehen flexible Therapieformen (ambulant, stationär, Kombitherapie, Adaption, Wechsel in ambulante Entlassungsform mit Therapieverkürzung, Wechsel in ambulante Rehabilitation mit Therapieverlängerung , Nachsorge) für eine bedarfsgerechte Therapieplanung und -durchführung zur Verfügung . Wichtige Beiträge für den Zugang zu suchtspezifischen Hilfen beziehungsweise zur Sicherung und Festigung von Therapieerfolgen leisten die gemeindenahen Angebote der Suchthilfe und kooperierende Einrichtungen (wie Jobcenter , Jugendhilfe) . Nachsorgeangebote in den Suchtberatungsstellen als auch Arbeits-/Beschäftigungs- und Freizeitangebote fördern die soziale Reintegration und gesellschaftliche Teilhabe suchtkranker Menschen . Diese Angebote nehmen einen wichtigen Platz im Hilfesystem ein . Dennoch fehlt häufig eine Regelfinanzierung und die Angebotsentwicklung findet nicht flächendeckend in Sachsen statt . Wünschenswert wären zukünftige Projektentwicklungen in gemeinsamer Verantwortung von Jobcenter, Rentenversicherung und Suchthilfeträger . Chancen dafür bietet ein neuer gesetzlicher Rahmen unter § 11 SGB IX, der eine Modellförderung zur Stärkung der Rehabilitation bis 2022 mit einem Ge - samtvolumen von jeweils 500 Millionen Euro deutschlandweit vorsieht . Bestandteile des Hilfenetzes sind verschiedene Formen der Eingliederungshilfe (Betreuung im Einzelwohnen, Wohngruppe oder sozialtherapeutische Wohnstätte), die bei schweren Suchtverläufen notwendig sind . Diese Men- Abb . 6: Regionaler Vergleich zur Fachkraft-Situation in der ambulanten Suchthilfe/Suchtberatung (dargestellt als Fachkraft-Schlüssel, Einwohner pro Fachkraft) . Regionen mit grün-dargestellten Balken erreichen eine Versorgungsdichte von 1:20 .000 oder günstiger . themenheft ambulante suchthilfe in den sächsischen regionen zum 31.12.2017: fachkraft-versorgung: einwohner pro fachkraft 325Ärzteblatt Sachsen 08|2018 schen sind aufgrund erheblicher körperlicher , psychischer und sozialer Be - einträchtigungen vorübergehend (unter Umständen dauerhaft) nicht in der Lage, selbstständig und eigenverantwortlich ihr Leben zu bewältigen und zu organisieren . Langjähriger chronischer Alkoholmissbrauch ist die häufigste Ursache für die schweren gesundheitlichen Folgeschäden (somatisch , psychiatrisch-neurologisch), die die Arbeits- und Teilhabefähigkeit erheblich einschränken . Zunehmend werden auch schwere chronifizierte Suchtverläufe im Zusammenhang mit illegalen Drogen (Crystal, Opioide) beziehungsweise Mischkonsum bei jüngeren Menschen (bis circa 35 Jahre) registriert, für die ein längerfristiger sozialtherapeutischer Unterstützungsbedarf , zum Beispiel zur Wiederherstellung der Reha-Fähigkeit, besteht . Ende 2018 werden für diese Menschen spezielle Betreuungsangebote an drei sächsischen Standorten zur Verfügung stehen . Sucht-Selbsthilfegruppen sind Zusammenschlüsse von Betroffenen (Suchtkranke , Angehörige von Suchtkranken) zur gegenseitigen Unterstützung . In Abb . 7: Screenshot der online Suchthilfe-Datenbank unter www .suchthilfe-sachsen .de themenheft 326 Ärzteblatt Sachsen 08|2018 Sachsen bestehen über 340 Gruppenangebote (als trägerunabhängige Gruppe, als Gruppe der Suchtselbsthilfeverbände Blaues Kreuz, Freundeskreise , Kreuzbund oder als Meeting der Anonymen Alkoholiker), die bei verschiedensten suchtbezogenen Problemlagen genutzt werden . Traditionell nehmen vor allem Menschen mit Alkoholproblemen an den Gruppentreffen teil . Aber auch Menschen mit einer anderen Suchtproblematik , wie im Bereich der illegalen Drogen, Spielsucht, Ess-Störungen , als auch Angehörige von suchtkranken Menschen, speziell auch Eltern suchtkranker Kinder, nutzen zunehmend die Selbsthilfeangebote für die Problembewältigung . Angebote der Selbsthilfe ermöglichen in der niedrigschwelligen , bedingungslosen Form erste Schritte aus der Sucht, sind aber primär be währte Bestandteile der Rückfallverhütung und Stabilisierung, denn hier erfolgt langfristige soziale Unterstützung und wird der Umgang in schwierigen Situationen und bei Rückfällen thematisiert . Die Wirksamkeit der Selbsthilfe ist wissenschaftlich anerkannt und die Empfehlung zum regelmäßigen, langfristigen Besuch von Selbsthilfegruppen ist ein wichtiger Bestandteil der S3- Behandlungs leitlinien suchtbezogener Störungen [3, 1] . Gegenwärtig werden zunehmend auch andere Formen der gegenseitigen Unterstützung unter Verwendung digitaler Kommunikationsmittel genutzt . So bestehen zum Beispiel online-Meetings der Anonymen Alkoholiker und unter www .breaking-meth .de finden Crystal-Konsumenten ein niedrigschwelliges Selbsthilfeangebot mit professioneller Moderation . Abschließend ist festzuhalten, dass Suchterkrankungen als Rezidiverkrankungen verschiedenste Hilfestellungen, unter Umständen auch Therapiewiederholungen , und generell langfristige Unterstützungen für Gesundheitsstabilisierung und Krankheitsbewältigung erfordern . Hier übernehmen medizinische Einrichtungen, Suchtberatungsstellen , weitere kooperierende Einrichtungen aber auch die zahlreichen Selbsthilfegruppen wichtige Aufgaben . Ein Überblick zu den Einrichtungen in Sachsen beziehungsweise in den sächsischen Landkreisen/Kreisfreien Städten ist in der online-Datenbank der Sächsischen Landesstelle gegen die Suchtgefahren e . V . unter www .suchthilfesachsen .de verfügbar (Abb . 7) . Im Mittelpunkt aller suchtbezogenen Hilfeleistungen stehen die betroffenen Menschen, Angehörige und Bezugspersonen, denen weiteres Leid erspart wird und für die sich neue Lebensperspektiven eröffnen . Zudem können beträchtliche, suchtbedingte Folgekosten für die Gesellschaft vermieden werden, sodass Bemühungen und Investitionen der beteiligten Kosten-/Verantwortungsträger und Leistungserbringer in den leistungsfähigen Strukturen der Suchthilfe und Suchtprävention lohnend sind . Literatur beim Autor Interessenkonflikte: keine Dr . rer . medic . Olaf Rilke Leiter der SLS-Geschäftsstelle Sächsische Landesstelle gegen die Suchtgefahren e . V . (SLS) Glacisstraße 26, 01099 Dresden E-Mail: rilke@slsev .de themenheft „Angebote der Selbsthilfe ermöglichen in der niedrigschwelligen, bedingungslosen Form erste Schritte aus der Sucht, sind aber primär be währte Bestandteile der Rückfallverhütung und Stabilisierung.“ Einladung 10. Netzwerktreffen Vom Piloten in die Regelversorgung Neue Ansätze der ärztlichen Nachwuchsgewinnung 12. September 2018, 14.00 Uhr, im E-Werk Weißwasser/O.L., Straße des Friedens 13-19 Die Teilnahme an der Veranstaltung ist kostenfrei. Anmeldung: info@aerzte-fuer-sachsen.de oder 0351 8267 136 # Pilotprojekte für Modellregionen # Telemedizin im Vogtlandkreis # Eigenpraxis Mügeln # Ärzte für Ostsachsen # CWE Nachwuchs-Kampagne # LEADER-Förderungen Anzeige 327Ärzteblatt Sachsen 08|2018 T . M . Glöckler Zusammenfassung hintergrund Nicht alle Patienten mit einer Abhängigkeit können sich primär ein abstinentes Leben als realistische Perspektive vorstellen . Eine nicht-abstinenzorientierte , suchtspezifische Behandlung als vorläufiges Therapieziel scheint für einige dieser Patienten zunächst eine vorübergehende Alternative zu sein . Die Therapie des kontrollierten Trinkens nach Körkel, ursprünglich etabliert 1981 durch Heather & Robertson in London, wird einer abstinenzorientierten Behandlung gegenübergestellt, wobei Vor- und Nachteile der Behandlungsmethoden anhand wissenschaftlicher Studien aufgeführt und im Kontext des Konsumverhaltens, der Hirnentwicklung , der Funktion des Suchtgedächtnisses , der Rückfallprophylaxe als auch medizinischer Begleiterkrankungen kritisch betrachtet werden . methoden Selektive Literaturrecherche (PubMed, Google Scholar, Handsuche) mit Be - rücksichtigung von Cochrane-Analysen ergebnisse Kontrolliertes Trinken ist maximal in Einzelfällen wie zum Beispiel im Falle einer Suchtverlagerung von illegalen Drogen auf Alkohol einer abstinenzorientierten Therapie vorzuziehen . Als Fazit ist dennoch dem Therapieziel Abstinenz eindeutig Präferenz zu konzedieren . berücksichtigte schlüsselwörter Abstinenz – kontrolliertes Trinken, Suchtgedächtnis, Suchtverlagerung Divergierende Verständnisse von Alkoholismus wie Alkoholismus als Krankheit gemäß ICD-10-Klassifikation, Alkoholismus als Krankheit aufgrund der Disposition nach Jellinek, 1960 [1]; Alkoholismus – das Suchtgedächtnis und Alkoholismus als multidimensionaler Phänotyp haben in ihrem Widerstreit fundamentaler Sichtweisen unterschiedliche Therapiekonzepte befördert . Kontrollierter Substanzkonsum Heather & Robertson [2, 3] entwickelten 1981 in London die Methode des „controlled drinking“ als moderated oriented cue exposure (MOCE, cue = alkoholassoziierter Stimulus) nach dem Prinzip der klassischen Konditionierung mit dem Ziel der Exposition gegenüber alkoholassoziierten Stimuli ohne Alkoholkonsum , was zur Reduktion beziehungsweise Extinktion der craving- Antwort führen sollte . Bereits in den 1960er Jahren löste diese Therapieform heftige Debatten aus . Körkel etablierte in Anlehnung daran 2005 in Hamburg und Heidelberg das KISS-Programm (Kompetenz im selbstbestimmten Substanzkonsum ) mit gezielter Reduktion legaler und illegaler Drogen in Einzelund Gruppenpsychotherapie als Behavioral self controlled therapy (BSCT) [4, 5] . Danach beschließen 10 bis 30 Prozent der Konsumenten während der Behandlungsphase Abstinenz . Unter kontrolliertem Substanzkonsum ist nach Körkel ein risikoarmer Konsum zu verstehen, der auch als „moderates Trinken“ definiert wird . Dies bedeutet für einen gesunden Mann, auf Dauer täglich 0,5 Liter Bier oder 0,2 Liter Wein oder drei einfache Schnäpse und zwei alkoholfreie Tage pro Woche . Für eine gesunde, nicht schwangere Frau be - deutet es auf Dauer täglich die Hälfte der Konsummenge eines gesunden Mannes und zwei alkoholfreie Tage pro Woche . Die Deutsche Hauptstelle für Suchtgefahren aus dem Jahr 2017 [6] beschrieb als moderaten Konsum be - ziehungsweise als Grenze 12 g Reinalkohol pro Tag für Frauen und 24 g für Männer . Oberhalb dieser Grenze ist Alkoholkonsum mit erhöhten Risiken verknüpft . Allerdings differieren die Definitionen des moderaten Konsums in einzelnen Studien häufig . So wird unter dieser Konsumart einerseits Abstinenz versus kontrollierter Konsum – Therapieziel bei Abhängigkeit „Es ist leichter, einer Begierde ganz zu entsagen, als in ihr Maß zu halten.“ Friedrich Nietzsche, deutscher Philosoph themenheft 328 Ärzteblatt Sachsen 08|2018 bereits Abstinenz andererseits sporadischer Konsum subsumiert [7] . Der kontrollierte Substanzkonsum als Therapieform impliziert zunächst einen zieloffeneren, realistischeren Blick auf den Konsum, einen hilfreichen Zwischenschritt beziehungsweise ein alternatives Therapieziel, verbunden mit finanziellen Aspekten, wie der möglichen Kostenreduktion von Notfallbehandlungen . Als Zielgruppe werden aufgeführt: Patienten, die nicht bereit sind, abstinent zu leben; die rasch rückfällig werden aufgrund einer Notlage; die noch keinen Kontrollverlust im Trinkverhalten haben sowie polytoxikomane Patienten [8] . Körkel empfiehlt eine detaillierte Dokumentation des Konsumverhaltens (Art und Menge der Substanz, Häufigkeit Tag/ Woche/Monat, Konsumart, Ort, soziales Umfeld, eigenes Befinden) [9] . Daraus sollen Zielfestlegungen abgeleitet werden für einen Zeitraum von sieben Tagen: entweder ein unveränderter Weiterkonsum, ein reduziert-kontrollierter Konsum, eine zeitbefristete oder eine lebenslange Abstinenz . Anstelle von „Problemsubstanzen“ werden so - genannte „Übungssubstanzen“ wie Kaffee, Süßigkeiten, Fernsehen, PC – die in sich bereits ein Suchtpotential bergen – empfohlen . Die Patienten er - halten ein Übungsmanual, ein Pocket- Trinktagebuch und die Therapie wird im ambulanten Bereich fortgesetzt . Die Behavioral self controlled therapy (BSCT) stellt eine standardisierte moderat-orientierte Behandlung von Abhängigen in mittlerweile vielen Ländern dar . Dabei werden ein bis zwei Vorgespräche geführt mit Diagnostik, Einführung in das Konsumtagebuch, Suche von Verbündeten . Es folgen zwölf aufbauende Module pro Woche mit klarer Ziel- und Inhaltsstruktur . Über diese Therapieform existieren mehrere kontrollierte Studien . Eine Langzeitstudie von Miller et al . von 1992 [10] führt aus, dass die Erfolgsrate drei und zwölf Monate nach kontrollierter Therapie für die Patienten, die abstinent geworden waren zwischen 60 bis 70 Prozent lag, nur 10 bis 15 Prozent konsumierten Alkohol konstant moderat-problematisch weiter . In einer früheren Zwei-Jahres-Studie von Miller & Baca [11] lag die Erfolgsrate ähnlich hoch . Hier zeigten Patienten mit erhöhtem Konsum zu Beginn ein besseres outcome als Patienten mit Niedrigkonsum . Guillemont et al . konnten in einer sechswöchigen Follow-up-Studie eine signifikante Trinkmengenreduktion von zehn Prozent pro Woche (p= 0,03) aufzeigen [12] . In einer Studie von Rosenberg konnten Unterschiede in der Akzeptanz des Trinkziels „Non-Abstinenz “ in Abhängigkeit vom jeweiligen Suchtmittel aufgezeigt werden [13] . Von 432 Patienten mit webbasierter Befragung entschieden sich 30 Prozent der Patienten mit Alkoholmissbrauch und 24 Prozent mit Cannabismissbrauch für „Non-Abstinenz“ als Endziel . In der Gruppe der anderen Drogen waren es nur 11 bis 13 Prozent der Patienten . Dagegen entschieden sich in der Gruppe der Patienten mit einer Abhängigkeit nur 9 bis 13 Prozent für das Endziel „Non-Abstinenz“ . 20 bis 30 Prozent der Patienten mit Abhängigkeit gaben „Non-Abstinenz“ lediglich als Zwischenziel an . In Studien zum kontrollierten Konsum von Drogenpatienten mit Alkohol als Beikonsum [14 – 17] wurde in der Mehrzahl der Rückfälle Alkohol als Beikonsum eingesetzt . Im Ergebnis der Studien konsumierten Polytoxikomane durchschnittlich weniger multiple Substanzen und verringerten zusätzlich den Alkoholkonsum . Im Vordergrund stand in den betreffenden Studien die Reduktion der konsumierten Droge(n) und nicht die Bewertung des gemäßigten Alkoholkonsums als negatives Behandlungsergebnis . Durch die Option des kontrollierten Trinkens wird von einer gesteigerten Willens- und Handlungsfreiheit ausgegangen , wobei die Fähigkeit zur Folgenabschätzung , vorhanden sein sollte . Abstinenz sollte stets in einem offenen Dialog mit ihren Vor- und Nachteilen eingebracht werden . Mit Nalmefen, einem µ-Opioid-Re zeptor -Antagonist/partiellem κ-Rezeptor- Agonist steht eine medikamentöse Trinkmengenreduktion zur Verfügung . In drei großen randomisierten doppelblinden Studien konnte eine Gefährdungsreduktion durch Reduktion der Alkoholkonsummenge verdeutlicht werden [18, 19] . Unter Nalmefen reduzierte sich die totale Trinkmenge um 25 Prozent gegenüber 19 Prozent in der Placebogruppe [20] . Der Einsatz die - ses Medikaments sollte ausschließlich Hochrisikokonsumenten für zunächst zwei Wochen mit Anfertigung eines Trinkprotokolls und psychosozialer Angulierung vorbehalten sein [21] . Abstinenzorientierte Behandlung Nach Schneider und Fiedler ist die abstinenzorientierte Behandlung eng mit Loslösung aus der gewohnten Umgebung , Einfügen in eine Haus- und Stationsordnung , Fokus auf sich selbst, Zugewinn an neuen Erfahrungen und themenheft © pi xe lio /T ho m as B . 329Ärzteblatt Sachsen 08|2018 Erleben von Gemeinschaft verknüpft [22, 23] . Die Motivationstherapie als qualifizierte Entzugsbehandlung ist stationär, seltener teilstationär möglich . Die stationäre Therapieform sichert eine medikamentöse Entgiftungsbehandlung besser ab, erhöht den Schutzraum zur Festigung der Motivation und schirmt zugleich vom sozial problematischen Umfeld ab . Die teilstationäre Behandlung öffnet sich partiell für den individuellen realen Alltag, konfrontiert damit intensiver mit den persönlichen Konflikten, ermöglicht allerdings eine geringere Kontrolle der Abstinenz . Als theoretische Grundlagen der Motivationstherapie sind das Modell der Veränderungsphasen nach Procharska & DiClemente mit Kurzinterventionen in Form offener Fragen, reflektierendem Zuhören, positiver Rückmeldung, den vier Veränderungsphasen (Precontemplation, Contemplation , Action, Maintenance) [24]; das sozialkognitive Rückfallmodell nach Marlatt und Gordon [25]; Module des interaktiven Skills-Trainings nach Bohus [26 – 30] sowie die Motivierende Gesprächstechnik nach Miller & Rollnik (mit feedback, responsibility, advice, menu, empathy, self efficacy) zu nennen [31] . Bereits 1989 wurde in der prospektiven Studie von Feuerlein und Küfner mit 1 .470 Patienten nach 18 Monaten eine Abstinenzrate von 53 Prozent und nach 48 Monaten von 46 Prozent erreicht [32] . Krampe et al . konnten 2007 in einer Langzeitstudie zeigen, dass bei einer Abstinenzrate von über 50 Prozent in einem Neun-Jahres-Zeitraum der Einstieg in die Arbeitsfähigkeit bei 60 Prozent der Patienten gelang . Gleichzeitig gingen komorbide Störungen ab einer Abstinenz von drei Jahren zurück [33] . In einer MRT-Studie zur Alkoholabstinenz fand sich in der Akutphase eine Ventrikelvergrößerung um 42 Prozent mit moderater Reduktion des Frontallappens . Nach einer Periode der Abstinenz von sechs und neun Monaten waren diese Veränderungen komplett reversibel [34] . Einen relativ neuen Ansatz stellt das PC-gestützte Rückfallpräventionstraining bei Alkoholabhängigkeit , was Lindenmeyer et al . entwickelten, dar . Dabei wird mittels Joystick-Methode das Alkoholbild vermieden /weggedrückt und nichtalkoholische Getränke werden angenähert/ herangezogen . Katamnesedaten hierzu zeigten eine signifikante Verbesserung (im Vergleich vor/nach Abstinenz), dass die Alkoholvermeidungstendenz trainierbar ist und zudem bildmorphologisch die Alkoholreagibilität in der linken Amygdala reduziert werden konnte [35] . Das Suchtgedächtnis Evolutionsgeschichtlich ist das sogenannte „Suchtgedächtnis“ in sehr alten Hirnarealen lokalisiert (basales Vorderhirn , Teile des limbischen Systems vor allem Hippocampus und Amygdala, Ncl . caudatus, ventrales Tegmentum, Ncl . accumbens) . Es prägt sich nicht bei jedem Alkoholabhängigen aus . Da es eine archaische Struktur ist, können auch noch Jahre nach einer Entgiftung suchtmittelassoziierte Reize eine un - willkürliche Reaktion auslösen . So mit ist das Suchtgedächtnis als löschungsresistent zu charakterisieren [36 – 38] . Angelehnt daran führt nach der Incentive Sensitization Theory of Addiction [39, 40] wiederholter Substanzkonsum zur Sensitivierung des dopaminergen Systems mit erhöhter Aufmerksamkeitszuwendung gegenüber suchtmittelassoziierten Reizen . Die Dopaminrezeptorbindung ist hierbei um das circa 200-fache erhöht . So führt beispielsweise bereits die Präsentation eines Alkoholfotos zur Dopaminaktivierung, auch bei den Personen, denen im Vorfeld der Anblick von Alkohol egal war . Ebenso belegt die Kindling-Hypothese von Becker, dass chronisch repetitive Reize zur Nachentladung führen . Ge - ringe Reize reichen in Folge aus (Kombination von Abstinenzphasen oder Entzügen), um zur Bahnung eines Alkothemenheft 330 Ärzteblatt Sachsen 08|2018 ken empfohlen werden, da bereits geringste Mengen von Alkohol zwanghafte Handlungen auslösen . Vergleich Abstinenz versus kontrollierter Konsum Im Vergleich der Abstinenz gegenüber kontrolliertem Konsum sprechen folgende Faktoren eindeutig für die abstinenzorientierte Behandlung: die Hypothese des Suchtgedächtnisses, Synapsenbildung durch Lernen bei vorhandener Motivation, Regredienz hirnmorphologischer Veränderungen [42], das Vorhandensein von Folgeerkrankungen, bestehende kognitive Defizite . Für einen kontrollierten Konsum werden folgende Faktoren aufgeführt: vorhandene Motivation (der ausdrückliche Wunsch des Patienten) und Selbsteffizienz , Hochkonsum, Polytoxikomanie, rasche Rückfälle, episodisches Trinken . Ein Hochkonsum birgt ein stark erhöhtes Risiko für Folgeerkrankungen und bei einem Großteil der Patienten existieren diese bereits . Gegen episodisches Trinken sprechen zudem die Daten des Rauschkonsums, wodurch ein frühzeitigeres Versterben aufgezeigt werden konnte [7] . Argumentativ würden gegen eine Abstinenz im Umkehrschluss eine geringe Motivation und ein Hochkonsum ohne Folgeerkrankungen sprechen als auch eine Polytoxikomanie . Gegenargumente für Non-Abstinenz wären letztlich die Pro- Argumente für eine abstinenzorientierte Behandlung (Infokasten 1 und 2) . Unter Berücksichtigung des Europäischen Codes zur Krebsprävention, wo unter anderem die Begrenzung der Konsummenge des Alkohols als ein entscheidender Faktor zur Minimierung des Krebsrisikos zählt, müssen letztlich nahezu alle Argumente der Empfehlung des kontrollierten Trinkens entkräftet werden . So wird ausgeführt, dass Abstinenz von Alkohol besser sei für die Prävention von Krebs als Konsum [43] . Dies empfiehlt gleichermaßen der Weltförderfonds gegen Krebs [44, 45] . Hier wird deutlich, dass moderater Konsum von Alkohol zu erhöhten Erkrankungsrisiken führen kann, damit ist auch moderater Konsum medizinisch gesehen nicht mehr als risikoarm einzustufen [7, 46 – 49] . Schlussfolgerungen Der Mehrzahl der Patienten im stationären Setting ist Abstinenz anzuraten . Nach der stationären Entzugsbehandlung sind engmaschige ambulante Kontakte zur Gewährleistung der Abstinenz zielführend . Die Öffnung für kontrollierten Substanzkonsum sollte nur in Einzelfällen unter ausdrücklich fachlicher Anleitung erfolgen . Für eine erfolgreiche Entzugsbehandlung sollten geeignete Strukturen (klare Konzeption , Personalschulung) ohne Konzeptvermischung etabliert werden . Literatur bei der Autorin Interessenkonflikte: keine Dr . med . Theresa M . Glöckler Städtisches Klinikum Dresden Neustadt, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Heinrich-Cotta-Straße 12, 01324 Dresden E-Mail: Theresa .Gloeckler@klinikum-dresden .de pro abstinenz Motivation Hypothese Suchtgedächtnis Synapsenbildung – Lernen Folgeerkrankungen kognitive Defizite Regredienz hirnmorphologischer Veränderungen kontra abstinenz geringe Motivation schwerer Konsum ohne Folgeerkrankungen Polytoxikomanie Infokasten 1 pro kontrolliertes trinken Motivation und Selbsteffizienz ausdrücklicher Wunsch schwerer Konsum ohne Folgeerkrankungen Polytoxikomanie rasche Rückfälle, episodisches Trinken kontra kontrolliertes trinken Hypothese Suchtgedächtnis Folgeerkrankungen kognitive Defizite Infokasten 2 themenheft holentzugskrampfes, von Krampfanfällen an sich oder zur Delirentwicklung zu führen [41] . Alkoholabhängigen mit einem aktivierten Suchtgedächtnis soll te deshalb kein kontrolliertes Trin- 331Ärzteblatt Sachsen 08|2018 J . Dinger1, J . Reichert1 und Mitarbeiter des Dresdner Versorgungspfades Crystal* Sachsen zählt im Bundesvergleich be - zogen auf die Geburtenrate zu den Spitzenreitern . Trotz dieser erfreulichen Tatsache bereitet den Geburtshelfern und Kinderärzten die stetige Zunahme von Neugeborenen, deren Mütter während der Schwangerschaft illegale Drogen konsumieren, große Sorgen . War vor zehn Jahren unser Augenmerk noch auf die Opiate gerichtet, zeichnet sich seit mehreren Jahren eine besorgniserregende Veränderung ab . Besonders beunruhigend ist die Zunahme von Neugeborenen in Sachsen, deren Mütter während der Schwangerschaft die Droge Methamphetamin (MA) konsumieren . Ein gesundes Aufwachsen dieser Kinder kann unter anderem durch den mütterlichen Drogenkonsum während der Schwangerschaft gefährdet sein . Methamphetamin – auch Crystal Meth, Yaba, Crank, Speed oder Ice genannt – ist eine stimulierende und leicht verfügbare Substanz . Entgegen dem bundesweit leicht rückläufigen Konsum illegaler Drogen verzeichnen Sachsen und Bayern in den zurückliegenden Jahren eine wachsende Zahl von Personen , die Methamphetamin konsumieren . Während 2011 noch eine Konzentration des Klientenaufkommens in der Sucht- und Drogenberatung in den grenznahen Regionen festzustellen war, fand während der jüngst zurückliegenden Jahre eine Ausdehnung auch auf grenzfernere Regionen und insbesondere auf die Ballungsräume Chemnitz , Leipzig und Dresden statt . Zeitgleich verdoppelte sich die durchschnittliche Klientenzahl in der Drogenberatung von 58 auf 104 pro 100 .000 Einwohner, resultierend aus einem sachsenweit zunehmenden Methamphetamin -Konsum . Unter den Methamphetamin-Konsumenten finden sich vor allem junge Menschen – zwei Drittel sind 20 bis 30 Jahre alt – mit unterschiedlichen Konsummotiven und Zugangswegen zur Droge; ein Drittel sind Frauen . Das bedeutet, dass gerade Menschen in der Phase der aktiven Reproduktion und der Familienbildung einer besonderen Gefährdung unterliegen können . Eine Unterstützung der betroffenen Familien mit dem Ziel, die Auswirkungen des Drogenmissbrauchs zu minimieren, muss daher bereits rechtzeitig, das heißt spätestens während der Schwangerschaft , besser noch davor, beginnen . Die Auswirkungen des steigenden Drogenkonsums sind bis in geburtshilfliche und kindermedizinische Einrichtungen zu beobachten . Mit der vorliegenden Publikation möchten wir über die epidemiologische Situation in Sachsen, die Erfahrungen bei der interdisziplinären medizinischen und multiprofessionellen Versorgung von Müttern und Neugeborenen nach Pränataler Methamphetamin-Exposition (PME), die am Perinatalzentrum des Universitätsklinikums Dresden in den Jahren 2007 bis 2017 stationär behandelt wurden, berichten und den Versorgungspfad „Mama, denk‘ an mich“ (MAMADAM) vorstellen . Entwicklung in Sachsen Während für Sachsen umfangreiche Daten zum Methamphetamin-Konsum und den gesundheitlichen Auswirkungen auf Jugendliche und Erwachsene vorliegen, ist die Datenlage für Methamphetamin -konsumierende Schwangere und deren Neugeborene noch äußerst spärlich . In den zurückliegenden Jahren ist, basierend auf den Daten der Sächsischen Neonatalerhebung, eine erhebliche Zunahme der Neugeborenen mit PME von 0,6 auf 5,5 pro 1 .000 Geburten im Vergleich der Jahre 2007 und 2017 zu verzeichnen; im Bundesdurchschnitt wird eine Häufigkeit von 2 pro 1 .000 Neugeborene ge schätzt . Allein 2017 wurden in Sachsen insgesamt 198 Früh- und Neugeborene mit Entzugssymptomen nach Einnahme abhängigkeitserzeugender Drogen durch die Mutter (P96 .1), darunter 167 mit stationärer Behandlung nach der Ge - burt wegen einer Schädigung des Feten und Neugeborenen (P04 .4) registriert . Die Abbildung 1 veranschaulicht die „Mama denk‘ an mich“ (MAMADAM) Ein interdisziplinäres und multiprofessionales Hilfsangebot für Mutter und Kind mit Methamphetamin-Konsum während der Schwangerschaft * Dresdner Versorgungspfad Crystal: J . Hennig1, P . Hinner1, K . Nitzsche2, J . Pietsch3, M . Rüdiger1, U . Schmidt3, J . Schmitt4, U . S . Zimmermann5, N . Zöllner1 1 Fachbereich Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin, Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden 2 Klinik und Poliklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden 3 Institut für Rechtsmedizin, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden 4 Zentrum für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung , Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden 5 Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden themenheft 332 Ärzteblatt Sachsen 08|2018 stationären Aufnahmen von Neugeborenen mit PME in den zurückliegenden zehn Jahren für die drei sächsischen Regierungsbezirke . Befunde zu Schwangeren, Mutter und Kind schwangere und schwangerschaftsverlauf Im Zeitraum von Januar 2007 bis Dezember 2017 wurden 197 Neugeborene mit PME unmittelbar nach der Geburt stationär im Perinatalzentrum des Universitätsklinikums Dresden aufgenommen . Nach rasantem Anstieg der Patientenzahlen zwischen 2011 und 2014 bleiben diese seit 2015 auf einem hohen Niveau stabil (Abb . 2) . Nahezu zwei Drittel der Frauen mit Methamphetamin-Konsum während der Schwangerschaft waren zum Zeitpunkt der Entbindung zwischen 20 und 30 Jahren alt . Hinsichtlich beruflicher und familiärer Situation fanden sich keine Auffälligkeiten . Alarmierend ist der Umstand, dass die Schwangeren die Untersuchungen im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorge häufig un - regelmäßig oder gar nicht wahrgenommen haben .Der Anteil von Frauen mit der ersten Untersuchung bis zur 13 . Schwangerschaftswoche betrug nur 41 Prozent . Zum Vergleich: 2016 nahmen in Sachsen von 36 .740 in der Perinatalstatistik erfassten schwangeren Frauen 32 .952 (89,7 Prozent) bis zur 13 . Schwangerschaftswoche diese Untersuchung wahr (Abb . 3) . Durch eine exakte Anamneseerhebung und gezielte Nachfrage – auch zum Konsum illegaler Drogen – wurde die Mehrzahl der Methamphetamin-Konsumentinnen identifiziert . Überwiegend gaben diese Frauen an, mit Bekanntwerden der aktuellen Schwangerschaft sofort den Konsum beendet zu haben . Mit einem Drogenscreening im Urin noch im Kreißsaal erklärten sich 80 Prozent von ihnen einverstanden . Im Gegensatz zur Angabe, sie hätten den Methamphetamin-Konsum mit Be - kanntwerden der Schwangerschaft ein- gestellt, konnte bei nahezu 50 Prozent der Neugeborenen ein aktueller Konsum von Methamphetamin/Amphetamin kurz vor Aufnahme der Schwangeren zur Entbindung anhand eines positiven Screenings im Urin nachgewiesen werden . Befunde beim Neugeborenen Neugeborene, deren Mütter während der Schwangerschaft Heroin, Methadon beziehungsweise andere Opiate eingenommen haben, werden fast immer mit einem definierten Neonatalen Abstinenzsyndrom (NAS) auffällig, dessen Inzidenz in Deutschland auf circa 2 pro 1 .000 Geburten geschätzt wird . Der Finnegan-Score erlaubt Abb . 1: Anzahl stationärer Aufnahmen von Neugeborenen mit PME in den sächsischen Regierungsbezirken 2007 bis 2017 Abb . 2: Anzahl der am Universitätsklinikum Dresden behandelten Neugeborenen mit PME 2007 bis 2017 themenheft 333Ärzteblatt Sachsen 08|2018 anhand typischer Symptome im klinischen Alltag neben einer sicheren Diagnosestellung auch eine gezielte Therapiesteuerung und -überwachung des NAS (Tab . 1) . Eine Analyse der klinischen Symptome und des unmittelbaren postnatalen klinischen Verlaufs der Früh- und Neugeborenen nach PME lässt erste Aussagen zu den möglichen Auswirkungen des mütterlichen Drogenkonsums auf den Feten sowie das Neugeborene zu . Für diese Neugeborenen ist bis heute noch ungenügend geklärt, ob und wenn ja, wie sich ihr Entzug nach PME gestaltet . Verfügbare Scores erweisen sich in der klinischen Praxis für diese Patientengruppe zur Erkennung und Erfassung als nicht geeignet . Werden die unter zu Hilfenahme des Finnegan-Scores erhobenen Symptome nach PME analysiert, so ergibt sich für neonatale Entzugssymptome nach mütterlichem Methamphetamin-Konsum während der Schwangerschaft ein deutlich anderes Bild bezüglich der beobachteten Symptome im Vergleich zum NAS nach Opiat-Konsum . Dabei fällt neben einer anderen Verteilung in ihrer Häufigkeit auch auf, dass einerseits Symptome wie Erbrechen, Durchfälle und Niesen völlig fehlen und andererseits auch neue Symptome wie Schläfrigkeit und Trinkschwäche beobachtet wurden (Tab . 2) . Erklärungsmöglichkeiten für Variabilität und Heterogenität der Entzugssymptome des Neugeborenen liegen möglicherweise in Dauer, Ausmaß und Zeitpunkt der PME sowie in der Wirkung des parallelen Bei- beziehungsweise Misch-Konsums anderer psychoaktiver Substanzen . In der hiesigen Studienpopulation ergab sich bei allen Frauen ein Beikonsum von unter anderen Nikotin (73 Prozent), Cannabis (27 Prozent), Alkohol (20 Prozent), Psychopharmaka (19 Prozent) und Opiaten (11 Prozent; Mehrfachnennungen) . Abb . 3: Zeitpunkt der ersten Vorsorgeuntersuchung der Mütter der am Universitätsklinikum Dresden 2007 bis 2017 behandelten Neugeborenen mit PME (N = 197) Tab . 1: Symptome des Opiatentzuges bei Neugeborenen (relative Häufigkeit, in Anlehnung an den Finnegan-Score) 75 – 100 prozent 25 – < 75 prozent < 25 prozent Zittrigkeit Irritabilität Hyperaktivität muskuläre Hypotonie kurze Schlafphasen schrilles Schreien übermäßiges Saugen Trinkschwierigkeiten Erbrechen Durchfälle Niesen Tachypnoe Schwitzen Fieber Krämpfe Tab . 2: Symptome des Methamphetamin-Entzugs am Universitätsklinikum Dresden 2007 bis 2017 behandelter Neugeborener nach PME (relative Häufigkeit; N = 197) 75 – 100 prozent 25 – < 75 prozent < 25 prozent keine Zittrigkeit Irritabilität Trinkschwierigkeiten/ Trinkschwäche Hyperaktivität Schläfrigkeit schrilles Schreien muskuläre Hypotonie muskuläre Hypertonie übermäßiges Saugen Schwitzen Tremor/Myoklonien Krämpfe themenheft 334 Ärzteblatt Sachsen 08|2018 Werden die Symptome der Neugeborenen noch einmal gesondert unter dem Aspekt eines positiven Nachweises von Methamphetamin im kindlichen Urin während der ersten 24 bis 48 Stunden nach der Geburt betrachtet, so fällt auf, dass die Neugeborenen äußerlich in der Mehrzahl der Fälle eher als ruhig und damit unauffällig bezüglich eines klassischen NAS erlebt und beschrieben werden (Tab . 3) . Deshalb können die Symptome von jenen Neugeborenen mit positivem Nachweis von Methamphetamin im Urin auch als Ausdruck einer möglichen Substanzwirkung diskutiert werden . Aufgrund der unspezifisch erscheinenden Symptome bei neonatalem Methamphetamin – im Gegensatz zu jenen bei Opiat-Entzug ist deshalb die Gefahr groß, entsprechende Symptome in der klinischen Praxis zu übersehen . Dieser Umstand stellt somit ein Risiko für ein Nichterkennen betroffener Neugeborener dar, weswegen zusätzlich mit einer hohen Dunkelziffer zu rechnen ist . Letztlich lässt sich die Frage, ob ein Entzugssyndrom nach PME beim Neugeborenen existiert oder die Symptome des Neugeborenen Ausdruck einer wo - möglich toxischen Wirkung von Methamphetamin sind beziehungsweise durch den mütterlichen Bei- und Misch- Konsum hervorgerufen werden, erst durch weitere Untersuchungen beantworten . Ungeachtet der noch wenig charakteristischen Entzugssymptome erlaubt die Analyse vorliegender klinischer Be - funde aber erste Aussagen zu möglichen Auswirkungen einer PME auf den Feten beziehungsweise das Neugeborene: • Unter den Neugeborenen nach PME findet sich mit 31,2 Prozent ein um mehr als das Vierfache erhöhter Anteil Frühgeborener mit einem Gestationsalter < 37 Schwangerschaftswochen im Vergleich zum Landesdurchschnitt Sachsens (2016: 7,4 Prozent) . • Verglichen mit Daten der sächsischen Neonatalerhebung sind untergewichtige (< 10 . Perzentile) mit 23,7 Prozent und Neugeborene mit Mikrozephalie (Kopfumfang < 10 . Perzentile) mit 21,1 Prozent deutlich überrepräsentiert . • Bei sonografischen Untersuchungen waren pathologische Befunde und Fehlbildungen unter anderem am Zentralnervensystem (23 Prozent), Herz (11 Prozent) und Urogenitalsystem (9 Prozent) zu beobachten . Unsicherheiten bestehen gegenwärtig noch hinsichtlich spezifischer langfristiger Konsequenzen für die weitere Entwicklung dieser Kinder . Es deutet sich jedoch eine erhöhte physische und vor allem auch psychische Problemlast für Mutter und Kind an . Langzeitlich betrachtet zeigen Kinder nach PME im Alter von circa drei Jahren ein Zurückbleiben in der motorischen Entwicklung, vierjährig eine, gegenüber ihren Altersgefährten verringerte Intelligenzleistung und mit sieben Jahren vermehrt kognitive Auffälligkeiten durch eingeschränkte exekutive Funktionen (unter anderem Aufmerksamkeitssteuerung, Planungskompetenz oder Sequenzierung von Handlungsabläufen), die dann bei den 14-Jährigen in niedrigen Schulleistungen (Sprache, Mathematik) münden . Die Neugeborenen und deren Familien bedürfen deshalb einer rechtzeitigen und speziellen interdisziplinären medizinischen Unterstützung, deren Erfolg nicht unwesentlich von der Mitwirkungsbereitschaft der Mütter beziehungsweise Eltern abhängt . Sinnvoll und wichtig erscheint es, bereits in der Schwangerschaft beziehungsweise schon bei bestehendem Kinderwunsch geeignete Hilfen anzubieten . Eine Stigmatisierung kann in Misstrauen gegenüber Ärzten und mangelnder Compliance seitens der Konsumentinnen resultieren und stellt einen gravierenden Fehler dar, der – auch als eine Erkenntnis aus dem Umgang mit Heroinabhängigen in der Vergangenheit in den USA – nicht wiederholt werden sollte . „Mama denk‘ an mich“ (MAMADAM) Ein Weg aus der Sucht? Von den in der Dresdner Universitätskinderklinik 2007 bis 2015 geborenen und stationär behandelten Kindern mit PME (N = 130) wurden auf Beschluss des zuständigen Jugendamtes und mit seiner Unterstützung etwa ein Drittel nach Hause zum konsumbelasteten Elternteil entlassen . Dieses Vorgehen und die Entlassung von etwa ein Drittel der Kinder mit PME in den elterlichen Haushalt sind durchaus repräsentativ für Sachsen . Nach Analyse von 306 Fallakten von Suchthilfeeinrichtungen aus Chemnitz, Leipzig, dem Vogtland und Zwickau (529 Kinder mit einem Tab . 3: Symptome des Methamphetamin-Entzugs am Universitätsklinikum Dresden 2007 bis 2017 behandelter Neugeborener nach PME mit positivem Drogennachweis im Urin unmittelbar nach der Geburt (relative Häufigkeit; N = 72) 75 – 100 prozent 25– < 75 prozent < 25 prozent keine Schläfrigkeit Trinkschwäche muskuläre Hypotonie Unruhe/Irritabilität Hyperexzitabilität muskuläre Hypertonie übermäßiges Saugen schrilles Schreien Tremor/Myoklonien Krämpfe themenheft 335Ärzteblatt Sachsen 08|2018 Durchschnittsalter von 6,5 Jahren) fanden circa ein Drittel der Kinder ihren Lebensmittelpunkt im Haushalt des Methamphetamin-konsumierenden Elternteils; alle anderen waren in verschiedenen Formen fremd unter ge bracht . Einer der wesentlichen Gründe, der eine Fremdunterbringung – gerade auch von Neugeborenen – erklärt, dürfte das in suchtbelasteten Familien erhöhte Risiko für eine Kindeswohlgefährdung sein . Etwa 30 Prozent aller Kinder von opiat- beziehungsweise kokainkonsumierenden Eltern machen Erfahrungen von Vernachlässigung, Misshandlung oder Missbrauch, die sich bei elterlichem Methamphetamin-Konsum bei den Kindern in Form von emotionalen Belastungen, Parentifizierung, psychiatrischen Auffälligkeiten, Aggression und Impulsivität sowie Defiziten in der kognitiven Entwicklung spezifizieren . Darüber hinaus ist zweifelsohne zu berücksichtigen, dass eine PME bei den Feten organische Schäden setzen be - ziehungsweise eine besondere Vulnerabilität hinterlassen kann . Diese können einerseits erhöhte Versorgungsaufwendungen – anhaltend bis in die Häuslichkeit – nach sich ziehen und andererseits erst im weiteren Entwicklungsverlauf im Zusammenwirken mit den sozialen Umweltfaktoren ihre volle Wirkung entfalten . Auch das Aufwachsen eines Kindes mit einer PME in einer Adoptivfamilie wirkt nur begrenzt kompensatorisch . So bleibt das Risiko auch unter dieser Bedingung für die Entwicklung von Störungen im Bereich der exekutiven Funktionen und des Verhaltens deutlich erhöht . Allerdings scheinen Schwangerschaft und damit verbundene Veränderungen sowie Geburt mit der hinzukommenden Verantwortung für das Neugeborene Zäsurcharakter zu haben: Nahezu alle Mütter der insgesamt 197 in den Jahren 2007 bis 2017 an der Universitätskinderklinik behandelten Kinder mit PME äußerten am Beginn der stationären Aufnahme des Kindes Änderungsabsichten und Abstinenzwünsche . Dies deckt sich mit Ergebnissen bundesweiter Befragungen von Methamphetamin -Konsumierenden, nach denen etwa drei Viertel Abstinenz anstrebten, um ihre Kinder im Haushalt behalten oder eine Rückführung erreichen zu können . Vor diesem Hintergrund wurde 2015 am Dresdner Universitäts-Kinder- und Frauenzentrum das Programm „Mama denk‘ an mich“ (MAMADAM) entwickelt, welches das stationäre und ambulante Leistungsangebot der Kliniken für Kinder - und Jugendmedizin, Gynäkologie und Geburtshilfe sowie Psychiatrie und Psychotherapie auf der einen und das städtische Angebot der Jugendämter sowie der Sucht- und Drogenberatungsstellen auf der anderen Seite in einem Patientenpfad verknüpft . Der Patientenpfad Die Abbildung 4 veranschaulicht MAMADAM; sichtbar wird ein Patientenpfad , der die Inanspruchnahme strukturierter und eng vernetzter Angebote klinischer und kommunaler Versorgungseinrichtungen ermöglicht . Der Zugang zum Pfad kann in seiner jetzigen Form durch Frauen während der Schwangerschaft oder zur Geburt ihres Kindes erfolgen . Offen ist er auch für Methamphetamin-konsumierende Frauen mit Kinderwunsch, die sich bislang (2016 bis 2017) aber noch nicht vorstellten . Von den Müttern der in den Jahren 2016/2017 im Pfad medizinisch betreuten 67 Kinder bestand bei etwa der Hälfte schon vor oder in der aktuellen Schwangerschaft Kontakt zum jeweils zuständigen Jugendamt, der bei Pfadeinschluss noch einmal aktualisiert wurde . Für alle anderen wurde dieser innerhalb von 24 Stunden nach Aufnahme in den Pfad – meist durch die betreffenden Mütter selbst – hergestellt . Das zuständige Jugendamt wirkt in MAMADAM fallführend, prüft die klinischen und kommunalen Versorgungs- Abb . 4: Versorgungspfad MAMADAM themenheft 336 Ärzteblatt Sachsen 08|2018 angebote vor dem Hintergrund des familiären Hilfebedarfs und trifft Festlegungen im Rahmen seiner Zuständigkeit nach SGB VIII . Im klinischen Teil des MAMADAM-Versorgungspfades wirkt ein Case-Manager pfadführend, der die definierten Abläufe nach intern steuert und kontrolliert sowie nach extern die Kooperation mit den außerklinisch Beteiligten koordiniert . Bei ihm laufen alle wesentlichen Informationen zum Stand der Behandlung der Schwangeren beziehungsweise dann der Mutter wie auch des Kindes mit PME innerhalb der beteiligten klinischen und kommunalen Versorgungseinrichtungen zusammen . Er bereitet für die Zeit nach der stationären Behandlung des Kindes , die meist eher als die suchttherapeutische Be handlung der Mutter im ambulanten Setting abgeschlossen ist, den Übergang von der klinischen in die kommunale Versorgung der Familie vor . Regelmäßige Fallbesprechungen dienen dabei der Qualitätssicherung durch genaue Abstimmung der einzelnen Versorgungsangebote aufeinander . In der Klinik durchgeführte Helferkonferenzen des beteiligten Jugendamtes sind Ausdruck der Vernetzungsgüte . Auftrag der Frauenklinik im MAMADAM- Versorgungspfad ist die ambulante und gegebenenfalls auch stationäre Begleitung der Schwangeren oder dann auch Mutter unter Beachtung der durch den Methamphetamin-Konsum be grün- deten Behandlungsbesonderheiten, wie zum Beispiel Behandlungseinsicht, Perspektivwechsel von sich auf das Kind oder tages aktuelle Befindlichkeitsschwankungen . Die Suchtambulanz der psychiatrischen Klinik hält ein ambulantes und Methamphetamin-spezifisches Behandlungs angebot im Umfang von 16 Sitzungen von jeweils circa 45 Minuten Dauer vor, in denen unter anderem Themen wie motivationale Klärung, Umgang mit Suchtdruck oder Identifikation von möglichen sozialen Risikosituationen und Erarbeitung von Strategien für den Umgang mit diesen eine Rolle spielen . In der Kinderklinik liegt der Fokus neben der mitunter auch erforderlichen intensivmedizinischen Behandlung des Kindes auf der frühestmöglichen Befähigung der Eltern zur selbstständigen und entwicklungsorientierten Pflege und Versorgung des Neugeborenen unter Be - achtung der kindlichen Entwicklungssignale durch Schulung, Anleitung und videogestützte Beratung, die im Durchschnitt etwa 15 bis 20 Stunden beanspruchen . Der klinischen Versorgung schließen sich in enger Vernetzung mit dem Jugendamt und den weiteren regionalen Kooperationseinrichtungen Nachbetreuung sowie Nachuntersuchungen an, die auf die gesundheitliche Entwicklung des Kindes und die Funktionalität des familiären Systems gerichtet sind . Hier kommen die besonderen Verantwortungen der Fallführung durch das zuständige Jugendamt und der Pfadführung durch den MAMADAM Case- Manager noch einmal deutlich zum Tragen , um betreffende Familien so lange wie erforderlich begleiten zu können . Bisherige Erfahrungen Der klinische Versorgungspfad verbindet die Kliniken für Kinder- und Jugendmedizin , Gynäkologie und Geburtshilfe sowie Psychiatrie und Psychotherapie . Ein erster Vorteil dieses Versorgungspfades besteht in der Möglichkeit, die Behandlung des Kindes sowie die der Mutter und gegebenenfalls des Vaters zeitlich aufeinander abzustimmen . In der Kinderklinik können die Eltern zur Versorgung ihres Kindes anwesend sein und diese – durch das Pflegepersonal angeleitet – selbst übernehmen . Aber auch ihre Teilnahme an der Suchttherapie ist gesichert, und zwar immer dann, wenn ihr Kind keine Versorgung benötigt oder wenn das Pflegepersonal der Station diese sicherstellt . Für die Eltern entsteht dadurch eine Situation, in der sie einerseits als Eltern – in der Kinderklinik – und andererseits selbst als Patienten – in der Suchtambulanz – auftreten können . Die oftmals erlebte Etikettierung „süchtig“ wird zumindest für ihren Aufenthalt bei ihrem Kind zeitweilig aufgehoben : Hier sind sie vorrangig Eltern und werden auch als solche angesprochen . Ein zweiter Vorteil besteht darin, dass das Neugeborene nach PME regelhaft stationär zur Beobachtung und gegebenenfalls auch erforderlichen medizinischen Behandlung aufgenommen wird, wodurch Rahmenbedingungen geschaffen sind, den Eltern unter steuerbarer Belastung die Pflege und Versorgung ihres Kindes zu übertragen und den initialen Aufbau der Eltern- Kind-Beziehung in der Kinderklinik adäquat zu begleiten . Hierfür sind – allerdings für andere gesundheitliche oder soziale Problemlagen – bereits gut etablierte Modelle verfügbar . themenheft „Auftrag der Frauenklinik im MAMADAM-Versorgungspfad ist die ambulante und gegebenenfalls auch stationäre Begleitung der Schwangeren oder dann auch Mutter unter Beachtung der durch den Methamphetamin-Konsum be gründeten Behandlungsbesonderheiten .“ 337Ärzteblatt Sachsen 08|2018 Drittens scheint ein wesentlicher Vorteil des MAMADAM-Versorgungspfades darin zu liegen, dass er Mutter oder Vater mit einer bislang vollkommen unvoreingenommenen Person – ihrem eigenen und gerade geborenen Kind – konfrontiert . Die Ko-Regulations- und Interaktionskompetenz der Eltern, die sonst häufig in die Richtung einer kindlichen Entwicklungsförderung diskutiert wird, ist hier auch gegenläufig von Bedeutung: Die Bezugsperson des Kindes kann Handlungssicherheit im Umgang mit ihrem Kind erlernen und eine Zunahme der Selbstwirksamkeit erleben . Im Sinne Antonovsky’s ist die Annahme nicht unberechtigt, dass klare äußere Strukturen und Zugriff auf verfügbar gemachte innere Ressourcen für die betreffende Person sinnstiftend wirken kann, hier mit Blick auf Abstinenz , Elternschaft und Erziehungsfähigkeit . Diese mutmaßlichen Zusammenhänge bedürfen noch weiterer theoretischer Vertiefung und empirischer Überprüfung , aber die dahinterstehenden An - nahmen sind nicht ganz unbegründet: Die Suchtambulanz der psychiatrischen Klinik berichtet eine überraschend hohe Haltequote bezüglich der in das Therapieprogramm eingeschlossenen Patienten, die bei 77 Prozent bei einer Therapiedauer von 22 Wochen (Median) lag . Bislang wurden 13 Schwangere, 49 Mütter und 19 Väter vorstellig, von denen zu Therapiebeginn 71 Prozent überwiegend fremdmotiviert waren, 71 Prozent Arbeitslosengeld II bezogen und 38 Prozent eine Vorstrafe aufwiesen . Das Resümee dieser Erfahrungen lautet: Trotz einer hochrisikobehafteten Klientel gelang es im ambulanten Setting , den überwiegenden Anteil abstinent in Therapie zu halten; die ambulante psychiatrische Suchttherapie kann somit für Eltern eine sinnvolle Alternative zur stationären Langzeittherapie darstellen . Die Frauenklinik weist darauf hin, dass Schwangere mit Methamphetamin- Konsum, welche die Gynäkologische Ambulanz in den zurückliegenden zwei Jahren aufsuchten, zu etwa 80 Prozent mit Überweisung ihres in der Niederlassung tätigen Gynäkologen kamen . Der Zugang zum Pfad gewinnt damit an Sicherheit, möglichst viele Frauen bereits in der Schwangerschaft zu erreichen und sie so adäquat versorgen zu können . Der Pfadzugang über Jugendämter oder Sucht- und Drogenberatungsstellen erscheint noch ausbaubar . Der Zugang Schwangerer über die psychiatrische Suchtambulanz wurde selten genutzt . Letztlich macht die Kinderklinik darauf aufmerksam, dass sich im Vergleich vor und nach Einführung des MAMADAM- Versorgungspfades der Verbleib der Kinder – Entlassung in die Häuslichkeit oder Fremdunterbringung – grundsätzlich geändert zu haben scheint (Abb . 5) . Das Programm MAMADAM zur Betreuung von Mutter und Kind bedarf noch weiterer Ausdifferenzierung vor allem an der Schnittstelle zwischen klinischen und kommunalen Versorgungsangeboten . Dennoch zeichnet sich ab, dass die Versorgung nach diesem Pfad bereits eine gute Inanspruchnahme durch Frauen, Schwangere und Mütter findet, die bei Methamphetamin-Konsum eine darauf angepasste suchttherapeutische Be handlung erhalten können und diese auch annehmen, und deren Kinder im Vergleich vor und nach seiner Einführung mit familienunterstützenden Maßnahmen des Jugendamtes doppelt so häufig in die mütterliche Familie entlassen werden konnten . Literatur bei den Autoren Interessenkonflikte: keine Korrespondierender Autor: Priv .-Doz . Dr . med . Jürgen Dinger Universitätsklinikum Carl Gustav Carus an der Technischen Universität Dresden Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin Fachbereich Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin Fetscherstraße 74, 01307 Dresden E-Mail: jürgen .dinger@unikinikum-dresden .de Abb . 5: Verbleib der Kinder nach Entlassung aus der Kinderklinik im Vergleich der Jahre 2015 und 2017 themenheft 6% 38% 56% 6% 61% 33% 2015 (N=34) 2017 (N=33) 38 % 56 % 6 % 2015 (N=34) Die Unterbringung des Kindes nach Entlassung aus der Klinik erfolgte beim konsumbelasteten Elternteil mit unterstützenden Maßnahmen des Jugendamtes nicht beim konsumbelasteten Elternteil in Form der Fremdunterbringung nicht darstellbar wegen Verlegung in andere Klinik (2015) oder noch ausstehender Entlassung (2017) 61 % 33 % 6 % 2017 (N=33) Die Unterbringung des Kindes nach Entlassung aus der Klinik erfolgte beim konsumbelasteten Elternteil mit unterstützenden Maßnahmen des Jugendamtes nicht beim konsumbelasteten Elternteil in Form der Fremdunterbringung nicht darstellbar wegen Verlegung in andere Klinik (2015) oder noch ausstehender Entlassung (2017) 338 Ärzteblatt Sachsen 08|2018 E . Thoms Einführung Jugendliche erwarten vom Konsum psychotroper Substanzen Glücksgefühle sowie den Abbau von inneren Spannungen und Hemmungen, die Erhöhung ihres sozialen Status in der Gleichaltrigengruppe und die Entlastung von Alltagsproblemen (Abb 1) . Nur ein kleiner Teil der konsumerfahrenen Kinder und Jugendlichen entwickelt einen problematischen Substanzgebrauch oder eine Abhängigkeit . Etwa ein bis zwei Prozent der 12- bis 17-Jährigen geben regelmäßigen Konsum von Cannabis an [1] . Vielfältige biologische (genetische Vulnerabilität und Transmission ) und sozioökonomische Faktoren (Aufwachsen bei suchtkranken oder seelisch kranken Eltern, in Armut, außerfamiliäre Unterbringung, soziale Deprivation) haben Einfluss auf die Entwicklung einer Abhängigkeitserkrankung [2, 3] . Eine Suchtmittelabhängigkeit entwickelt sich aufgrund der Unreife des zentralen Nervensystems sowie einer erhöhten Ansprechbarkeit des sogenannten Suchtgedächtnisses in der Pubertät besonders rasch mit gravierenden neurobiologischen Folgen . Zusätzlich besteht bei belastenden Kindheitserfahrungen, auch schon während der Schwangerschaft, ein erhöhtes Risiko für Substanzmissbrauch . Emotionaler Missbrauch, körperliche Misshandlung, sexueller Missbrauch , emotionale Vernachlässigung, körperliche Vernachlässigung, elterliche Gewalt (bei circa 30 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland [4], psychische Erkrankung oder Suchterkrankung der Eltern, elterliche Trennung /Scheidung und ein Elternteil im Strafvollzug sind in dieser Hinsicht bedeutsame widrige Kindheitserfahrungen (Adverse Childhood Effects, ACE) . Das gleichzeitige Vorliegen mehrerer dieser Kindheitsbelastungen erhöht das Risiko, an einer Substanzabhängigkeit zu erkranken (für Nikotinabusus um das 2,2-fache, den Gebrauch illegaler Drogen um das 4,7- fache, übermäßigen Alkoholkonsum um das 7,4-fache und intravenösen Gebrauch illegaler Drogen um das 10,3- fache) [5] . Anhaltende psychosoziale Belastungen, in deren Zusammenhang psychoaktive Substanzen als Copingstrategie genutzt werden, also der Linderung seelischer Not dienen, können ein weiterer Risikofaktor für Suchtgefährdung und im Falle regelmäßiger Konsummuster für Abhängigkeitsentwicklung sein . Komorbide psychische Störungen sind bei 90 Prozent der suchtmittelabhängigen Kinder und Jugendlichen anzutreffen, insbesondere frühe Bindungsstörungen, Traumafolgestörungen , Aufmerksamkeitsund Hyperaktivitätsstörungen, affektive Erkrankungen sowie Frühstadien psychotischer Erkrankungen . Zugänge zum Kind/Jugendlichen und seiner Familie Nur im Ausnahmefall stellt der konsumierende Jugendliche aus eigener Veranlassung ein Hilfegesuch . Meistens nehmen betroffene Eltern oder andere Sorgerechtsinhaber wegen der Suchtgefährdung des Kindes oder Jugendlichen mit der regionalen Jugend- und Drogenberatungsstelle, dem Hausoder Kinderarzt Kontakt auf . Die Einbindung in ein interdisziplinäres Hilfenetzwerk (Schülerhilfe, Jugendhilfe, Jugendgerichtshilfe, Ärzte für Kinderund Jugendpsychiatrie und Psychotherapie ) ist notwendig . Die enge Zusammenarbeit mit der regionalen Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie mit einem suchtspezifischen Schwerpunkt (siehe auch www .dgkjp .de/kliniken) ist hilfreich . In Auswege und Hilfen für suchtkranke Kinder und Jugendliche Abb . 1: Jugendliche erwarten vom Konsum psychotroper Substanzen Glücksgefühle sowie den Abbau von inneren Spannungen und Hemmungen, die Erhöhung ihres sozialen Status in der Gleichaltrigengruppe und die Entlastung von Alltagsproblemen themenheft © De po si tp ho to s/ M on ke yB us in es sI m ag es 339Ärzteblatt Sachsen 08|2018 der initialen Behandlungsphase des Jugendlichen muss (neben der kinderund jugendpsychiatrischen und störungsspezifischen Diagnostik) der Er - arbeitung von Änderungsmotivation auf Seiten des Jugendlichen besonderer Stellenwert beigemessen werden (Tab . 1) Als zielführende therapeutische Me - thode für Kinder und Jugendliche mit geringer Änderungsmotivation hat sich das Motivational Interviewing [6] erwiesen . Bei der Indikationsstellung für weiterführende Hilfen müssen primäre psychische und somatische Störungen sowie Folgestörungen des Substanzmissbrauchs berücksichtigt werden und es sollte erörtert werden, ob ambulante Maßnahmen ausreichen . Zu Beginn der Behandlung sind die jungen Patienten häufig fremdmotiviert . Sie leisten dem Druck der Eltern nach einer Vorstellung Folge und zeigen kaum Problembewusstsein oder Änderungsbereitschaft . Jede vorschnelle Initiative des Arztes ruft beim Patienten leicht Widerstand hervor . Daher muss die Änderungsbereitschaft des Jugendlichen bereits in der initialen Kontaktphase hinreichend analysiert und in ersten Behandlungsschritten aufgegriffen werden . Die Veränderungsbereitschaft lässt sich mit dem transtheoretischen Modell nach Prohaska und Di Clemente geeignet beschreiben (siehe Abb . 2) [7] . In vielen Fällen befinden sich die jungen Patienten während des Erstkontaktes im Stadium der Absichtslosigkeit . Sie zeigen keine Neigung , ihr problematisches Verhalten zu ändern . Hier besteht die vordringliche Aufgabe darin, ein Problembewusstsein zu schaffen . Psychoedukative Elemente können mit Motivationsarbeit verbunden werden . Ist diese Arbeit erfolgreich, entwickeln die Patienten eine Absicht, irgendwann einmal ihr Verhalten zu ändern . In dieser Phase unterstützt der Therapeut und klärt mit den Patienten etwaige Ambivalenzen , etwa den Widerspruch zwischen Zugehörigkeit zu einer Peergruppe und Aspekten der Gesundheit . In der nächstfolgenden Stufe beginnen die Patienten, konkrete Schritte in Richtung einer Verhaltensänderung zu unternehmen . Beispielsweise stellen sie Überlegungen zu geeigneten Zeitpunkten einer Behandlung oder zur Konsumreduktion an . Kleine, aber nachhaltige Schritte sind auch in dieser Phase der Motivationsbildung einer übereilten Handlungsplanung vorzuziehen . Im Handlungsstadium verändern die Patienten tatsächlich ihr Konsumverhalten und bedürfen nun fortwährender Verstärkung durch den Therapeuten . In dieser Phase formt sich das Selbstvertrauen der Patienten aus und mitunter werden eigene Erwartungen zu hoch gesteckt . Von entscheidender Bedeutung ist hier, dass die Verhaltensänderung fortgeführt und aufrechterhalten wird . Je länger es dem Jugendlichen gelingt, drogenfrei zu leben, desto stärker entwickelt sich das Selbstvertrauen . In dieser Phase des Konsumstopps müssen viele Verhaltensweisen gelernt werden, die mittelbar mit der Funktionalität des Substanzgebrauchs verbunden sind . Hierzu Tab . 1: Grundprinzipien der motivierenden Gesprächsführung • Empathie ausdrücken • Diskrepanz entwickeln • Widerstand aufnehmen • Beweisführung vermeiden • Selbstwirksamkeit fördern themenheft 340 Ärzteblatt Sachsen 08|2018 gehört das Erlernen neuer Copingstrategien , der Umgang mit den alten, oftmals devianten Freunden, das Gewinnen neuer Freunde, die (Neu)-Gestaltung der Beziehungen zu den Eltern (zum Beispiel Autonomiegewinn bei zunehmendem Vertrauen, etwa beim Auszug aus der elterlichen Wohnung), die Schaffung anhaltender gesunder Alternativen zum Drogenkonsum, der Umgang mit Verführungssituationen usw . Gelingt die Neuausrichtung individuellen Verhaltens nur unzureichend, besteht die Gefahr von Rückfällen . Die dauerhafte Verhaltensänderung stellt das letztendliche Ziel der Interventionen dar . Wichtig ist es, das Kind beziehungsweise den Jugendlichen in seiner Bedürftigkeit inklusive seiner dysfunktionalen Copingstrategien anzunehmen (siehe Tab . 2) . Zukunftsperspektiven , die oftmals verschüttet sind, sollten wieder zu Tage treten und weiterentwickelt werden können . Die haltende , akzeptierende und stabile Beziehung zu dem Berater, Arzt oder Therapeuten ist notwendig, damit gemeinsam mit dem Kind beziehungsweise Jugendlichen individuelle Entwicklungsfantasien aufgegriffen und eine an der Lebensrealität orientierte Perspektive erarbeitet werden können . Auf dieser Grundlage kann mit dem Kind beziehungsweise Jugendlichen und seiner Familie beziehungsweise der Jugendhilfeeinrichtung eine gegebenenfalls notwendige ambulante oder stationäre Entzugsbehandlung vorbereitet und die Behandlung von Komorbidität und Folgestörungen des Substanzmissbrauchs initiiert werden [8, 9] . Diagnostik Suchtgefährdete und von Suchtstörungen betroffene Kinder und Jugendliche müssen einer umfassenden kinder- und jugendpsychiatrischen Diagnostik unterzogen werden . Die ausführliche Anamneseerhebung inklusive strukturierter Drogenanamnese berücksichtigt zurückliegende und aktuelle Belastungssituationen, psychische Störungen in früher/später Kindheit und Jugend, Risikofaktoren (traumatische Erfahrungen), Schwierigkeiten bei der Bewältigung entwicklungsspezifischer Aufgaben und Übergänge, Teilleistungsstörungen und Aufmerksamkeitsund Hyperaktivitätsstörungen . Bei der Erfassung des psychosozialen Funktionsniveaus wird vor allem die soziale Integration beziehungsweise Desintegration fokussiert (unter anderem in den Bereichen Schule, Beruf, Freundschaften , Hobbys, Partnerschaften, Sexualverhalten, Konflikte mit Eltern, Justiz) . Wichtig ist weiterhin, im Rahmen der Beziehungsanalyse des Familiensystems Ressourcen aufzuspüren und diese in der Therapie dem Jugendlichen und seiner Familie zugänglich zu machen . Die somatische Diagnostik umfasst eine Ganzkörperuntersuchung inklusive neurologischem Befund . Riskantes Sexualverhalten, mangelnde Hygiene und Ernährung sowie Immunschwächen erfordern spezielle Untersuchungen der inneren und äußeren Organe (auch Selbstverletzung) und der entsprechenden Laborparameter . Die Durchführung eines Drogenscreenings erfolgt unter Sichtkontrolle oder Verwendung personenbezogener Marker . Polyvalente Konsummuster und stete Neuentwicklungen von teilweise nicht nachweisbaren psychoaktiven Substanzen sollten berücksichtigt werden . Weiterhin sind sexuell übertragbare Krankheiten, HIV, Hepatitis, Tbc und parasitäre Erkrankungen im Blick zu behalten . Die Ableitung von EKG und EEG und bei Bedarf eine Durchführung bildgebender Verfahren des Zentralnervensystems (MRT) sind notwendige diagnostische Maßnahmen . Im Rahmen der Psychodiagnostik hat der riskante Suchtmittelkonsum be - sonderen Stellenwert . Standardisierte Screening-Instrumente sind gut eingeführt (siehe Tab . 3) . Sämtliche psychischen Störungen sind differenziert zu erfassen . Symptomorientierte Diagnostik, Erhebung der allgemeinen Symptombelastung und Er fassung der intellektuellen Leis- Tab . 2: Substanzkonsum als Copingstrategie – Anforderung an die Therapie • Das Verhalten macht im aktuellen Lebenskontext Sinn. • Substanzkonsum als derzeit „beste verfügbare Lösung“ • Zielkonflikt: Aufgabe alter Verhaltensweisen und Erlernen neuer Strategien • Cave: Balance halten zwischen Akzeptanz und Drängen auf Veränderung. themenheft Abb . 2: Motivationsmodell nach Prohaska und Di Clemente Da ue rh af te r A us st ieg Absichtslosigkeit Aufrechterhaltung Rückfall Handlung Absichtsbildung Vorbereitung 341Ärzteblatt Sachsen 08|2018 tungsfähigkeit ergänzen die Befunde . Die psychiatrische Diagnostik ist zu - meist erst nach Abklingen der toxischen Substanzeinwirkung beziehungsweise nach Durchführung einer Entzugsbehandlung aussagekräftig . Differenzielle Indikationsstellung in Abhängigkeit von der Intensität des Substanzgebrauchs In Abhängigkeit von der Intensität des Substanzgebrauchs, dem Vorhandensein und Ausmaß komorbider psychischer Störungen, der psychosozialen Lebensumstände sowie der Risiken für fortgesetzten Substanzmissbrauch wird ermittelt, ob eine ambulante, teilstationäre oder vollstationäre Behandlung der Jugendlichen indiziert ist . Bei Kindern und Jugendlichen kann eine stationäre Behandlung auch in dem Fall indiziert sein, wenn noch keine manifeste Abhängigkeitserkrankung, wohl aber eine hochgradige psychosoziale Entwicklungsgefährdung durch beginnenden Substanzmissbrauch be - steht (Tab . 4) . Stationäre Behandlung Besteht die Indikation zu einer stationären kinder- und jugendpsychiatrischen und psychotherapeutischen Behandlung und gelingt es, das Kind oder den Jugendlichen und seine Familie für eine stationäre Behandlung zu gewinnen, ist eine elektive Aufnahme anzustreben . Bei der Vorbereitung auf die stationäre Behandlung müssen sowohl die Sorgeberechtigten als auch das Kind beziehungsweise der Jugendliche in Vereinbarungen einbezogen werden . In vorausgehenden Gesprächen sind die therapeutischen Maßnahmen und die weitere Perspektivklärung zu erörtern . Die Psychoedukation sollte begleitend fortgesetzt werden . Dabei werden Zusammenhänge zwischen seelischer Erkrankung und Suchtmittelmissbrauch oder -abhängigkeit im familiären System angesprochen . Es ist sinnvoll, den Allgemeinen Sozialdienst der Kommune frühzeitig einzubeziehen, damit die sich an die qualifizierte Entzugsbehandlung und die Behandlung der komorbiden Störungen anschließenden rehabilitativen Maßnahmen (nach SGBVIII §35a, SGB IX oder SGB V) ambulant, teil- oder vollstationär rechtzeitig gebahnt werden . Größtmögliche Transparenz und Teilhabe an Entscheidungsprozessen stärken und stützen die Selbstverantwortung des Kindes beziehungsweise Jugendlichen und sind der erste Schritt in Richtung einer neu erlebten Selbstwirksamkeit . Auf Antrag der Sorgeberechtigten kann beim Amtsgericht eine Unterbringung nach §1631b BGB erfolgen, wenn der suchtgefährdete oder substanzabhängige Jugendliche keine Änderungsmotivation hat und eine besondere Bedrohlichkeit für die biopsychosoziale Entwicklung des betroffenen Kindes oder Jugendlichen besteht . Um die Freiheit des Kindes oder Jugendlichen einschränken zu dürfen, ist in der Regel eine fachärztliche kinder- und jugendpsychiatrische Stellungnahme erforderlich . Eine Begutachtung kann, falls diese nicht ambulant durchzuführen ist, auch stationär erfolgen . Weiterhin ist die Unterbringung nach PsychKG (länderspezifische Regelungen nach dem Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten) oder bei akuter Kindeswohlgefährdung für die Dauer von 24 Stunden eine Inobhutnahme durch das Jugendamt zu erwägen . In diesem Fall muss für die Fortsetzung der Behandlung unter Freiheitsentziehung anschließend die Tab . 3: Screening-Instrumente zum Einsatz beim suchtgefährdeten und von Suchtstörungen betroffenen Kindern und Jugendlichen name des screening-instrumentes zweck des instrumentes anzahl der items vorschlag für einen cut-off (autoren) alcohol use disorders identification test (audit) Erfassung problematischen Alkoholkonsums 10 6 [10] crafft-d Erfassung problematischen Alkoholkonsums 6 2 [11] rafft-drogen Erfassung riskanten Konsums illegaler Drogen 6 2 [12] severity of dependence scale (sds) Erfassung der Schwere der Abhängigkeit von einer Substanz 5 Verschiedene Werte je nach Substanz: 2 (cannabis) [13] cannabis abuse screening test (cast) Erfassung problematischen Cannabiskonsums 6 4 [14] Tab . 4: Differenzielle Indikationsstellung [2] Die differenzielle Indikationsstellung zur Behandlung substanzbezogener Störungen ist abhängig von: • körperlichen Auswirkungen • psychischen Funktionsstörungen • Entwicklungsstörungen • komorbiden psychischen Störungen themenheft 342 Ärzteblatt Sachsen 08|2018 Genehmigung eines Gerichtes eingeholt werden . Zum Zeitpunkt der Vorbereitung einer stationären Behandlung lässt sich die Notwendigkeit für eine poststationäre Behandlung und Betreuung des Kindes beziehungsweise der Jugendlichen in vielen Fällen noch nicht absehen . Häufig können diese Fragen erst im letzten Abschnitt der stationären Behandlung im Rahmen von Helferkonferenzen mit allen Beteiligten geklärt werden (Allgemeiner Sozialer Dienst [ASD], Suchthilfe, Jugendgerichtshilfe, Schule, Ausbildungsstätte , Freizeiteinrichtung) . Niedergelassene Ärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -Psychotherapie, Institutsambulanzen, Psychotherapeuten und Institutionen der Suchtkrankenhilfe sind unverzichtbare Partner bei der Nachsorge . Die qualifizierte Entzugsbehandlung zielt neben der Bewältigung von Entzugssymptomen auf das Erreichen von Krankheitseinsicht, die Vermittlung erster Strategien im Umgang mit dem gefährlichen Substanzgebrauch oder mit der Abhängigkeitserkrankung, die Motivierung zur Inanspruchnahme weiterführender Behandlung, inklusive deren Planung und damit langfristig auf dauerhafte Abstinenz ab . Die in der Regel anzutreffenden politoxikomanen Konsummuster erfordern besondere Kenntnisse über die interaktiven Folgen dieser Substanzen . Die qualifizierte Entzugsbehandlung macht multiprofessionelle und multimodale kinderund jugendpsychiatrische und psychotherapeutische Interventionen erforderlich , die die allgemeinen Voraussetzungen und Charakteristika des Fachgebiets erfüllen und zugleich Standardmethoden und Verfahren kinder- und jugendpsychiatrischer sowie psychotherapeutischer Therapie heranziehen . Ausdrücklich nicht empfehlenswert ist die Durchführung einer qualifizierten Entzugsbehandlung von Kindern und Jugendlichen in der Erwachsenenpsychiatrie . Bei Kindern und Jugendlichen ist grundsätzlich eine qualifizierte Entzugsbehandlung durchzuführen . Eine sogenannte (alleinige) körperliche Entgiftung , die nur auf die Behandlung des körperlichen Entzugssyndroms abstellt, ist nicht indiziert . Des Weiteren ist die somatische Akutbehandlung im Falle einer Suchtmittelintoxikation von der qualifizierten Entzugsbehandlung ab - zugrenzen . Die Behandlung akuter, überwachungspflichtiger Intoxikationen wird in enger Kooperation mit pädiatrischen oder internistischen Abteilungen vorgenommen . Die stationäre qualifizierte Entzugsbehandlung von Kindern und Jugendlichen wird in einer kinder- und jugendpsychiatrischen und psychotherapeutischen Klinik durchgeführt . Von dem Patienten und oder seinen Angehörigen wird oft eine intrinsische Behandlungsmotivation gewünscht, sie ist aber nicht zwangsläufig notwendig und muss mit dem Kind beziehungsweise Jugendlichen in der therapeutischen Beziehung immer wieder neu erarbeitet werden . Die Dauer der qualifizierten Entzugsbehandlung beträgt je nach individueller Problemlage, Indikationsstellung, Substanzmissbrauch , vereinbarten Anschlussmaßnahmen und Verlaufsaspekten der Behandlung nicht unter vier Wochen und bis zu zwölf Wochen [15] . Die Weiterbehandlung der komorbiden psychischen Störungen und die Festigung der Abstinenz ist individuell sehr unterschiedlich und nimmt in der Regel mehr als weitere drei Monate stationärer Behandlung in Anspruch . Bei Bedarf ist je nach individueller Indikationsstellung eine längere Behandlungsdauer erforderlich . Danach erfolgt eine Rückführung mit begleitender Psychotherapie in die Familie oder Jugendhilfe, bei Bedarf (15 bis 30 Prozent) auch in die stationäre längerfristige drogenspezifische Jugendhilfe oder medizinische Rehabilitation (ein bis zwei Jahre) . Literatur beim Autor Interessenkonflikte: keine Dr . med . Edelhard Thoms Praxis für Psychotherapie und Psychoanalyse für Babies, Kinder, Jugendliche und Erwachsene Prager Straße 125, 04317 Leipzig MVZ Psychotherapeutisches Zentrum Halle Mühlweg 16, 06114 Halle E-Mail: ethoms0@googlemail .com Tab . 5: Methoden (Einzeln, Gruppe) • Psychodynamische Therapie • Systemische Therapie, Familientherapie • Kognitive Verhaltenstherapie • Traumatherapie • Genderspezifische Gruppentherapie • Achtsamkeitstraining • Soziotherapie, Akupunktur • Mototherapie • Ergotherapie • Musiktherapie • Logotherapie • Kunsttherapie • Kognitives Training, Psychoedukation • Schule, erlebnistherapeutische Arbeit • Wichtig: verantwortliche Mitgestaltung des Alltags themenheft 343Ärzteblatt Sachsen 08|2018 M . Böttcher1, M . Waizmann2 Drogen und Medikamentenmissbrauch gewinnen in weiten Teilen unserer Gesellschaft an Bedeutung . Darüber hinaus hat sich die Zahl neuer missbrauchsrelevanter Substanzen in Euro- pa in den letzten Jahren dramatisch erhöht (Abb . 1) und die Bedeutung des Internets als Informationsquelle und als Teil des Vertriebs für viele moderne Drogen nahm zu . Um auf diese besorgniserregende Entwicklung zu antworten , werden immer speziellere Methoden zum Nachweis eines Drogenkonsums benötigt . Der Nachweis von missbrauchsrelevanten Substanzen („Drogenscreening“) kann in den unterschiedlichsten Zu - sammenhängen notwendig werden . Beispielhaft sind hier Anwendungen im Bereich der Suchtmedizin, der Arbeitsmedizin (Einstellungsuntersuchungen, „Workplace Drug Testing“ vgl . www . ewdts .org/ewdts-guidelines .html) der Fahreignungsdiagnostik (vgl . www . dgvm-verkehrsmedizin .de/fachgebieteund -ihre-richtilinien/), der Leichentoxikologie (forensische Toxikologie) oder weitere juristische Fragestellungen, wie Überwachung von Bewährungsauflagen , Kindschaftsrecht oder Fragen der Schuldfähigkeit, zu erwähnen . Na - türlich muss auch die klassische klinische Toxikologie die neue Vielfalt von Drogen beim Drogenscreening berücksichtigen , da viele notfallmäßige Intoxikationen auf den Konsum neuerer Drogen zurückzuführen sind . Das Ergebnis eines solchen Screenings kann für den jeweiligen Betroffenen gravierende Folgen im Privat- wie auch im Arbeitsleben nach sich ziehen . Daher müssen die gewählten Nachweismethoden nicht nur sensitiv sondern auch äußerst spezifisch und juristisch verwertbar sein . Neben der Sensitivität der eingesetzten analytischen Methoden entscheidet vor allem die Wahl des zu untersuchenden Körpermaterials über das mögliche Nachweisfenster eines Drogenkonsums . Körperflüssigkeiten, wie Urin, Blut oder Speichel, erlauben den Nachweis der Substanzen im Bereich von Tagen bis Wochen, wobei die Dosishöhe , die Konsumhäufigkeit (gelegentlich /täglich) und auch die Konsumart (rauchen oder spritzen, peroral) die Nachweiszeit beeinflussen . Ferner können , bezogen auf die jeweilige Droge, zusätzlich große Unterschiede im Metabolismus und der entsprechenden Eliminationskinetik und dem Exkretionsweg (Urin, Stuhl) bestehen . Der Nachweis eines kürzlichen Drogen-/ Medikamentenmissbrauchs er folgt im Rahmen suchtmedizinischer Therapien noch überwiegend aus Urinproben . Im Vergleich zum Blut bietet die Matrix Urin den Vorteil der zum Teil deutlich höheren Konzentrationen der nachzuweisenden missbrauchsrelevanten Substanzen beziehungsweise ihrer Metaboliten . Hierdurch wurde die Anwendung vergleichsweise unempfindlicher jedoch preiswerter und schneller immunchemischer Verfahren möglich, die den Nachweis von zum Beispiel Amphetaminen, Kokain und Opiaten mit einem Zeitfenster von ein bis fünf Tagen ermöglichen . Da Immunoassays falsch positiv werden können, gelten positive Ergebnisse grundsätzlich als vorläufig und hinweisgebend . Erst durch eine auf einem chromatographischen Prinzip beruhende Analytik wird ein positives Screeningergebnis zum Befund! Einen Nachteil von Urinproben stellt die teilweise wochenlange Nachweisbarkeit von Benzodiazepinen und dem Cannabis-Metaboliten dar . Ein weiterer Vorteil von Urin ist die auch durch nicht-medizinisches Personal nichtinvasiv durchführbare Probennahme . Um die Abgabe eines negativen „Fremdurins “ oder Manipulationen an der Probe zur Erzielung eines falsch-negativen Ergebnisses auszuschliessen (zum Beispiel Zugabe von Detergenzien, Oxidantien etc .), muss die Urinprobe jedoch unter Sichtkontrolle gewonnen werden . Hierdurch ergeben sich häufig Probleme im Ablauf und Belastungen im Arzt-Patienten Verhältnis . Desweiteren erschwert die gegebenenfalls Aktuelle Nachweismethoden von Substanzkonsum 1 MVZ Labor Dessau GmbH, Dessau-Roßlau 2 MEDCENTER Leipzig Abb . 1: Anzahl und Kategorien der dem EU-Frühwarnsystem erstmals gemeldeten neuen psychoaktiven Substanzen, 2005 bis 2017 (Europäischer Drogenbericht 2018, siehe: www .emcdda .europa .eu/system/files/publications /8585/20181816_TDAT18001DEN_PDF .pdf) themenheft 344 Ärzteblatt Sachsen 08|2018 intentionelle Aufnahme von Flüssigkeit, ganz allgemein die Diurese, die Vergleichbarkeit von Drogenscreenings . Strenggenommen müssten die negativ/ positiv Entscheidungsgrenzen beim Drogenscreening, die sogenannten Cutoffs, auf das Urinkreatinin bezogen werden . Dies ist bei immunchemischen Screeningverfahren, insbesondere wenn es sich um Gruppentests handelt, naturgemäß nicht möglich . Für eine mangelnde Vergleichbarkeit der Nachweiszeiten sorgt ferner die pH-abhängige Exkretion diverser Drogen und Medikamente (zum Beispiel Amphetamine , Methadon), die zu sehr unterschiedlichen Nachweiszeiten für die gleiche Substanz führen kann . Der Urin pH-Wert liegt physiologischerweise zwischen fünf und neun . Diese hohe Variabilität beim pH-Wert sorgt für Stabilitätsprobleme bei vielen Substanzen . Insbesondere im alkalischen Be - reich sind Cathinone („Badesalze“), Kokain, Zopiclon, 6-Acetylmorphin und andere im Urin instabil, was zu diskrepanten und unplausiblen Ergebnissen bei späteren gerichtsverwertbaren Analysen oder Wiederholungsmessungen führen kann . Das Hauptargument gegen den weiteren Einsatz von Urin im „ungerichteten Drogenscreening“ ist jedoch die Vielzahl neuer missbrauchsrelevanter Drogen und Medikamente (Phenethylamine, Fentanyle, synthetische Cannabinoide und andere) für deren Nachweis keine Immunoassays zur Verfügung stehen . Aber auch bei der Entwicklung chromatographischer Methoden für das Drogenscreening im Urin steht man vor Problemen . Die als Referenzsubstanz benötigten Metaboliten sind zum Teil nicht bekannt oder in vielen Fällen kommerziell nicht verfügbar . Die jeweiligen Muttersubstanzen hingegen sind in der Regel zeitnah nach Auftauchen der Droge als Referenzmaterial für die Labore erhältlich . Welche alternativen Körpermaterialien mit der Muttersubstanz als Zielanalyt stehen nun zur Verfügung? Haare sind außerhalb forensischer Fragestellungen auf Grund der aufwändigen Probennahme und Analytik und der daraus resultierenden Kosten nicht „routinefähig “ . Zusätzlich hängt die Vergleichbarkeit der Ergebnisse unter anderem von der Länge der gewonnenen beziehungsweise zur Verfügung stehenden Kopfhaare ab und von der Möglichkeit, die Haare als Ganzes oder alternativ segmentweise zu analysieren . Im Blut sind es ebenfalls die Muttersubstanzen , die nachgewiesen werden . Viele der nachzuweisenden Drogen und Medikamente liegen nur in sehr niedriger Konzentration vor, sodass das Nachweisfenster auch bei entsprechend empfindlicherer Analytik häufig kürzer ausfällt als im Urin . Darüber hinaus ist die Probennahme invasiv und Blut daher nicht in allen suchtmedizinischen Einrichtungen immer gewinnbar . Speichel als alternative Matrix ist von zunehmendem Interesse für die Drogenanalytik , da sich die meisten Substanzen im Vergleich zu Blut selektiv anreichern und damit deutlich länger nachweisbar werden . Substanzen mit einem neutralen oder leicht alkalischen pKs-Wert liegen im Blut bei physiologischem pH-Wert eher ungeladen vor und können leichter durch Membranen diffundieren . Im Speichel liegen die Substanzen bei einem mittleren pH- Wert von 6,0 geladen vor und können nur schwer rückdiffundieren . Amphetamine und Derivate haben daher „Oral Fluid/Plasma Ratios“ von > 20, aber auch Opiate [1], Kokain und die meisten Psychopharmaka [2] reichern sich im Speichel an (vgl . UNODOC, Guidelines for Testing Drugs under International Control in Hair, Sweat and Oral Fluid, www .unodc .org/documents/scientific/ ST_NAR_30_Rev .3_Hair_Sweat_and_ Oral_Fluid .pdf) . Benzodiazepine haben auf Grund der hohen Plasmaproteinbindung ein Ratio von < 0,5 . Hier muss die Analytik entsprechend empfindlich sein . Durch die verbesserte Sensitivität neuerer analytischer Methoden, wie der Flüssigchromatographie gekoppelt an Tandem-Massenspektrometer (LC-MS/ MS) und die Verfügbarkeit kommerzieller Speichelnahmesysteme, findet das „routinemäßige Drogenscreening“ im Speichel zunehmend Akzeptanz . Speichelproben können einfach und nicht invasiv unter Sichtkontrolle gewonnen werden . Die LC-MS/MS Methode erbringt den direkten Nachweis der Einzelsubstanzen . Eine separate chromatographische Bestätigungsanalyse, wie sie bei positiven immunchemischen Verfahren häufig nötig ist, entfällt . Da die Entwicklung und Anpassung von LC/MS- MS Methoden im Labor stattfinden kann, muss nicht die Einführung entsprechender Immunoassays durch die Diagnostikindustrie abgewartet werden . Die von uns eingesetzte Routinemethode zum Nachweis von Drogen und missbrauchsrelevanten Medikamenten weist bei Entscheidungsgrenzen von 0,1 bis 5,0 ng/ml momentan die folgenden Substanzen nach: substitutions-medikamente: D-/L-Metha - don, EDDP, Buprenorphin, Norbupre norphin amphetamine/cathinone: Amphetamin, Methamphetamin, MDMA, MDA, MBDB, BDB, MDEA, PMMA, Butylone, Mephedron , Methylon, MDPV, alpha-PVP, 4-Methylethcathinon, Pentedron benzodiazepine: Diazepam, Nordiazepam , Oxazepam, Midazolam, Flurazepam , Desalkylflurazepam, Temazepam, 7-Aminoclonazepam, Alprazolam, Flunitrazepam , 7-Aminoflunitrazepam, Bromazepam, Lorazepam, Phenazepam kokain: Kokain, Benzoylecgonin, Methy- lecgonin, Lidocain opiate: Morphin, Codeine, 6-Acetylmorphin , 6-Acetylcodein, Norcodein, Dihydrocodein , opioide: Naloxon, Tilidin, Tramadol, O-Desmethyltramadol, Oxycodon, Noroxycodon , Fentanyl, Nortilidin, Hydromorphon , Noscapin, Loperamid, Dextromethorphan themenheft 345Ärzteblatt Sachsen 08|2018 cannabinoide: THC sonstige: Zolpidem, Zopiclon, Zaleplon, Ketamin, Methylphenidat, Ritalinsäure, Pregabalin, Gabapentin, Bupropion, Diphenhydramin, Doxepin, Quetiapin, Mirtazapin Als Authentizitätsmarker wird zusätzlich Cortisol und Amylase bestimmt . Zur Probennnahme verwenden wir das Sammelsystem von Greiner Bio-One (Abb . 2), bei dem 4 ml eines schwach sauren (Zitronensäure), gelben Puffers für mindestens zwei Minuten im Mund belassen werden . Der Patient spuckt das Speichel-Puffer Gemisch anschließend in den Speichelsammelbecher und verschließt diesen wieder . Die circa 4 ml Speichel-Puffer Gemisch werden dann mit den evakuierten Transferröhrchen aufgenommen, beschriftet und in das Labor gesandt . Es gibt also immer eine A- und eine B-Probe, was bei Anzweiflung der Ergebnisse durch den Patienten beziehungsweise Probanden von Vorteil ist und der Einmaligkeit einer Probe für die Drogenanalytik Rechnung trägt . Im Labor wird die Intensität des gelben Lebensmittelfarbstoffs photometrisch gemessen und daraus der prozentuale Speichelanteil bestimmt . Der Speichelanteil muss beim positiven Nachweis einer Droge mit LC/MS-MS berücksichtigt werden, um einheitliche Entscheidungsgrenzen zu gewährleisten . In ersten Studien wurden die Positivraten von immunchemischen Drogenscreenings im Urin (Cutoffs: Amphetamine 500 ng/ml, Benzodiazepine: 100 ng/ml, Kokain 50 ng/ml, Opiate 100 ng/ ml, Buprenorphin 2 ng/ml, EDDP 100 ng/ml) mit den Positivraten im Speichel von zwei Patientenkollektiven Opiatsubstituierter Patienten (Methadon oder Buprenorphin) aus einem Zeitraum von drei Monaten verglichen: Patientengruppe A (Schwerpunktpraxis Suchtmedizin): 194 Patienten mit 902 Speichelproben und 182 Patienten mit 1 .119 Urinproben . Patientengruppe B: von 23 weiteren Schwerpunktpraxen erhielten wir im gleichen Zeitraum 1 .072 Speichelproben von 612 Patienten . Zum Vergleich wurde die Positivrate aus 9 .008 Urinproben von 1 .463 Patienten aus 40 Schwerpunktpraxen herangezogen . Anhand der Positivraten zeigte sich, dass für Amphetamine (A: 9,3 Prozent, B: 10,3 Prozent) und Kokain (A: 5,2 Prozent , B: 9,8 Prozent) offenbar bessere Nachweisbarkeitszeiten als im Urin erzielt werden (Amphetamine: A: 3,3 Prozent, B: 4,1 Prozent; Kokain: A: 3,9 Prozent, B: 7,2 Prozent) . Für Opiate und Benzodiazepine waren die Positivraten für beide Matrizes vergleichbar . Wichtig ist, dass für die Substitute auch bei Patienten in Niedrigdosistherapie keine falsch negativen Ergebnisse in Speichelproben erhalten wurden . Zusammenfassend lässt sich feststellen , dass im Rahmen der Substitutionstherapie das Drogenscreening im Speichel mit LC/MS-MS eine verlässliche Alternative zur Drogenanalytik mit Immunoassays im Urin darstellt . Bei entsprechender Anamnese kann auch eine umfängliche „Mult-Target-Analyse“ innerhalb nur einer Substanzklasse zum Beispiel auf Opiate/Opioide oder eine ungerichtete „General-Unknown“ Analyse [3] durchgeführt werden, die dann auch die modernen Designerdrogen nachweisen können . Literatur bei den Autoren Interessenkonflikte: keine Korrespondierender Autor: Dr . rer . medic . Michael Böttcher Bauhüttenstraße 6, 06847 Dessau-Roßlau E-Mail: michael .boettcher@laborpraxis-dessau .de Abb . 2: Speichel Sammelsystem (Greiner Bio-One) (1) Speichelsammelflüssigkeit für zwei Minuten im Mundraum behalten (2) Speichel-Puffer-Gemisch in den Becher spucken (3) Probe mit evakuierten Transferröhrchen aufziehen Ohne Abb .: Im Labor erfolgt das Ablesen des Probenvolumens sowie die Messung des Speichelanteils [%] und der Amylase [U/L] . Anschließend wird im Labor die Drogenanalytik durchgeführt . themenheft 346 Ärzteblatt Sachsen 08|2018 E . Paditz Tabak als ein führendes Gesundheits- und Umweltproblem In Deutschland wurden im Jahr 2013 121 .000 Todesfälle (13,5 Prozent aller Todesfälle) auf Tabakkonsum bezogen, Tendenz in Bezug auf Tumore der Bronchien und der Lunge steigend [1] (Abb . 1 und Tab . 1) . Der Anbau von Tabak ist mit erheblichen Umweltschäden verbunden – durch überdurchschnittlich hohen Wasserbedarf, durch Rodung von Regenwald zur Gewinnung von Anbauflächen , durch den überdurchschnittlich hohen Entzug von Nährstoffen aus dem Boden und durch den Einsatz von Pestiziden . Zigarettenkippen gelten heute als Müllproblem Nummer eins, nicht nur in Bezug auf die Anzahl und das Gewicht weggeworfener Kippen, sondern insbesondere durch die Belastung des Grundwassers mit nur schwer abbaubaren toxischen Schadstoffen in Zigarettenkippen [2, 3] . Europa ohne Tabak – bis zum Ende des 15. Jahrhunderts Im alten Ägypten, in der griechischen Antike, in Byzanz, im römischen Reich und im Bereich des heutigen Europas, in Indien, Japan und China war Tabak bis zum Ende des 15 . Jahrhunderts nicht bekannt . Von 86 Arten der Pflanze waren ursprünglich 75 Prozent in Amerika und 25 Prozent in Australien nachweisbar . In Afrika wurde im Norden Namibias eine einzige endemische Art mit sehr geringem Nikotingehalt beschrieben [4] . Bei den Indianern Nordamerikas und in Chile wurden zahlreiche Tabakpfeifen mit Tabakspuren gefunden . Für die Mayas der Zeit von 600 bis 900 n . Chr . fanden sich ebenfalls derartige Nachweise [5] . In den präkolumbianischen Kulturen Amerikas war der Konsum von Tabak ein Teil religiöser Vorstellungen und Rituale . Heilungsversuche mit Pflanzen wie zum Beispiel Tabak waren in diese Vorstellungen eingebunden . Die erste schriftlich überlieferte Notiz eines Europäers über Tabakblätter findet sich am 15 . Oktober 1492 im Schiffstagebuch des Christoph Kolumbus [6]: „Während ich mich also auf der Fahrt zwischen der Insel Santa Maria und jener großen zweiten Insel befand, der ich den Namen ‚Fernandina‘ gab, stieß ich auf ein Kanoe, in dem sich ein einzelner Mann befand, der von der Insel Santa Maria nach der Insel Fernandina (= frühere Bezeichnung für Kuba) hinübersetzte . In seinem Boote fand ich etwas Brot, ungefähr von der Größe einer Faust, einen mit Wasser gefüllten Kürbis, etwas rote Erde, aus der er einen Brei angerichtet hatte, und einige dürre Blätter, die von den Eingeborenen sehr geschätzt werden müssen , da man mir bereits in San Salvador etwas davon als Geschenk überreicht hatte .“ Seefahrer brachten die Tabakpflanze in den folgenden Jahrzehnten nach Europa . Der portugiesische Diplomat und Botaniker Jean Nicot befasste sich um 1560 mit der Pflanze . Katharina von Medici (1519 – 1589) soll das Pulver gegen Migräne eingesetzt haben . Dalechamps führte 1585 die Bezeichnung „herba nicotiana“ ein und 1828 wurde das wirksame Alkaloid „Nikotin“ durch Posselt und Reimann aus Heidelberg isoliert . Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der Tabakkonsum in Europa längst verbreitet – überwiegend bei Männern, da Rauchen bis 1929 (s . u .) weitgehend als Männersache galt . Aus den Ritualen der alten amerikanischen Kulturen war ohne deren Kontext und ohne deren Begrenzungen ein Wirtschaftsfaktor geworden . Historiker gehen davon aus, dass der Dreißigjährige Krieg (1618 – 1648) und die gezielte Ansprache der Zielgruppe „Soldaten“ im Ersten Weltkrieg wesentlich zur weiteren Verbreitung des Tabakkonsums beigetragen haben [7] . 1907 gehörte die Tabakindustrie neben der Erdölund Stahlindustrie in den USA bereits zu den drei führenden Industrie - zweigen [7] . Dresden als ein führender Standort der Tabakindustrie in Deutschland Mit der industriellen Produktion von Tabakprodukten und aggressiven Marketingstrategien nahmen der Tabakkonsum und dessen gesundheitliche und landwirtschaftliche Folgen zu . Die erste Zigarettenfabrik Deutschlands wurde 1862 in Dresden als „Compagnie Laferme“ in einem Gebäude an der Ostra-Allee 10 durch Joseph Michael Nikotin und Gesellschaft Abb . 1: Vincent van Gogh, Kopf eines Skeletts mit brennender Zigarette, 1886 . Öl auf Leinwand, 32,3 cm x 24,8 cm . © Va n Go gh M us eu m , A m st er da m (V in ce nt v an G og h Fo un da tio n) themenheft 347Ärzteblatt Sachsen 08|2018 von Huppmann-Valbelle (1814 – 1897) aus St . Petersburg gegründet [8] . Huppmann schrieb am 17 . Juli 1862 an den Rath der Königlichen Haupt- und Residenzstadt: „Das Exportgeschäft hat namentlich in der unseren Zeit einen so großen Aufschwung genommen, dass ich den Entschluss gefasst habe, außerhalb Russlands eine Kommandite zu errichten . Ich bin zu diesem Entschluss gelangt, weil in Russland der Tabak sehr stark besteuert ist, und meine Fabrikate, die ich für den Export außerhalb Russlands arbeiten lasse bedeutend billiger werden .“ [9] Anlässlich des 50 . Gründungsjubiläums dieser Firma wurde berichtet, dass eine Arbeiterin 1 .500 bis 1 .700 Zigaretten in einer zehn Stunden-Schicht per Hand herstellte sowie, dass die Tagesleistung mit Maschinen auf mehr als 80 .000 bis 150 .000 Zigaretten gesteigert werden konnte [10] . 1925 gab es 141 Zigarettenfabriken in Dresden und knapp 25 Prozent der Dresdner Bevölkerung arbeitete in oder für die Tabakbranche [9], nachdem für das Jahr 1912 bereits mehr als 1 .300 Firmen in Deutschland angegeben wurden, in denen zu diesem Zeitpunkt jährlich circa zehn Milliarden Zigaretten hergestellt wurden . Dresden ist bis heute ein wesentlicher Standort der Tabakindustrie in Deutschland geblieben: Am 19 . Juni 2017 meldete der Tabakkonzern Philip Morris, dass in Dresden bis 2019 knapp 286 Millionen Euro in ein Werk zur Herstellung von Tabaksticks für E-Zigaretten (Iqos) investiert werden sollen . 500 neue Arbeitsplätze würden entstehen . Sachsens damaliger Ministerpräsident Stanislaw Tillich wurde mit den Worten zitiert, dass er sich sehr freue, dass Philip Morris seine „ohnehin schon starke Präsenz in Sachsen“ weiter ausbaue [Spiegel online v . 19 . Juni 2017] . Unabhängig davon, ob das Projekt realisiert wird oder nicht, illustriert der Sachverhalt, dass politische Entscheider die Tabakindustrie noch viel zu oft nur als Wirtschaftsfaktor betrachten, obwohl durch Verminderung des Tabakkonsums aus volkswirtschaftlicher und gesundheitsökonomischer Sicht erhebliche Mittel eingespart werden könnten, wie der sogenannte Synthesebericht aus der Schweiz ge zeigt hat (s . u .) . Edward Bernays Tabak-Kampagne 1929 Der bekannte Medienexperte Edward Bernays (1881 – 1995) wurde durch George Washington Hill (1884 – 1946), dem Präsidenten der Vereinigung amerikanischer Tabakfirmen, gefragt, wie man das Vorurteil, dass Frauen nicht auf der Straße rauchen sollten, zugunsten einer wesentlichen Umsatzsteigerung beseitigen könnte . Nach der Konsultation eines psychoanalytisch orientierten Psychiaters kam man zu dem Ergebnis, dass das Rauchen auf Männer beschränkt sei, da Zigarren als Macht-Symbol empfunden würden [7, 11] . Bernays entwickelte daraus folgende Idee: Er koppelte unter dem Slogan „Fackel der Freiheit“ Ideen der Frauenrechtsbewegung mit der Hinwendung zum Rauchen . Kurz vor dem traditionellen Ostermarsch vom 31 . Mai 1929 ließ er zahlreiche Journalisten über ein bevorstehendes Ereignis während des traditionellen Ostermarschs informieren . Gleichzeitig wurden junge Frauen engagiert, die sich entgegen der damals üblichen Gewohnheiten auf offener Straße eine Zigarette anzünden sollten (Abb . 2) [7, 11] . Die New York Times titelte am 1 . April 1929: „Group of Girls Puff at Cigarettes as a Gesture of ‚Freedom’ .“ Bernays berichtete in seiner Autobiografie von großer Medienresonanz [11], die später allerdings nicht bestätigt werden konnte [12] . Zahlreiche weitere Ideen Bernays und anderer Marketingstrategen trugen zu erheblichen Umsatzsteigerungen der Tabakindustrie bei [7] . Der bekannte Medizinhistoriker Allan M . Brandt (Harvard) hat in seinem 2007 erschienenen umfangreichen Standardwerk „The Cigarette Century . The rise, fall, and deadly persistence of the product that defined America “ dokumentiert, dass nach der breiten Einführung der ersten Maschinen zur Herstellung von Zigaretten durch James Bonsack aus Virginia 1881 erhebliche Produktionsüberkapazitäten bestanden, sodass seit den ersten Jahrzehnten des 20 . Jahrhunderts ge - zielt ein weltweiter Absatz und psychologisch basierte Marketingstrategien entwickelt wurden [7] . Aktuelle epidemiologische Situation Zahlreiche medizinische Studien über die gravierenden gesundheitlichen Folgen des Tabakkonsums lieferten Motive für die Durchsetzung von Prä- Abb . 2: Rauchende junge Frau während des Ostermarschs in New York vom 31 . Mai 1929 . © Co ur te sy o f t he L ib ra ry o f C on gr es s, W as hi ng to n themenheft 348 Ärzteblatt Sachsen 08|2018 ventionsmaßnahmen, zu denen unter anderem auch gesetzgeberische Initiativen wie Werbeverbote und Steuererhöhungen auf Tabakprodukte, Aktivitäten der Primärprävention in Schulen zur Beeinflussung des Einstiegsverhaltens in den Tabakkonsum, Rauchverbote in öffentlichen Einrichtungen, in Gaststätten und auf Bahnhöfen, rauchfreie Kinderspielplätze oder die salutogenetisch orientierte Informationskampagne „Wie mein Baby gut und sicher schläft“ (Prävention des plötzlichen Säuglingstodes) gehören [13-15] . In der Schweiz wurde mit einem ressortübergreifenden betriebs- und volkswirtschaftlichen Ansatz nachgewiesen, dass die Prävention des Rauchens deutlich weniger Kosten beansprucht, als die Prävention des Alkoholismus und die von Straßenverkehrsunfällen . Die Kosten für Prävention lagen um ein Mehrfaches unter den Kosten der ansonsten zu behandelnden Schäden: Der Return on Investment (ROI) für Maßnahmen der Tabakprävention lag bei 1:41, das heißt mit einem Franken für Präventionsmaßnahmen konnten 41 Franken an medizinischen Folgekosten eingespart werden . Für alkoholbedingte Erkrankungen beziehungsweise für Straßenverkehrsunfälle lag diese Ziffer bei 1:23 beziehungsweise 1:9,4 . Demzufolge waren deutlich weniger Investitionen in tabakbezogene Präventionsmaßnahmen erforderlich, um einen vergleichbaren Effekt wie bei Maßnahmen zur Verminderung des Alkoholkonsums oder von Straßenverkehrsunfällen zu erreichen [16] . Da die Nichtraucherquote in den Altersgruppen zwischen 15 und unter 45 Jahren zwischen 1992 und 2013 in Deutschland langsam zugenommen hat (Abb . 3), kann davon ausgegangen werden, dass der Höhepunkt der Tabak-Pandemie in Deutschland überschritten sein dürfte . Es deutet sich ein Trend an, dass das Einstiegsverhalten beeinflusst werden konnte . Die Schwankungen pro Altersgruppe zeigen aber, dass diese Trends instabil sind, sodass weitere Anstrengungen im Sinne der Primärpräventionen erforderlich sind . Die Mortalitätsziffern für bösartige Tumore der Lunge und der Bronchien widerspiegeln diese Bemühungen allerdings bisher nicht (Tab . 1) . Tabakrauch gilt als Hauptrisikofaktor für derartige Tumoren, bei Männern werden bis zu neun von zehn Fällen und bei Frauen mindestens sechs von zehn Fällen auf aktives Rauchen zurückgeführt, so dass diese Mortalitätsziffer als ein Indikator für die langfristige Wirksamkeit von Präventionsmaßnahmen gelten kann [17] . Für Maßnahmen der Verhaltens- und Verhältnisprävention sind deutliche Effekte nachgewiesen worden . Rauchverbote in öffentlichen Räumen und Preissteigerungen zeigten in Bezug auf etliche Endpunkte deutlichere Effekte als die Behandlung von Rauchern: • Die 2006 in Spanien eingeführten gesetzlichen Regelungen führten zur Verminderung der Tabakrauchexpo- Abb . 3: Anteil von Nichtrauchern und starken Rauchern (ab 20 Zigaretten/Tag) in Deutschland, beide Geschlechter, nach Altersgruppen: Vergleich der Erhebungen aus den Jahren 1992, 2003 und 2013 (Stand: 29 . April 2018) . Die deutlichste Zunahme der Nichtraucherquote zeigt sich in der Altersgruppe von 15 bis unter 20 Jahren; zwischen 2003 und 2013 ist der Anteil von Nichtrauchern von 74,7 auf 86,4 Prozent gestiegen . Bis zum 40 . bis unter dem 45 . Lebensjahr ist die Nichtraucherquote von 1992 bis 2013 ebenfalls leicht angestiegen . In den darüberliegenden Altersgruppen zeigen sich keine bedeutsamen Änderungen der Nichtraucherquote . Die hohen Nichtraucherquoten in den Altersgruppen darüber weisen möglicherweise darauf hin, dass zahlreiche Raucher bereits gestorben sind, sodass Nichtraucher in der Statistik dominieren . Quelle: www .gbe-bund .de Tab . 1: Häufigkeit bösartiger Neubildungen der Bronchien und der Lungen (ICD10 Nr . C34), Abruf: 29 . April 2018, Quelle: www .gbe-bund .de Sterbefälle pro 100 .000 Einwohner Sterbefälle Deutschland Sachsen Deutschland Sachsen 2015 55,4 51,1 45 .224 2 .080 2010 52,6 49,8 42 .972 2 .071 2005 49,3 47,3 40 .641 2 .025 2000 47,4 44,4 38 .955 1 .971 1998 46,2 43,9 37 .934 1 .977 themenheft 349Ärzteblatt Sachsen 08|2018 sition an Arbeitsplätzen um 58,8 Prozent [18] sowie zur Verminderung der Zahl der Klinikaufnahmen aufgrund von COPD beziehungsweise Asthma um 14,7 Prozent beziehungsweise 7,4 Prozent [19] . • In North Carolina wurde nach Einführung von Rauchverboten in öffentlichen Räumen inklusive Bars, Restaurants und Hotels mittels Befragung und durch Biomarker (Cotinine im Blut) eine Abnahme der Passivrauchbelastung bei nichtrauchenden Schwan geren um 33,3 Prozent registriert [20] . • Preissteigerungen um einen Euro pro Zigarettenpackung waren beim Vergleich zwischen 23 EU-Ländern mit einer Ab nahme der Zahl der Todesfälle pro 1 .000 Lebendgeburten um 30,4 Prozent verbunden [21] . • Gesetzliche Tabakrestriktionen waren nach Auswertung von 41 Studien aus Nordamerika, Europa und China mit einer Abnahme der Klinikaufnahmen wegen Asthma um 9,8 Prozent und wegen akuten Atemwegsinfektionen um 3,4 Pro- zent verbunden; die Frühgeburtenrate sank um 3,8 Prozent [22] . • Proaktive Beratungen führten bei 13,5 Prozent der behandelten Raucher zur Tabakabstinenz, die auch noch nach einem Jahr nachweisbar war; übliche Beratungen ohne proaktiven Ansatz zeigten diesen Effekt bei 10,9 Prozent der behandelten Raucher [23] . Zusammenfassung Bis zum Ende des 15 . Jahrhunderts war Tabak in Europa nicht bekannt . Mit der Einführung von Maschinen zur Herstellung von Zigaretten ab 1881 wurden Produktionsüberkapazitäten geschaffen , die durch Erweiterung des Absatzes auf einen weltweiten Markt und auf neue Zielgruppen der Bevölkerung ge - winnbringend ausgelastet und erweitert werden sollten . Die Interessen der Tabakindustrie nach Gewinnsteigerung waren ab dem späten 19 . Jahrhundert die führenden Treiber der Tabakpandemie . Durch gezieltes Marketing wurden und werden Konsumentenbedürfnisse erzeugt, indem Tabakkonsum mit verschiedenen Leitbildern wie Demokratie, Lifestyle oder Gleichberechtigung von Mann und Frau gekoppelt wurde und wird . Medizinische Kenntnisse über die Folgen des Tabakkonsums haben Maßnahmen der Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention angeregt, die in den letzten Jahrzehnten zu einer schrittweisen Verminderung des Tabakkonsums geführt haben . Weitere konsequente Anstrengungen des Gesetzgebers und zahlreicher weiterer Akteure sind erforderlich, um die Einstiegsquote Jugendlicher in den Tabakkonsum noch deutlicher als bisher zu vermindern und dem aggressiven Marketing der Tabakindustrie den Boden zu entziehen . Literatur beim Autor Interessenkonflikte: keine Prof . Dr . med . habil . Ekkehart Paditz Zentrum für Angewandte Prävention® Blasewitzer Straße 41, 01307 Dresden E-Mail: praxis@paditz .eu themenheft Anzeige RATIONALER EINSATZ VON ANTIBIOTIKA Antibiotika zählen in Deutschland seit Jahren mit zu den verordnungsstärksten Wirkstoffgruppen. Der Übergebrauch von Antibiotika hat Kostensteigerungen, vermeidbare Nebenwirkungen sowie beschleunigte Resistenzentwicklungen zur Folge. Die Antibiotika-Resistenz wird von der WHO als Bedrohung der öffentlichen Gesundheit angesehen. Um dem entgegenzuwirken und einen rationalen Antibiotika-Einsatz zu befördern, wurde in Sachsen ein spezielles Curriculum entwickelt und richtet Sächsischen Landesärztekammer | 7. bis 8. September 2018Fortbildung der sich vor allem an niedergelassene Ärzte. Das Curriculum geht auf die wichtigsten Infektionskrankheiten ein und stellt die Therapie mit dem Ziel der Optimierung des Antibiotika-Einsatzes vor. Anmeldung/Auskunft: Frau Wodarz, Tel: 0351 8267 327 E-Mail: fortbildungskurse@slaek.de, Internet: www.slaek.de/de/01/fortbildung/fbangebote.php Gebühren: 140,00 EUR | Es werden 14 Fortbildungspunkte vergeben. 350 Ärzteblatt Sachsen 08|2018 E . Böhle Als 1995 der amerikanische Psychiater Ivan Goldberg den Begriff „Internetsucht “ prägte, handelte es sich noch um einen Scherz . So wie vor einigen Jahrzehnten die Existenz von Computerviren noch eher belustigt aufgenommen wurde, war es zu diesem Zeitpunkt kaum vorstellbar, dass viele Menschen vom Internet ernsthaft krank werden könnten . Auch wenn die Ansichten hinsichtlich der nosologischen Einordnung und der Verbreitung der Problematik in Fachkreisen heute noch divergieren, ist die Existenz der Problematik kaum zu leugnen . Die Erfahrungen mit (heute) illegalen Drogen zeigen, dass ein neues Angebot an Substanzen neue Probleme schafft . Dies ist auch im Bereich der elektronischen Medien zu beobachten und stellt somit die Suchthilfe vor erhebliche Herausforderungen . Die repräsentative PINTA-Studie er - brachte, dass in Deutschland circa ein Prozent der 14- bis 64-Jährigen internetabhängig sind . In einer Folgestudie (PINTA DIARI) wurde eine hohe Konkordanz zwischen der Diagnosestellung anhand des verwendeten Fragebogens (CIUS = Compulsive Internet Use Scale) und den DSM-Diagnosekriterien (DSM = Diagnostischer und statistischer Leitfaden psychischer Störungen) festgestellt . Des Weiteren konnte gezeigt werden, dass die im Sinne der Studie Internetabhängigen einen höheren Grad an psychosozialer Beeinträchtigung aufwiesen als die Vergleichsgruppe . Die Amerikanische Psychiatrische Gesellschaft (APA) hat 2013 die Diagnose Internet Gaming Disorder in den Forschungsteil des DSM-5 aufgenommen . Hiermit sind erstmals verbindliche Diagnosekriterien für dieses neue Störungsbild definiert . Nach heutigem Kenntnisstand sind es im Wesentlichen drei Formen der Internetnutzung , die ein Suchtpotenzial mit sich bringen: surfen Das Internet in Form des World Wide Web basiert auf so genannten Hyperlinks . Durch die Verknüpfung von Internetseiten und den einfachen Zugriff über Mausklick wächst die Menge der unmittelbar verfügbaren Informationen exponentiell . Dies begünstigt die Neigung, sich in der Informationsflut zu verlieren . Zu beachten ist dabei, dass Informationen im Internet nicht nur aus Texten bestehen, sondern zum Beispiel auch Bilder und Videos sind . Insbesondere der exzessive Konsum von Serien hat in den letzten Jahren im klinischen Bereich an Bedeutung gewonnen . gaming Spiele unterscheiden sich vom Fernsehen im Wesentlichen darin, dass der Spieler aktiv in das Geschehen eingreifen kann . Hierbei kann er seine Kompetenzen verbessern . Oftmals spielt Flow-Erleben eine wichtige Rolle . In einigen Ländern werden gute Computerspieler gefeiert wie Pop-Stars . Internetabhängigkeit – Symptom der Zeit? themenheft Diagnosekriterien des DSM-5 1 . Andauernde Beschäftigung mit Internet- bzw . Online-Spielen . (Der Betroffene denkt über frühere Online-Spiele nach oder beschäftigt sich gedanklich mit zukünftigen Spielen . Die Online-Spiele werden zur dominierenden Aktivität des alltäglichen Lebens .) 2 . Entzugssymptome wenn das Online-Spielen nicht zur Verfügung steht . (Diese Entzugssymptome werden typischerweise beschrieben als Gereiztheit, Ängstlichkeit oder Traurigkeit . Körperliche Symptome im Sinne eines Medikamentenentzugs werden nicht beschrieben .) 3 . Toleranzentwicklung mit dem Bedürfnis, zunehmend Zeit für Online-Spiele aufzubringen . 4 . Erfolglose Versuche, die Teilnahme am Online-Spielen zu beenden . 5 . Verlust des Interesses an früheren Hobbys oder Aktivitäten als Folge des Online-Spielens . 6 . Andauerndes exzessives Online-Spielen trotz des Wissens um die psychosozialen Probleme . 7 . Täuschen von Familienmitgliedern, Therapeuten oder anderen Personen in Bezug auf das wirkliche Ausmaß des Online-Spielens . 8 . Gebrauch der Online-Spiele, um aus negativen Emotionen (wie zum Beispiel Gefühle von Hilflosigkeit, Schuld oder Ängstlichkeit) herauszu kommen oder um diese zu lindern . 9 . Gefährdung oder Verlust von wichtigen Bekanntschaften, Beruf, Ausbildung oder Karriere-Möglichkeiten wegen des Online-Spielens . 351Ärzteblatt Sachsen 08|2018 chatten (soziale netzwerke) Während die Abhängigkeit von Computerspielen vorwiegend junge Männer betrifft, werden Mädchen (besonders die 14- bis 16-Jährigen) eher von sozialen Netzwerken abhängig . Allerdings ist auffällig, dass diese Gruppe selten den Zugang zum Hilfesystem findet . suchtpotential von computerspielen Die Zeiten, die Menschen mit Computerspielen verbringen sind stark genreabhängig . Spitzenwerte erreichen On - line-Rollenspiele, Strategiespiele und Shooter . Im Allgemeinen stellen sich folgende spielimmanente Faktoren als förderlich bezüglich einer exzessiven Nutzung heraus: Verfügbarkeit: Der Einstieg in Online- Rollenspiele ist für gewöhnlich sehr einfach . Voraussetzung ist lediglich ein PC mit Internet-Zugang . Dies gehört heutzutage praktisch zum Standard . Ist das Spiel einmal installiert, erfordert der Zugang zum kritischen Medium nur noch einen Mausklick . Bindung durch monatliche Gebühr: Eine einmal gezahlte Gebühr verleitet dazu, den bezahlten Betrag maximal auszunutzen und somit zu einem exzessiven Konsum . Empfundene Unendlichkeit: Im Gegensatz zu klassischen Computerspielen finden Onlinespiele kein natürliches Ende . Selbst wenn die narrativen beziehungsweise programmierten Elemente ausgeschöpft sind, besteht die Möglichkeit , die Spielewelt selbständig zu erkunden oder mit anderen Spielern zu interagieren . Man kann Freundschaften schließen, feiern, einen Beruf erlernen und vieles mehr . Der Spieler führt ein virtuelles Leben und baut hierüber seine digitale Identität auf . Echtzeit: Viele Onlinespiele laufen weiter , auch wenn man den Computer ausgeschaltet hat . So muss man zum Beispiel bei manchen Spielen damit rechnen , angegriffen zu werden, wenn man zur Arbeit oder in der Schule ist . Hierdurch bleibt stets die Befürchtung zurück, etwas Wichtiges zu verpassen, wenn man gerade nicht online ist . Doppelter Kompetenzgewinn: Sich als kompetent zu erleben und sich ständig verbessern zu können, ist für gewöhnlich sehr motivierend, wenn es darum geht, eine Tätigkeit hartnäckig zu verfolgen . Bei Rollenspielen verbessern sich sowohl die Fähigkeiten des Avatars (virtuelle Kunstfigur im Cyberspace ) als auch die des realen Spielers . Die Spieler erleben somit im doppelten Sinne einen Zugewinn ihrer Selbstwirksamkeit . Außerdem geht das Erreichen eines höheren Levels durch Erfahrungspunkte schneller und zuverlässiger , als es die immer weiter abflachenden Lernkurve beim natürlichen Erwerb von Fertigkeiten zulässt . Flow: Mit Flow wird das völlige Aufgehen in einer Tätigkeit mit hoher Konzentration , bei gleichzeitig erlebter Mühelosigkeit bezeichnet, wobei für gewöhnlich nicht nach einem Zweck des Handelns gefragt wird, sondern die Tätigkeit an sich als äußerst befriedigend erlebt wird (autotelisches Handeln ) . Flow-Erleben kann man nicht erzwingen . Es wird aber wesentlich wahrscheinlicher, wenn die Fertigkeiten und die Anforderungen sich in einem optimalen Verhältnis befinden . Bei Online-Rollenspielen gelingt dieses meistens sehr gut: Jeder Spieler findet eine Aufgabe, die ihn weder unter- noch überfordert . Soziale Verpflichtung: Rollenspieler sind meistens in Gruppen organisiert und können Aufgaben nur gemeinsam bewältigen . Wer die geforderten Normen (zum Beispiel lange Online-Zeiten) nicht erfüllt, dem droht der Ausschluss aus der Gruppe . Soziales Prestige: Bei Onlinespielen findet der Spieler oft Anerkennung, die er im realen Leben nie erreichen würde . Dies ist verknüpft mit einer erheblichen Erhöhung des Selbstwerterlebens, was wiederum eine hohe motivierende Kraft hat . Umgekehrt muss man sich im Spiel nicht mit den situativen und © SL S – St an da rd is ie rt e Ja hr es be ric ht e themenheft Klientenaufkommen in sächsischen Suchtberatungsstellen 352 Ärzteblatt Sachsen 08|2018 persönlichen Einschränkungen auseinandersetzen , die das reale Leben mit sich bringt (Realitätstransformation) . Intermittierender Verstärkungsplan: Online-Rollenspiele beinhalten zwei Arten von Belohnungen: Es gibt eine feste Gratifikation für bestandene Aufgaben . Darüber hinaus fallen nach einem zufälligen Muster bei der Bewältigung von Anforderungen Belohnungen , zum Beispiel in Form von besonderen Ausrüstungsgegenständen, ab . Insofern handelt es sich hierbei um einen intermittierenden Verstärkungsplan , von dem bekannt ist, das er zu einer besonders hohen Löschungsresistenz führt . Klinische Behandlung Obwohl es sich bei der Internetsucht noch nicht um eine anerkannte Erkrankung handelt, werden die Behandlungskosten von deutschen Krankenkassen und Rentenversicherungsträgern oft übernommen . Hintergrund hierbei ist, dass durch das Krankheitsbild nachweislich eine Beeinträchtigung der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, insbesondere am Erwerbsleben eintritt . Im Folgenden soll eine kurze Übersicht über Aspekte der stationären Behandlung gegeben werden: therapeutisches milieu Die stationäre Therapie Abhängigkeitskranker zeichnet sich im Wesentlichen durch zwei Aspekte aus, die weniger die bearbeiteten Inhalte, sondern vielmehr das therapeutische Milieu betreffen : Zum einen ist das Suchtmittel nicht verfügbar . Im Falle der Internetabhängigkeit wird über die Hausordnung , die soziale Kontrolle und die bereitgestellten elektronischen Geräte der Zugang zu digitalen Medien eingeschränkt . Des Weiteren werden den Patienten Alternativen angeboten . Insbesondere besteht die Gruppentherapie aus vielfältigen Beziehungsangeboten . Aber auch Freizeitalternativen sind von großer Bedeutung . Indikationsspezifische Behandlungsbestandteile Zur erfolgreichen Behandlung von Internetabhängigen sollten folgende Aspekte Berücksichtigung finden: motivationsprobleme des pc-gebrauchs Die Funktions- und Bedingungsanalyse, auch unter Einbeziehung von biografischen Informationen, legt die Grundsteine für das Krankheitsverständnis und spätere zielgerichtete Interventionen . Des Weiteren ermöglicht sie dem Patienten oftmals erste Einsichten in maladaptive Bewältigungsstrategien . medienkompetenz Für Internetsüchtige ist es von besonderer Wichtigkeit, eine Vorstellung von einer funktionalen Mediennutzung zu entwickeln und das Abstinenzgebot zu präzisieren (da ein völliger Verzicht auf elektronische Medien eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erheblich er - schweren würde) . Ein fachlicher Konsens besteht dahingehend, dass hierzu die Verwendung eines „Ampelmodells“ günstig ist . Dabei werden die wesentlichen Tätigkeiten am Rechner in drei Kategorien unterteilt: „Rot“ bedeutet „völlig tabu“ . Der Patient formuliert Anwendungsgebiete, von denen er abstinent leben will . „Gelb“ bedeutet, dass in dem entsprechenden Bereich Aufthemenheft © De po si tp ho to s Für Internetsüchtige ist es von besonderer Wichtigkeit, eine Vorstellung von einer funktionalen Mediennutzung zu entwickeln und das Abstinenzgebot zu präzisieren . 353Ärzteblatt Sachsen 08|2018 merksamkeit und ein erhöhtes Maß an Selbstkontrolle erforderlich sind, weil entweder eine Suchtverlagerung oder aufgrund der Ähnlichkeit zum problematischen Verhalten ein Rückfall zu be fürchten ist . Der Patient erarbeitet sich hierzu geeignete Kontrollmaßnahmen . „Grün“ bedeutet, dass die zugehörigen Aktivitäten nach bisherigem Kenntnisstand als unbedenklich anzusehen sind . emotionsregulation Internetsucht geht gewöhnlich mit Defiziten im Bereich der Emotionsregulation einher . Auf der Grundlage der gewonnenen Einsicht in die Funktionalität der Mediennutzung ist es für die Betroffenen wichtig, Alternativen zum Umgang zu finden . Hierzu gehört das Erkennen und Verbalisieren von emotionalen Erlebnisinhalten . interpersonelle beziehungsgestaltung Die Betroffenen leiden meistens unter erheblichen sozialen Kompetenzdefiziten . Hierbei ist es müßig, urteilen zu wollen, ob diese Ursachen oder Folge der exzessiven Mediennutzung sind . In jedem Fall ist der (Wieder-)Aufbau von sozialen Kompetenzen essentiell, um wieder positive Erfahrungen im realen Leben zu sammeln . selbstwertprobleme Zentraler Inhalt ist weiterhin die Erfassung der persönlichen Bedeutung der virtuellen Identität . Patienten werden angeregt, unausgesprochene Wünsche, Omnipotenzphantasien oder auch Insuffizienzerleben zu erkennen und den surrogativen Charakter ihrer PC- Aktivitäten zu erfassen . rückfallprävention Die Analyse von bisherigen Rückfällen und die Herleitung von präventiven Maßnahmen stellt wie bei anderen Süchten einen wichtigen Therapiebaustein dar . umgang mit verlangen und drang Ziel dieses Therapiebestandteils ist es, den Patienten eine Möglichkeit zu vermitteln , Verlangen nach ihrem Suchtmittel auszuhalten und in diesem Bereich eine verbesserte Selbstwirksamkeit zu erreichen . problemlösetraining Ähnlich wie andere Abhängigkeitskranken sind bei den meisten Patienten mit Internetabhängigkeit vermeidende Problembewältigungsstrategien vorherrschend . Aus diesem Grund ist die Vermittlung von aktiven Problemlösungsmöglichkeiten notwendig . Ziel ist es nicht, Lösungen zu präsentieren, sondern eine Herangehensweise zu vermitteln, die eine konstruktive Alternative zum Suchtverhalten darstellt . Was erwartet uns als nächstes? Die letzten 30 Jahre haben uns verdeutlicht , wie die rasante technologische Entwicklung unser Leben verändert und zu Abhängigkeitsrisiken führt, mit denen kaum jemand ernsthaft gerechnet hat . Eine Prognose über künftige Suchtgefahren abzugeben erscheint vor diesem Hintergrund vermessen . Dennoch soll im Folgenden der Versuch unternommen werden, Trends aufzuzeigen, die das Suchthilfesystem vermutlich vor weitere Herausforderungen stellen werden: virtual reality Eine Steigerung des Immersionserlebens wird durch die virtuelle Realität erreicht . Während bei einem Computermonitor nur ein kleiner Teil des Gesichtsfeldes vom Medium ausgefüllt wird, werden bei solchen Medien 100 Prozent abgedeckt . Man kann also den dargebotenen Szenen allenfalls durch Schließen der Augen ausweichen . Dieses praktisch vollständige Eintauchen in die virtuelle Welt dürfte die Suchtentwicklung noch stärker fördern . Aktuell geht die Entwicklung dahin, dass VR-Medien besonders von Anbietern pornografischer Inhalte genutzt werden . Die Verknüpfung des Mediums mit einem biologischen Trieb wird mit Sicherheit zu einer weiteren Verstärkung des Suchtpotenzials beitragen . mobile endgeräte Nach der bisherigen Erfahrung im klinischen Bereich spielen mobile Endgeräte wider Erwarten bei der Gruppe der Medienabhängigen eine untergeordnete Rolle . Es ist allerdings zu befürchten , dass diese Entwicklung noch nicht am Ende angekommen ist . Aufgrund der Omnipräsenz von Smartphones und der Kreativität der Entwickler ist damit zu rechnen, dass mobile Internetmedien zunehmend unseren Alltag durchdringen werden . verknüpfung mit glücksspiel Die Hoffnung, mit ohnehin angenehmen Aktivitäten zusätzlich auch noch Geld verdienen zu können, ist für viele Internetnutzer attraktiv . Insofern sind ge - schickt platzierte Glücksspielelemente für Spieleentwickler eine lukrative Einnahmequelle . Diese beziehen sich zum einen auf das Erhalten von (hoch geschätzten) In-Game-Items aber auch auf das Wetten auf den Ausgang von E-Sports-Ereignissen . Aufgrund der unübersichtlichen rechtlichen Situation und der hohen Reichweite von Online- Angeboten ist eine diesbezügliche Re - gulation praktisch unmöglich . Literatur beim Autor Interessenkonflikte: keine Diplom-Psychologe Endrik Böhle Asklepios Fachklinikum Wiesen GmbH Kirchberger Straße 2, 08134 Wildenfels E-Mail: e .boehle@asklepios .com themenheft 354 Ärzteblatt Sachsen 08|2018 U . Schuler1, R . Sabatowski2 Das Endocannabinoid-System Das in den 1990er Jahren entdeckte endogene Cannabinoid-System er scheint als ein interessanter Ansatz für pharmakologische Interventionen, da es an einer Vielzahl von sensorischen und regulatorischen Funktionen (Nozizeption , Regulation der Nahrungszufuhr, Gehirnentwicklung, Gedächtnis, Kontrolle der Motorik sowie kardiovaskuläre und immunologische Effekte) beteiligt ist . Zu den wichtigsten Endocannabinoiden , die an die zwei Cannabinoid- Rezeptoren CB1 und CB2 binden, gehört Anandamid1 . Pharmakologisch ist da - her, neben der exogenen Stimulation der Rezeptoren durch Phytocannabinoide und deren synthetischen Derivate, auch ein Thema gegenwärtiger Forschung , den Stoffwechsel der Endocannabinoide dahingehend zu beeinflussen , dass die günstigen Wirkungen gesteigert werden [1] . In dieser Intention war der Fettsäureamid-Hydrolase -(FAAH)-Hemmer BIA 10-2474 entwickelt worden, der am 9 . Januar 2016 zu Zwischenfällen bei einer Studie führte, bei der ein Studienteilnehmer verstarb und fünf weitere Probanden Gesundheitsschäden erlitten [2] . Der Zwischenfall lässt ahnen, dass unser Wissensstand über die Funktionen des äußerst komplexen Systems noch unzureichend ist und daraus resultierend eine Risikobewertung ungenügend erscheint . Dies gilt durchaus auch für die klinische Anwendung der Naturprodukte und deren Derivate in der Schmerz- und Palliativmedizin . Aspekte der politischen Diskussion Neben der Diskussion um die generelle Freigabe, meist im Kern mit dem nicht tragfähigen Argument der Gleichsetzung im Unrecht (etwa: Alkohol ist schädlich und macht süchtig, also kann man Cannabis auch nicht verbieten), wird die Begründung der medizinischen Cannabis-Anwendung häufig auch mit zwei ebenfalls nicht tragfähigen Argumenten , dem der Natürlichkeit und der medizingeschichtlich langen Erfahrung mit der Pflanze verknüpft . Natürlichkeit ist – entgegen weit verbreiteter Grundeinstellungen – überhaupt kein sinnvolles Argument . Eine kurze Reflektion über Giftpilze hilft meistens, diesen Impetus abzuschwächen . Ebenso kann eine Erinnerung an die Jahrhunderte alte Tradition der Scharia den Glauben an die Tragfähigkeit des „Altbewährten“ als Argument der Qualität in vorwissenschaftliche Zeiten zurück verweisen . Daraus folgt, dass rationale Entscheidungen über andere Begründungszusammenhänge hergeleitet werden müssen . Die weiteren Ausführungen sollen vorab vor den Hintergrund zweier grundsätzlicher Einschätzungen der Autoren gestellt werden . Erstens: Eine generelle Freigabe von Cannabis wird von uns nicht befürwortet , auch wenn wir eine solche Regelung gegebenenfalls bei entsprechendem Schutz von Heranwachsenden nicht für eine politische Katastrophe halten . Zweitens: Cannabinoide haben offensichtlich pharmakologische Wirkungen . Es geht nicht um wirksam versus unwirksam . Aber die Effekte sind größtenteils eher gering . Bei einer Nutzen- Risiko-Abwägung dürfte es aber nur wenige Situationen in der Schmerzund Palliativmedizin geben, in denen ein Einsatz sinnvoll ist . Folgen der veränderten Rechtslage Seit dem 9 . März 2017 („Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften“) ist die Verordnung von Cannabis und Cannabinoiden erheblich vereinfacht worden (Bundesgesetzblatt 2017) . Onkologen, Palliativ- und Schmerzmediziner mussten sich auf Anfragen in erheblichem Umfang einstellen . Entgegen aller bisherigen Gepflogenheiten wird Cannabis als Arzneimittel im SGB V als verordnungsfähige Leistung für Versicherte in § 31, Absatz 6 aufgeführt (Sozialgesetzbuch V) : „Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung haben Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon, wenn 1 . eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechen- de Leistung a) nicht zur Verfügung steht oder b) im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung der behandelnden Vertragsärztin oder des be - handelnden Vertragsarztes unter Ab - wägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder des Cannabiseinsatz in der Schmerz und Palliativmedizin – Mythen und Fakten 1 UniversitätsPalliativCentrum, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden 2 UniversitätsSchmerzCentrum, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden 1 In Sanskrit Ananda: Freude oder reines Glück, auch Name des Lieblingsjüngers des Buddha themenheft 355Ärzteblatt Sachsen 08|2018 Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann, 2 . eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome be - steht . Die Leistung bedarf bei der ersten Verordnung für eine Versicherte oder einen Versicherten der nur in begründeten Ausnahmefällen abzulehnenden Ge - nehmigung der Krankenkasse, die vor Beginn der Leistung zu erteilen ist .“ [3] Erfolgt die Verordnung innerhalb der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) so ist innerhalb von drei Tagen nach Antragseingang zu entscheiden . Parallel erfolgt eine nichtinterventionelle Begleiterhebung . Der verordnende Arzt ist zur anonymisierten Datenübermittlung verpflichtet, worüber der Patient vor der Verschreibung zu informieren ist . Am 17 . Mai 2018 stellte die Techniker Krankenkasse (TK) ihren Einjahresbericht zur Verordnung vor2 . Bei mehr als zehn Millionen Versicherten waren im ersten Jahr der neuen Regelungen für rund 2 .900 Patienten Anträge gestellt und letztlich 2,3 Millionen Euro für Cannabisblüten und Dronabinolrezepturen sowie weitere 600 .000 Euro für cannabishaltige Fertigarzneimittel ausgegeben worden . Prinzipiell begrüßte die TK die erweiterten Therapieoptionen, weist jedoch auch auf den deutlichen Widerspruch zum Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) hin, das einen klaren Nachweis des Nutzens für neue Arzneimittel beziehungsweise Indikationsgebiete einfordert . Insgesamt ist laut TK [4] davon auszugehen , dass mehr als 16 .000 Anträge bei den gesetzlichen Krankenkassen eingegangen sind (Stand Februar 2018), davon wurden mehr als 60 Prozent genehmigt . Tabelle 1 schlüsselt dies nach Indikation weiter auf (Begrifflichkeit der Originaltabelle Seite 62 und Abbildung 3 im TK-Report) . Unklar ist, ob in der „Schmerz“-Gruppe weitere Patienten mit Tumorerkrankungen enthalten sein könnten . Eine Aufschlüsselung nach Verschreibern gibt auch keine weitere Differenzierung (Tab . 2) . Daraus folgt lediglich, dass die neun bis maximal 16 Prozent sicher fassbaren Tumorpatienten (Tumorleiden, Tumorschmerz und SAPV) nicht von Ärzten mit definiertem onkologischem Schwerpunkt versorgt werden, es sei denn, diese gehören zur „unbekannten“ Be - rufsgruppe . Definierte neurologische (in der Terminologie des Reports „sonstige Neurologie“, Epilepsie, Tourette zusammen 10 Prozent) und psychiatrische Krankheitsbilder („sonstige Psychiatrie “, Depression, ADHS zusammen fünf Prozent) machen weit weniger als die fast 40 Prozent Verodnungen aus Neurologie und Psychiatrie aus, weshalb diese Arztgruppe wohl substantiell an der Schmerztherapie anderer Genese beteiligt sein dürfte . Insgesamt ist der Anteil an Tumorpatienten geringer als die meisten Onkologen erwartet hätten . Eine Schätzung der relativen Häufigkeit wird weiterhin dadurch erschwert, dass im Falle eines Präparatewechsels im Prinzip ein Neuantrag notwenig wäre . Unter einigen sehr (!) orientierenden Annahmen (etwa 200 .000 Menschen versterben pro Jahr an Krebs, etwa 10 .000 bewilligte Anträge, davon etwa 15 Prozent aus dem Tumor/SAPV-Umfeld) lässt sich abschätzen, dass dies bisher weniger als ein Prozent der Tumorpatienten in der letzten Lebensphase einen Bedarf für Cannabis-Produkte angemeldet haben . „Sobald eine von der gesetzlichen Krankenkasse nach § 31 Absatz 6 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) genehmigte Therapie mit Cannabisarzneimitteln erfolgt, ist die Teilnahme an der Begleiterhebung verpflichtend .“ Zwar wurde bisher nicht von Sanktionen berichtet, wenn die Begleiterhebung nicht durchgeführt werden sollte, trotzdem sollten seriöse Ärzte dies befolgen . Man kann sich dem Eindruck nicht 2 Mehrere Absätze dieses Abschnitts sind an eine aktuelle Publikation der Autoren im Lukon-Verlag angelehnt . Tab . 1: Genehmigungsquote nach Indikation anteil an den verordnungen genehmigungsquote SAPV 7 Prozent 100 Prozent Tumorleiden 7 Prozent 85,0 Prozent Finaler Tumorschmerz 2 Prozent 100 Prozent Kachexie 2 Prozent 76,1 Prozent Schmerz 61 Prozent 61,7 Prozent Tab . 2: Verschreibung nach Verordnern 39,1 Prozent Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie 32,5 Prozent Hausarzt (Innere und Allgemeinmedizin, praktischer Arzt) 11,2 Prozent Unbekannt 8,3 Prozent Anästhesiologe 6,0 Prozent Sonstige 1,9 Prozent Innere Medizin und Schwerpunkt Hämatologie und Onkologie 1,0 Prozent Kinder- und Jugendmedizin; Hausarzt themenheft 356 Ärzteblatt Sachsen 08|2018 verschließen, dass manche Ärzte die Verordnung mit großem Enthusiasmus betreiben . Sie werden möglicherweise dafür sorgen, dass die Begleiterhebung überproportional Erfolge vermelden wird . Aus diesem Grund ist es wichtig, dass die Meldepflicht zur Begleiterhebung ernst genommen wird, damit nicht ein völlig verfälschtes Bild entsteht . Einsatz von Cannabinoiden zur Behandlung von Schmerzen Der Einsatz von Cannabinoiden im Kontext akuter Schmerzen führt zu keiner klinisch relevanten Schmerzlinderung [5, 6] . Dagegen wird eine Wirksamkeit bei chronischen (schmerzhaften) Er - krankungen diskutiert und propagiert . Vor allem wird immer wieder der mögliche Einsatz von Cannabinoiden in der Behandlung von (tumorbedingten) neuropathischen Schmerzen empfohlen . Allerdings zeigt ein aktuelles Cochrane Review eher ernüchternde Ergebnisse . So wird zwar eine Überlegenheit von Cannabinoiden im Vergleich zu Placebo beim Erreichen einer mindestens 30-prozentigen Schmerzreduktion ge - sehen . Andererseits aber zeigten sich unter der Verumtherapie deutlich mehr Nebenwirkungen . Hier spricht vor allem das Verhältnis der NNT (number-neaded -to-treat) mit 10 gegenüber dem NNH-Risiko (number-needed-to-harm) von nur 3 und die auch weiterhin eher qualitativ schlechte Datenlage gegen einen generellen und vor allem unkritischen Einsatz dieser Substanzklasse [7] . Diese für Cannabinoide eher ernüchternden Daten werden von Stockings et al . in einer Meta-Analyse bestätigt, die neben RCTs auch Beobachtungsstudien berücksichtigte und immerhin auf Daten von 9 .958 Studienteilnehmern zugreifen konnte . Hier lag die NNT bei 24, die NNH bei 6 . Für die Outcomedomänen „physical functioning “, „emotional functioning“ zeigte sich in der Verum- im Vergleich zu der Placebogruppe kein signifikanter Unterschied . Hinsichtlich der Nebenwirkungen unter einer Cannabinoidbehandlung war das Risiko für Schwindel um den Faktor 5,5 und für kognitive Störungen um 5,3 erhöht [8] . Entsprechend ernüchternd das Fazit auch dieser Autoren: „It appears unlikely that cannabinoids are highly effective medicines for chronic non cancer pain .“ Auch für andere Schmerzerkrankungen werden keine positiven Empfehlungen herausgegeben (chronisch rheumatische Erkrankungen [9], Fibromyalgie [10]), wohingegen der Einsatz bei Spastizität und Schmerz im Rahmen einer multiplen Sklerose eher gesichert zu sein scheint [11] . Einsatz in der Palliativmedizin Für den Bereich der Palliativmedizin und Onkologie sind neben der Schmerztherapie vor allem noch die Aspekte der Appetitlosigkeit, des Er - brechens und der Kachexie von Bedeutung . Dabei ist immer wieder interessant , darauf zu achten, wie häufig gerade Übelkeit und Erbrechen als Nebenwirkungen in den Schmerzstudien aufgeführt wird [12 – 14], wo nicht wenige Patienten über diese Nebenwirkungen berichten . Zwei dieser drei Studien waren hinsichtlich des primären Endpunktes der Schmerztherapie negativ, die Effekte eher marginal . In jeder der Studien erfolgte die Prüfung gegen Placebo und nicht gegen andere denkbare Adjuvantien (Ko-Analgetika) . Auch eine große dreiarmige randomisierte Studie mit 243 Teilnehmern blieb ohne Hinweis auf eine Wirksamkeit im Bereich der Kachexie beziehungsweise Appetitlosigkeit . Hier war ein Cannabisextrakt sowie delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC) versus Placebo geprüft worden . Fazit Ein grundlegendes Problem der Beurteilbarkeit von Cannabinoiden liegt sicherlich in der Qualität der vorliegenden Studien . Viele Untersuchungen sind durch eine zu kurze Dauer, geringe Patientenzahlen und hinsichtlich der eingeschlossenen Indikationsbereiche eine große Heterogenität gekennzeichnet [15] . Man muss darüber hinaus davon ausgehen, dass mit der begleitenden Datenerhebung dem Manko der fehlenden wissenschaftlichen Evidenz nicht beizukommen sein wird . Aufgrund der eher ernüchternden aktuellen Datenlage kann derzeit der generelle Einsatz von Cannabinoiden in der Schmerz- und Palliativmedizin nicht empfohlen werden . In ausgewählten Einzelfällen kann ein Therapieversuch unter Beachtung der rechtlichen Rahmenbedingungen gerechtfertigt sein . Mit den Patienten sind aber die zu erwartenden positiven aber auch negativen Effekte ausführlich zu diskutieren . Insbesondere sollten keine zu hohen Erwartungen geweckt werden und der Charakter des Therapieversuchs ist klar zu kommunizieren – auch mit der Konsequenz , diesen bei ausbleibenden klinischen Effekten und/oder Auftreten von Nebenwirkungen wieder zu beenden . Literatur bei den Autoren Interessenkonflikte: keine Korrespondierender Autor: Priv .-Doz . Dr . med . Ulrich Schuler Universitätsklinikum Carl Gustav Carus an der Technischen Universität Dresden Fetscherstraße 74 E-Mail: Ulrich .Schuler@uniklinikum-dresden .de themenheft © De po si tp ho to s Seit März 2017 ist Cannabis für medizinische Zwecke per Gesetz zugelassen . S . Kaanen Ein psychiatrischer Notfall stellt, ähnlich wie ein somatischer Notfall, in der Medizin eine Ausnahmesituation dar, welche sofortige Diagnostik und Therapie erforderlich macht, um Gefahren für den Betroffenen, aber auch sein Umfeld zu minimieren . Das Erkennen psychiatrischer Notfälle ist schwierig, da oft nur in geringem Maß auf Angaben des Betroffenen zurückgegriffen werden kann, der Betroffene zum Teil auch abwehrend, selbst- oder fremdgefährdend auftreten kann . Zu einem hohen Maße hängt die Einschätzung der Notfallsituation vom subjektiven Eindruck, der Erfahrung des Untersuchers sowie einer genauen Beobachtung der Umgebungsfaktoren ab . Neben Notfällen, bedingt durch akute Exazerbationen psychotischer und affektiver Erkrankungen, stellen alkohol - und drogeninduzierte Auffälligkeiten die am häufigsten im Notarzt- und Rettungsdienst anzutreffenden psychiatrischen Notfallsituationen dar . Dieser Artikel soll sich hauptsächlich auf die durch illegale Drogen bedingten Notfallsituationen konzentrieren . Die in diesem Kontext am häufigsten anzutreffenden Krisensituationen treten im Rahmen von Entzugserscheinungen, Überdosierung (Intoxikation), in Form von Suizidalität, aber auch im Rahmen psychotischer Komplikationen (Rauschzustände , Delirien, drogeninduzierte Psychosen, ausgelöste Schizophrenien) auf . Bereits der Verdacht auf einen Drogennotfall macht eine genaue Beobachtung des Umfeldes und die Erhebung einer Fremdanamnese unverzichtbar . Zeitnah sollten Urin- und Plasmaspiegelkontrollen (Drogenscreening beziehungsweise Schnelltest) er - folgen . Ungeachtet dessen sollten andere Ursachen für die anzutreffenden Notfallsituationen nicht außer Acht gelassen werden, da bei Drogenpatienten auch andere medizinische Notfallsituationen im Vergleich zur Normalbevölkerung wesentlich häufiger anzutreffen sind (kardiologische Notfälle, Mangelernährung, Sepsis, metabolische Störung und ähnliches) . Trotz der oft auf der Hand liegenden Annahme, dass sich die darbietende Symptomatologie bei einem vorbekannten Drogenabhängigen am ehesten auf den Drogenkonsum zurückführen lässt, sollte eine ausführliche körperlich-neurologische Untersuchung (Blutdruckmessung , EKG, EEG, Routinelabor, gegebenenfalls auch eine zerebrale Bildgebung und eine Liquoruntersuchung) bei Unklarheit hinzugezogen werden . Man unterscheidet Probiernotfälle, welche häufig im Erstkontakt mit einer Droge durch bloße Unwissenheit und Fehldosierung, aber auch durch nicht bedachte Wechselwirkung mit anderen psychotropen Substanzen entstehen können . Ein weiterer Bereich der Notfälle bezieht sich auf den Bereich der bereits Süchtigen, bei denen Entzugssymptome anzutreffen sind, aber auch akute Situationen durch eine veränderte Reinheit der Droge . Ebenfalls zählen hierzu drogenbedingte psychotische und affektive Reaktionen mit begleitender Selbst- und Fremdgefährdung . Ein weiterer Bereich etwaiger Notfälle kann unter dem Cluster der Transportunfälle zusammengefasst werden, welche häufig bei sogenanntem Bodypacking beim illegalen Einschleusen von Drogen auftreten können . Nicht unerwähnt bleiben sollte auch der Bereich der sonstigen Notfälle durch Drogenkonsum im Rahmen von Verkehrsunfällen und anderen medizinischen , drogenbedingten Notfallsituationen . Amphetamine und wirkverwandte Substanzen Bei Intoxikationen mit Amphetami - nen und wirkverwandten Substanzen han delt es sich um absolute medizinische Notfälle . Die Betroffenen fallen durch ausgeprägte Erregungszustände, Angstzustände mit paranoid-halluzinatorischer beziehungsweise maniformaggressiver Symptomatik, Verwirrtheit, Drogennotfälle in der Psychiatrie 357Ärzteblatt Sachsen 08|2018 © De po si tp ho to s/ Jir sa k themenheft 358 Ärzteblatt Sachsen 08|2018 Halluzinationen (vorrangig taktil und akustisch), aber auch stereotype Verhaltensmuster auf . Die Betroffenen wirken in ihrem Verhalten oft unkritisch enthemmt, eine adäquate Ge - sprächsführung ist oft nicht umsetzbar . Suizidimpulse sind häufig anzutreffen . Bei der klinischen Untersuchung fallen insbesondere eine ausgeprägte Hyperthermie , eine Hyperhidrosis, eine Hypertonie bis hin zur hypertensiven Krise, eine Tachypnoe und eine Mydriasis auf . Oft besteht ein ausgeprägter Tremor und Nystagmus . Kardiale Arrhythmien, Herzinfarkte und eine Rhabdomyolyse sind möglich . Zerebrale Krampfanfälle sind zu erwarten . In der Erstversorgung ist die Flüssigkeitszufuhr die dringlichste Intervention . Solange eine orale Flüssigkeitsaufnahme möglich ist, sollten den Betroffenen große Mengen nicht alkoholhaltiger Getränke, idealerweise Leitungswasser , verabreicht werden . Parallel sollten venöse Zugänge geschaffen werden, um über diesen Weg eine sichere Flüssigkeitszufuhr zu gewährleisten . Eine Flüssigkeitsmenge von bis zu zwei Liter sollte hierbei verabreicht werden . Im Weiteren sollte die Atmung sichergestellt werden . Bei ausgeprägter Hypertonie empfiehlt sich die intravenöse Gabe von Clonidin bis zu einer Maximaldosis von 0,15 mg . Bei ausgeprägter Hyperthermie sollten vorrangig physikalische Kühlungsmethoden zum Einsatz kommen . Bewährt hat sich hierbei insbesondere die Nutzung von Kühlpads, die in jedem Rettungswagen zur Verfügung stehen . Alternativ kann, so es zur Verfügung steht, Dantrolen mit einer Dosierung bis zu 2,5 mg je kg Körpergewicht verabreicht werden . Amphetaminintoxikationen bedürfen der strikten intensivmedizinischen Überwachung . Erst nach Stabilisierung der körperlichen Situation sollte eine Verlegung in eine psychiatrische Weiterbehandlung erfolgen . Bei Intoxikation mit MDMA treten neben den oben bereits amphetamintypischen Intoxikationszeichen eindrückliche Muskelkrämpfe , insbesondere in der Kau- und Gesichtsmuskulatur auf . Die Betroffenen zeigen ein ausgeprägtes Grimassieren . Laborchemisch lässt sich bei diesen Intoxikationen häufig eine Hyponatriämie nachweisen, welche klinisch zu Übelkeit, Erbrechen, aber auch epileptischen Reaktionen führen kann . Unbehandelt enden diese Hyponatriämien häufig tödlich . Eine Aufdosierung des Natriumspiegels sollte äußerst vorsichtig, maximal 10 mval/ die, erfolgen . Entzugssymptome bei Amphetaminabhängigkeiten beziehungsweise Abhängigkeiten von wirkverwandten Substanzen gliedern sich im Wesentlichen in drei Phasen: Nach Abklingen der Wirkung stellt sich eine sogenannte Hyperarousalphase , welche durch verstärktes Craving, Agitation, Dysphorie und auch Aggressivität geprägt ist . Diese hält je nach Substanz circa acht bis zwölf Stunden an . Nachfolgend wechselt der Betroffene in die vegetative Phase, welche vorrangig durch ein vermehrtes Schlafbedürfnis, eine verminderte Energie und eine Appetitssteigerung gekennzeichnet ist . Als letzte Phase tritt die sogenannte Phobische Phase auf, welche durch eine vermehrte Ängstlichkeit, Anhedonie und Bewegungsarmut gekennzeichnet ist . In diesen Phasen treten verstärkt depressive Symptome auf, in deren Rahmen suizidale Ideen, aber auch Suizidhandlungen häufig anzutreffen sind . Je nach Substanz sind die Entzugssymptome über zwei bis maximal 14 Tage nachweisbar . Aufgrund der durchweg bestehenden Rückfallgefährdung, aber auch möglichen Selbst- und Fremdgefährdung in dieser Phase empfiehlt es sich, die Entzugsbehandlung auf einer geschlossenen Station durchzuführen . Niedrigpotente Neuroleptika und Antikonvulsiva haben sich zur Behandlung der auftretenden Symptome bewährt . Nach Abklingen der Entzugssymptome sollten diese ausschleichend abgesetzt werden . Eine begleitende psychologisch -psychotherapeutische Unterstützung , insbesondere unter dem Ziel der Entwicklung von Motivationen zu einer Verhaltensänderung, sollte begleitend erfolgen . IntoxIkatIonen aMphetaMIne unD wIrkverwanDte SubStanzen psychische auffälligkeiten: ausgeprägte Erregungszustände, Angstzustände mit paranoid-halluzinatorischer beziehungsweise maniform-aggressiver Symptomatik, Verwirrtheit Halluzinationen (vorrangig taktil und akustisch) stereotypische Verhaltensmuster, ungehemmt - unkritisches Verhalten klinische auffälligkeiten: Hyperthermie, Hyperhidrosis, Hypertonie bis hin zu einer hypertensiven Krise, Tachypnoe, Mydriasis, kardiale Arrhythmien, Tremor, Nystagmus bei MDMA Muskelkrämpfe besonders Kau- und Gesichtsmuskulatur (Grimmassieren) therapie: Flüssigkeitszufuhr (oral beziehungsweise i .v .), Sicherstellung der Atmung, Antihypertensiv Clonidin i .v . (max . 0,15 mg), physikalische Kühlung, gegebenenfalls Dantrolen (bis 2,5 mg/kg Körpergewicht) vorsichtiger Ausgleich Hyponatriämie themenheft 359Ärzteblatt Sachsen 08|2018 Amphetamine und wirkverwandte Substanzen weisen eine hohe Wechselwirkungsrate mit anderen psychotropen Substanzen auf . In Verbindung mit Alkohol wird die Alkoholwirkung, insbesondere die sedierende Komponente, kaum wahrgenommen . Aus diesem Grunde werden oft deutlich größere Mengen Alkohol konsumiert . Die Gefahr der Intoxikation und damit verbundenen organischen Schädigungen ist somit erheblich gesteigert . In Kombination mit Halluzinogenen, insbesondere LSD, wird berichtet, dass der „LSD-Trip“ deutlich kürzer als ge - wohnt wahrgenommen wird . In einem wesentlich höheren Grad kommt es zum Auftreten von sogenannten „Horrortrips “ . Eine Kombination von Amphetaminen und Kokain birgt erhebliche Kreislaufgefahren in sich . Oben beschriebene kardiale Problemkonstellationen treten verstärkter auf . Darüber hinaus werden Atembeeinträchtigungen berichtet . Cannabis wird häufig in Kombination mit Amphetaminen und wirkverwandten Substanzen eingenommen zum „Runterkommen“ . Hierdurch wird eine höhere Kreislaufbelastung provoziert . Langanhaltende Schlaf-Wach-Rhythmusstörungen sind als Folge bekannt . Eine Kombination mit Heroin, welche ebenfalls häufig in Eigentherapie zum „Runterkommen“ genutzt wird, birgt die Gefahr einer schnellen Gewöhnung mit einer entsprechenden schnellen Dosissteigerung , worüber die Gefahr einer Atemlähmung provoziert werden kann . Spontane Hirnblutungen, Herzrhythmusstörungen , Blutdruckkrisen und Kreislaufzusammenbrüche in Kombination mit Heroin werden häufig be - richtet . Eine Kombination mit Antidepressiva, insbesondere SSRI und NSRI führen zu einem erhöhten Risiko für Blutdruckkrisen . Ebenso führt auch die Kombination mit Viagra zu einer erhöhten Rate von Blutdruckkrisen, aber auch Herzinfarkten . Cannabis Cannabis gewinnt aufgrund der aktuellen politischen diskrepanten Diskussion , insbesondere unter jugendlichen Usern, zunehmend an Bedeutung . Neben der von Konsumenten ge - wünschten Sedierung und Entspannung kommt es häufig zu einer verzerrten Wahrnehmung in Verbindung mit Halluzinationen und Angst, aus welchen Fehlreaktionen resultieren können . Die Gefahr hierfür wird durch eine verminderte Urteilsfähigkeit verstärkt . Agitiertheit und transiente psychotische Symptome sind nicht selten anzutreffen . Im Rahmen von Intoxikationen fällt eine ausgeprägte Hautblässe, eine Mundtrockenheit, eine Mydriasis mit geröteten Skleren, verbunden mit Cephalgien, funktionellen Oberbauchbeschwerden , Schwindel sowie einem vermehrten Hunger- und Durstgefühl auf . Klinisch zeigt sich ebenfalls eine Tachykardie . Häufig sind orthostatische Dysregulationen anzutreffen . Die Be - troffenen wirken initial enthemmt, späterhin deutlich ermüdet . Die Therapie einer Intoxikation sollte sich an den darbietenden Symptomen orientieren . Bei starker Erregung und auch Angstsymptomen sollten Benzodiazepine zur Anwendung kommen . Intoxikationsbedingte psychotische Er - lebnisinhalte klingen häufig innerhalb weniger Stunden ab . Sollten diese überdauern, empfiehlt sich eine vorübergehende neuroleptische Einstellung . Aufgrund der geringen Akuität der Intoxikationssymptome kann nach einer kurzen intensivmedizinischen Überwachung binnen 24 bis 48 Stunden eine nachbetreuende psychiatrische Versorgung erfolgen . Entzugssymptome bei cannabisabhängigen Betroffenen stellen sich circa ein bis zwei Tage nach Absetzen ein . Vorrangig stellen sich hier Symptome eines verstärkten Craving, eine Appetitminderung , ausgeprägte Schlafstörungen mit einer quälenden Unruhe, einer vermehrten Reizbarkeit und Ängstlichkeit ein . Darüber hinaus be steht auch eine vermehrte Schweißneigung . Die Betroffenen werden häufig als aggressiv erlebt und berichten über quälende intensive Traumerlebnisse . Die Behandlung der Entzugssymptome ist unkompliziert und sollte symptomatisch erfolgen . Auch hier IntoxIkatIonen CannaboIDe psychische auffälligkeiten: initial oft Enthemmtheit, Agitiertheit, späterhin deutliche Sedierung, verzerrte Wahrnehmung mit Halluzinationen und oft erhebliche Angst, dadurch Neigung zu Fehlreaktionen, transiente psychotische Erlebnisinhalte klinische auffälligkeiten: ausgeprägte Hautblässe, Mundtrockenheit, Mydiasis mit geröteten Skleren, Cephalgien, Oberbauchbeschwerden Schwindel, vermehrt Durst und Hunger, teilweise Übelkeit und Erbrechen, orthostatische Dysregulation Tachycardie therapie: symptomatisch, bei starker Angst gegebenenfalls Benzodiazepine, bei psychotischen Erlebnisinhalten Neuroleptika themenheft 360 Ärzteblatt Sachsen 08|2018 empfehlen sich niedrigpotente Neuroleptika . Ebenso bestehen gute Erfahrungen mit Antikonvulsiva . Bei überdauernden psychotischen Erlebnisinhalten sollte zügig eine neuroleptische Einstellung vorgenommen werden . Hierbei sollten insbesondere Neuroleptika der neueren Generation mit einer höheren Verträglichkeitsrate zur An - wendung kommen . Auch Cannabis wird selten als Einzelpräparat konsumiert, sodass auch hier häufige Wechselwirkungen mit anderen psychotropen Substanzen anzutreffen sind . In Verbindung mit Alkohol kommt es zu einer Abbauverzögerung des THC und zu einer gegenseitigen Wirkverstärkung, wodurch eine deutliche Leistungseinschränkung zu erwarten ist . Da die Wirkung beider in Kombination teils verzögert eintritt, ist eine schlechte Vorhersagbarkeit der Auswirkungen und der damit verbundenen Leistungseinschränkungen zu erwarten . Cannabis in Kombination mit Tabak führt zu einer Wirkverstärkung des Nikotins, verbunden mit einer höheren Kreislaufbelastung und einem häufigeren Auftreten von Übelkeit und Erbrechen . Kombinationen mit Halluzinogenen, speziell LSD und psilocybinhaltigen Pilzen , führen zu einer Wirkverstärkung, insbesondere in einem deutlich häufigeren Auftreten von unangenehmen Halluzinationen, woraus eine verstärkte Angst resultiert . Selbst- oder fremdgefährdende Fehlverhaltensweisen sind somit häufiger anzutreffen . Eine Kombination aus Cannabis und Heroin ist selten anzutreffen, da diese Kombination von den Usern als sehr unangenehm empfunden wird . Neuroleptika werden durch Cannabis teilweise in ihrer Wirkung gehemmt, Benzodiazepine im Gegenteil in ihrer Wirkung verstärkt . Trizyklische Antidepressiva haben in Kombination mit Cannabis verstärkte kardiale Nebenwirkungen , insbesondere wird eine Herzfrequenz- und Blutdrucksteigerung dabei beobachtet . Theophyllin wird wesentlich schneller abgebaut, so dass die Wahrscheinlichkeit von asthmoiden Reaktionen steigt . Eine Kombination mit Viagra führt zu einem deutlich erhöhten Risiko für Herzinfarkte . Opiate Intoxikationen mit Substanzen der Opiatgruppe führen relativ schnell zu einer Atemdepression bis hin zum Atemstillstand . Die Betroffenen verlieren schnell ihr Bewusstsein und fallen ins Koma . Klinisch bestehen eine Bradykardie und eine Bradypnoe . Die Betroffenen wirken zyanotisch . Neurologisch fällt eine Hypo- beziehungsweise Areflexie auf, Pyramidenbahnzeichen sind positiv . Im Umfeld der Betroffenen finden sich regelhaft die Utensilien, welche für den Konsum genutzt werden, da die Betroffenen aufgrund der schnellen Anflutungsrate und der damit einsetzenden heftigen Wirkung nicht mehr in der Lage sind, diese wegzuräumen . Als erstes und wichtigstes Moment in der Therapie einer Opiatintoxikation ist die Sicherstellung der Atmung, gegebenenfalls durch Intubation, zu nennen . Bei einer Bradykardie mit einer Herzfrequenz von unter 40/Minute sollte Atropin bis zu einer Dosis von 0,5 mg i .v . verabreicht werden . Bei bestehender Asystolie sollte eine sofortige Reanimation unter Intubationsbedingungen erfolgen . Zur Verhinderung eines toxischen Lungenödems sollten 250 mg Prednisolut i .v . und Furosemid 40 mg i .v . verabreicht werden . Cerebrale Krampfanfälle sind häufig bei Mischintoxikationen anzutreffen und sollten zunächst mit 10 bis maximal 40 mg Diazepam i .v . behandelt werden . Gegebenenfalls kann auch eine Barbituratnarkose mit Thiopental eingeleitet werden , jedoch beides unter den Bedingungen einer kontrollierten Beatmung . In ab solut lebensbedrohlichen Zuständen empfiehlt sich die Gabe von Naloxon als Antidot . 0,4 mg und sollte fraktioniert mit NaCl 0,9 Prozent 1:10 verabreicht werden . Unter dieser Therapie kommt es zu einer schnellen Befindensbesserung , jedoch kommt es auch innerhalb kürzester Zeit zu einer massiven Ausprägung eines Entzugssyndroms . Aus diesem Grund sollte Naloxon nur in absolut lebensgefährdenden Momenten verabreicht werden . Eine intensivmedizinische Überwachung über mindestens zwei Tage ist obligat, bevor IntoxIkatIonen opIate psychische auffälligkeiten: Bewusstseinseintrübung bis zum Koma klinische auffälligkeiten: Bradykardie, Bradypnoe bis Atemstillstand, zyanotisches Hautkolorit, Hypo- bis Areflexie, positive Pyramidenbahnzeichen oft noch vorhandene Konsumutensilien therapie: Sicherstellung der Atmung, gegebenenfalls auch durch Intubation, bei Bradycardie Atropin i .v . (0,5 mg) bei Asystolie Reanimation mit Intubation, zur Verhinderung Lungenödem gegebenenfalls Prednisolon 250 mg und Furosemid 40 mg i .v ., in Ausnahmefällen Naloxon 0,4 mg 1:10 in NaCl-lösung intensivmedizinische Überwachung obligat themenheft 361Ärzteblatt Sachsen 08|2018 eine weitergehende stationäre psychiatrische Behandlung umgesetzt werden kann . Opiatentzüge beginnen oft unspektakulär mit vermehrtem Gähnen und Suchtdruck . Die Betroffenen berichten über schnupfenähnliche Symptome, wie häufiges Niesen, tränende Augen und Rhinorrhoe . Auffallend ist eine Mydriasis . Die Betroffenen berichten über Muskelschmerzen, Appetitverlust, späterhin auch über Schüttelfrost, Hitzewallungen und Schlaflosigkeit . Sie erleben eine vermehrte innere Unruhe und Ängstlichkeit, bis hin zu Getriebenheit . Häufig treten Übelkeit und Erbrechen auf . In einem späteren Stadium fallen Muskelkrämpfe, das gesamte Skelettmuskelsystem betreffend, auf . Die Symptomatik erscheint zwar schwer und eindrucksvoll, ist jedoch nicht lebensbedrohlich . Durch bloßes „Talking down“ lässt sich bereits eine deutliche Linderung der Symptome erreichen . In der Notfalltherapie sind langwirksame Benzodiazepine, insbesondere Diazepam, zu empfehlen . Hierbei sind Dosierungen zwischen 40 und 60 mg Diazepam/die nicht selten notwendig . Die Dosierung sollte der Symptomatik angepasst werden . Antihypertensiv empfiehlt sich die Gabe von Clonidin in niedrigem bis mittlerem Dosierungsbereich . Zusätzlich verordnete niedrigpotente Neuroleptika, Analgetika und Magnesium erleichtern den Betroffenen die Entzugssymptomatik . Nicht opiatgestützte Entzüge sind somit durchaus realistisch . Alternativ können jedoch auch opiatgestützte Entzüge genutzt werden . Im methadongestützten Entzug sollten 50 mg Methadon/die initial verabreicht werden, diese dann schrittweise über fünf bis zehn Tage reduziert werden . Die initial zu verabreichende Methadonmenge berechnet sich aus den vorab konsumierten Heroinmengen/die, in mg geteilt durch 30 . Beim polamidongestützten Entzug sollten initial mindestens 2 x 15 mg Polamidon/die verabreicht werden . Die Einstiegsdosis sollte sich an der Ausbildung der Entzugssymptomatik orientieren . Maximal sollten initial 50 mg Polamidon/die verabreicht werden . Dieses sollte dann schrittweise täglich um 2,5 bis 5 mg reduziert werden . Beim Buprenorphin- (Subutex) gestützten Entzug sollten initial 2 bis 4 mg Subutex gegeben werden . Je nach Ausprägung der Entzugssymptomatik sollte eine maximale Dosis von 16 mg/die angepasst werden . Im weiteren Verlauf sollte diese Dosis über fünf bis zehn Tage schrittweise um 1 bis 2 mg/die – angepasst an die gegebenenfalls erneut auftretende Entzugssymptomatik – reduziert werden . Die Entzugsbehandlung sollte durchweg auch mit psychotherapeutischen Interventionen kombiniert werden . Alternativ zu den genannten Entgiftungsstrategien werden in einigen Kliniken auch Ultrakurzentgiftungen an - geboten, in deren Rahmen Opiatantagonisten unter Vollnarkose bis zum vollständigen Abklingen des Entzugssyndroms verabreicht werden . Innerhalb einer relativ kurzen Zeit führt diese Behandlung zu einer Stabilisierung des psychophysischen Befindens . Aus der Erfahrung heraus lässt sich jedoch beobachten, dass Betroffene nach einer Ultrakurzentgiftung das höchste Rückfallrisiko gegenüber den anderen Entzugsvarianten aufweisen . Auch Opiate werden oft in Kombination mit anderen psychotropen Substanzen benutzt, sodass auch hier gefährliche Wechselwirkungen auftreten können . In Verbindung mit Alkohol und GHB kommt es zu einer gegenseitigen Wirkverstärkung , welche zum Teil unberechenbar ist . Hieraus resultiert ein nicht zu beherrschendes Risiko einer Atemdepression . In Verbindung mit Kokain (Speedball) kommt es zunächst zu einer Kokainwirkung , welche dann durch die dämpfende Wirkung des Heroins abgelöst wird . Hieraus resultiert die Gefahr einer ausgeprägten Überdosierung . In Kombination mit Medikamenten, insbesondere Benzodiazepinen, kommt es zu einer gegenseitigen Wirkverstärkung und damit zu einer erhöhten Gefahr von Atemdepressionen . Opiate verstärken die sedierende Wirkung von Neuroleptika zum Teil erheblich . IntoxIkatIonen halluzInogene (lSD, pSI-loCybIn) psychische auffälligkeiten: Halluzinationen mit Angst und Erregung (Horrortripp), Fehlhandlungen mit Selbst- und Fremdgefährdung klinische auffälligkeiten: Hyperthermie, Hypotonie, Tachycardie, epileptische Reaktionen, Bradycardie, Reflexsteigerung zu Beginn der Intoxikation oft quälender Reizhusten therapie: Benzodiazepine bei starker Unruhe, bei Hyperthermie physikalische Kühlung, bei Hypotonie und Bradycardie Atropin 0,25 - 0,5 mg i .v ., keine neuroleptika! intensivmedizinische Überwachung obligat themenheft 362 Ärzteblatt Sachsen 08|2018 Halluzinogene, insbesondere LSD und psilocybinhaltige Pilze Intoxikationen durch LSD beziehungsweise psilocybinhaltige Pilze führen zu atypischen Halluzinationen mit einem massiven Angsterleben, aus welchem oft Fehlhandlungen resultieren, die zum Teil erheblich selbst- oder fremdgefährdenden Charakter tragen können . Klinisch zeigen sich im Rahmen der Intoxikation eine Hyperthermie und eine Hypotonie bei gleichzeitig bestehender Tachykardie . Bei höheren Dosen sind epileptische Reaktionen und Rhabdomyolyse, in Verbindung mit einer ausgeprägten Bradykardie und verstärkten Hypotonie bis hin zum Koma, zu erwarten . Neurologisch lässt sich eine Reflexsteigerung wahrnehmen . Zu Beginn der Intoxikation berichten die Betroffenen oft über einen ausgeprägten Reizhusten, welcher als sehr unangenehm wahrgenommen wird . Therapeutisch begegnet man diesen Intoxikationen günstigerweise mit Benzodiazepinen . Neuroleptika sollten auf keinen Fall verabreicht werden, da diese die Symptomatik verstärken und unbeherrschbarer machen . Bei auftretender Hyperthermie empfehlen sich physikalische Kühlungsmethoden . Bei bereits bestehender Bradykardie und Hypotonie empfiehlt sich die Gabe von Atropin, initial 0,25 bis 0,5 mg i .v . Die Vitalfunktionen sollten kontinuierlich überwacht und sichergestellt sein . Eine intensivmedizinische Betreuung ist unumgänglich . Eine intensivmedizinische Überwachung von ein bis vier Tagen sollte gewährleistet sein . Entzugssymptome werden auch nach längerfristigem Konsum von Halluzinogenen nicht spezifisch berichtet, sodass hierfür auch keine Therapieempfehlung gegeben werden kann . Bei psilocybinhaltigen Pilzen kommt es oft über längere Phasen hinweg zu unangenehmen Körpergefühlen, aber auch über Flashbacks bezüglich der Erlebnisse unter der Drogenwirkung wird häufig berichtet . Zur Kompensation genügt hier oft ein „Talking down“ . Da LSD und psilocybinhaltige Pilze vermehrt im Partybereich konsumiert werden, sind auch hier Kombinationen mit anderen psychoaktiven Substanzen häufig anzutreffen . In Kombination mit Alkohol wird die Wirkung der Halluzinogene zunächst oft überdeckt, sodass häufig nachkonsumiert wird . Die Wirkung der Halluzinogene setzt dann etwas verspätet, aber oft verstärkt ein, sodass mit einem vermehrten Auftreten von ausgeprägten „Horrortrips“ zu rechnen ist . In der Kombination von LSD und MDMA kommt es zu einer vermehrten Serotoninfreisetzung , was zu einer Erhöhung der Körpertemperatur führen kann . Hierdurch besteht die Gefahr der Hyperthermie . Die Kombination von Halluzinogenen mit SSRI birgt die Gefahr von epileptischen Reaktionen . Unter Neuroleptika, insbesondere Haloperidol, kann es zu einer Verlängerung und Intensivierung der Wahrnehmung von „Horrortrips“ kommen . Dieser Artikel vermag nicht vollumfassend alle medizinischen Notfälle in Verbindung mit illegalen Drogen darzustellen , bedingt durch die Vielfalt der auf dem Markt anzutreffenden Substanzen und der großen Varianz der da - durch auszulösenden Wirkungen . Mit diesem Artikel sollte lediglich ein Überblick über die am häufigsten anzutreffenden Risikosituationen vermittelt werden . Literatur beim Autor Interessenkonflikte: keine Sven Kaanen Evangelische Fachkliniken Heidehof gGmbH Weinböhla Evangelische Haidehof Gohrisch gGmbH Weinböhla Stellvertretender Vorsitzender der Gesellschaft gegen Alkohol- und Drogengefahren Sachsen e . V . (GAD-S) E-Mail: s .kaaren@diakonie .foundation © De po si tp ho to s/ hu et te nh oe ls ch er themenheft 363Ärzteblatt Sachsen 08|2018 Am 18 . Juli 2018 fand in der Sächsischen Landesärztekammer eine Veranstaltung zur Verordnung von Cannabispräparaten statt . Fast 120 Ärzte, aber auch Apotheker, Polizisten, Juristen und weitere mit der Problematik befasste Teilnehmer wurden nicht nur hervorragend informiert, sondern es wurde auch sehr kontrovers, dank der ausgewogenen Moderation des Präsidenten der Sächsischen Landesärztekammer , Erik Bodendieck, und immer wertschätzend diskutiert . Gerade diese Diskussionen sind wichtig und die Basis jeder Meinungsbildung . Information und Emotion fanden in dieser Veranstaltung ein zielführendes Gleichgewicht , auch wenn die Vorschläge für eine Problemlösung teilweise sehr weit auseinander liegen . „Hanf ist eine hochwachsende, krautige Pflanze, deren Stängel Fasern enthalten , aus denen Seile und anderes hergestellt werden, deren Samen ölhaltig sind und aus deren Blättern, Blüten, Blütenständen Haschisch und Marihuana gewonnen werden . Hanf zählt zu den ältesten Nutz- und Zierpflanzen der Erde .“ Mit diesem Zitat aus dem Duden begann der Präsident die Einführung in das sensible Thema . Unter Verweis auf das im März 2017 verabschiedete Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften ging er zunächst auf das Ziel des Gesetzgebers ein, die Verkehrsund Verschreibungsfähigkeit von diversen Cannabisarzneimitteln herzustellen , wie zum Beispiel von getrockneten Cannabisblüten und Cannabisextrakten in standardisierter Qualität . Damit soll Patienten mit schwerwiegenden Erkrankungen nach entsprechender Indikationsstellung und bei fehlenden Therapiealternativen ermöglicht werden , diese Arzneimittel zu therapeutischen Zwecken in standardisierter Qualität durch Abgabe in Apotheken zu erhalten . Für eine ausreichende qualitätsgesicherte Versorgung mit Cannabisarzneimitteln soll der Anbau von Cannabis ausschließlich zu medizinischen Zwecken in Deutschland ermöglicht werden, entsprechende Aufgaben dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) übertragen werden . Das ist die eine Seite der Medaille, sozusagen Skylla . Aber der Präsident machte keinen Hehl daraus, wie schwierig er dieses Gesetz in der Umsetzung für ihn als Arzt empfindet, da seiner Meinung nach die Evidenz für die Verordnung bei den unterschiedlichsten Indikationen sehr dürftig ist . Wie konnte es also zu einem solchen Eingriff des Gesetzgebers in die sonst üblichen sehr strengen Zulassungsregelungen im GKV-Bereich kommen? Und wie können die ärztlichen Kollegen bei der konkreten Verordnung unterstützt werden? Zur Problematik, die sich aus der neuen Verordnungsfähigkeit ergeben, kommt die zunehmende gesellschaftliche Diskussion hinzu, den Cannabiskonsum generell zu legalisieren . Auch hierzu muss sich die Ärzteschaft positionieren . Nach Meinung des Kammerpräsidenten ist insbesondere die fatale Wirkung des Konsums auf die Entwicklung des juvenilen Gehirns ein gewichtiges Argument gegen eine Legalisierung . Berechnungen, dass über die geschätzten Steuereinnahmen von zwei Milliarden Euro Auswirkungen auf mögliche Abhängigkeiten durch Prävention und Suchthilfe finanziell abgefedert werden könnten, hält der Präsident für politischen Zynismus . Zur Klärung der Frage nach der Evidenz (also den Chancen), aber auch zur Klärung der Evidenz zu den Risiken des Konsums hat das Bundesministerium für Gesundheit 2015 ein Gutachten bei der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in München unter Ägide von Priv .-Doz . Dr . rer . nat . Eva Hoch in Auftrag gegeben . Dr . Hoch ist Leiterin der Forschungsgruppe Cannabinoide an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Ludwig-Maximilians-Universität München . Unerklärlicher Weise erfolgte die Verabschiedung des Gesetzes VOR Ab - schluss dieses Gutachtens, dessen Vorbericht seit September 2017 vorliegt und den Dr . Hoch im weiteren Veranstaltungsverlauf vorstellte . Den Kurzbericht finden Sie unter www .bundesgesundheitsministerium .de . Cannabis: Potential und Risiken Ärzte zwischen Skylla und Charybdis Erik Bodendieck, Präsident, eröffnete die Veranstaltung themenheft © SL ÄK 364 Ärzteblatt Sachsen 08|2018 Dr . Hoch führte nun zunächst kurz in die aktuelle Cannabinoidforschung ein, die eine erhebliche Dynamik durch die Entdeckung des Endocannabinoid- Systems als Teil des Nervensystems und seiner vielfältigen Funktionsweisen erfuhr . Es handelt sich dabei um ein komplexes Signalübertragungssystem mit Interaktionen zwischen zahlreichen Neurotransmittern . Das Zu - sammenspiel der verschiedenen Transmitter ist dabei noch nicht endgültig geklärt . Es bedarf weiterer Grundlagenforschung in den nächsten Jahren . Aber schon jetzt gilt es als erwiesen, dass die Adoleszens in diesem komplexen System eine ausgesprochen sensible beziehungsweise vulnerable Phase ist, darüber hinaus gibt es Hinweise auf ge schlechtsspezifische Unterschiede, die auf die Funktion von Hormonen bei der Interaktion der Neurotransmitter zu rückgeführt wird . Interessant war ein kurzer Exkurs über die Geschichte von Hanf in der therapeutischen Anwendung . Erste Berichte gibt es aus dem dritten Jahrtausend v . Chr . in China . Der Exkurs endete mit den Auswirkungen der neuen Gesetzgebung aus 2017: Von März 2017 bis März 2018 wurden 46 .000 Rezepte verordnet mit zunehmender Tendenz . Im Gesetz wurde ausdrücklich darauf verzichtet, einzelne Indikationen aufzuführen . Cannabisblüten und -extrakte können daher für jede Indikation verordnet werden, wenn „eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung im Einzelfall nicht zur Verfügung steht“ oder wenn diese Leistung „im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann“ . Ziel des Gutachtens wares, eine objektive , valide und an der besten wissenschaftlichen Evidenz orientierte Be - wertung der in den letzten zehn Jahren publizierten Daten zu erstellen . Im Mittelpunkt der Analyse sollten folgende drei Bereiche stehen: A . Untersuchungen zu psychischen, organischen und sozialen Folgen des Konsums von pflanzlichen und synthetischen Cannabisprodukten zum Freizeitgebrauch, B . Untersuchungen zur Wirksamkeit, Verträglichkeit und Sicherheit von Cannabisarzneimitteln bei organischen und psychischen Erkrankungen sowie C . Untersuchungen zu den Motiven und Erwartungen eines nicht-ärztlich verordneten Gebrauchs von Cannabis (das heißt im Sinne einer Selbstmedikation) . Methodisch wurden nach den gültigen internationalen Standards (vor allem dem „Cochrane Handbook of Systematic Reviews“ [Higgins & Green, 2013] und dem „Regelwerk der Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher Medizinischer Fachgesellschaften“ [AWMF, 2012]) systematische Literaturrecherchen durchgeführt und ein umfassendes Review erstellt . Details können im Kurzbericht nachgelesen werden . Hier exemplarisch einige Zitate, die für die tägliche ärztliche Praxis interessant sind: Bei der Untersuchung der psychischen, organischen und sozialen Folgen des Freizeitgebrauches gab es teilweise eine recht gute Datenlage: • Eindeutige Einschränkungen finden sich in der Gedächtnisleistung, der Aufmerksamkeit und der Psychomotorik nach akutem Konsum . • Kognitive Funktionsdefizite durch chronischen Cannabiskonsum scheinen vorübergehend zu sein . • Hinweise auf kognitive Einschränkungen , die auch noch nach längerer Abstinenz von Cannabis vorliegen (> ein Monat) finden sich nur in Einzelstudien (zum Beispiel bei Probanden mit frühem Konsumbeginn in der Adoleszenz) . • Bezüglich des Hodenkrebsrisikos zeigt sich ein signifikanter Zusammenhang mit Cannabis, insbesondere für Nicht-Seminome (Mischtumore) . • Für andere Krebserkrankungen können anhand der aktuellen Datenlage keine Schlussfolgerungen getroffen werden . • Chronischer Cannabiskonsum steht im Zusammenhang mit strukturellen Veränderungen in Gehirnregionen, welche eine hohe Dichte an CB1 Rezeptoren aufweisen (insbesondere Amygdala und Hippocampus . Diese Strukturen sind verantwortlich für die Gedächtnisbildung) . • Es gibt Hinweise für Entwicklungsstörungen des Fötus bei Cannabiskonsum der Mutter (verringertes Geburtsgewicht und erhöhte Not- wendigkeit für intensivmedizinische Behandlung) . • Ob Cannabiskonsum einen Einfluss auf die Gesamtmortalität hat, wird in den Studien nicht einheitlich beantwortet und eine direkte Schlussfolgerung ist nicht möglich . • Bezüglich erhöhter Suizidalität zeigte sich in drei von vier Studien ein leichter Zusammenhang mit Cannabiskonsum . • Durch akuten Cannabiskonsum erhöht sich das Verkehrsunfallrisiko (Faktor 1,25 bis 2,66) . Gleichzeitiger Konsum von Cannabis mit Alkohol scheint die Verkehrssicherheit stärker zu beeinträchtigen als reiner Cannabiskonsum . • Früher Beginn (< 15 . Lebensjahr) und häufiger Cannabiskonsum in der frühen Adoleszenz sind mit geringerem Bildungserfolg assoziiert . • Inkonsistente und zu wenige empirische Daten liegen bezüglich Cannabis-assoziierter Auffälligkeiten berufspolitikthemenheft 365Ärzteblatt Sachsen 08|2018 im Sozialverhalten, der Straffälligkeit sowie der familiären, beruflichen und wirtschaftlichen Entwicklung vor . • Cannabiskonsum und Cannabisabhängigkeit erhöhen das Risiko für Angststörungen leicht (Faktor 1,3 beziehungsweise 1,7) . Nicht alle Ein- zelstudien belegen diesen Befund . • Früher Konsumbeginn (< 16 Jahre), langjähriger, wöchentlicher Cannabisgebrauch und aktuelle Cannabisabhängigkeit erhöhen das Risiko für Angststörungen (Faktor 3,2) (Ergebnisse einer Längsschnittstudie) . • Das Risiko für Depressivität erhöht sich durch Cannabiskonsum leicht, in Abhängigkeit von der Intensität des Konsums (Faktor 1,3 bis 1,6) . • Ein Neuauftreten bipolarer (das heißt manisch-depressiver) Symptome wird durch Cannabiskonsum um den Faktor 3 erhöht . • Die Inzidenz von bipolaren Störungen durch Cannabiskonsum erhöht sich um den Faktor 1,4 (bei wöchentlichem Konsum) beziehungsweise 2,5 (bei nahezu täglichem Konsum) . • Bei bereits bestehender bipolarer Störung erhöht Cannabiskonsum das Risiko für ein Wiederauftreten von manischen Symptomen oder Episoden . • Große Meta-Analysen zeigten, dass bei gelegentlichem Cannabiskonsum die Häufigkeit des Auftretens psychotischer Störungen um das 1,4- bis 2,0-fache, bei hoher Konsumintensität um das 2,0- bis 3,4-fache erhöht ist . Der Zeitpunkt der Ersterkrankung verlagert sich gegenüber nicht- konsumierenden durchschnittlich um 2,7 Jahre vor . • Cannabisgebrauch ist mit ungünstigen Verläufen der psychotischen Störungen (Rückfallquote, Verweildauer , stärkere Ausprägung der Positivsymptomatik) assoziiert . • Cannabis ist die in den Ländern Europas am häufigsten konsumierte illegale Substanz . • Etwa 26,3 Prozent der Bürger der Europäischen Union (15 bis 64 Jahre alt) haben in ihrem Leben Erfahrung mit Cannabis gemacht . • Cannabiskonsum kann zu einem Abhängigkeitssyndrom führen, das unter anderem auch Toleranzentwicklung und Entzugssymptome einschließt . • In Deutschland geht man davon aus, dass bei einem Prozent der 18- bis 64-jährigen Bevölkerung eine cannabisbezogene Störung (Cannabismissbrauch: 0,5 Prozent und Cannabisabhängigkeit: 0,5 Prozent) vorliegt . • Cannabiskonsumenten stellen inzwischen auch in Deutschland bei den erstmals wegen illegalen Substanzkonsums behandelten Personen die größte Gruppe dar . • Epidemiologische Studien schätzen, dass etwa neun Prozent aller Personen, die jemals Cannabis konsumiert haben, eine cannabisbezogene Störung entwickeln . • Besondere Risikofaktoren für die Entwicklung von cannabisbezogenen Störungen sind: Männliches Geschlecht, junges Alter bei Erstkonsum , Häufigkeit des Konsums, Co-Konsum mit Tabak . • Gesundheitliche Belastungen, die mit Cannabisabhängigkeit in Verbindung stehen, werden auf zwei Millionen „Disability-Adjusted Life Years (DALYs)“ (das heißt Anzahl verlorener Jahre aufgrund vorzeitigen Todes oder durch Beeinträchtigung des normalen, beschwerdefreien Lebens) beziffert und machen lediglich rund 0,08 Prozent der gesamten, globalen Gesundheitsbelastung aus . Die Studienlage zu Wirksamkeit, Verträglichkeit und Sicherheit von Cannabisarzneimitteln ist nicht ganz so gut . Die Wirksamkeit von Cannabisarzneimitteln bei chronischen Schmerzen berufspolitikthemenheft wurde häufig untersucht . Die Therapie war meistens von kurzer Dauer < = 12 Wochen, teilweise nur einige Tage) . Cannabisarzneimittel wurden gemeinsam mit etablierten, zugelassenen Schmerzmitteln (Analgetika) verabreicht . Sie wurden in der Regel gegenüber Placebo getestet und selten gegenüber etablierten Analgetika: • Cannabisarzneimittel bei chronischen Schmerzen waren Placebo teilweise in der Schmerzreduktion (um mindestens 30 Prozent) überlegen . Für eine substantielle Schmerzreduktion (um mindestens 50 Pro - zent) liegt derzeit keine Evidenz vor . Alle Übersichtsarbeiten finden weitere, sekundäre Wirksamkeitsbelege zugunsten der Cannabisarzneimittel (zum Beispiel eine Reduktion der durchschnittlichen Schmerzintensität , einer größeren durchschnittlichen Schmerzreduktion“ oder einer „starken oder sehr starken globalen Verbesserung“) . Dabei werden selten große Effekte beschrieben . Nabiximols – eine als Arzneistoff verwendete standardisierte Extraktmischung aus THC und CBD, die aus den Blättern und Blüten der Cannabispflanze gewonnen wird – ist bei chronischen Schmerzen die am besten untersuchte Cannabisarznei . Die Evidenz für eine leichte Schmerzreduktion und Verbesserungen in Sekundärmaßen im Vergleich zum Placebo ist gut . • Nebenwirkungen traten, mit Ausnahme der Studien zu chronischen Schmerzen bei Krebs, konsistent häufiger unter der Behandlung mit Cannabisarzneimitteln auf als unter Placebo-Gabe . Die hauptsächlich zentralnervösen Nebenwirkungen sind zumeist leicht bis mittel . Schwerwiegende Nebenwirkungen sind bei Cannabisarzneimittel-Gabe selten und nicht häufiger als bei Placebo-Gabe . 366 Ärzteblatt Sachsen 08|2018 • Für Cannabisarzneimittel (Nabiximols , Dronabinol, Medizinalhanf, orales und oromukosales THC und THC/CBD) konnte die Wirksamkeit bei Multipler Sklerose- und Paraplegie -assoziierter Spastizität mit objektivierbaren Prüfkriterien nicht belegt werden . • Zur antiemetischen Wirkung von Cannabisarznei bei chemotherapeutisch -induzierter Übelkeit und Erbrechen liegen viele alte Studien mit schlechter oder unklarer methodischer Qualität vor und keine (mit Ausnahme einer RCT) mit Antiemetika (das heißt Medikamente, die Übelkeit und Brechreiz unterdrücken sollen) der neuen Generation (5-HT3- oder NK1-Antagonisten) oder Neuroleptika als Vergleichsmedikation . • Bei HIV/AIDS-Erkrankungen können vier von fünf Studien eine leicht gewichtsstimulierende Wirkung von Cannabisarzneimitteln (Dronabinol, Cannabiszigaretten) feststellen . In einer der Studien zeigt sich eine signifikante Überlegenheit gegenüber Placebo . • Bei Morbus Crohn und Reizdarmsyndrom konnte keine Verbesserung der primären Beschwerden durch Cannabisarzneimittel (Cannabiszigaretten , Dronabinol) gezeigt werden (2 RCTs) . • In drei vorliegenden Studien bei Chorea Huntington war keine signifikante Wirksamkeit von Cannabisarzneimitteln (Nabilon, Nabiximols) nachweisbar . • Drei von vier Studien finden keine Verbesserung der Parkinson-Symptomatik oder der Levo-Dopa-induzierten Bewegungsstörungen/ Dyskinesien bei begleitender Therapie mit Cannabisarzneimitteln . • Eine RCT kann bei sechs Patienten mit erhöhtem Augendruck akut nach THC-Gabe eine signifikante Reduktion des Augeninnendruckes feststellen . Bei höherer Dosierung von CBD zeigte sich ein Anstieg des Augeninnendrucks . Es liegen keine Daten zu längerer Therapiedauer (> 1 Woche) vor . • Aufgrund der begrenzten Datenlage können noch keine Aussagen zur Wirksamkeit von Cannabisarzneimitteln (Dronabinol, Nabiximols, Nabilon, THC) und Cannabinoid- Modulatoren auf die psychopathologische Symptomatik bei Menschen mit psychischen Störungen getroffen werden . Dr . Hoch fasste ihre Ergebnisse ganz pragmatisch zusammen: Die Cannabinoidforschung sollte dringend verbessert werden . Große Studien mit guter Studienqualität und ausreichender Studiendauer fehlen weitestgehend wie auch der Vergleich zur Standardtherapie . Im Anschluss an den Vortrag von Dr . Hoch führte Dr . med . Frank Härtel, Suchtbeauftragter und Vorsitzender der Kommission Sucht und Drogen der Sächsischen Landesärztekammer, pointiert zum „Cannabisverbreitungsgesetz “, wie er es nennt, aus . Er begann mit der Darstellung der Deliktentwicklung aus der Polizeilichen Kriminalstatistik des LKA Sachsen (siehe Abb . 1) für illegale Drogen und insbesondere Cannabis sowie den Behandlungszahlen ambulanter und stationärer Fälle (siehe Abb . 2) . In beiden Sektoren sind seit Jahren stetige Zuwächse belegt . Trotzdem erfolge eine viel zu positive Bewertung von Cannabis im überwiegenden Teil der öffentlichen Medien und der Politik mit Anpreisung als Arzneimittel . Das sei themenheft Abb . 1: Rauschgiftdelikte/Delikte mittels Cannabis 2013 bis 2017 Quelle: Polizeiliche Kriminalstatistik Jahresüberblick 2017 Priv .-Doz . Dr . rer . nat . Eva Hoch, München, Co-Autorin der CaPRis-Studie © SL ÄK 367Ärzteblatt Sachsen 08|2018 sachlich nicht gerechtfertigt, wie sich gerade aus der CaPRis-Studie, vielen anderen Quellen und Erfahrungen des Suchtkrankenhilfesystems ergibt . Es bestünden also Steigerung von Drogenkriminalität und Behandlungszahlen (besonders stationär, siehe Abb . 2) neben der öffentlichen Verharmlosung von Cannabis und irrigen Heilserwartungen . Das am 19 . Januar 2017 beschlossene Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften, Dr . Härtel spricht nur vom „Cannabisverbreitungsgesetz “, bleibt nach seiner Ansicht hinter allen nötigen Qualitätsanforderungen weit zurück . Es be - ruhe auch auf einem rechtlichen Systembruch . Erstmals wurden Substanzen verordnungsfähig gemacht ohne vorgeschriebenes vorheriges Zulassungsverfahren . Zudem waren in der Anhörung des zuständigen Bundestagsausschusses nur Befürworter geladen . Vertreter der Kinder- und Jugendpsychiatrie und ihrer Fachgremien fehlten . Sämtliche Redner aller Bundestagsfraktionen beklagten die fehlende Evidenz von Cannabis im medizinischen Einsatz, stimmten je - doch alle (eigentlich wider besseren Wissens) für das umstrittene Gesetz . Bedeutsam sei, stellte Dr . Härtel explizit heraus, dass nunmehr dasselbe giftige Cannabiskraut verordnungsfähig ist, an dem Abhängige kranken . Die Verordnungszahlen in Sachsen bleiben dagegen laut Techniker Krankenkasse hinter dem Bundesdurchschnitt deutlich zurück . Das Fazit von Dr . Härtel war schonungslos : • Es gibt bisher keinen Hinweis auf eine Überlegenheit mit wissenschaftlicher Evidenz für Cannabiseinsatz auch nur bei einer Indikation . • Die Redner aller Fraktionen des Deutschen Bundestages beklagten dies unisono, stimmten dann dem Gesetzesentwurf aber einstimmig zu . • Bei keiner Erkrankung ist Cannabis ein First- oder Secondlinepräparat, trotz 150 Jahren Anwendung setzte es sich nicht durch . • Das Gesetz ist deshalb absichtlich schwammig und stellt den Arzt vor eine praktisch unlösbare Aufgabe . • Es fehlt jede Folgenkritik . • Seiner Meinung nach muss das Gesetz außer Kraft gesetzt werden . Es folgte eine mehr als einstündige und sehr lebhafte Diskussion . Letztendlich reichten die Meinungen von einer vollständigen Legalisierung auch des Freizeitkonsums bis zu einer sehr weitreichenden Einschränkung selbst des medizinischen Gebrauchs . Kollegen be richteten über sehr erfolgreiche Behandlungen vornehmlich in der Schmerztherapie, aber immer im Einzelfall und nach Ausreizen aller etablierten Behandlungsoptionen . Dr . Hoch konnte aus ihrer Erfahrung ebenfalls nicht nur von Behandlungserfolgen, sondern auch von Therapieversagern berichten . Es war eine Freude, dieser hochkompetenten und dabei empathischen und warmherzigen Wissenschaftlerin durch den Abend zu folgen . Ihrer Meinung nach ist zurzeit eine Behandlungsleitlinie zum medizinischen Gebrauch von Cannabispräparaten zwingend erforderlich und sollte zeitnah erstellt werden . Von einer vollständigen Freigabe riet auch ein Vertreter der Polizei Leipzig dringend ab . Dem oft kolportierten Argument der durch Betäubungsmitteldelikte , insbesondere bei Cannabis, überforderten Polizei widersprach er . Dass durch die Legalisierung von Cannabis auch nur minimal Probleme in diesem Bereich gelöst werden, sei nicht absehbar . Zu Kontroversen gab natürlich immer wieder der Vergleich mit dem Suchtmittel Alkohol Anlass, eine legale Droge, deren gesellschaftliche und gesundheitliche Auswirkungen mindestens ebenso gefährlich, wenn nicht gefährlicher als Cannabis ist . Der Präsident schloss den rundum erfolgreichen Abend mit dem Resümee, dass jede Kultur ihre Droge(n) hat . Bei uns ist dies der Alkohol, in anderen Ländern sind es andere Rauschmittel . Ob es sinnvoll ist, in unserer insgesamt sehr suchtgefährdeten Gesellschaft ein weiteres Suchtmittel zu legalisieren, ist auch eine kulturelle Diskussion, der man sich stellen muss . So kann man vielleicht am Ende dieses Artikels in individueller Abänderung des allseits bekannten Zitates aus „Der gute Mensch von Sezuan“ sagen: „Wir stehen selbst belehrt und sehn betroffen / den Vorhang zu und alle Fragen offen“ . Dr . med . Patricia Klein Ärztliche Geschäftsführerin themenheft Abb . 2: Entwicklung Fallzahlen (stationär) mit ausgewählter Suchtproblematik (Patientenwohnort Sachsen), 2012 bis 2016 © w w w .g be -b un d . de 368 Ärzteblatt Sachsen 08|2018 Aufgrund von § 8 Abs . 3 Satz 2 Nr . 2 des Gesetzes über Berufsausübung, Berufsvertretungen und Berufsgerichtsbarkeit der Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Apotheker sowie der Psychologischen Psychotherapeuten und der Kinderund Jugendlichenpsychotherapeuten im Freistaat Sachsen (Sächsisches Heilberufekammergesetz – SächsHKaG) vom 24 . Mai 1994 (SächsGVBl . S . 935), das zuletzt durch Artikel 19 des Gesetzes vom 26 . April 2018 (SächsGVBl . S . 198, 211) geändert worden ist, hat die Kammerversammlung der Sächsischen Landesärztekammer am 23 . Juni 2018 die folgende Satzung zur Änderung der Berufsordnung der Sächsischen Landes -ärztekammer (Berufsordnung – BO) vom 24 . Juni 1998 beschlossen: artikel 1 Die Berufsordnung der Sächsischen Landesärztekammer vom 24 . Juni 1998 (genehmigt mit Bescheid des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales, Gesundheit und Familie vom 17 . Juni 1998, Az .: 52-5415 .20/14, veröffentlicht im Ärzteblatt Sachsen, Heft 8/1998, S . 352), zuletzt geändert mit Satzung vom 30 . November 2015 (genehmigt mit Bescheid des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales und Verbraucherschutz vom 25 . November 2015, Az .: 26-5415 .21/6, veröffentlicht im Ärzteblatt Sachsen, Heft 12/2015, S . 526) wird wie folgt geändert: 1 . In der Inhaltsübersicht wird über der Angabe „A . Präambel“ das Wort „Gelöbnis“ eingefügt . 2 . Das Gelöbnis wird wie folgt neu gefasst: „Als Arzt gelobe ich feierlich, mein Leben in den Dienst der Menschlichkeit zu stellen . Die Gesundheit und das Wohlergehen meiner Patienten wird mein oberstes Anliegen sein . Ich werde die Autonomie und die Würde meiner Patienten respektieren . Ich werde den höchsten Respekt vor menschlichem Leben wahren . Ich werde nicht zulassen , dass Erwägungen von Alter, Krankheit oder Behinderung, Glaube, ethnischer Herkunft, Geschlecht, Staatsangehörigkeit , politischer Zugehörigkeit, Rasse, sexueller Orientierung, sozialer Stellung oder jeglicher anderer Faktoren zwischen meine Pflichten und meine Patienten treten . Ich werde die mir anvertrauten Geheimnisse auch über den Tod der Patienten hinaus wahren . Ich werde meinen Beruf nach bestem Wissen und Gewissen, mit Würde und im Einklang mit guter medizinischer Praxis ausüben . Ich werde die Ehre und die edlen Traditionen des ärztlichen Berufes fördern . Ich werde meinen Lehrern, meinen Kollegen und meinen Schülern die ihnen gebührende Achtung und Dankbarkeit erweisen . Ich werde mein medizinisches Wissen zum Wohle der Patienten und zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung teilen . Ich werde auf meine eigene Gesundheit, mein Wohlergehen und meine Fähigkeiten achten, um eine Behandlung auf höchstem Niveau leisten zu können . Ich werde, selbst unter Bedrohung, mein medizinisches Wissen nicht zur Verletzung von Menschenrechten und bürgerlichen Freiheiten anwenden . Ich gelobe dies feierlich, aus freien Stücken und bei meiner Ehre .“ 3 . § 7 Abs . 4 wird wie folgt neu gefasst: „Der Arzt berät und behandelt den Pa tienten im persönlichen Kontakt . Er kann dabei Kommunikationsmedien unterstützend einsetzen . Eine ausschließliche Beratung oder Behandlung über Kommunikationsmedien ist im Einzelfall erlaubt, wenn dies ärztlich vertretbar ist und die erforderliche ärztliche Sorgfalt insbesondere durch die Art und Weise der Befunderhebung, Aufklärung, Beratung und Behandlung sowie Dokumentation gewahrt wird .“ 4 . § 10 Abs . 2 Satz 1 wird wie folgt geändert: a) In Satz 1 werden die Wörter „des Arztes oder“ gestrichen . b) Nach Satz 1 wird folgender Satz eingefügt : „Ausnahmsweise darf der Arzt einzelne Aufzeichnungen von der Einsichtnahme ausnehmen, wenn sein Interesse am Schutz seines Persönlichkeitsrechts das Interesse des Patienten an der Einsichtnahme überwiegt .“ artikel 2 Die Satzung zur Änderung der Berufsordnung der Sächsischen Landesärztekammer tritt am 1 . September 2018 in Kraft . Dresden, 23 . Juni 2018 Erik Bodendieck Präsident Dr . med . Michael Nitschke-Bertaud Schriftführer Das Sächsische Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz hat mit Schreiben vom 2 . Juli 2018, AZ 32-5415 .21/6 die Genehmigung erteilt . Die vorstehende Satzung zur Änderung der Berufsordnung der Sächsischen Landesärztekammer wird hiermit ausgefertigt und im Ärzteblatt Sachsen bekannt gemacht . Dresden, 9 . Juli 2018 Erik Bodendieck Präsident amtliche bekanntmachungen Satzung zur Änderung der Berufsordnung der Sächsischen Landesärztekammer Vom 9. Juli 2018 Konzerte und Ausstellungen ausstellungen im foyer und 4. etage in der sächsischen landesärztekammer Viktoria Graf INTERMEZZO – Malerei und Zeichnung 26. Juli bis 21. oktober 2018 Künstlerbund Dresden Kunst im Blut 25. oktober 2018 bis 20. Januar 2019 vernissage Donnerstag, 25 . Oktober 2018, 19 .30 Uhr laudatio N .N . programmvorschau 30 . September 2018, 11 .00 Uhr Junge Matinee Es musizieren Schülerinnen und Schüler der Musikschule des Land kreises Meißen Aktuelle Ausstellung: Viktoria Graf 369Ärzteblatt Sachsen 08|2018 ausschuss senioren verschiedenes Traditionell findet unser Jahrestreffen der Studienabgänger von 1967 der Universität Leipzig auch in diesem Jahr wieder am 2 . Oktober 2018 statt . Wir besuchen zu nächst die Innenräume der neuen Aula und Universitätskirche St . Pauli und treffen uns um 14 .45 Uhr am Infotresen im Neuen Augusteum am Augustusplatz . Die geplante Führung steht unter dem Thema „Von der Universitätskirche zum Paulinum“ . Voraussichtlicher Unkostenbeitrag: circa 5,00 Euro/Person . Ab 18 .00 Uhr finden wir uns wieder im Salon des Auerbachs Kellers zum gemütlichen Beisammensein ein . Wir bitten um Anmeldung für die Teilnahme (Führung und/oder Auerbachs Keller mit Angabe der Personenzahl) bis 31 . August 2018 an: Priv-Doz . Dr . med . habil . Bernd Wiedemann (bernd .wiedemann@arcor .de, Telefon: 0341-2311452 oder 0157 71086018) oder Dr . med . Hans-Otto Kluge (hansottokluge@gmx .de, Telefon: 0871-23184 oder 0157 73067645) . Priv .-Doz . Dr . med . habil . Bernd Wiedemann, Leipzig Treffen der Studien abgänger von 1967 an der Universität Leipzig 2018 Das diesjährige Sächsische Seniorentreffen führt uns nach Bautzen und steht unter dem Motto „Bautzen – die tausendjährige Stadt“ . Leider fällt die Nachfrage überraschend zurückhaltend aus . Für die fahrten am 28. august und 11. september 2018 ab leipzig können sich interessierte Kollegen gern noch anmelden, solange die geplante Kapazität nicht ausgebucht ist . Anmeldung unter: Muldental Reisen GmbH (Grimma) Telefon: 03437 911311 oder per E-Mail: info@muldental-reisen .de Dr . med . Ute Göbel Vorsitzende des Ausschusses Senioren 23. Sächsisches Seniorentreffen 2018 370 Ärzteblatt Sachsen 08|2018 Von der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen werden gemäß § 103 Abs . 4 SGB V folgende Vertragsarztsitze in den Planungsbereichen zur Übernahme durch einen Nachfolger ausgeschrieben: bitte beachten sie folgende hinweise: *) Bei Ausschreibungen von Fachärzten für Allgemeinmedizin können sich auch Fachärzte für Innere Medizin bewerben, wenn sie als Hausarzt tätig sein wollen . Bei Ausschreibungen von Fachärzten für Innere Medizin (Hausärztlicher Versorgungsbereich ) können sich auch Fachärzte für Allgemeinmedizin bewerben . nähere informationen hinsichtlich des räumlichen zuschnitts sowie der arztgruppenbezogenen zuordnung zu den einzelnen planungsbereichen bzw. versorgungsebenen sind auf der homepage der kv sachsen abrufbar (www.kvsachsen.de → mitglieder → arbeiten als arzt → bedarfsplanung und sächsischer bedarfsplan). Bitte geben Sie bei der Bewerbung die betreffende Registrierungs-Nummer (Reg .-Nr .) an . Es wird darauf hingewiesen, dass sich auch die in den Wartelisten eingetragenen Ärzte bei Interesse um den betreffenden Vertragsarztsitz bewerben müssen . aus den kreisärztekammern Ausschreibung von Vertragsarztsitzen Bezirksgeschäftsstelle Chemnitz reg.-nr. fachrichtung planungsbereich bewerbungsfrist allgemeine fachärztliche versorgung 18/C039 Psychologische Psychotherapie -Verhaltenstherapie (hälftiger Vertragspsychotherapeutensitz) Aue-Schwarzenberg 11 .09 .2018 18/C040 Psychologische Psychotherapie-Verhaltenstherapie (hälftiger Vertragspsychotherapeutensitz) Chemnitz, Stadt 24 .08 .2018 18/C041 Orthopädie ZB: Chirotherapie, Physikalische Therapie Chemnitz, Stadt 24 .08 .2018 18/C042 Urologie ZB: Medikamentöse Tumortherapie Chemnitzer Land 24 .08 .2018 18/C043 Psychologische Psychotherapie-Verhaltenstherapie (hälftiger Vertragspsychotherapeutensitz) Mittlerer Erzgebirgskreis 24 .08 .2018 spezialisierte fachärztliche versorgung 18/C044 Innere Medizin / SP Gastroenterologie (hälftiger Vertragsarztsitz in einer Berufsausübungsgemeinschaft) Zwickau 24 .08 .2018 18/C045 Innere Medizin / SP Pneumologie Vogtlandkreis 24 .08 .2018 18/C046 Diagnostische Radiologie (Vertragsarztsitz in einer Berufsausübungsgemeinschaft) Zwickau 11 .09 .2018 gesonderte fachärztliche versorgung 18/C047 Labormedizin Sachsen 24 .08 .2018 Schriftliche Bewerbungen sind unter Berücksichtigung der Bewerbungsfrist an die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen, Bezirksgeschäftsstelle Chemnitz, Postfach 11 64, 09070 Chemnitz, Telefon 0371 2789-406 oder -403 zu richten . Die Kreisärztekammer Dresden (Stadt) lädt am Dienstag, dem 4 . September 2018, 15 Uhr, zum Seniorentreffen ein . Antje Köhler, Pflegeberaterin der Diakonie Dresden, informiert umfassend zum Thema Pflege . Seien Sie zu Vortrag und anschließendem kollegialen Kaffeetrinken herzlich willkommen! Senioren treffen der KÄK Dresden Dr . med . Uta Katharina Schmidt-Göhrich Vorsitzender der Kreisärztekammer Dresden (Stadt) mitteilungen der kvs 371Ärzteblatt Sachsen 08|2018 mitteilungen der kvs Bezirksgeschäftsstelle Dresden reg.-nr. fachrichtung planungsbereich bewerbungsfrist allgemeine fachärztliche versorgung 18/D052 Neurologie und Psychiatrie Bautzen 11 .09 .2018 18/D053 Orthopädie (Vertragsarztsitz in einer Berufsausübungsgemeinschaft) Dresden, Stadt 11 .09 .2018 18/D054 Kinder- und Jugendmedizin Dresden, Stadt 24 .08 .2018 18/D055 Orthopädie Görlitz, Stadt/ Niederschlesischer Oberlausitzkreis 24 .08 .2018 18/D056 Psychologische Psychotherapie – Verhaltenstherapie (hälftiger Vertragspsychotherapeutensitz) Görlitz, Stadt/ Niederschlesischer Oberlausitzkreis 24 .08 .2018 18/D057 Augenheilkunde (hälftiger Vertragsarztsitz) Hoyerswerda, Stadt/Kamenz 24 .08 .2018 18/D058 Chirurgie / D-Arzt (Vertragsarztsitz in einer Berufsausübungsgemeinschaft) Hoyerswerda, Stadt/Kamenz 11 .09 .2018 18/D059 Chirurgie (Vertragsarztsitz in einem MVZ) Löbau-Zittau 24 .08 .2018 18/D060 Augenheilkunde Meißen 24 .08 .2018 18/D061 Psychotherapeutisch tätiger Arzt – Tiefenpsychologie (hälftiger Vertragsarztsitz) Meißen 11 .09 .2018 18/D062 Psychotherapeutisch tätiger Arzt – Verhaltenstherapie (hälftiger Vertragsarztsitz) Meißen 11 .09 .2018 18/D063 Kinder- und Jugendpsychotherapie – Verhaltenstherapie (hälftiger Vertragspsychotherapeutensitz) Meißen 11 .09 .2018 spezialisierte fachärztliche versorgung 18/D064 Anästhesiologie Oberes Elbtal/ Osterzgebirge 24 .08 .2018 18/D065 Innere Medizin/SP Gastroenterologie Görlitz 11 .09 .2018 Schriftliche Bewerbungen sind unter Berücksichtigung der Bewerbungsfrist an die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen, Bezirksgeschäftsstelle Dresden, Schützenhöhe 12, 01099 Dresden, Telefon 0351 8828-310 zu richten . Bezirksgeschäftsstelle Leipzig reg.-nr. fachrichtung planungsbereich bewerbungsfrist hausärztliche versorgung 18/L042 Allgemeinmedizin*) Oschatz 24 .08 .2018 18/L043 Allgemeinmedizin*) Borna 11 .09 .2018 18/L044 Allgemeinmedizin*) Leipzig 24 .08 .2018 allgemeine fachärztliche versorgung 18/L045 Orthopädie Leipzig, Stadt 24 .08 .2018 18/L046 Frauenheilkunde und Geburtshilfe Leipzig, Stadt 11 .09 .2018 18/L047 Augenheilkunde Leipzig, Stadt 24 .08 .2018 18/L048 Frauenheilkunde und Geburtshilfe Delitzsch 24 .08 .2018 372 Ärzteblatt Sachsen 08|2018 mitteilungen der kvs Von der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen werden folgende Vertragsarztsitze zur Übernahme durch einen Nachfolger veröffentlicht: Abgabe von Vertragsarztsitzen Bezirksgeschäftsstelle Chemnitz fachrichtung planungsbereich bemerkung hausärztliche versorgung Allgemeinmedizin*) Marienberg geplante Abgabe: 30 .06 .2019 Interessenten wenden sich bitte an die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen, Bezirksgeschäftsstelle Chemnitz, Postfach 11 64, 09070 Chemnitz, Telefon 0371 2789-406 oder -403 . Bezirksgeschäftsstelle Dresden fachrichtung planungsbereich bemerkung hausärztliche versorgung Innere Medizin*) Görlitz Abgabe: I/2019 Allgemeinmedizin*) Löbau Ort: Herrnhut Abgabe: II/2019 Allgemeinmedizin*) Löbau Ort: Kottmar Abgabe: Juli 2019 Allgemeinmedizin*) Zittau Ort: Großschönau Abgabe: 2018 allgemeine fachärztliche versorgung Haut- und Geschlechtskrankheiten Löbau-Zittau Ort: Ebersbach-Neugersdorf Abgabe: IV/2020 Interessenten wenden sich bitte an die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen, Bezirksgeschäftsstelle Dresden, Schützenhöhe 12, 01099 Dresden, Telefon 0351 8828-310 . Bezirksgeschäftsstelle Leipzig 18/L049 Psychologische Psychotherapie – Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie Delitzsch 24 .08 .2018 18/L050 Psychologische Psychotherapie – Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie Leipziger Land 24 .08 .2018 18/L051 Psychologische Psychotherapie -Analytische Psychotherapie, tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie (hälftiger Versorgungsauftrag) Leipzig, Stadt 11 .09 .2018 18/L052 Ärztliche Psychotherapie -Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie (hälftiger Versorgungsauftrag) Leipzig, Stadt 11 .09 .2018 18/L053 Psychologische Psychotherapie – Verhaltenstherapie, tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie Leipzig, Stadt 24 .08 .2018 Schriftliche Bewerbungen sind unter Berücksichtigung der Bewerbungsfrist an die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen, Bezirksgeschäftsstelle Leipzig, Braunstraße 16, 04347 Leipzig, Telefon 0341 2432-153 oder -154 zu richten . 373Ärzteblatt Sachsen 08|2018 personalia Unsere Jubilare im September 2018 Wir gratulieren! 65 Jahre 03.09. Dr . med . Kuhlmann, Edda 04824 Beucha 03.09. Dr . med . Pönitzsch, Iris 04159 Leipzig 04.09. Dr . med . Büttner, Hubertus 01561 Naunhof 05.09. Dr . med . Brockow, Thomas 01277 Dresden 10.09. Dr . med . Futschik, Monika 01099 Dresden 10.09. Dr . med . Jesche, Petra 02977 Hoyerswerda 11.09. Dr . med . Kuss, Ute 01309 Dresden 11.09 . Dipl .-Med . Weber, Renate 01328 Dresden 13.09. Dr . med . Hempel, Jürgen 01809 Meusegast 16.09. Dr . med . Zschau, Brigitte 02681 Halbendorf/Gebirge 18.09. Dr . med . Föse, Eva-Maria 01157 Dresden 20.09. Dr . med . Rehnig, Hans-Peter 04279 Leipzig 21.09. Dr . med . Hermann, Andrea 08451 Crimmitschau 22.09. Dr . med . Reißmann, Gerd 08064 Zwickau 23.09. Dr . med . habil . Deutrich, Christine 04289 Leipzig 23.09. Dipl .-Med . Eßer, Thomas 04155 Leipzig 23.09. Dr . med . Geng, Norbert 01169 Dresden 23.09. Dr . med . Steinbrück, Christine 01855 Sebnitz 26.09. Dipl .-Med . Kaiser, Sabine 04720 Döbeln 28.09. Dipl .-Med . Böhme, Bodo 09127 Chemnitz 70 Jahre 01.09. Dr . med . Knauthe, Matthias 09599 Freiberg 02.09. Dr . med . Härtig, Heidi 08301 Bad Schlema 09.09. Prof . Dr . sc . med . Müller, Thomas 04720 Döbeln 11.09. Dr . med . Oberländer, Roselore 04159 Leipzig 12.09. Bachmann, Heidemarie 08527 Plauen 13.09. Ludwig, Stephan 09212 Limbach-Oberfrohna 13.09. Dr . med . Sedner, Sieglinde 09350 Lichtenstein 17.09. Dr . med . Ritschel, Bernd 01796 Pirna 23.09. Priv .-Doz . Dr . med . habil . Weber, Hansjörg 01662 Meißen 25.09. Dr . med . Anstadt, Maria 08523 Plauen 25.09. Dipl .-Med . Hennig, Christina 09127 Chemnitz 27.09. Dipl .-Med . Sommer, Hannelore 08056 Zwickau 28.09. Dipl .-Med . Remoli, Gabriele 04157 Leipzig 28.09. Dipl .-Med . Sachs, Sabine 08606 Oelsnitz 29.09. Bessonowa, Gita 04347 Leipzig 75 Jahre 01.09. Dipl .-Med . Hartenstein, Klaus 02763 Bertsdorf 02.09. Dipl .-Med . Kimmel, Gisela 01814 Bad Schandau 03.09. Dr . med . Göhler, Gisela 01309 Dresden 05.09. Dr . med . Große, Egon 09405 Zschopau 05.09. Dr . med . Werner, Gerlinde 04827 Machern 06.09. Dipl .-Med . Huhn, Maria 01189 Dresden 06.09. Lenk, Ursula 01561 Schönfeld 06.09. Schültke, Ursula 09120 Chemnitz 07.09. Dr . med . Siebert, Maria 01587 Riesa 09.09. Dr . med . Strauß, Wolfram 04109 Leipzig 10.09. Dr . med . Harksel, Britta 04105 Leipzig 11.09. Dr . med . Buschnakowski, Christoph 04668 Grimma 12.09. Dr . med . Auerbach, Dorrit 04107 Leipzig 12.09. Prof . Dr . med . habil . Gross, Peter 01309 Dresden 12.09. Schiefer, Thea 08340 Schwarzenberg 12.09. Dr . med . Tautz, Barbara 01796 Pirna 13.09. Dipl .-Med . Siegmund, Uwe 08112 Wilkau-Haßlau 14.09. Dr . sc . med . Hering, Christian 01099 Dresden 14.09. Lommatzsch, Horst 08060 Zwickau 14.09. Dr . med . Schaumberg, Reinhard 09376 Oelsnitz 17.09. Dr . med . Sieber, Hannelore 09456 Annaberg-Buchholz 18.09. Dr . med . Wetzstein, Anita 01279 Dresden 19.09. Priv .-Doz . Dr . med . habil . Herrmann, Ulf 01445 Radebeul 19.09. Dipl .-Med . Korb, Hans-Günter 04159 Leipzig 19.09. Dr . med . Leidner, Michael 08645 Bad Elster 19.09. Dr . med . Lohs, Joachim 09127 Chemnitz 374 Ärzteblatt Sachsen 08|2018 19.09. Prof . Dr . med . habil . Plöttner, Günter 04155 Leipzig 20.09. Prof . Dr . med . habil . Schmidt, Frank 04155 Leipzig 21.09. Dr . med . Vogel, Wolfgang 04539 Groitzsch 23.09. Dr . med . Oehlert, Ralf 01326 Dresden 25.09. Dr . med . Schneider, Christine 04746 Hartha 25.09. Dr . med . Seewald, Inge 04209 Leipzig 26.09. Dr . med . Lobeck, Gunhild 01326 Dresden 26.09. Sturm, Ulrike 09125 Chemnitz 28.09. Enge, Ingrid 01458 Ottendorf-Okrilla 28.09. Prof . Dr . sc . med . Sauermann, Wolfgang 01307 Dresden 30.09. Dr . med . Kluge, Jutta 04668 Grimma 30.09. Schneider, Petra 02977 Hoyerswerda 30.09. Dr . med . Stephan, Dietrich 08248 Klingenthal 80 Jahre 04.09. Prof . Dr . med . habil . Heidrich, Lothar 04109 Leipzig 06.09. von Großmann, Anke 08058 Zwickau 09.09. Dr . med . Herold, Karl-Heinz 08525 Plauen 09.09. Dr . med . Pochodzaj, Klaus 08359 Breitenbrunn 10.09. Dr . med . Kallauch, Günter 02708 Niedercunnersdorf 11.09. Dr . med . Lerchner, Nelly 04416 Markkleeberg 13.09. Dr . med . Boxberger, Klaus Dieter 04288 Leipzig 16.09. Stöber, Eva-Maria 04736 Waldheim 21.09. Dr . med . Ohrt, Gabriele 04463 Großpösna 22.09. Doz . Dr . med . habil . Kadner, Peter 04178 Leipzig 22.09. Dr . med . König, Wolfgang 01855 Sebnitz 22.09. Dr . med . Uhlig, Ingrid 09130 Chemnitz 24.09. Neßmann, Marianne 04442 Zwenkau 24.09. Dipl .-Med . Päßler, Edda 09116 Chemnitz 25.09. Dr . med . habil . Altmann, Ernst 01328 Dresden 27.09. Dr . med . Gärtner, Anita 01328 Dresden 28.09. Dr . med . Friedrich, Johannes 01324 Dresden 28.09. Dr . med . Kayser, Horst 04329 Leipzig 28.09. Stein, Günter 01728 Rippien 29.09. Dr . med . Stolzenburg, Ulrich 01728 Possendorf 30.09. Dr . med . Hausmann, Christine 01239 Dresden 81 Jahre 02.09. Dr . med . Rose, Marita 04275 Leipzig 03.09. Dr . med . Heiland, Lothar 04316 Leipzig 08.09. Dr . med . Bitzer, Frieder 04668 Grimma 08.09. Trautloft, Charlotte 08393 Meerane 11.09. Franz, Peter 08606 Oelsnitz 14.09. Dr . med . May, Brigitte 04680 Colditz 17.09. Prof . Dr . med . habil . Dettmer, Dietrich 04107 Leipzig 18.09. Dr . med . Kirsten, Gottfried 09114 Chemnitz 21.09. Stolle, Renate 04229 Leipzig 22.09. Dr . med . Forcker, Gebhard 09130 Chemnitz 22.09. Dr . med . Tilke, Renate 09648 Mittweida 25.09. Dr . med . Golde, Winfried 09114 Chemnitz 25.09. Dr . med . Kanig, Margarete 01187 Dresden 26.09. Dr . med . Nehler, Klaus 09125 Chemnitz 26.09. Dr . med . Wappler, Friedhelm 08485 Lengenfeld 27.09. Dr . med . Groeschel, Walter 01796 Pirna 28.09. Dr . med . Helmer, Klaus 08412 Werdau 29.09. Priv .-Doz . Dr . med . habil . Brethner, Ludwig 04157 Leipzig 30.09. Dr . med . Nebel, Gisela 01307 Dresden 82 Jahre 03.09. Dr . med . Hanisch, Inge 02733 Cunewalde 06.09. Dr . med . Knothe, Alice 04178 Leipzig 07.09. Dr . med . Fuhrmann, Marita 04105 Leipzig 09.09. Dr . med . Langer, Hans 01587 Riesa 10.09. Dr . med . Götz, Annerose 02828 Görlitz 11.09. Weis, Anita 08527 Plauen 13.09. Dr . med . Grethe, Ursula 09465 Sehma 14.09. Dr . med . Hofmann, Regina 08056 Zwickau 14.09. Dr . med . Pirlich, Ingrid 04357 Leipzig 14.09. Dr . med . Ziehank, Eberhard 08468 Reichenbach 16.09. Dr . med . Roch, Christiane 01326 Dresden 17.09. Dr . med . Vogel, Helga 01277 Dresden personalia 375Ärzteblatt Sachsen 08|2018 24.09. Scherbak, Anatol 01307 Dresden 26.09. Dr . med . Matthes, Eva-Maria 01277 Dresden 28.09. Dr . med . Just, Gabriele 04155 Leipzig 83 Jahre 02.09. Dr . med . Kaschl, Irmgard 09366 Stollberg 07.09. Dr . med . Zschau, Gudrun 09120 Chemnitz 08.09. Kubicek, Annelies 01067 Dresden 16.09. Dr . med . Dörfelt, Christoph 01591 Riesa 16.09. Taubert, Monika 01259 Dresden 19.09. Prof . Dr . sc . med . Hanefeld, Markolf 01445 Radebeul 24.09. Dr . med . Hübner, Ursula 01307 Dresden 30.09. Dr . med . Seyfert, Gottfried 09127 Chemnitz 30.09. Prof . Dr . med . habil . Todt, Horst 01187 Dresden 84 Jahre 05.09. Dr . med . Müller, Wolfgang 04158 Leipzig 06.09. Dr . med . Schreiber, Helmut 01328 Dresden 14.09. Dr . med . Geschke, Käte 09217 Burgstädt 17.09. Dr . med . Rohrwacher, Ingrid 04157 Leipzig 24.09. Dr . med . Beyer, Peter 01844 Hohwald 24.09. Dr . med . Seckendorf, Brunhilde 09112 Chemnitz 26.09. Dr . med . Kirschner, Wolfgang 08315 Bernsbach 26.09. Dr . med . Seidel, Rolf 08543 Jocketa 85 Jahre 01.09. Dr . med . Meier, Gudrun 01326 Dresden 08.09. Dr . med . Gutsmuths, Frank-Jörg 04158 Leipzig 09.09. Dr . med . Gräbner, Anny 09350 Lichtenstein 13.09. Dr . med . Kösser, Christa 04277 Leipzig 19.09. Dr . med . Heimann, Günter 08058 Zwickau 27.09. Prof . Dr . med . habil . Raue, Wolfgang 04299 Leipzig 29.09. Dr . med . Klemm, Brigitte 02694 Malschwitz 30.09. Dr . med . Hellmessen, Ute 04651 Bad Lausick 86 Jahre 02.09. Dr . med . Berthold, Regina 04103 Leipzig 07.09. Dr . med . Heilek, Walter 01326 Dresden 12.09. Dr . med . Gregori, Peter 08529 Plauen 13.09. Bilger, Sigrid 01069 Dresden 19.09. Dr . med . Klapper, Johannes 08058 Zwickau 23.09. Dr . med . Hebenstreit, Renate 01920 Haselbachtal 26.09. Prof . Dr . med . habil . Helbig, Werner 04155 Leipzig 87 Jahre 06.09. Dr . med . Gebauer, Horst 01877 Bischofswerda 08.09. Dr . med . Steudtner, Ursula 01217 Dresden 09.09. Kuhnert, Friedegard 01217 Dresden 12.09. Dr . med . Dieter, Joachim 04808 Wurzen 20.09. Dr . med . Lange, Waltraut 04416 Markkleeberg 22.09. Dr . med . Lippoldt, Roland 08115 Lichtentanne 23.09. Dr . med . Hackel, Maria 01187 Dresden 88 Jahre 19.09. Dr . med . Vollmer, Christa 01109 Dresden 29.09. Dr . med . Kretschmar, Christian 02730 Ebersbach-Neugersdorf 89 Jahre 05.09. Dr . med . Dießner, Magdalena 01157 Dresden 15.09. Dr . med . Holzhausen, Günter 04821 Waldsteinberg 28.09. Dr . med . Tützer, Anny 08451 Crimmitschau 29.09. Tuchscherer, Isolde 08280 Aue 92 Jahre 03.09. Dr . med . Grimm, Hans 04157 Leipzig 94 Jahre 26.09. Dr . med . Simon, Eva-Maria 01825 Liebstadt-OT Döbra 95 Jahre 16.09. Dr . med . habil . Woratz, Günter 09456 Annaberg-Buchholz 97 Jahre 06.09. Dr . med . Spielmann, Volker 04316 Leipzig personalia 376 Ärzteblatt Sachsen 08|2018 Wer den Namen Hans Fallada hört, erinnert sich vielleicht an Greifswald, wo er am 21 . Juli 1893 geboren wurde, an Berlin, Rudolstadt und an sein Refugium Carwitz in der Mecklenburger Seenplatte, wo er mit seiner Familie in den Jahren 1934 bis 1944 lebte . An Leipzig wird man vermutlich kaum denken . Und dennoch verbrachte er, der eigentlich Rudolf Ditzen hieß, zwei entscheidende Jahre seines Lebens in der Messestadt . Denn der Vater, der Richter Wilhelm Ditzen (1852 – 1937), war zum Reichsgerichtsrat am Reichsgericht zu Leipzig berufen worden . Die Familie Ditzen bezog eine standesgemäße Elf-Zimmerwohnung in der Schenkendorfstraße 61, die sich in der Leipziger Südvorstadt befindet . Der älteste Sohn Rudolf, der in Berlin das Bismarck-Gymnasium besucht hatte, sollte in das in der Nähe der Leipziger Wohnung gelegene Königin-Carola- Gymnasium wechseln . Er musste jedoch wegen des früheren Beginns des Schuljahres in Sachsen eine Prüfung ablegen, um in die nächst höhere Klassenstufe aufgenommen zu werden (Abb . 1) . Ein schwerer Unfall und seine Folgen Am 17 . April 1909, dem Vortag der Prüfung , unternahm er eine Radpartie, bei der er mit einem Fleischerfuhrwerk zusammenstieß und sich schwer verletzte . In einem zeitnahen Lebenslauf, den er 1911 in der Nervenklinik der Universität Jena im Rahmen einer stationären Begutachtung verfasste, berichtete Rudolf Ditzen später von einer Hirnerschütterung und einem „Magenriss “, weshalb er mehrere Tage nichts habe essen und trinken können . Die Ärzte, so meinte er, hätten ihn so ziemlich aufgegeben . Mehr als 30 Jahre später erzählte Hans Fallada in seinem autobiografischen Buch „Damals bei uns daheim“ erneut von seinem im Jahre 1909 in Leipzig erlittenen Unfall . Er beschreibt dort, wie er unter dem Pferd liegend von dessen Huf getroffen wurde, wobei sein Kiefer verletzt und ihm mehrere Zähne ausgeschlagen wurden . Später bemerkte er heftige Blutungen aus Mund und Magen, sah eine Reifenspur, die sich über seinen Leib zog und nahm eine schmerzhafte Fußverletzung wahr . Zu einer Perforation des geschützt liegenden Magens war es bei dem Jüngling zu seinem Glück nicht gekommen, aber ohne Zweifel zu einem Defekt der Innenwand des Magens mit erheblichen Gefäßeinrissen . Da er weder essen noch trinken durfte, seien „qualvolle Salzwassereinspritzungen“ vorgenommen worden, die man in dieser Zeit nicht intravenös, sondern subkutan verabreichte, wobei Spezialkanülen be - sonders an den Außenseiten der Oberschenkel eingestochen wurden . Der Schriftsteller, der zum Drogen- und Schlafmittelentzug häufig stationär behandelt wurde, mag bei diesen Zeilen auch an spätere Krankenhaus-Erfahrungen gedacht haben . Denn die Ära der schmerzhaften subkutanen Infusionen dauerte noch bis 1950 an . Als der verletzte junge Mann aus der Privatklinik entlassen worden war, wirkte er nach eigenen Aussagen nur noch wie ein Schatten seiner selbst und litt an heftigen Kopfschmerzen und Schwindelgefühlen , als Folge seiner Hirnerschütterung . Sein Gebiss war durch ein künstliches „Gestänge“ stabilisiert worden, an dem ein Zahnarzt zog, drückte und schraubte, um „Kraut und Rüben“ wieder in Ordnung zu bringen . Der Zahnmediziner empfahl ihm in sächsischer Mundart das Mundpflegemittel „Bäbbe Goh!“ . Es erwies sich nach einiger Verwirrung als das Präparat Pebeco, ein weltweit erfolgreiches Produkt der Firma Beiersdorf . Was Hans Fallada hier so launig berichtet , stellte nicht nur eine schlimme physische Erfahrung, sondern auch ein seelisches Trauma dar, das seine Pubertätskrise vertiefte . Sie hatte schon vor dem Unfall bei dem sexuell medizingeschichte Hans Falladas prägende Jahre in Leipzig und seine Drogensucht Ein Beitrag zu seinem 125. Geburtstag Abb . 1: Hans Fallada als Gymnasiast © Li te ra tu rz en tr um N eu br an de nb ur g, Ha ns -F al la da -A rc hi v 377Ärzteblatt Sachsen 08|2018 völlig unaufgeklärten Jungen mit der von ihm als Zwang empfundenen Selbstbefriedigung begonnen, die ihm als „ekelhaft“ und als etwas „ganz Fremdes“ erschien, das nicht zu ihm gehörte . Im Konfirmandenunterricht beschlichen ihn Zweifel an der Existenz eines gerechten Gottes und damit wohl auch an einer heilen Erwachsenenwelt . In der ersten Nacht nach dem Unfall verlor er, in der Erwartung im Morgengrauen sterben zu müssen, den Glauben an einen guten Gott . Und dennoch, so berichtete Rudolf Ditzen als 18-Jähriger , habe er hier zum letzten Mal – wohl um sein Leben – gekämpft . Seither habe Apathie eingesetzt . In dieser Identitätskrise glaubte er in den Schriften Friedrich Nietzsches (1844 – 1900) und vor allem Oskar Wildes (1854 – 1900) Halt zu finden, aus dessen Buch „Das Bildnis des Dorian Gray“ er den Namen Harry für sich entlehnte . Trotz der noch immer starken Kopfschmerzen konnte er bald die Untersekunda des Königin-Carola-Gymnasiums in der Leipziger Südstadt besuchen, das im zweiten Weltkrieg vollständig zerstört wurde . Er fand in Peter Krambach (1894 – ?) einen Gefährten und in Willi Burlage (1892 – 1943) einen treuen Freund, der Medizin studierte und dem Schriftsteller als helfender Psychiater Zeit seines Le bens verbunden blieb . Während die Leipziger Gefährten das einzelgängerische Wesen des jungen Träumers sicher günstig zu beeinflussen vermochten, bestärkte ihn der Briefwechsel mit seinem Brieffreund Hans Dietrich von Necker (1894 – 1911) aus Rudolstadt in dem geistigen Hochmut , den er aus tiefer innerer Verunsicherung in sich auszubilden begann . Auch seine plötzlich beginnende Neigung zu exzessivem Rauchen ordnet sich in dieses Ursachengefüge ein . Noch 30 Jahre später wird Hans Fallada schreiben: „Ich wollte zurück in die Gärten der Kindheit! Aber mir erging es, wie es allen ergeht: sind diese Gartenpforten erst einmal zugefallen, öffnet sie kein Schlüssel mehr .“ Wie schwer es ihm fiel, sich damit abzufinden und dies für sich anzunehmen, zeigen Formulierungen , die er als 24-jähriger junger Mann in einem Brief an seine acht Jahre ältere Freundin Anne Marie Seyerlen (1885 – 1971) gebrauchte . Darin heißt es: „Ich bin zurückgekrochen in Dich, in Deinem Bauche liegend, hast Du mich mit Deinem Herzblut genährt .“ Noch als 53-jähriger Mann wird er in einem Brief an seine Mutter voll bitterer Selbsteinsicht bekennen: „Irgendetwas in mir ist nie ganz fertig geworden, irgendetwas fehlt mir, so dass ich kein richtiger Mann bin, nur ein alt gewordener Gymnasiast, . . .“ (Abb . 2) . Eine Typhuserkrankung, diverse Suizidversuche und die Drogensucht Im Jahre 1910 nahm Rudolf Ditzen an einer Fahrt der „Wandervögel“ in die Niederlande teil, wonach er an Typhus erkrankte . Die Diagnose wurde vom Hausarzt der Familie Dr . Ernst Eggebrecht (1864 – 1953) gestellt, dem Vater des Journalisten und Schriftstellers Axel Eggebrecht (1899 – 1991) . Eine kausale Behandlung gab es für diese schwere Infektionskrankheit im Jahre 1910 noch nicht, sodass die Mortalitätsrate bei über 20 Prozent lag . Die Krankheit verläuft hoch fieberhaft und geht in der Anfangsphase mit Bradykardie und Sinnestrübungen einher . Rudolf Ditzen entwickelte in der Rekonvaleszenz -Phase erstmalig Suizidgedanken , die er Hans Dietrich von Necker mitteilte, der ihm bei einem Besuch mit einem Gift versorgte, das jedoch nicht die erhoffte Wirkung hatte . Als der noch geschwächte Jüngling den anderen bei der Tanzstunde zuschaute, fiel ihm Käthe Matzdorf (1894 – 1967) auf, mit der er eine recht unschuldige Beziehung einging . Gleichzeitig befiel ihn der Zwang, die Eltern der Freundin durch anonyme Briefe vor sich selbst zu warnen . Zwangsgedanken plagten ihn medizingeschichte Abb . 2: Hans Fallada (r .) mit Mutter und Bruder © Li te ra tu rz en tr um N eu br an de nb ur g, Ha ns -F al la da -A rc hi v 378 Ärzteblatt Sachsen 08|2018 schon seit Kindheitstagen, worüber er in seiner Autobiografie berichtet . Nachdem die Sache herausgekommen war, hegte er aus tiefem Schamgefühl erneut Suizidabsichten, die er seinem Freund Willi Burlage mitteilte, über dessen Eltern es Rudolfs Angehörige erfuhren . Auf eigenen Wunsch und zu seiner Sicherheit wurde er zunächst zu Verwandten nach Niedersachsen und dann in ein Sanatorium nach Bad Berka geschickt . Danach lebte er in Rudolstadt im Haushalt des Superintendenten Dr . Arnold Braune (1852 – 1932) sowie bei einem pensionierten Offizier und besuchte das dortige Gymnasium . Hier vertiefte sich sein freundschaftliches Verhältnis zu Hans Dietrich von Necker, der an „Seelenwanderung“ glaubte . Beide entschieden sich zu einem gemeinschaftlichen als Pistolenduell getarnten Suizid, den sie am Uhu- Felsen tatsächlich in Szene setzten . Dabei wurde der im Schießen geübte Freund erschossen, während sich Rudolf durch zwei eigene Schüsse schwer verletzte und sich hilferufend in die nächste Ortschaft rettete . Nach zehnwöchigem Krankenhausaufenthalt , bei dem er große Mengen Morphium zur Minderung der Schmerzen erhielt, nach Verhör und Anklage wurde er in der Universitätsklinik Jena von Prof . Otto Binswanger (1852 – 1929) begutachtet . Der namhafte Psychiater er klärte ihn zum Zeitpunkt der Tat für nicht schuldfähig, wobei er die Zwangsvorstellungen Rudolf Ditzens besonders hervorhob . Er sorgte für eine weitere stationäre Behandlung des jungen Mannes bei Dr . Arthur Tecklenburg (1870 – 1957) in Tannenfeld bei Altenburg , der ihm danach eine landwirtschaftliche Ausbildung vermittelte . So kam es, dass Rudolf Ditzen im ersten Weltkrieg in einer Kartoffelbauanstalt zunächst in Stettin und danach in Berlin arbeitete, wo er 1918 in einem Künstlerkreis den drogenabhängigen Wolfgang Parsenow kennenlernte, der ihn zum Drogenmissbrauch animierte . Der junge Dichter war dazu mehr als bereit . Hatte er doch schon im Jahre 1917 an die Freundin Anne Marie Seyerlen geschrieben: „Ich bin nicht der, den Du liebst . Bei mir ist alles haltlos und schwach, ewig wechselnd und krank .“ Einige Jahre später hat der Schriftsteller seine eigene Abhängigkeit in der frühen Erzählung „Sachlicher Bericht über das Glück ein Morphinist zu sein“ psychologisch genau beschrieben . Er schildert darin die Jagd nach dem Rauschgift mit Hilfe gefälschter Re - zepte, beschreibt die Gier, den Selbstbetrug , die peinigende Unruhe und die Feigheit des Süchtigen, das Glück beim Einstich der Nadel und die Angst um den Nachschub des „Benzin“ genannten Rauschgiftes . Morphium nennt er „eine stille, sanfte Freude“, Kokain aber „ein rotes, reißendes Tier“ . Erst nach einem Suizidversuch entschloss sich Rudolf Ditzen im September 1919 zur Entzugstherapie und wurde bis zum Mai 1920 zunächst in Tannenfeld und Carlsfeld bei Brehna, danach in Rinteln und Stralsund stationär behandelt . Die Morphiumsucht überwand er, wie er 1924 in seinem Tagebuch vermerkte: „unter Geheul, Geschrei und mit schrecklicher Anstellerei“ . Nikotin, Alkohol und Schlafmittel dienten ihm als Ersatzdrogen . Um sie und seinen aufwändigen Lebensstil zu finanzieren, beging er Unterschlagungen und wurde zu Haftstrafen verurteilt . Gestützt von seiner langjährigen Gefährtin „Suse“, fand er jedoch zu produktiver Arbeit als Schriftsteller, wobei es ihm gelang, geniale Werke, wie „Kleiner Mann – was nun?“, zu schaffen . Sie entstanden in jeweils kurzer Zeit in einem wahren Schaffensrausch, den er jedoch trotz ständiger Einnahme Barbiturat-haltiger Sedativa mit Schlaflosigkeit und Klinikaufenthalten bezahlen musste, die der Freund und Psychiater Willi Burlage vermittelte . In den letzten Kriegsjahren lernte er die junge drogenabhängige Ursula Losch (1921 – 1958) kennen, heiratete sie und geriet selbst wieder in den Bann des Rauschgiftes . Kurz nach dem Ende der Nazidiktatur erhielt er die Prozessakte eines Ehepaares , das vom Volksgerichtshof wegen der Verteilung von Flugblättern zum Tode verurteilt und hingerichtet worden war . Sie diente ihm als Vorlage für seinen Roman „Jeder stirbt für sich allein“ . In diesem seinem letzten großen Werk gelang ihm die geniale Darstellung der Innensicht einer Diktatur . Darin hat Fallada sicher auch sein Leben im „Dritten Reich“ reflektiert, das von Distanz, partieller Anpassung und einer Haft im Jahre 1944 bestimmt war, wo er der Einweisung in eine psychiatrische „Pflegeanstalt“ nur knapp entging . Den umfangreichen Roman schrieb er 1946 innerhalb von 24 Tagen . Als er am 5 . Februar 1947 starb, war er noch nicht erschienen . Eine textkritische Neuauflage im Jahre 2011 war weltweit erfolgreich . So hat dieses schmerzliche, schwierige und schuldbeladene Leben einen Sinn erhalten, der weit über unsere Tage reichen wird . Dr . med . Dietmar Seifert, Delitzsch medizingeschichte KA 6-15054 Anlagen.pdf KA 6-15054 Anlage 11.pdf Inhalt Suchtgefahren frühzeitig erkennen Sucht und Drogen Epidemiologie suchtbezogener Problemlagen und Struktur der Versorgung suchtkranker Menschen in Sachsen Abstinenz versus kontrollierter Konsum – Therapieziel bei Abhängigkeit „Mama denk‘ an mich“ (MAMADAM) Auswege und Hilfen für suchtkranke Kinder und Jugendliche Aktuelle Nachweismethoden von Substanzkonsum Nikotin und Gesellschaft Internetabhängigkeit – Symptom der Zeit? Cannabiseinsatz in der Schmerz- und Palliativmedizin – Mythen und Fakten Drogennotfälle in der Psychiatrie Cannabis: Potential und Risiken Satzung zur Änderung der Berufsordnung der Sächsischen Landesärztekammer Konzerte und Ausstellungen 23. Sächsisches Seniorentreffen 2018 Treffen der Studienabgänger von 1967 an der Universität Leipzig 2018 Seniorentreffen der KÄK Dresden Ausschreibung von Vertragsarztsitzen Abgabe von Vertragsarztsitzen Jubilare im September Hans Falladas prägende Jahre in Leipzig und seine Drogensucht 2018-11-12T10:37:03+0100 GRP: Elektronisches Dokumentations- und Archivsystem Erstellung des Nachweisdokumentes