STAATSMINISTERIUM DES iNNERN SÄCHSISCHES STAATSMINISTERIUM DES INNERN 01095 Dresden Präsidenten des Sächsischen Landtages Herrn Dr. Matthias Rößler Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 01067 Dresden Kleine Anfrage der Abgeordneten Juliane Nagel (DIE LINKE) Drs.-Nr.: 6/15378 Thema: Abschiebung und Familientrennung trotz Prüfung von Duldungsgründen laut Fantasiepapier Sehr geehrter Herr Präsident, den Fragen sind folgende Ausführungen vorangestellt: „Am 17. Oktober ist eine Familie mazedonischer Staatsbürgerschaft durch Abschiebung getrennt worden. Die Ehefrau und der volljährige Sohn wurden abgeschoben, der Vater war auf Reisen und befindet sich noch im Wohnort der Familie im Landkreis Nordsachsen. Die Familie hatte laut Information der Fragestellerin gegenüber der lokalen Ausländerbehörde signalisiert, dass sie ‚freiwillig ausreisen‘ werde. lm Juli 2018 wurden der Familie Fantasiepapiere oder auch ,Bescheinigungen über den vorübergehenden Aufenthalt ohne amtliches Aufenthaltsdokument ‘ ausgestellt, als Grund ist die ‚Prüfung von Duldungsgründen angegeben.‘ Die Gültigkeit der Fantasiepapiere wurde bis Oktober 2018 vermerkt. Die Familie hatte sich darauf verlassen. Laut § 60a Abs.5 AufenthG ist die Abschiebung mindestens ein Monat vor Vollzug anzukündigen wenn eine Duldung länger als ein Jahr vorlag.“ Namens und im Auftrag der Sächsischen Staatsregierung beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1: War die Familientrennung kalkuliert oder spontan durchgeführt worden , wie alt waren die Betroffenen und warum wurde die Familie getrennt und abgeschoben obwohl der Ausländerbehörde gegenüber bekundet wurde, dass sie „freiwillig ausreisen“ wolle? Es war geplant, am 17. Oktober 2018 die aus drei Personen bestehende Familie abzuschieben. Nachdem der Familienvater (48 Jahre) am Tag der Abschiebung nicht angetroffen wurde, wurden nur die Mutter (44 Jahre) und der Sohn (22 Jahre) abgeschoben. Abschiebungshindernisse bestanden nach Aktenlage nicht. i‚—_11 Freistaat4—1 SACHSEN Der Staatsminister Aktenzeichen (bitte bei Antwort angeben) 2-1053/42/283 Dresden, 11. Dezember 2018 Hausanschrift: Sächsisches Staatsministerium des Innern Wilhelm-Buck—Str. 2 01097 Dresden Telefon +49 351 564-0 Telefax +49 351 564-3199 www.smi.sachsen.de Verkehrsanbindung: Zu erreichen mit den Straßenbahnlinien 3, 6. 7, 8, 13 Besucherparkplätze: Bitte beim Empfang WilheIm-Buck- Str. 2 oder 4 melden. STAATSNIINISTERiUM DES iNNERN _„.L „fl ‘.__\ _i -..“urlL'} Hinsichtlich der freiwilligen Ausreise ist anzumerken, dass zu keinem Zeitpunkt ein Antrag auf freiwillige Ausreise durch den 0. g. Familienverband begehrt oder gestellt worden ist. Es wurde lediglich der Wunsch geäußert, dass im Falle einer geplanten Abschiebung die Ausländerbehörde Nordsachsen darüber informieren solle, damit im Weiteren dann eine freiwillige Ausreise beantragt werden könne. Daraufhin wurde der Mutter erklärt, dass die seit Jahren bestehende Ausreisepfiicht nach wie vor existent sei. Gleichzeitig wurde ihr die Möglichkeit eröffnet, einen solchen Antrag sofort zu stel— len. Dies wurde abgelehnt. Eine glaubhafte Bekundung des Wunsches zur freiwilligen Ausreise lag damit nicht vor. 'Frage 2: Lagen die angeführten Voraussetzungen des § 60a Abs. 5 AufenthG vor, wurden sie überhaupt geprüft und wenn nein, warum und wenn ja, wurde die Abschiebung dementsprechend angekündigt? Die Prüfung der Voraussetzungen des § 60a Abs. 5 Satz 4 Aufenthaltsgesetz erfolgte in der Landesdirektion Sachsen (LDS) mit dem Ergebnis, dass eine erneute Ankündi— gung der Abschiebung nicht notwendig war. Frage 3: Hatte die Ausländerbehörde die Familie über den Ausgang der Prüfung der Duldungsgründe informiert beziehungsweise war die Prüfung überhaupt abgeschlossen , als es zur Abschiebung und Familientrennung kam, und wenn nein, wie erklärt sich das Staatsministerium des Inneren das Vorgehen der Ausländerbehörde ? Die Prüfung, ob bei den betroffenen Personen Duldungsgründe vorlagen, ergab, dass Duldungsgründe nicht bzw. nicht mehr vorlagen. Bis zum Zeitpunkt der Abschiebung am 17. Oktober 2018 sind der Ausländerbehörde keine Duldungsgründe bekannt ge— worden und wurden von der Familie auch nicht vorgetragen. Frage 4: Welche Maßnahmen hat das Staatsministerium des Inneren ergriffen, die die einheitliche und konforme Umsetzung des Erlasses in den Ausländerbehörden gewährleisten ? Der Erlass des Sächsischen Staatsministeriums des Innern vom 20. April 2018 über die Ausstellung einer Bescheinigung über den vorübergehenden Aufenthalt ohne amtliches Aufenthaltsdokument ist am 1. Mai 2018 in Kraft getreten. Seit diesem Stichtag stellen die sächsischen Ausländerbehörden die Bescheinigung über den vorübergehenden Aufenthalt ohne amtliches Aufenthaltsdokument in den dort beschriebenen Fallkonstellationen aus. Der Erlass war u. a. auch Gegenstand der letzten Dienstberatung mit den Ausländerbehörden im November 2018. Im Rahmen des VenNaltungsvollzugs auftretende Fragen zur Umsetzung des Erlasses werden im Rahmen der Fachaufsicht beantwortet . Seite 2 von 4 ‘‚—_—1 FreistaatSACHSEN (ffi Freistaat: SACHSENSTAATSMINISTERIUMDES 'INNERN Frage 5: Wie viele weitere Menschen wurden seit Einführung des entsprechenden Erlasses abgeschoben, obwohl laut Fantasiepapier die Prüfung der Duldungsgründe noch ausstand? Es wird darauf hingewiesen, dass die Bescheinigung über den vorübergehenden Auf—enthalt ohne amtliches Aufenthaltsdokument wegen der Prüfung, ob Duldungsgründe vorliegen, nicht zwangsläufig bis zum Ablauf ihrer Gültigkeitsdauer zur Aussetzung aufenthaltsbeendender Maßnahmen führt. Liegen im Ergebnis der Prüfung keine Duldungsgründe vor, steht die im Vorfeld erteilte Bescheinigung dem Vollzug der Abschiebung nicht entgegen. Zehn Ausländerbehörden erteilten Fehlmeldung. Eine Ausländerbehörde teilte mit, dass die Frage innerhalb der für die Beantwortung gesetzten Frist nicht möglich sei, da aufgrund einer mangelnden elektronischen Auswertbarkeit ein händischer Abgleich aller Akten von abgeschobenen Personen erfolgen müsse. Von zwei weiteren Ausländerbehörden wurde jeweils ein Fall gemeldet, in dem die Betroffenen zum Zeitpunkt der Abschiebung im Besitz einer Bescheinigung über den vorübergehenden Aufenthalt ohne amtliches Aufenthaltsdokument zum Zweck der Prüfung von Duldungsgründen waren. In einem der beiden Fälle handelte es sich um eine fehlerhafte Angabe, da es sich um einen Fall der Abschiebungsanordnung nach § 343Asylgesetz handelte. Die Prüfung obliegt in diesem Fall ausschließlich dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. In dem anderen Fall ergab die Prüfung, dass keine Dul— dungsgründe vorlagen. Einer Abschiebung standen daher keine Hindernisse entgegen. Von einer weitergehenden Beantwortung der Frage seitens der Staatsregierung wird abgesehen. Gemäß Artikel 51 Abs. 1 Satz 1 der Verfassung des Freistaates Sachsen ist die Staats— regierung verpflichtet, Fragen einzelner Abgeordneter oder parlamentarische Anfragen nach bestem Wissen unverzüglich und vollständig zu beantworten. Nach dem Grundsatz der Verfassungsorgantreue ist jedes Verfassungsorgan verpflichtet, bei der Ausübung seiner Befugnisse den Funktionsbereich zu respektieren, den die hierdurch mitbetroffenen Verfassungsorgane in eigener Verantwortung wahrzunehmen haben. Dieser Grundsatz gilt zwischen der Staatsregierung und dem Parlament sowie seinen ein— zelnen Abgeordneten, so dass das parlamentarische Fragerecht durch die Pflicht der Abgeordneten zur Rücksichtnahme auf die Funktions- und Arbeitsfähigkeit der Staats-regierung begrenzt ist. Die Staatsregierung muss nur das mitteilen, was innerhalb der Antwortfrist mit zumutbarem Aufwand in Erfahrung gebracht werden kann (vgl. Säch— VerfGH, Urteil vom 16. April 1998, Vf. 14-1—97). Die LDS führt keine Statistiken darüber, ob abgeschobene Personen im Besitz einerBescheinigung über den vorübergehenden Aufenthalt ohne amtliches Aufenthaltsdokument sind. Zur sachgerechten Beantwortung der Frage wäre eine händische Auswertung aller Akten der insgesamt 660 Abschiebungen seit dem Inkrafttreten des Erlasseserforderlich. Für die Auswertung ist pro Akte ein Gesamtaufwand von durchschnittlich einer Stunde zu veranschlagen. Hieraus ergibt sich ein Arbeitsaufwand von insgesamt 660 Arbeitsstunden, d. h. von mehr als 16 Wochen zu je fünf Arbeitstagen. Die Mitar— beiter der LDS stünden für die Kernaufgaben nicht oder nur eingeschränkt zur Verfügung . Seite 3 von 4 STAATSMINISTERIUM DES INNERN Die Staatsregierung kam daher bei der vorzunehmenden Abwägung zwischen dem parlamentarischen Fragerecht einerseits und der Gewährleistung der Funktionsfähig— keit der sächsischen Verwaltung andererseits zu dem Ergebnis, dass eine vollständige Beantwortung der Frage auch unter Berücksichtigung des hohen Rangs des parlamentarischen Fragerechts unverhältnismäßig und ohne Einschränkung der Funktionsfähig-keit der genannten Behörden nicht zu leisten ist. fr ndliche Grüßen D.rRoland Wöller Seite 4 von 4 ——v FreistaatSACHSEN 2018-12-11T09:48:46+0100 GRP: Elektronisches Dokumentations- und Archivsystem Erstellung des Nachweisdokumentes