STAATSMINISTERIUM DER JUSTIZ SACHSISCHES STAATSMIN ISTERIUM DER JUSTIZ Hospitalstraße 7 I 01097 Dresden Präsidenten des Sächsischen Landtages Herrn Dr. Matthias Rößler Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 01067 Dresden Kleine Anfrage des Abgeordneten Klaus Bartl (DlE LINKE) Drs.-Nr.: 6/16667 Thema: Einsatz von Polygraphen (,,Lügendetektoren") durch die Justiz in Sachsen Sehr geehrter Herr Präsident, den Fragen sind folgende Ausführungen vorangestellt: ,,Vorbemerkung: Die Bundeskoordinierung Spezialisierter Fachberatung gegen sexualisierte Gewalt in Kindheit und Jugend (BKSF) sowie andere ähnliche Trägerkooperationen sozialpädagogischer Kinder- und Frauenprojekte kritisieren , dass, vermeintlich anders als in sämtlichen anderen Bundesländern , in Sachsen sowohl durch Strafgerichte als auch im Bereich der Familiengerichtsbarkeit so genannte Polygraphentests bzw. Lügendetektortests zttr Anwendung kommen (https://www. bundeskoordinierung .de/de/article/118.einsatz-von-l%C3%BCgendetektoren-vor-gerichtunzul %C37oA4ssig-und-unbeeignet.html). Polygraphen wollen anhand körperlicher Reaktionen der Proband_innen wie Herzschlag, Atmung und lntensität der Transpiration feststellen, ob die Proband_innen lügen. Das Bundesverfassungsgericht hat in einer nach Wissen des Fragestellers bis heute nicht aufgehobenen oder korrigierten Entscheidung (BVerfG Dreierausschussbeschluss vom 18. August 1981 - 2 BvR 166/81 -, iuris) die Seite 1 von 5 Freistaat SACHSEN Der Staatsminister Durchwahl Telefon +49 351 564 15000 Telefax +49 351 564 15009 Staatsminister@ smj.justiz.sachsen.de* Aktenzeichen (bitte bei Antwort angeben) 1040E/13/1475 - KLR- Dresden, J,Mär22019 w TOB MIT e o wratwrrJoB-M|T-J.DE Hausanschr¡ft: Sächsisches Staatsministerium der Just¡z Hospitalstraße 7 01097 Dresden Br¡efpost uber Deutsche Post 01095 Dresden www.justiz.sachsen.de/smj Verkehrsverbindung Zu erreichen mit Straßenbahnlinien 3,6,7,8,11 Parken und behindêrtongerechtêr Zugang über Einfahrt Hospitalstraße 7 Hinweise zum Datenschutz erhalten Sie auf unserer lnternetseite . Auf Wunsch senden wir lhnen diese H¡nweise auch zu. *Zugang tür elektronisch signierte sow¡e lür vorschlüsselte elektronische Dokumente nur per EGVP, beBPo oder De-Mail; nåhere lnformationen zur eleklronischen Kommunikalion mit såchs¡schen Just¡zb€hörden untsr www.iust¡z.sâchsen.de/F- Kommun¡kalion. " JUSTIZVOLLZUGSBEAMTE STAATSMINISTERIUM DER JUSTIZ Freistaat SACHSENw Verwendung eines Lügendetektors für unzulässig erklärt, weil eine derartige n,Durchleuchtung" der Person den Untersuchten zu einem bloßen Anhängsel eines Apparates werden lässt und deshalb in unzulässiger Weise in das durch Artikel 2 Abs. 1 i. V. m. Artikel I Abs. I GG geschützte Persönlichkeitsrecht des Betroffenen eingreift, das der Wahrheitsforschung im gerichtlichen Verfahren Grenzen setzt." Namens und im Auftrag der Sächsischen Staatsregierung beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1: lst es zutreffendn dass durch Gerichte im Freistaat Sachsen so genannte polygraphische Untersuchungen bzw. Lügendetektortests zur Anwendung kommen und wenn jan in wie vielen Fällen und durch welche Gerichte geschah dies bislang ? Frage 2: Was war jeweils Gegenstand des Verfahrens, in dem sächsische Gerichte von Polygrapheny'Lügendetektortests Gebrauch machten und auf welche Erkenntnisgewinnung im Einzelfall zielte die betreffende polygraphische Untersuchung ab? Zusammenfassende Antwort auf die Fragen 1 und 2: Vorbemerkung: Es wird davon ausgegangen, dass von der Fragestellung lediglich solche Verfahren umfasst sind, in denen Tests mit Polygraphen/Lügendetektoren Gegenstand der Beweiserhebung der Gerichte waren, nicht hingegen Fälle, in denen sich Verfahrensbeteiligte eigeninitiativ und auf eigene Kosten solchen Tests unterzogen und deren Ergebnis als Parteivortrag eingeführt haben. Statistische Daten zur Anzahl der Verfahren, in denen sächsische Gerichte das Ergebnis von Tests mittels Polygraphen/Lügendetektoren zum Gegenstand ihrer Beweisaufnahme gemacht haben, liegen der Staatsregierung nicht vor. Seite 2 von 5 STAATSMINISTERIUM DER JUSTIZ Freistaat SACHSENw Allerdings ergab eine Abfrage im Geschäftsbereich zu den Fällen, in denen den dort tätigen Richtern der Einsatz eines Polygraphen/Lügendetektors noch erinnerlich ist, dass dies im Geschäftsbereich des Oberlandesgerichts Dresden in Einzelfällen der Fall war. Zur Darstellung des Ergebnisses der Abfrage wird auf die Anlage verwiesen. Eine darüber hinausgehende Beantwortung der Fragen kann wegen des hierfür erforderlichen unverhältnismäßigen Aufwandes nicht erfolgen. Die erbetenen Angaben werden weder statistisch erfasst noch in den Datenbanken der sächsischen Gerichte gesondert ausgewiesen. Es wären daher umfangreiche und zeitaufwendige Recherchen in den Aktenbeständen der sächsischen Gerichte und - soweit Strafverfahren betroffen sind - der sächsischen Staatsanwaltschaften erforderlich. Zur vollständigen Beantwortung der Frage müssten alle Verfahrensakten beigezogen und insoweit händisch ausgewertet werden. Dabei ist der Zeitaufwand für das Ziehen der Akten aus den Geschäftsstellen und Archiven, der Aufwand zur Beiziehung versendeter Akten, das Auswerten der Akten und die schriftliche Dokumentation des gefundenen Ergebnisses zu berücksichtigen. Für diese Auswertung der Akten ist von einem Arbeitsaufwand von durchschnittlich mindestens 30 Minuten je Akte auszugehen. Hinsichtlich der Anzahl der Akten sämtlicher Verfahren , die beispielsweise allein in der ordentlichen Gerichtsbarkeit in den Jahren 2014 bis 2018 geführt wurden, wird auf die nachfolgende Tabelle verwiesen: 201 8Jahroanq 2014 2015 201 6 2017 Verfahren insqesamt 476.968 562.487 727.471 748.595 711.212 Allein für das Jahr 2018 müssten hiernach in der ordentlichen Gerichtsbarkeit 711.212 Akten einer manuellen Einzelauswertung unterzogen werden, wofür ein zeitlicher Aufwand von mindestens 44.451 Arbeitstagen für einen in Vollzeit tätigen Mitarbeiter erforderlich würde. Frage 3: lst es zutreffend, dass außer in Sachsen die Gerichte im gesamten Bundesgebiet auf den Einsatz des Polygraphen-/Lügendetektortestes generell verzichten, weil sie darin in Übereinstimmung mit dem Bundesverfassungsgericht sowie der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes und des Bundesverwaltungsgerichtes (vgf. u.a. BGH, Urteil vom 17. Dezember 1998 - 1 StR 156/98 -, BGHST 44,308-328 Seite 3 von 5 STAATSMINISTERIUM DER JUSTIZ Freistaat SACHSENw sow¡e BGH, Beschluss vom 30. November 2010 - I StR 509/10 -, iuris) als ungeeignetes Beweismittel und eine Verletzung des Rechts auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren erachten? Von einer Beantwortung der Frage wird abgesehen. Die Staatsregierung ist nur in solchen Angelegenheiten zur Auskunft gegenüber dem Landtag und den Angeordneten verpflichtet, die in ihre Zuständigkeit fallen. Dies ist hier nicht der Fall. Frage 4: Womit rechtfertigen Gerichte in Sachsen, die in straf- oder familienrechtlichen Verfahren Polygraphentests zum Einsatz bringen bzw. die Verwertbarkeit von Ergebnissen von Lügendetektortests bejahen, ihre von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofes abweichende Rechtsauffassung und inwieweit erachtet die Staatsregierung diese Abweichung ihrerseits als verfassungskonform? Von einer Beantwortung der Frage wird abgesehen. Gemäß Artikel 50 der Verfassung des Freistaates Sachsen ist die Staatsregierung verpflichtet, den Landtag über ihre Tätigkeit insoweit zu informieren, als dies zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich ist. Dieser lnformationspflicht entspricht das Frage- und Auskunftsrecht der Abgeordneten gegenüber der Staatsregierung nach Artikel 51 der Verfassung des Freistaates Sachsen . Die Staatsregierung ist dem Landtag und den Abgeordneten nur für ihre Amtsführung im Sinne einer Rechenschafts- und Einstandspflicht für eigenes Handeln verantwortlich . Sie ist daher nur in solchen Angelegenheiten zur Auskunft verpflichtet, die in ihre Zuständigkeit fallen und muss nicht auf Fragen eingehen, die Vorgänge oder Umstände außerhalb ihres Verantwortungsbereichs betreffen (vgl. SachsAnhVerfG, Urteil vom 17. Januar 2000, NVwZ 2000, 671), Letzteres ist hier der Fall, denn aufgrund des verfassungsrechtlich verankerten Gewaltenteilungsprinzips , das wesentliches Merkmal eines demokratischen Rechtsstaates ist, ist die Verhandlungsführung den Richtern vorbehalten und der Staatsregierung sowohl eine Einflussnahme auf diese als auch eine Bewertung derselben verwehrt. Das zuständige Gericht entscheidet im jeweiligen Einzelfall über die Art und den Umfang der Beweiserhebung in richterlicher Unabhängigkeit (Artikel 97 Grundgesetz, Artikel 77 Seite 4 von 5 STAATSMINISTERIUM DER JUSTIZ Freistaat SACHSENlw Abs. 2 Verfassung des Freistaates Sachsen) und ist hierbei weder an Anträge der Staatsanwaltschaft noch an Anträge von Angeklagten, Verteidigern / Rechtsanwälten und Parteien gebunden. Verfahrensleitende Verfügungen und Anordnungen sowie Entscheidungen des Gerichts unterliegen daher nicht dem Auskunftsrecht des Abgeordneten im Rahmen einer Kleinen Anfrage. Von einer Beantwortung des zweiten Teils der Frage wird zudem abgesehen, weil sie auf eine Bewertung gerichtet ist, die die Staatsregierung bisher nicht getroffen hat. Zur Abgabe einer Bewertung ist die Staatsregierung nicht verpflichtet. Frage 5: Hat die Staatsregierung Erkenntnisse, dass auf dem Territorium des Freistaates Sachsen derartige Polygraphen- bzw. Lügendetektorentests über die Anwendung durch einzelne Straf- und Familiengerichte hinaus noch in anderen Verfahrensformen bzw. -arten, etwa in strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, verwaltungsrechtlichen Verfahren bzw. in Verfahren im Zusammenhang mit der Vorbereitung von behördlichen Entscheidungen etc. zum Einsatz kommen und wenn ja, in welchen konkreten Fällen? Polygraphen- bzw. Lügendetektortests kommen im Freistaat Sachsen - über die Anwendung durch Straf- und Familiengerichte hinaus - in anderen Verfahrensformen, wie etwa in strafrechtlichen Ermittlungsverfahren und verwaltungsrechtlichen Verfahren beziehungsweise im Zusammenhang mit der Vorbereitung von behördlichen Entscheidung nicht zur Anwendung. Mit freundlichen Grüßen Sebastian Gemkow Anlage Tabellarische Auflistung zu den Fragen 1 und 2 Seite 5 von 5 Gericht Anzahl der Verfahren Gegenstand der Verfahren Erkenntnisziel Oberlandesgericht Dresden 1 familiengerichtliches Sorgerechtsverfahren Bewertung der Glaubhaftigkeit des Prozessvorbringens von Verfahrensbeteiligten Amtsgericht Bautzen 14 3 Strafverfahren wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung 11 familiengerichtliche Verfahren, davon 10 zum elterlichen Sorge- und Umgangsrecht und 1 Scheidungsverfahren Bewertung der Glaubhaftigkeit der Angaben von Beschuldigten und Zeugen Bewertung der Glaubhaftigkeit des Prozessvorbringens von Verfahrensbeteiligten Amtsgericht Chemnitz 7 6 familiengerichtliche Sorgerechtsverfahren und 1 Verfahren zum Umgangsrecht Bewertung der Glaubhaftigkeit des Prozessvorbringens von Verfahrensbeteiligten Amtsgericht Dresden 14 familiengerichtliche Verfahren zum Umgangsund Sorgerecht Bewertung der Glaubhaftigkeit des Prozessvorbringens von Verfahrensbeteiligten Amtsgericht Döbeln 1 familiengerichtliches Sorgerechtsverfahren Bewertung der Glaubhaftigkeit des Prozessvorbringens eines Verfahrensbeteiligten Amtsgericht Freiberg 1 familiengerichtliches Sorgerechtsverfahren Bewertung der Glaubhaftigkeit des Prozessvorbringens eines Verfahrensbeteiligten Landgericht Zwickau 1 Strafverfahren wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung Bewertung der Glaubhaftigkeit der Angaben des Beschuldigten KA6-16667 KA6-16667-Anlage 2019-03-07T09:29:39+0100 GRP: Elektronisches Dokumentations- und Archivsystem Erstellung des Nachweisdokumentes