Freistaat STAATSMINISTERiUM DES INNERN SACH SEN Der Staatsminister SÄCHSISCHES STAATSMiNiSTERIUM DES INNERN 01095 Dresden Aktenzeichen (bitte bei Antwort angeben) 3-1053/75/21 Präsidenten des Sächsischen Landtages Dresden, 12. März 2019 Herrn Dr. Matthias Rößler Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 01067 Dresden Kleine Anfrage der Abgeordneten Juliane Nagel (DIE LINKE) Drs.-Nr.: 6I16708 Thema: Versuchte Abschiebung eines Menschen tunesischer Staatsbürgerschaft und möglichenNeise rechtswidrige Hausdurchsuchung bei einer seiner Bekannten in Leipzig Sehr geehrter Herr Präsident, den Fragen sind folgende Ausführungen vorangestellt: „Am 06. Februar 2019, etwa 7 Uhr am Morgen, stehen Polizeibeamt*innen vor der Wohnung einer Frau deutscher Staatsbürgerschaft. Die Beamt*innen eröffnen ihr, dass sie einen Mann tunesischer Staatsbürgerschaft abschieben wollen, der offenbar für die Sammelabschiebung nach Tunesien ab dem Flughafen Leipzig! Halle am selben Tag vorgesehen ist. Die Frau will nicht dass die Beamt*innen die Wohnung betreten, dennoch lassen sie nicht locker, schlussendlich lässt die Frau die Polizei ihre Wohnung betreten. Es erfolgt eine Durchsuchung ihrer Privaträume nach dem Mann tunesischer Staatsbürgerschaft. Die Durchsuchung erfolgt nicht ‚nur‘ durch bloßes Anschauen der Zimmer, auch in Schränke, unter das Bett, etc. wird geschaut. Die Beamt*innen verlassen die Wohnung und kehren zwei Stunden später zurück. Erneut verlangen sie Eintritt, zu diesem Punkt besteht die Frau darauf, dass man ihr einen Beschluss vorzeige. Die Frau ist mit dem Menschen tunesischer Staatsbürgerschaft weder verheiratet noch vewvandt. Ihre Adresse gab sie im Zuge von Verwaltungsvorgängen gegenüber der Ausländerbehörde Leipzig an. Sie kann sich nur so erklären, dass die Polizei überhaupt bei ihr auftauchte.“ Namens und im Auftrag der Sächsischen Staatsregierung beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Hausanschrift: Sächsisches Staatsministerium des Innern Wilhelm-Buck—Sir. 2 01097 Dresden Telefon +49 351 564-0 Telefax +49 351 564-3199 www.smi.sachsen.de Verkehrsanbindung: Zu erreichen mit den Straßenbahnli— nien 3, 6, 7, 8, 13 Besucherparkplätze: Bitte beim Empfang Wilhelm-BuckStr. 2 oder4 melden. STAATSMiNiSTERiUM DES iNNERN Frage 1: Auf welcher Rechtsgrundlage fand die Durchsuchung der Wohnung statt und warum war, da die Adresse der Frau offenbar über die Ausländerbehörde an die Polizei gelangt sein muss, nicht wenigstens an § 105 Abs. 2 StPO angelehnt, ein*e Vertreter*in der Ausländerbehörde anwesend beziehungsweise hat sich gegenüber der Frau nicht ausdrücklich erkenntlich gegeben? Der Beantwortung der Frage ist voranzustellen, dass die Landesdirektion Sachsen (LDS) trotz intensiver Bemühungen und Rücksprache mit dem Polizeivollzugsdienst (PVD) der Polizeidirektion (PD) Leipzig die in der Anfrage benannte Person nicht zweifelsfrei einem konkreten Vorgang zuordnen kann. Dementsprechend wird die Frage in allgemeiner Form beantwortet. Die PD Leipzig handelt bei Abschiebungen in Vollzugshilfe für die LDS. Die Anordnun— gen der LDS ergehen auf Rechtsgrundlage des VenNaltungsvolIstreckungsgesetzes für den Freistaat Sachsen. Entsprechende Adressen zur Prüfung bei Abschiebungen werden mit den Anordnungen der LDS übersendt. Die polizeilichen Maßnahmen im Zusammenhang mit Abschiebungen im Bereich der PD Leipzig beschränkten sich am 6. Februar 2019 ausschließlich auf freiwilliges Nachschauen durch Betreten der entsprechenden Räumlichkeiten. Frage 2: Auf Grund welcher Rechtsgrundlage geben Ausländerbehörden ihnen vorliegende Daten von Dritten, wie Unterstützer*innen‚ an Polizeibehörden weiter? Werden der LDS Anschriften bekannt, die auf den möglichen Aufenthaltsort des Betroffenen hinweisen, werden diese Anschriften auf Grundlage des § 90 Abs. 7 Aufenthaltsgesetz an die Polizeibehörden zur Durchsetzung der Vollstreckungsmaßnahme, hier der Abschiebung, weitergeleitet. Frage 3: In welcher Hinsicht rechtfertigt das Angeben von Privatadressen von Unterstützer*innen geflüchteter Menschen das Durchsuchen ihrer Wohnungen im Falle der geplanten Abschiebung der unterstützten, geflüchteten Menschen mit Blick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und wird das Staatsministerium des Inneren den sächsischen Polizeibehörden künftig untersagen, nach eigenem Ermessen Art. 13 GG auszusetzen? Die Bewertung der Verhältnismäßigkeit einer polizeilichen Maßnahme kann weder pauschal noch generell erfolgen. Solche Einschätzungen bedingen die Betrachtung des jeweiligen Einzelfalles. Insbesondere hat die Berücksichtigung relevanter Faktoren zu erfolgen, wie beispielsweise Art und Umfang der im Vorfeld vorliegenden Informationen zur abzuschiebenden Person, ihrer möglichen Aufenthaltsorte sowie Lebens-, Beziehungs- und Wohnverhältnisse. Diese Informationen bestimmen die rechtlichen Möglichkeiten und Betrachtungen zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Seite 2 von 4 Freistaat SACH SEN STAATSMiNiSTERiUM DES iNNERN _ . SACHSEN Frage 4: Wie oft sind Haus- und Wohnungsdurchsuchungen seit dem 01. Januar 2015 von Unterstützer*innen geflüchteter Menschen im Zuge von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen bereits vorgekommen (bitte aufschlüsseln nach Landkreise und kreisfreie Städte)? Von einer Beantwortung seitens der Staatsregierung wird abgesehen. Gemäß Artikel 51 Absatz 1 Satz 1 der Verfassung des Freistaates Sachsen ist die Staatsregierung verpflichtet, Fragen einzelner Abgeordneter oder parlamentarische Anfragen nach bestem Wissen unverzüglich und vollständig zu beantworten. Nach dem Grundsatz der Verfassungsorgantreue ist jedes Verfassungsorgan verpflichtet, bei der Ausübung seiner Befugnisse den Funktionsbereich zu respektieren, den die hierdurch mitbetroffenen Verfassungsorgane in eigener Verantwortung wahrzunehmen haben. Dieser Grundsatz gilt zwischen der Staatsregierung und dem Parlament sowie seinen einzelnen Abgeordneten, so dass das parlamentarische Fragerecht durch die Pflicht der Abgeordneten zur Rücksichtnahme auf die Funktions— und Arbeitsfähigkeit der Staatsregierung begrenzt wird. Die Staatsregierung muss nur das mitteilen, was inner— halb der Antwortfrist mit zumutbarem Aufwand in Erfahrung gebracht werden kann (vgl. SächsVerfGH, Urteil vom 16. April 1998, Vf. 14-1-97). Die erfragten Daten sind nicht automatisiert recherchierbar. Dennoch wurde unter Abwägung der Wahrung des Fragerechts der Abgeordneten die Beantwortung der Kleinen Anfrage angestrengt. Hierzu wurden Recherchen bei den betroffenen Polizeidienststellen geführt. Generell wird zu Begleitmaßnahmen bei der Realisierung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen keine Statistik geführt. Durchsuchungen als polizeiliche Maßnahmen werden im Rahmen des jeweiligen Verfahrens in der Integrierten Vorgangsbearbeitung der sächsischen Polizei dokumentiert. Unbenommen der Tatsache, dass den Polizeidienststellen keine Legaldefinition für den Begriff „Unterstützer*innen“ vorliegt, wird keine gesonderte Erfassung im Sinne der Fragestellung vorgenommen. Es ist demnach erforderlich, die Vorgänge zu jeder seit dem 1. Januar 2015 für die Abschiebung vorgesehenen Person einzeln manuell zu sichten. Die Auswertung eines Eintrages dauert durchschnittlich fünf Minuten. Für den erfragten Zeitraum bedeutet dies, dass 6.161 Einträge mit einem Zeitaufwand von ca. 513 Stunden hinsichtlich der erfragten Kriterien manuell ausgewertet werden müssten. Dies zugrunde gelegt, wird der für die händische Auswertung zu insgesamt 6.161 Vorgängen anfallende zeitliche Aufwand auf mindestens 64 Arbeitstage für einen Mitarbeiter geschätzt. Daraus ergibt sich, dass die Beantwortung auf diesem Weg nur unter Zurückstellung von Kernaufgaben des PVD zu leisten ist. Das Personal stünde für diesen Zeitraum für seine originären Aufgaben nicht zur Verfügung. Die Staatsregierung kam daher bei der vorzunehmenden Abwägung zwischen dem parlamentarischen Fragerecht einerseits und der Gewährleistung der Funktionsfähig— keit der Staatsregierung sowie der ihr nachgeordneten Polizeidienststellen andererseits zu dem Ergebnis, dass eine Beantwortung der Frage auch unter Berücksichtigung des Seite 3 von 4 Freistaat STAATSMINISTERIUM DES iNNERN hohen Rangs des parlamentarischen Fragerechts unverhältnismäßig und ohne erhebliche Einschränkung nicht zu leisten ist. Frage 5: Mit welcher finanziellen Entschädigung kann die Frau von offizieller Seite rechnen, nachdem ihr Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung gemäß Art. 13 GG verletzt worden ist? Da die LDS trotz intensiver Bemühungen und Rücksprache mit dem PVD der PD Leipzig die in der Anfrage benannte Person nicht zweifelsfrei einem konkreten Vorgang zuordnen kann, ist in Unkenntnis des konkreten Sachverhalts keine Aussage im Sinne der Fragestellung möglich. Mti undlichen Grüßen .Dr. Roland Wöller Seite 4 von 4 Freistaat SACHSEN