STAATSNHNlSTERIUM DES INNERN SÄCHSISCHES STAATSMINISTERIUM DES INNERN 01095 Dresden Präsidenten des Sächsischen Landtages Herrn Dr. Matthias Rößler Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 01067 Dresden Kleine Anfrage der Abgeordneten Juliane Nagel (DIE LINKE) Drs-Nr.: 6/16960 Thema: Konsequenzen des Urteils des VG Hamburg zum Eindringen in den Wohnraum von Geflüchteten zum Zwecke der Abschiebung Sehr geehrter Herr Präsident, den Fragen sind folgende Ausführungen vorangestellt: „Das Verwaltungsgericht Hamburg hat am 15. Februar 2019 ein Grundsatzurteil gefällt (9 K 1669/18) (https:Iliustiz.hambumdelcontentblobl 1 21 87644l688a96190f50660dbb9d467de190aeb1Idatalendfassung-S-k- 1669-18-urteil-00000084111940-anonvmisiert.mi_f). Das Gericht befand unter Berufung auf die Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichtes , dass das Eindringen in den persönlichen Wohnraum zum Zwecke des Aufgriffs von vollziehbar Ausreisepflichtigen durch die Polizei ohne richterlichen Durchsuchungsbeschluss rechtswidrig ist. Geklagt hatte ein jesidisches Ehepaar aus dem Irak mit zwei Kindern. Diese sollten auf Grundlage des Dublin-lIl-Abkommens in die Niederlande zurückgeschoben werden. Am 16. Februar 2017 drang die Polizei in die Wohnräume des Paars in der Asylunterkunft in Hamburg- Bergedorf ein, traf das schlafende Paar an und nahm sie mit. Das Gericht begründet das Urteil wie folgt: 1. Bereits das Eindringen in die Wohnräume ohne Einwilligung der Betroffenen laut Artikel 13 des Grundgesetzes sei ein Verstoß gegen den Grundsatz der Unverletzbarkeit der Wohnung. Es braucht für diesen Akt laut Hamburgischem Verwaltungsvollstreckungsgesetz einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss. 2. Das Gericht stellte fest, dass es sich auch bei Wohnräumen in einer Asylunterkunft um eine Wohnung handelt. Es führt dazu aus: ‚Das Asylgesetz verwendet im Zusammenhang mit dem Aufenthalt von Asylbewerbern in Aufnahmeeinrichtungen (5 47 AsylG) und Gemeinschaftseinrichtungen (5 53 AsylG) selbst den Begriff des Wohnens . [...] Bei den beiden Zimmern der Kläger in der Wohnunterkunft handelt es sich um eine Wohnung im Sinne von 5 23 HmewVG und Art. 13 Abs. 1 GG.., und ‚Der Umstand, dass ausreisepflichtige Asylbewerber mit ihrer Abschiebung auch die Zimmer FreistaatSACHSEN Der Staatsminister Aktenzeichen (bitte bei Antwort angeben) 36-1053/76/42 Dresden. 4. April 2019 Hausanschrift: Sächsisches Staatsministerium des Innern Wilhelm-Buck-Str. 2 01097 Dresden Telefon +49 351 564-0 Telefax +49 351 564—3199 www.smi.sachsen.de Verkehrsanbindung: Zu erreichen mit den Straßenbahnlinien 3, 6, 7. 8, 13 Besucherparkplätze: Bifle beim Empfang Wilhelm- Buck-Str. 2 oder 4 melden. STAATSMINISTERIUM DES INNERN ihrer Wohnunterkunft räumen müssen und darin deshalb anschließend nicht mehr ihr Privatleben entfalten können, vermag diesen Räumlichkeiten vor einer Abschiebung nicht die Eigenschaft als räumliche Sphäre, in der sich das Privatleben entfaltet, zu nehmen ‚“ Namens und im Auftrag der Sächsischen Staatsregierung beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1: Auf welcher Rechtsgrundlage betritt und durchsucht die sächsische Polizei Wohnräume von Geflüchteten, um die Ausreisepflicht zu vollziehen? Wie oft wurde in diesem Sinne im Jahr 2018 in Wohnräume von Geflüchteten eingedrungen (bitte sowohl Wohnräume in EA, kommunalen Gemeinschaftsunterkünften, durch LandkreisIKreisfreie Städte und durch die Geflüchteten selbst angemieteten Wohnungen einbeziehen)? Der Polizeivollzugsdienst realisiert Abschiebungen im Rahmen der Vollzugshilfe auf Grundlage des § 61 Polizeigesetz des Freistaates Sachsen (SächsPolG). In diesem Rahmen werden die von der zuständigen Vollstreckungsbehörde angeordneten und dem Polizeivollzugsdienst übertragenen konkreten Maßnahmen realisiert. Dabei ist der Polizeivollzugsdienst nur für die Art und Weise der Durchführung verantwortlich (§ 61 Abs. 2 SächsPoIG). Zuständige Vollstreckungsbehörde im Sinne des § 4 Verwaltungsvollstreckungsgesetz für den Freistaat Sachsen (SächstVG) ist die Landesdirektion Sachsen, respektive die jeweilige Ausländerbehörde. Das Recht zum Betreten der Wohnung folgt aus § 6 Abs. 1 SächstVG. Eine Statistik im Sinne der zweiten Fragestellung wird nicht geführt. Die erfragten Daten sind zudem nicht automatisiert recherchierbar. Im Weiteren wird auf die Antwort der Staatsregierung auf die Frage 4 der Kleinen Anfrage Drs.-Nr. 6/16708 venNiesen. Frage 2: Teilt die Staatsregierung die Auffassung des VenNaltungsgericht Hamburg, nach dem zum Betreten und Durchsuchen der Wohnräume von Geflüchteten zum Zwecke der Abschiebung eines richterlichen Durchsuchungsbeschlusses bedarf (vgl. § 23 Hamburgisches Vemaltungsvollstreckungsgesetz bzw. in Sachsen § 6 Sächsisches Verwaltungsvollstreckungsgesetz) und wie ist die entsprechende Praxis in Sachsen? Frage 3: Teilt die Staatsregierung die Auffassung des Verwaltungsgerichts Hamburg, nach dem auch Wohnräume in Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftseinrichtungen als Wohnräume im Sinne der „räumlichen Sphäre, in der sich das Privatleben entfaltet“ anzusehen sind? Wenn nein: Warum nicht? Zusammenfassende Antwort auf die Fragen 2 und 3: Seite 2 von 3 FreistaatSACHSEN STAATSMiNiSTERIUM DES INNERN Die Fragen nach der Auffassung des VenNaItungsgerichts in Hamburg zu Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftseinrichtungen als Wohnräume und die Notwendigkeit eines richteriichen Durchsuchungsbeschlusses zum Zwecke der Abschiebung sind auf eine rechtliche Bewertung des Urteils durch die Staatsregierung gerichtet. Von der Abgabe einer Bewertung wird abgesehen. Gemäß Art. 50 Verfassung des Freistaates Sachsen (SächsVerf) ist die Staatsregierung verpflichtet, über ihre Tätigkeit den Landtag insoweit zu informieren, als dies zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich ist. Dieser lnformationspflicht der Staatsregierung nach Art. 50 SächsVerf entspricht das Frage- und Auskunftsrecht der Abgeordneten gegenüber der Staatsregierung nach Art. 51 SächsVerf. Das Fragerecht kann jedoch nicht dazu dienen, die Staatsregierung zu einer Bewertung anzuhalten, die die Abgeordnete für geboten hält, sondern nur dazu, der Abgeordneten Informationen zu verschaffen (SächsVerfGH, Urteil vom 22. April 2004, Vf. 44—I—03). Die Fragen beziehen sich nicht auf einen konkreten Einzelfall, sondern zielen auf die rechtliche Beurteilung unterschiedlicher abstrakter und hypothetischer Verfahrensweisen der Polizeidienststellen ab. Die rechtliche Zulässigkeit möglicher einzelner Maß— nahmen zum Betreten einer Wohnung im Abschiebungsverfahren nach dem Ausländerrecht kann nur auf einen konkreten Einzelfall bezogen unter Prüfung der tatsächlichen Gegebenheiten sowie objektiver und subjektiver Merkmale beurteilt werden. Nach dem VenNaItungsvollstreckungsgesetz ist ein Betreten von Wohnungen, Geschäfts - und Betriebsräumen und sonstigem befriedeten Besitztum im Umkehrschluss zu § 6 Abs. 2 SächstVG ohne richteriiche Anordnung zulässig. Das Betreten umfasst das Eintreten, kurzfristige VenNeiIen und die Umschau in den zugänglichen Räumlichkeiten . Sollte das Betretungsrecht nicht zur Zweckerreichung ausreichen und wäre eine weitergehende Durchsuchung erforderlich, richtet sich das Verfahren nach § 6 Abs. 2 SächstVG. Frage 4: Welche Konsequenzen zieht die Staatsregierung aus dem Urteil des VG Hamburg ? Die Urteilsbegründung wird im Zusammenhang mit der bundesweiten, aber uneinheitlichen Rechtsprechung zum Anlassthema rechtlich geprüft; jedoch betrifft das Urteil das Landesrecht der Freien und Hansestadt Hamburg. M' undlichef Grüßen Prof. Dr. Roland Wöller Seite 3 von 3 FreistaatSACHSEN 2019-04-04T10:50:51+0200 GRP: Elektronisches Dokumentations- und Archivsystem Erstellung des Nachweisdokumentes