STAATSMINISTERIUM DES iNNERN SÄCHSISCHES STAATSMINISTERIUM DES INNERN 01095 Dresden Präsidenten des Sächsischen Landtages Herrn Dr. Matthias Rößler Bernhard-von—Lindenau-Piatz 1 01067 Dresden Kleine Anfrage der Abgeordneten Juliane Nagel (DIE LINKE) Drs.-Nr.: 6I17096 Thema: Nachfrage zu Drs. 6I16607 — Versuchte Familientrennung und Abschiebung nach Italien Sehr geehrter Herr Präsident, den Fragen sind folgende Ausführungen vorangestellt: „Nach Art. 10, Dublin-lll-Verordnung, RL 604/2013IEU, hat ein*e Antragsteller *in in einem Mitgliedsstaat eine*n Familienangehörige*n‚ über dessen*ihren Antrag auf internationalen Schutz noch keine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist, Anspruch darauf, dass dieser Mitgliedsstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, sofern die betreffenden Personen diesen Wunsch schriftlich kundtun. Für den Fall, dass die Überstellungsfrist und damit (Rück-)Übernahmeverpflichtung und Zuständigkeit des Dublin-Zielstaates für einen Teil einer Familie endet, entsteht damit der Anspruch für die übrigen (überstellten) Mitglieder der Familie, ihr Verfahren gemeinsam mit ihren Familienangehörigen in der Bundesrepublik durchzuführen , wobei der erklärte Wille der Beteiligten sowie das Wohl von Minderjährigen den entscheidenden Ausschlag gibt, in welchem Mitgliedsstaat die Familienzusammenführung stattzufinden hat. Dies ist Folge der besonderen Berücksichtigung des Schutzes des Kindeswohls sowie der Einheit der Familie, welche in der Dublin-lll-Verordnung an mehreren Stellen ausdrücklich Niederschlag gefunden hat. Ziel der Dublin-lll-Verordnung ist mithin, auseinandergeratene Familien zusammenzuführen, nicht durch ihren Vollzug zu trennen. ln Drs. 6I16607 wird angegeben, dass die Frist zur Überstellung nach Italien im Rahmen des Dublin-Verfahrens Ende Januar 2019 abgelaufen wäre.“ Namens und im Auftrag der Sächsischen Staatsregierung beantworte ich die Kleine Anfrage Wie folgt: FreistaatSACHSEN Der Staatsminister Aktenzeichen (bitte bei Antwort angeben) 2-1053/71/77 Dresden, 18. April 2019 Hausanschrift: Sächsisches Staatsministerium des Innern Wilhelm-Buck-Str. 2 01097 Dresden Telefon +49 351 564—0 Telefax +49 351 564-3199 www.smi.sachsen.de Verkehrsanbindung: Zu erreichen mit den Straßenbahnli— nien 3,6‚7‚8‚ 13 Besucherparkplätze: Bitte beim Empfang WilheIm-Buck- Str. 2 oder 4 melden. STAATSNHNISTERiUM DES iNNERN Frage 1: Wann genau endete die Frist zur Überstellung in dem in Rede stehenden Fall und welche Enivägungen haben — mit Blick auf die (in der akuten Situation entstandene ) faktische Unmöglichkeit der Überstellung der schwangeren Mutter aufgrund des nahen Ablaufs der Überstellungsfrist binnen weniger (max drei) Tagen und dem damit einhergehendem Anspruch von Vater und Sohn zu rückwärtigem Zusammenführungsanspruch nach Art. 10 Dublin-lll-VO in der Bundesrepublik — dazu geführt, trotz Unmöglichkeit der Überstellung der Mutter aus gesundheitlichen Gründen, an der Überstellung des Vaters und des 13jährigen Kindes festzuhalten bzw. warum wurde diese nicht zum Anlass genommen, die Überstellung der gesamten Familie zum Schutze der Achtung des Familienlebens und Wahrung der Familieneinheit iSv Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Artikel 8 der Europäischen Menschrechtskonvention, Art. 6 des Grundgesetzes sowie den in Erwägungsgründen 13 bis 18 der hier zu "vollstreckenden" Dublin-lll-VO, nach denen der Achtung des Familienlebens und dem lnteresse des Kindeswohls — Stichwort: Gefahr der Traumatisierung aufgrund der gewaltsamen Familientrennung — Vorrang bei der Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates einzuräumen ist, abzubrechen? Die Überstellungsfrist nach Italien endete am 31. Januar 2019. Hinsichtlich der Enrvägungen , die der Trennung zugrunde gelegen haben, wird auf die Antwort der Staatsre— gierung auf die Frage 1 der Kleinen Anfrage Drs.—Nr. 6/16607 verwiesen. Eine Familienzusammenführung mit der nachreisenden Mutter hätte auch in Italien erfolgen können . Frage 2: Waren Mitarbeiter*innen der Ausländerbehörde Leipzig undloder der Zentralen Ausländerbehörde (Landesdirektion Sachsen) zum Zeitpunkt der Abholung der Familie an ihrem Wohnort undloder zum Zeitpunkt, als sich herausstellte, dass die schwangere Familienmutter aufgrund gesundheitlicher Probleme ins Krankenhaus transferiert werden muss, vor Ort oder telefonisch erreichbar; falls ja: wurde von den Einsatzkräften der Landespolizei versucht, diese zu erreichen und erneut eine Entscheidung bzgl. der Überstellung der übrigen Familienmitglieder aufgrund der veränderten Sachlage herbeizuführen; falls nein: wie verträgt sich dies mit der Tatsache, dass die Verantwortung bei der Durchführung einer Abschiebung letztlich bei den Ausländerbehörden liegt? Zum Zeitpunkt der Abholung der Familie am Wohnort waren keine Mitarbeiter der Ausländerbehörde Leipzig oder der Landesdirektion Sachsen zugegen. Die Notwendigkeit einer Erreichbarkeit außerhalb der üblichen Dienstzeiten wurde geprüft, für den vorlie— genden Fall jedoch nicht für notwendig erachtet. Während des Einsatzes ist keine Situation eingetreten, die eine Neubetrachtung der Verfügung begründet hätte. Alle für den Fall relevanten Umstände waren im Auftrag an die sächsische Polizei enthalten. Mit der Verbringung der schwangeren Frau zur Untersuchung ist bezüglich der anderen Familienmitglieder keine Sachlage entstanden, die durch die verfügende Stelle unberücksichtigt geblieben wäre und einer Verfahrensrevision bedurft hätte. Seite 2 von 3 FreistaatSACHSEN STAATSMlNISTERlUM DES INNERN Frage 3: Sofern zum Zeitpunkt des Zugrifis durch die Landespolizei und Verbringung zum Flughafen Mitarbeiter*innen der (Zentralen) Ausländerbehörden zwecks Rückspraghe nicht erreichbar sind: Welche Informationen, insbesondere zum Ablauf der Uberstellungsfrist (und daraus folgender Unmöglichkeit einer noch rechtmäßig erfolgenden Überstellung auch der Mutter), werden den Einsatzkräften der Landespolizei sowie den später zuständigen Einsatzkräften der Bundespolizei durch die Ausländerbehörden übermittelt, auf deren Grundlage eine sachgerechte und rechtmäßige Entscheidung hinsichtlich eines Abbruchs der Überstellung einer Familie, deren Durchführbarkeit akut in der Zugriffssituation oder auf dem Weg zum Flughafen sich als unmöglich herausstellt, möglich ist? Im Poiizeiauftrag wurde neben der üblichen Datenübermittlung, wie Flugzeit, -ori‚ Namen und Anschrift der Personen sowie der Schwangerschaft der Frau, geregelt, dass eine Familientrennung unter der Voraussetzung erfolgen kann, dass ein Erwachsener beim Kind verbleibt. Darüber hinaus wurde die Polizei in Kenntnis gesetzt, dass es sich um eine Überstellung nach der Dublin-lll-Verordnung handelt und es bei Abbruch der Maßnahme aus Gründen, die den Betroffenen zuzuordnen sind, zu einer Prüfung der Zentralen Ausländerbehörde kommt, ob die Stellung eines Haftantrags auf Anordnung von Überstellungshaft in Betracht kommt. Frage 4: In Antwort auf Frage 4 der Kleinen Anfrage Drs. 6I16607 heißt es, dass „der Abbruch einer Abschiebung stets eine Einzelfallbeurbeilung“ erfordert. Insofern hätte „dieser Abbruch aufgrund der Selbstverletzung des Familienvaters keinen Einfluss auf die Abschiebepraxis. Welche Kriterien gelten allgemein oder werden von der Zentralen Ausländerbehörde] Landesdirektion Sachsen im Einzelfall für in der Situation auftretende Umstände, welche eine Überstellung einer (oder von Teilen einer) Familie im Rahmen der vorzunehmenden Einzelfallentscheidung als Entscheidungshilfe für die Frage eines Abbruchs der Maßnahme mitgegeben, um sicherzustellen, dass die oben erwähnten Rechte aus GG, EMRK, GRC, der Kinderrechts Konvention und der Dublin-lll-VO eingehalten und von der Rechtsordnung nicht intendierte Familientrennungen vermieden werden? Wie bereits in der Antwort der Staatsregierung auf die Frage 4 der Kleinen Anfrage Drs.—Nr. 6/16607 ausgeführt, handelt es sich bei jeder Entscheidung über den Abbruch einer Abschiebung um eine Einzelfallentscheidung. Hierbei sind die Umstände des Ein— zelfalis zu betrachten und zu bewerten. Berücksichtigung finden z. B. auch etwaige Erkrankungen, Pflegebedürfligkeit, das Alter der Kinder oder das Verhalten der Er— wachsenen. Darüber hinaus werden bei Überstellungen nach der Dublin-III—Verordnung auch die Vorgaben des jeweiligen Mitgliedsstaates zu Familientrennungen beachtet. Die Vorgaben allgemeiner Natur aus den in der Fragestellung genannten Schutzvor— schriften fließen in die zu treffende Abwägungsentscheidung mit ein. Mit fre ndlichen Grüßen ”@ oiand Wöller » Seite 3 von 3 FreistaatSACHSEN 2019-04-18T10:29:34+0200 pseudo: Elektronisches Dokumentations- und Archivsystem Erstellung des Nachweisdokumentes