STAATSNHNISTERIUM DES INNERN SÄCHSISCHES STAATSMINISTERIUM DES INNERN 01095 Dresden Präsidenten des Sächsischen Landtages Herrn Dr. Matthias Rößler Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 01067 Dresden Kleine Anfrage der Abgeordneten Geert W. Mackenroth, Georg-Ludwig von Breitenbuch, Ronald Pohle (CDU) Drs.-Nr.: 6I17435 Thema: Maßnahmen zur ldentitätsfeststellung nach Straftaten Sehr geehrter Herr Präsident, den Fragen sind folgende Ausführungen vorangestellt: „Vorbemerkung: Schilderungen von Einsatzkräften und Presseberichten ist zu entnehmen, dass - wie zuletzt im Tagebau Schleenhain - Fälle zunehmen, in denen Tatverdächtige nach Feststellung ihrer Tatbeteiligung die Angaben ihrer Personalien gegenüber den Einsatzkräften verweigern, falsche Angaben machen oder anderweitig die Klärung ihrer Identität vereiteln. Dieses Verhalten wird in einschlägigen Foren als geeignete Strategie, der Strafverfolgung zu entgehen, gelegentlich unverblümt empfohlen.“ Namens und im Auftrag der Sächsischen Staatsregierung beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1: Werden Fälle derartiger ldentitätsvenrveigerung statistisch erfasst? a. Wenn ja: Wie viele derartige Fälle sind in den letzten fünf Jahren im Freistaat Sachsen erfasst worden (bitte nach Jahresscheiben getrennt angeben)? b. Wenn nein: Bestätigen Berichte, Erfahrungen oder Schätzungen der Einsatzkräfte den oben wiedergegebenen Eindruck, dass derartige Fälle zunehmen? Eine statistische Erfassung der beschriebenen falschen Namensangabe bzw. anderweitigen Vereitelung von ldentitätsfeststellungen erfolgt nicht. In der Integrierten Vorgangsbearbeitung der Polizei werden lediglich sämtliche durch den Polizeivollzugsdienst gemäß § 111 Ordnungswidrigkeitenge— setz (OWiG) eingeleiteten Ordnungswidrigkeitenverfahren erfasst. Auf Grund von Löschfristen liegen jedoch für den benannten Zeitraum aus— schließlich für das Jahr 2018 entsprechende Angaben vor, indem 295 Ordnungswidrigkeiten gemäß § 111 OWiG registriert wurden. Freistaat“‘ SACHSEN Der Staatsminister Aktenzeichen (bitte bei Antwort angeben) 3-1053/77/113 Dresden. 14. Mai 2019 Hausanschrift: Sächsisches Staatsministerium des Innern WilheIm-Buck-Str. 2 01097 Dresden Telefon +49 351 564-0 Telefax +49 351 564-3199 www.smi.sachsen.de Verkehrsanbindung: Zu erreichen mit den Straßenbahnli— nien 3, 6. 7, B. 13 Besucherparkplätze: Bitte beim Empfang WilheIm-Buck- Str. 2 oder 4 melden. STAATSMINISTERlUM DES INNERN Im Weiteren wird von einer Beantwortung der Frage 1a. seitens der Staatsregierung abgesehen. Gemäß Artikel 51 Abs. 1 Satz 1 Verfassung des Freistaates Sachsen (SächsVerf) ist die Staatsregierung verpflichtet, Fragen einzelner Abgeordneter oder parlamentarische Anfragen nach bestem Wissen unverzüglich und vollständig zu beantworten. Nach dem Grundsatz der Verfassungsorgantreue ist jedes Verfassungsorgan verpflichtet, bei der Ausübung seiner Befugnisse den Funktionsbereich zu respektieren, den die hierdurch mitbetroffenen Verfassungsorgane in eigener Verantwortung wahrzunehmen haben. Dieser Grundsatz gilt zwischen der Staatsregierung und dem Parlament sowie seinen einzelnen Abgeordneten, so dass das parlamentarische Fragerecht durch die Pflicht des Abgeordneten zur Rücksichtnahme auf die Funktions- und Arbeitsfähigkeit der Staatsregierung begrenzt wird. Die Staatsregierung muss nur das mitteilen, was innerhalb der Antwortfrist mit zumutbarem Aufwand in Erfahrung gebracht werden kann (vgl. SächsVerfGH, Urteil vom 16. April 1998, Vf. 14-1-97). Zur vollständigen Beantwortung der Frage müssten insofern alle 295 Ordnungswidrigkeiten händisch danach ausgewertet werden, ob es sich um Ereignisse im Sinne der Vorbemerkung (Verhinderung der Strafverfolgung, Baggerbesetzung etc.) gehandelt hat. Wenn man einen Zeitansatz von 30 Minuten für die Auswertung eines Vorganges ansetzt, wären dies fast 150 Stunden für die Auswertung aller Vorgänge. Bei einer 40- Stunden-Woche wäre ein Sachbearbeiter über drei Wochen mit dieser Auswertung befasst. Dieses Personal stünde dann für Kernaufgaben des Polizeivollzugsdienstes nicht bzw. nur sehr eingeschränkt zur Verfügung. Die Staatsregierung kam daher bei der vorzunehmenden Abwägung zwischen dem parlamentarischen Fragerecht einerseits und der Gewährleistung der Funktionsfähigkeit der Staatsregierung sowie der ihr zugeordneten Polizeibehörden andererseits zu dem Ergebnis, dass eine Beantwortung der Frage auch unter Berücksichtigung des hohen Rangs des parlamentarischen Fragerechts unverhältnismäßig und ohne erhebliche Einschränkung der Funktionsfähigkeit der sächsischen Polizei nicht zu leisten ist. Von einer Beantwortung der Frage 1b. wird abgesehen. Die Staatsregierung verfügt nicht über aktuelle oder recherchierbare Erkenntnisse. Entsprechende abschließende Berichte liegen recherchierbar nicht vor. Schätzungen können allenfalls die jeweils tätigen Bediensteten vornehmen. Diese müssten umfänglich erhoben werden. Die Staatsregierung ist sich bewusst, dass das parlamentarische Fragerecht nach Art. 51 Abs. 1 SächsVerf sie gegebenenfalls zu einer Schätzung verpflichten kann. Die Verpflichtung zur Vornahme einer Schätzung besteht allerdings nur, wenn sich die Schätzung auf eine ausreichende Tatsachenbasis stützen kann. Das ist hier nicht der Fall. Selbst für einzelne Vorgänge liegen keine belastbaren Erkenntnisse vor. Eventuelle Informationen aus einzelnen Vorgängen sind nicht verallgemeinerungsfähig für die Gesamtheit der Vorgänge. Daher könnte die erfragte Schätzung nur in der Weise erfolgen , dass jeweils alle Bediensteten des Polizeivollzugsdienstes, die mit Ermittlungsverfahren befasst waren, befragt werden. Seite 2 von 4 FreistaatSACHSEN STAATSMiNiSTERiUM DES INNERN Unabhängig von einer Zumutbarkeit einer solchen Erhebung wären die möglichen Schätzungen der betroffenen Bediensteten sehr individuell und somit nicht fehlerfrei. Es wäre der Staatsregierung nicht zuzumuten, gegenüber dem Landtag die Verantwortung für eine auf solche Weise zustande gekommene zusammengefasste Schätzung zu übernehmen. Frage 2: Welche rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten (ED - Behandlung, DNA- Feststellung pp.) stehen den Einsatzkräften zur Verfügung, um bei fehlender Mitwirkung der Betroffenen dennoch die Identität dieser Personen festzustellen? Werden diese Möglichkeiten genutzt und führen sie zum Erfolg? Gemäß § 163b Abs. 1 Satz 1 Strafprozessordnung (StPO) dürfen gegen einen Tatverdächtigen durch Polizei und Staatsanwaltschaft die zur Feststellung der Identität der Person erforderlichen Maßnahmen getroffen werden. Erlaubt ist auch das Festhalten der Person (§ 163b Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 StPO) sowie die Durchsuchung der Person sowie der von ihr mitgeführten Sachen (§ 163b Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 StPO) einschließ— lich der Auswertung von mitgeführten Telefonen. § 163b Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 StPO sieht zudem die Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen (2. B. Fertigung von Lichtbildern, Abnehmen von Fingerabdrücken, Vermessen der Person) vor. Insbesondere unter Zuhilfenahme der angefertigten Lichtbilder kann auf Anordnung der Staatsanwaltschaft eine Ausschreibung der namentlich noch nicht bekannten Personen in den internen Fahndungsmitteln der Polizei erfolgen oder bei Straftaten von erheblicher Bedeutung durch den Ermittlungsrichter eine Öffentlichkeitsfahndung angeordnet werden (§ 131a Abs. 1 und 2 StPO). Eine Person, die sich weigert ihre Personalien anzugeben, kann nach § 163C Abs. 1 StPO festgehalten werden. Der Freiheitsentzug, der maximal zwölf Stunden andauern darf, ist keine Erzwingungshaft, sondern eröffnet lediglich ein größeres Zeitfenster zur Durchführung der genannten Identifizierungsmaßnahmen. Die Entnahme von Körperzellen zur Feststellung des DNA-ldentifizierungsmusters ist gemäß § 819 StPO bei Beschuldigten schwerer Straftaten oder Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung zulässig. Die strafprozessualen Möglichkeiten werden genutzt und sind regelmäßig geeignet, die Identität der Betroffenen festzustellen. Der Erfolg der Maßnahmen ist vom konkreten Einzelfall abhängig. Eine generelle Aussage kann hierzu nicht getroffen werden. Frage 3: Dürfen etwa bei verweigerter Personalienangabe die Betroffenen in Gewahrsam genommen werden, um die Angabe zu erzwingen? Eine Ingewahrsamnahme zur „Erzwingung“ der Angabe von Personalien ist gesetzlich nicht vorgesehen. Seite 3 von 4 FreistaatSACHSEN STAATSTVHNISTERIUM DES iNNERN Frage 4: Sind die vorhandenen Möglichkeiten (Ziff. 3) aus Sicht der Einsatzkräfte ausreichend ? Es wird auf die Antwort auf die Frage 1b venNiesen. Darüber hinaus ist die Frage auf eine Bewertung gerichtet, die die Staatsregierung bisher nicht getroffen hat. Zur Abgabe einer Bewertung ist die Staatsregierung nicht verpflichtet . Frage 5: Wie gestaltet sich die Strafverfolgung bei den Personen, deren Identität gleichwohl nicht festgestellt werden kann? Sofern die Identität des Beschuldigten auch nach Ausschöpfung aller Feststellungsmöglichkeiten ungeklärt bleibt, werden die Ermittlungsverfahren bei den Staatsanwaltschaften als Js-Verfahren geführt und die Beschuldigten in den Datenbanken als „gesondert bezeichnete unbekannte Personen“ eingetragen. Vor der Entlassung der Beschuldigten aus dem Identitätsfeststellungsgewahrsam wird geprüft, ob Sachverhalt und Beweissituation ein beschleunigtes Verfahren ermöglichen und zur Sicherung der Hauptverhandlung eine Hauptverhandlungshaft nach § 127b Abs. 2 StPO beantragt werden kann. Ist dies nicht der Fall, wird geprüft, ob die Voraussetzungen der Untersuchungshafi nach §§ 112, 113 StPO vorliegen. Dabei ist insbesondere die Verhältnismäßigkeit eines solchen Freiheitsentzugs angesichts des konkreten TatvonNurfs und der damit verbundenen Straferwartung in den Blick zu nehmen. Ist diese gegeben, kann ein Haftbefehl beantragt und bei antragsgemäßem Erlass Anklage , auch ohne die Nennung der Personalien der Person durch z. B. Einfügung eines Lichtbildes der Person in die Anklageschrift und Nennung individualisierender körperlicher Merkmale, erhoben werden. Anderenfalls wird der noch nicht namentlich bekannte Beschuldigte entlassen und insbesondere durch die o. 9. Ausschreibung versucht, seine Identität im Nachgang zu klären. Gelingt dies, ergeben sich keine weiteren Besonderheiten bei der Strafverfolgung. Sollte eine Namhaftmachung dagegen nicht möglich sein, ist es für die Individualisierung der Angeschuldigten ausreichend, in der Anklageschrift oder dem Strafbefehlsantrag eine aussagekräftige Personenbeschreibung — etwa unter Bezugnahme auf ein beigefügtes Lichtbild — zu geben. Wird die Identität des Angeklagten erst nach Rechtskraft des Urteils bekannt, erfolgt eine Berichtigung des Urteilsrubrums und eine Mitteilung zum Bundeszentralregister. re ndlichen GrüßenM11 P of. Dr. Roland Wöller Seite 4 von 4 FreistaatSACHSEN 2019-05-14T11:37:10+0200 pseudo: Elektronisches Dokumentations- und Archivsystem Erstellung des Nachweisdokumentes