STAATSiVIiNiSTERiUM DES iNNERN SÄCHSISCHES STAATSMINISTERIUM DES INNERN 01095 Dresden Präsidenten des Sächsischen Landtages Herrn Dr. Matthias Rößler Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 01067 Dresden Kleine Anfrage der Abgeordneten Juliane Nagel (DIE LINKE) Drs.-Nr.: 6/17715 Thema: Bericht des Europäischen Ausschusses zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe in Deutschland (CPT) zur Abschiebepraxis der Bundesrepublik Deutschland Sehr geehrter Herr Präsident, den Fragen sind folgende Ausführungen vorangestellt: „Am 9. Mai 2019 veröffentlichte das Anti-Folter-Komitee des Europarats (CPT) seinen Bericht an die deutsche Bundesregierung (http:lldocs.dpaq.del14814-cpt-bericht.w). Darin befasst sich das CPT mit der Abschiebepraxis der Bundesrepublik Deutschland, übt Kritik und spricht Empfehlungen aus: ‚Zu diesem Zweck empfiehlt er, vor der Übergabe von Rückzuführenden an die Behörden des Bestimmungslandes ein Verfahren in der Praxis wirksam umzusetzen, bei dem sich noch einmal nach dem letzten Sachstand erkundigt wird (‚last call‘-Verfahren). Die einschlägigen Schutzvorkehrungen, u. a. der Zugang zu einem Rechtsanwalt von Beginn der Freiheitsentziehung an, müssen in der Praxis angewendet werden. [...] Der CPT empfiehlt ferner, Personen, bei denen eine Selbstverletzungs- undloder Suizidgefahr besteht oder die unter psychischen Problemen leiden, einer umfassenden ärztlichen Begutachtung zu unterziehen, bevor Schlussfolgerungen über ihre Reisetauglichkeit gezogen werden. Ferner sollte erforderlichenfalls während der gesamten Abschiebungsmaßnahme ein Dolmetscher zur Verfügung stehen. Die vorhandenen Beschwerdemechanismen sollten so ausgestaltet werden, dass sie in der Praxis zugänglich und wirksam sind, u. a. indem Rückzuführenden in mündlicher und schriftlicher Form und in einer für sie verständlichen Sprache geeignete Informationen darüber zur Verfügung gestellt werden, wie eine Beschwerde zu erheben ist. FreistaatSACHSEN Der Staatsminister Aktenzeichen (bitte bei Antwort angeben) 2-1053/71/127 Dresden, 14. Juni 2019 Hausanschrift: Sächsisches Staatsministerium des Innern WilheIm-Buck—Str. 2 01097 Dresden Telefon +49 351 564-0 Telefax +49 351 564—3199 www.smi.sachsen.de Verkehrsanbindung: Zu erreichen mit den Straßenbahnlinien 3, 6, 7, 8, 13 Besucherparkplätze: Bitte beim Empfang WilheIm-Buck— Str. 2 oder 4 melden. FreistaatViSACHSENSTAATSMINiSTERIUMDES iNNERN Der CPT fordert weiterhin, - die rechtzeitige Benachrichtigung über die Abschiebung - den unmittelbaren Zugang zu einem Rechtsanwalt - den Zugang zu einem Arzt, insbesondere im Rahmen einer Untersuchung der Reisetauglichkeit, und - das Recht, einen Dritten von der bevorstehenden Abschiebung in Kenntnis zu setzen.“ Namens und im Auftrag der Sächsischen Staatsregierung beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1: Inwieweit gewährleistet der Freistaat Sachsen die vom Anti-Folter-Komitee angemahnten Standards bei Abschiebungen: a) in Form eines so genannten ,,last-ca||“-Verfahrens, b) die Gewährleistung des Zugangs zu einemlr Rechtsanwält*in von Beginn der Freiheitsentziehung an, c) eine umfassende ärztliche Begutachtung von Personen, bei denen eine Selbstverletzungs- undloder Suizidgefahr besteht oder die unter psychischen Problemen leiden, sowie Zugang zu einem Arzt während der gesamten Abschiebemaßnahme , d) das Zurverfügungstellen einerls Dolmetscher*in während der gesamten Abschiebemaßnahme , e) das Recht, einen Dritten von der bevorstehenden Abschiebung in Kenntnis zu setzen, f) die Gewährleistung von Beschwerdemöglichkeiten für die Betroffenen, um bspw. Fehlverhalten der Polizeibeamt*innen anzuzeigen? Seitens der Landesdirektion Sachsen (LDS) werden die Standards nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften für alle organisierten Maßnahmen eingehalten: Zu a) Kurz vor dem Vollzug einer Abschiebung werden die in der Zuständigkeit der LDS liegenden Fälle nochmals rechtlich und tatsächlich geprüft und eine im Vorfeld ggf. ein— gebundene, zuständige Ausländerbehörde nach Veränderungen des Sachverhalts angefragt . Zu b) Die Untergebrachten werden bereits im Rahmen des Aufnahmeverfahrens in der Abschiebungshafteinrichtung auf die Möglichkeit zur Kontaktierung eines Rechtsanwaltes sowie auf die Möglichkeiten einer kostenlosen ausländerrechtlichen Rechtsberatung nach § 4 Abs. 4 Sächsisches AbschiebungshaftvolIzugsgesetz hingewiesen. Auf ausdrücklichen Wunsch unterstützt die Einrichtung die Untergebrachten auch bei der Kon— taktaufnahme bzw. vermittelt eine kostenlose Rechtsberatung. Zu 0) Gemäß § 60a Abs. 20 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) sind die Betroffenen selbst dafür verantwortlich, etwaige Abschiebungs— bzw. Reisehindernisse aus gesundheitlichen Gründen mittels eines qualifizierten ärztlichen Attests nachzuweisen. Werden diese Seite 2 von 5 J Freistaat5,5ACHSENSTAATSMINISTERIUMDES INNERN Atteste nicht oder nur in unzureichender Form vorgelegt, wird im jeweiligen Einzelfall unter Berücksichtigung von Krankheitsbild und Schwere der vorgetragenen Erkrankung entschieden, ob und in welcher Form ggf. dennoch eine ärztliche Begleitung vor und während der Abschiebung organisiert wird. Handelt es sich um schwerwiegendere Erkrankungen , die dennoch nicht zur Reiseunfähigkeit führen, wird in der Regel abhängig vom Krankheitsbild eine ärztliche Begleitung für die Abschiebung organisiert. Zu d) Im Rahmen des Zugriffs sind die sächsischen Poiizeibehörden mit mehrsprachigen Merkblättern für Betroffene ausgestattet, die alle für eine Abschiebung wichtigen Informationen (Rechte und Pflichten) in der jeweiligen Landessprache enthalten. im Rahmen von Sammelchartermaßnahmen sind Dolmetscher vor Ort. Zu e) In der Abschiebungshafteinrichtung dürfen die Untergebrachten zu anderen Personen per Telefon, Post, Internet oder bei Besuchen direkt Kontakt aufnehmen. lm Rahmen dieser Kontakte können die Untergebrachten auch Dritte über die bevorstehende Abschiebung unterrichten. lm Rahmen von Abschiebungsmaßnahmen ist die Kontaktaufnahme mit Dritten gestattet. Gegenüber vollziehbar Ausreisepflichtigen, die sich nicht in einer Abschiebungshafteinrichtung befinden, darf die Abschiebung nach § 59 Abs. 1 Satz 8 AufenthG nicht angekündigt werden. In diesen Fällen besteht kein Recht der Betroffenen, Dritte über die bevorstehende Abschiebung zu informieren. Zu f) Jeder Betroffene hat das Recht, sich mit Beschwerden an die jeweiligen Stellen zu wenden. Frage 2: Wann werden vollziehbar ausreisepflichtige Personen, für die ein Abschiebetermin festgelegt ist, in der Regel über ihre Abschiebung informiert und wird jenen bei ihrer lngewahrsamnahme die Gelegenheit und ausreichend Zeit gegeben ihre persönlichen Gegenstände zusammen zupacken und vor der Abschiebung die notwendigen Vorkehrungen zur Vorbereitung auf ihre Abschiebung zu treffen (vgl. http:I/docs.dpaq.de/14814-cptbericht. pdf, Seite 12)? Eine vorherige Information an den Betroffenen über den konkreten Abschiebungstermin erfolgt in der Regel nicht. Die Ankündigung der Abschiebung ist gesetzlich nur noch in Fällen, -in denen die Person aus der Haft oder dem öffentlichen Gewahrsam abgeschoben werden soll (§ 59 Abs. 5 AufenthG) oder - des Widerrufs einer Duldung, wenn die Person länger als ein Jahr geduldet ist und sie die Gründe für die Duldung nicht durch eigenes Handeln oder fehlende Mitwirkung selbst verschuldet hat (§ 60a Abs. 5 Satz 4 und 5 AufenthG) zulässig. Im Fall des § 60a Abs. 5 Satz 4 AufenthG ist die Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen. Im Übrigen wird auf die Antwort auf die Frage 3 venNiesen. Seite 3 von 5 STAATSMINISTERIUM DES iNNERN Grundsätzlich wissen die Betroffenen aufgrund der Abschiebungsandrohung und der darin festgelegten Ausreisefrist, dass sie vollziehbar ausreisepflichtig sind und bei Missachtung der Ausreisefristjederzeit mit ihrer Abschiebung zu rechnen haben. Im Rahmen des Zugriffs bei der Abschiebung wird den Betroffenen regelmäßig genügend Zeit eingeräumt, um die persönlichen Sachen zu packen. Frage 3: Wann werden im Ausreisegewahrsam oder in Abschiebehaft inhaftierte Personen über ihre Abschiebung informiert? Erfolgt dies schriftlich, in einer für sie verständlichen Sprache und werden die Betroffenen systematisch auf ihre Abschiebung vorbereitet, 2.8. durch psycho-soziale Betreuung (vgl. http:lldocs.dpaq.del14814-cpt-bericht.pdf, Seite 12)? Gemäß § 59 Abs. 5 Satz 2 AufenthG soll Personen, die aus der Haft oder dem öffentlichen Gewahrsam abgeschoben werden, die Abschiebung mindestens eine Woche vorher angekündigt werden. Diese Regelung gilt für die Fälle, in denen zuvor keine Ausreisefrist gesetzt worden ist. Sie wird in Sachsen entsprechend umgesetzt. Die in der Abschiebungshaft— und Ausreisegewahrsamseinrichtung untergebrachten Personen werden im Rahmen der Aufnahme in der Einrichtung darüber informiert, zu welchem Zweck sie sich in der Einrichtung befinden. In der Abschiebungshaft- und Ausreisegewahrsamseinrichtung wird den Untergebrachten sowohl soziale als auch psychologische Betreuung angeboten. Bei Inanspruch— nahme dieser Angebote haben die Untergebrachten die Gelegenheit, über ihren Aufenthalt in der Einrichtung und die bevorstehende Abschiebung zu sprechen und inso— weit Unterstützung zu erhalten. Frage 4: Inwiefern werden sächsische Polizeibeamt*innen‚ die bei Abschiebungen eingesetzt sind, für diese Aufgabe geschult und auch psychisch begleitet? Gibt es für die jeweiligen Abschiebungen Nachbereitungen? Eine spezielle Schulung für sächsische Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte, die bei Abschiebungen eingesetzt werden, wird nicht durchgeführt. Gleichwohl werden in den Vorbereitungsdiensten (Ausbildung für die Laufbahngruppe 1, zweite Einstiegsebene der Fachrichtung Polizei [LG 1.2 Pol] bzw. Studium für die Laufbahngruppe 2, erste Einstiegsebene der Fachrichtung Polizei [LG 2.1 Pol]) die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten zur Durchführung von Abschiebungen vermittelt. Darunter fallen einerseits die rechtlichen Aspekte polizeilichen Einschreitens, wie beispielsweise die Vermittlung der jeweils relevanten Befugnisnormen. Andererseits werden aber auch tangierende Themen behandelt, wie etwa die mit dem polizeilichen Handeln verbundenen psychologischen Gesichtspunkte. Im Übrigen zielt der Vorbereitungsdienst darauf ab, erlerntes Grundlagenwissen auf jedweden Einsatz transferieren zu können. In Bezug auf die Fortbildung wird auf die Antwort der Staatsregierung auf die Frage 5 der Kleinen Anfrage Drs.-Nr. 6/15997 venNiesen. Seite 4 von 5 FreistaatSACHSEN STAATSNHNlSTERIUM DES INNERN Eine grundsätzliche psychische Begleitung der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten findet nicht statt. In Fällen, in denen sich ein etwaiger Bedarf abzeichnet, stehen den eingesetzten Kolleginnen und Kollegen entsprechende Angebote, wie das Einsatznachsorgeteam der Polizei Sachsen, der polizeipsychologische Dienst oder aber die Polizeiseelsorge, zur Verfügung. Eine regelmäßige Nachbereitung der Abschiebungseinsätze ist grundsätzlich nicht vorgesehen , wird aber- sofern nötig — selbstverständlich anlassbezogen durchgeführt. Mit freundlichen Grüßen _/ U . Dr. Roland Wöller Seite 5 von 5 FreistaatSACHSEN 2019-06-14T11:36:13+0200 pseudo: Elektronisches Dokumentations- und Archivsystem Erstellung des Nachweisdokumentes