STAATSMiNiSTERIUM DES iNNERN SÄCHSISCHES STAATSMINISTERIUM DES INNERN 01095 Dresden Präsidenten des Sächsischen Landtages Herrn Dr. Matthias Rößler Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 01067 Dresden Kleine Anfrage der Abgeordneten Juliane Nagel (DIE LINKE) Drs.-Nr.: 6/18013 Thema: Vorwürfe von Misshandlung in Abschiebehaftanstalt Dresden Sehr geehrter Herr Präsident, den Fragen sind folgende Ausführungen vorangestellt: „Nach Information der Fragestellerin befindet sich derzeit eine Person marokkanischer Staatsbürgerschaft in der Abschiebehaftanstalt Dresden . Er hat gegenüber Mitgliedern der Abschiebehaftkontaktgruppe VonNürfe gegen das Personal der Landesdirektion Sachsen (LDS) erhoben . Die Vorwürfe lauten wie folgt: . Einschluss für mehrere Stunden in einer Zelle . Mindestens einmal Weigerung der LDS, ihm direkt nach Sonnenuntergang im Ramadan Essen zu geben, stattdessen erst um 23 Uhr . Fesselung der Hände auf dem Rücken und der Füße in einem Kellerraum, gänzlich ohne Bekleidung, Beamt*innen der LDS hätten ihm Essen vors Gesicht gehalten, es ihm aber nicht gegeben , ihm soll Wasser verweigert worden sein. . Schläge durch das diensthabende Personal am 04. oder 05. Juni nachdem ihm verboten worden war, zu rauchen . Verabreichung von Medikamenten, die, so der Vorwurf, keine Schmerzmittel waren, ihn stattdessen aber wegtreten ließen. Die Freundin der betroffenen Person habe gegenüber der Abschiebehaftkontaktgruppe zudem von unangemessener Durchsuchung berichtet , unter anderem sei ihre Brust abgetastet worden. Zwei Mitglieder der Abschiebehaftkontaktgruppe, darunter die vom Betroffenen entsprechend Bevollmächtigte und von der ärztlichen Schweigepflicht Entbundene, verlangten am 06. Juni direkt nach ihrem Besuch des Betroffenen Einsicht in seine Patientenakte. Diese ist nach § 6309 BGB unverzüglich auszustellen. Am Folgetag konnte die Bevollmächtige gegen Mittag immer noch keinen Einblick erhalten. Die LDS habe diese Verzögerung damit begründet, dass die Patientenakte Freistaatf 0SACHSEN Der Staatsminister Aktenzeichen (bitte bei Antwort angeben) 2-1053/71/138 Dresden. 18. Juli 2019 Hausanschrift: Sächsisches Staatsministerium des Innern WilheIm-Buck-Str. 2 01097 Dresden Telefon +49 351 564-0 Telefax +49 351 564-3199 www.smi_sachsen.de Verkehrsanbindung: Zu erreichen mit den Straßenbahnlinien 3, 6, 7, 8. 13 Besucherparkplätze: Bitte beim Empfang Wilhelm-Buck— Str. 2 oder 4 melden. STAATSMINISTERIUM DES iNNERN von der Gerichtsakte getrennt werden müsse. Die Bevollmächtigte hat jedoch Einsicht in die gesamte Haftakte des Betroffenen beantragt, nicht nur in die Patientenakte . Am 07. Juni hat die Bevollmächtigte die Mitglieder des Beirats der Ab-schiebehaftanstalt per Mail von den hier aufgeführten Vonlvürfen per Mail berichtet . Nach Information der Fragestellerin hat der Betroffene Strafanzeige erstattet.“ Namens und im Auftrag der Sächsischen Staatsregierung beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1: Welche Erkenntnisse hat das Staatsministerium des Inneren zu den Vorwürfen (bitte einzeln nach den Vonlvürfen des Betroffenen, seiner Freundin und der Abschiebehaftkontaktgruppe aufschlüsseln)? 1 . Von/vürfe des Betroffenen Einschluss für mehrere Stunden in einer Zelle Dem Einschluss am 29. Mai 2019 gingen verschiedene Vorkommnisse an mehreren Tagen gegen Bedienstete der Einrichtung und Gewaitanwendungen gegen Einrichtungsgegenstände voraus. Zur Vermeidung weiterer erheblicher Störungen der Sicherheit und Ordnung der Einrichtung wurde für den Untergebrachten für den 29. Mai 2019 zunächst eine Sport- und Internetsperre verhängt. Seine Verärgerung über diese Maßnahmen brachte der Untergebrachte durch massive Beschimpfungen des Personals und Androhung, erheblichen Ärger verursachen zu wollen, zum Ausdruck. Zur Aufrechterhaltung der Sicherheit in der Einrichtung erfolgte am gleichen Tag der Einschluss, der dem Untergebrachten auch erläutert wurde. Im weiteren Verlauf zerstörte der Untergebrachte teilweise seinen Unterbringungsraum. Aufgrund der Beschädigungen ist der Unterbringungsraum seitdem nicht belegbar. Der Einschluss wurde zum Schichtwechsel gegen 21:40 Uhr beendet. Aufgrund der von ihm verursachten Beschädigungen des Unterbringungsraums wurde er in einem anderen Raum untergebracht und nach etwa 45 Minuten zur Nachtruhe eingeschlossen . Wegen des Ramadans nahm er an den nächtlichen Aufschlusszeiten wieder teil. Mindestens einmal Weiqerunq der LDS. ihm direkt nach Sonnenunterqanq im Ramadan Essen zu qeben, stattdessen erst um 23 Uhr Der Untergebrachte nahm bis zum 4. Juni 2019 gegen 14:00 Uhr am Ramadan teil. Ihm wurde an keinem Tag Essen vorenthalten. Die warmen Mahlzeiten für die am Ramadan teilnehmenden Untergebrachten wurden vom Caterer gegen 21 :00 Uhr geliefert und sodann an diese Untergebrachten ausgegeben. Seite 2 von 6 FreistaatSACHSEN STAATSMINISTERIUM DES iNNERN Fesselunq der Hände auf dem Rücken und der Füße in einem Kellerraum, qänzlich ohne Bekleidunq, Beamt*innen der LDS hätten ihm Essen vors Gesicht qehalten. es ihm aber nicht qeqeben, ihm soll Wasser venNeiqert worden sein. Dieser Vorwurf ist nicht zutreffend. Eine Fesselung der Hände auf dem Rücken und der Füße in einem Kellerraum gänzlich ohne Bekleidung hat nicht stattgefunden. Der Untergebrachte war hingegen in einem besonders gesicherten Unterbringungsraum ohne gefährdende Gegenstände (bgU), bekleidet mit spezieller reißfester Wäsche, untergebracht . Der bgU befindet sich im Erdgeschoss der Abschiebungshafteinrichtung. Zu den Hintergründen der Unterbringung des Betroffenen in dem bgU und dem weiteren Verlauf wird auf die Antwort zum nachfolgenden Vorwurf verwiesen. Anhaltspunkte, die den Von/vurf, dem Untergebrachten sei Essen und Wasser in der oben beschriebenen Weise vorenthalten worden, bestätigen können, liegen nach Prü-fung durch die Anstaltsleitung nicht vor. Schläqe durch das diensthabende Personal am 04. oder 05. Juni nachdem ihm verbo— ten worden war. zu rauchen Der Untergebrachte wollte am 4. Juni 2019 gegen 18:00 Uhr rauchen. Wegen mehrfacher Verstöße gegen Brandschutzregelungen durch den Untergebrachten (Verlassen des Raucherraums mit angezündeter Zigarette und Rauchen auf dem Gang) war der im Raucherraum fest installierte Zigarettenanzünder abgestellt. Trotz mehrfacher Erläu— terungen zeigte sich der Untergebrachte uneinsichtig und zerstörte im weiteren Verlauf den Zigarettenanzünder mit mehreren Fußtritten. Der Untergebrachte widersetzte sich den Aufforderungen der Bediensteten zum Unterlassen und der Anweisung des Hausleiters, seinen Unterbringungsraum aufzusuchen.Stattdessen drohte er unter Beleidigung der Bediensteten erneut Probleme an. DerHinweis des Hausleiters, die Aufforderung an den Untergebrachten zum Aufsuchen des Unterbringungsraums bei Nichtbefolgen mit unmittelbarem Zwang durchzusetzen, veranlasste den Untergebrachten, die Bediensteten anzugreifen. Zur Abwehr des Angriffs wurde er zu Boden gebracht und zunächst gefesselt. Die Unterbringung im bgU wurde in Absprache mit der Schichtleiterin angeordnet und umgesetzt. Im bgU sprang der Untergebrachte unter Einsatz massiver körperlicher Gewalt gegen das Fenster. Zu seinem eigenen Schutz wurden ihm Hand- und Fußfesseln angelegt. Wegen der Fesselung wurde eine Sitzwache angeordnet. Aufgrund weiterer Selbstverletzungshandlungen musste ihm zu seiner eigenen Sicherheit zusätzlich ein Kopfschutz angelegt werden. Der Untergebrachte wurde gegen 23:45 Uhr dem Einrichtungsarzt vorgestellt. Dieser hatte keine Bedenken gegen eine weitere Unterbringung im bgU. Die für die Untersuchung abgenommenen Handfesseln wurden nach der Untersuchung nicht wieder ange- Iegt. Die bgU-Unterbringung wurde am Morgen des 5. Juni 2019 gegen 9:40 Uhr aufgehoben . Seite 3 von 6 FreistaatSACHSEN STAATSMINISTERIUM DES INNERN Aufgrund seines Vorbringens, er sei geschlagen worden, wurde das entsprechende Videomaterial gesichert und ausgewertet. Die Anschuldigungen bestätigten sich nicht. Verabreichunq von Medikamenten, die. so der Vorwurf, keine Schmerzmittel waren, ihn stattdessen aber weqtreten ließen. Dieser VonNurf ist nicht zutreffend. Der Untergebrachte war wegen Ohrenschmerzen in medizinischer Behandlung mit entsprechender Bedarfsmedikation. Das wegen seiner Schlafstörungen durch den Untergebrachten eingeforderte und letzt- |ich vom Einrichtungsarzt in geringerer als der geforderten Dosis verordnete Medikament kann keinen Zustand des Wegtretens verursachen. 2. Vorwurf der Freundin des Betroffenen Unanqemessene Durchsuchunq der Freundin des Betroffenen bei einem Besuch durch das Personal Eine unangemessene Untersuchung hat nicht stattgefunden. Die Freundin des Untergebrachten hatte sich der erforderlichen Zugangskontrolle zu unterziehen, bei der sie zunächst durch einen Metalldetektorrahmen gehen musste. Nachdem dieser Metall anzeigte, erfolgte die übliche Untersuchung mittels Handsonde. Da auch diese Metall anzeigte, tastete die weibliche Bedienstete mit der Hand unterhalb des BH ab, ob sich dort verbotene Metallgegenstände befinden. Da die Sonde auch im Bereich des Ho— senbundes reagierte, wurde auch am Hosenbund getastet, ob sich dort verbotene Metallgegenstände befinden. 3. Vorwurf der Abschiebekontaktqruppe Verzöqerunqen bei der Gewährunq der Einsichtnahme in die Patientenakte Die Gründe für die Ablehnung der von der Bevollmächtigten begehrten sofortigen Einsichtnahme wurden ihr erläutert. Zu Einzelheiten wird auf die Antwort auf die Frage 5 verwiesen. Frage 2: Wann hat das Staatsministerium des Inneren als Beiratsmitglied wie Aufsichtsbehörde über die Anstaltsleitung welche Maßnahmen unverzüglich eingeleitet, um die Vonivürfe zu überprüfen, beispielsweise über Sichtung von Videoaufnahmen ? Wurde Personal suspendiert? Das Staatsministerium des Innern (SMI) wurde am 7. Juni 2019 durch die an alle Beiratsmitglieder gerichtete E-Mail der Vertreterin der Abschiebehaftkontaktgruppe über deren, an den Beirat gerichtete, Petition in Kenntnis gesetzt. Daraufhin wurde die Landesdirektion Sachsen (LDS), welcher die Abschiebungshaft- und Ausreisegewahrsams— einrichtung Dresden zugeordnet ist, am ersten darauffolgenden Arbeitstag, dem 11. Juni 2019, durch das SMI um Bericht gebeten. Mitteilungspflichten an die oberste Seite 4 von 6 FreistaatSACHSEN STAATSMINISTERIUM DES iNNERN Ausländerbehörde nach § 29 Abs. 5 Sächsisches Abschiebungshaftvollzugsgesetz(SächsAHaftVoiIzG) bestanden nicht. Die LDS hat dem SMI am 20. Juni 2019 Zwischenbericht erstattet und am25. Juni 2019 abschließend berichtet. Eine Erörterung mit der LDS vor Ort zu Details und Nachfragen des SMI, einschließlich einer Sichtung des Videomaterials, erfolgte am 2. Juli 2019. Ein Anlass für weitergehendes fachaufsichtliches Handeln seitens des SMI hat sich daraus nicht ergeben. Suspendierungen waren nicht geboten. Frage 3: Welche Erkenntnisse hat das Staatsministerium des Inneren zum Stand des Ermittlungsverfahrens im Nachgang der Strafanzeige? Eine Strafanzeige und ein Ermittlungsverfahren sind dem SMI nicht bekannt. Frage 4: Welche Mechanismen hat das Staatsministerium des Inneren in der Abschiebehaftanstalt etabliert, damit die lnhaftierten wie Besucher*innen vor Gewalt und unangemessener Durchsuchung von Seiten des Personals der LDS und weiterer in der Abschiebehaftanstalt Beschäftigten geschützt werden? In der Einrichtung werden seit deren Eröffnung im Dezember 2018 Regularien, insbesondere Hausordnung und Besucherordnung, angewandt, welche ein rechtmäßiges und angemessenes Handeln der Bediensteten gewährleisten. Die Bediensteten und Tarifbeschäftigten haben eine Ausbildung durchlaufen, welche rechtmäßiges und verhältnismäßiges Handeln zum Gegenstand hatte. Über die Einhaltung der einschlägigen Normen und Vorschriften wacht die Einrichtungsleitung. Über die vorhandene Videoüben Nachung des Unterbringungsbereiches wird zudem sichergestellt, dass Misshand- Iungen der vorgeworfenen Art nicht unbemerkt erfolgen können. Frage 5: Warum wurde dem bevollmächtigten Mitglied der Abschiebehaftkontaktgruppe nicht unverzüglich die Patientenakte zur Verfügung gestellt und wann konnte das Mitglied die Akte Ietztendlich einsehen? Hat die LDSI das Staatsministerium des Inneren in der Zwischenzeit wesentliche Inhalte in Dokumenten bzw. ganze Dokumente aus der Akte geändert! entferntl vernichtet und wenn ja, welche Inhalte bzw. Dokumente waren das? Die Akteneinsicht wurde unverzüglich gewährt. Unverzüglich bedeutet nicht sofort, sondern ohne schuldhaftes Zögern. Schuldhaftes Zögern seitens der LDS ist nicht erkennbar Seite 5 von 6 FreistaatSACHSEN FreistaatSACHSENSTAATSMINISTERIUMDES INNERN Das Gesuch zur Einsichtnahme in die Patientenakte wurde am 6. Juni 2019 gestellt, am 7. Juni 2019 geprüft und der Bevollmächtigten die Akteneinsicht in die Patientenak-te und die Unterbringungsakte am 12. Juni 2019 gewährt. In den Akten wurden dieKlarnamen und polizeilichen Auszüge geschwärzt. Dokumente wurden nicht entfernt. re ndlichenfiGrüßenM (‚7%Dr. Roland Wöller Seite 6 von 6 2019-07-18T12:16:50+0200 pseudo: Elektronisches Dokumentations- und Archivsystem Erstellung des Nachweisdokumentes