STAATSM1N1STER1UM FUR 5OZ1ALES UND VERBRAUCHERSCHUTZ Freistaat SACHSEN SÄCHSISCHES STAATSMINISTERIUM FOR SOZIALES UND VERBRAUCHERSCHUTZ Albertstraße 10 I 01097 Dresden Präsidenten des Sächsischen Landtages Herrn Dr. Matthias Rößler Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 01067 Dresden Kleine Anfrage der Abgeordneten Sarah Buddeberg (DIE LINKE) Drs.-Nr.: 6/18042 Thema: Behördenumgang mit Genitalverstümmelung bei Frauen und Mädchen Sehr geehrter Herr Präsident, namens und im Auftrag der Sächsischen Staatsregierung beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1: Wird das Thema Genitalverstümmelung in der Ausbildung sow ie in Schulungen von Beschäftigen in Jugendamt, Sozialarbeit, Sozialpädagogik , Schule, Kindergarten, Polizel, Justiz und Medizin berückslchtigt? Wenn ja, in welcher Form? Die Frage 1 wird, bezogen auf die darin genannten Sachbereiche, wie folgt beantwortet: Juaendamt/Sozialarbeit/Sozialpädagoaik Das Landesjugendamt unterstützt die örtliche Jugendhilfe durch Beratung von Jugendämtern und freien Trägern in alien fachlichen Fragestellungen und entwickelt bedarfsgerecht Fortbildungsangebote (gemäß § 85 Abs. 2 SGB VIII), die in eigener organisatorischer und fachlich-inhaltlicher Verantwortung durch die Träger durchgeführt werden. Aufgrund einer praxisbezogenen Anfrage fand am 23. Oktober 2017 im Rahmen des überregionalen Arbeitskreises „Präventiver Kinderschutz / Hilfen zur Erziehung" für Leiter/innen der Allgemeinen Sozialen Dienste (ASD) in den örtlich zuständigen Jugendämtern des Freistaates Sachsen zum Thema „Wirksame Prävention von Genitalverstümmelung in Deutschland" in Kooperation mit SAIDA International e.V. eine Fortbildungs- und Diskussionsveranstaltung statt. Ziel der Veranstaltung war es, die Teilnehmer/innen für diese Problematik zu sensibilisieren und konkrete Anhaltspunkte zur Gefährdungseinschätzung gemäß § 8a SGB VIII gemeinsam zu d iskut ieren sow ie mögl iche Handlungsoptionen des Allgemeinen Sozialen Dienstes bei Bekanntwerden Die StaatsminIsterin für Gleichstellung und Integration Durchwahl Telefon +49 351 564-54905 Telefax +49 351 564-54909 Ihr Zeichen Ihre Nachricht vom Aktenzeichen (bItte bel Antwort angeben) GL-0141.51-19/449 Dresden, 44. Jull 2019 Hausanschrlft: SächsIsches StaatarnInIsterlum für Soz lales und Verbraucherschutz Albertstraße 10 01097 Dresden Beaucheradresse: Bautzner Straße 19a 01099 Dresden www.sms.sachsen.de STAATSM1N1STER1UM FÜR SOVALES UND VERBRAUCHERSCHUTZ Freistaat SACHSEN eines drohenden oder akuten Verdachtes auf Genitalverstümmelung bei Mädchen abzuwägen . Der Verein SAIDA e.V. bot dabei den Leiter/innen des ASD Beratung im Einzelfall zur Gefährdungseinschätzung an, was nach Einschätzung des Landesjugendamtes auch genutzt wird. Schule Das Thema Genitalverstümmelung ist im Gesamtzusammenhang mit dem Thema Kindeswohlgefährdung zu betrachten. Mit der Neufassung des § 50a im Sächsischen Schulgesetz wird die Mitverantwortung der Schule für den Kinderschutz stärker hervorgehoben . Dabei handelt es sich um die Anpassung der Begrifflichkeiten und des Verfahrens an die Vorgaben des Gesetzes zur Kooperation und Information im Kinderschutz hinsichtlich bestehender Beratungspflichten sowie Befugnisse zur Weitergabe von Informationen bei Bestehen gewichtiger Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder eines Jugendlichen. Dieser Gesamtrahmen ist Grundlage für die curricular gesteuerte Arbeit im Vorbereitungsdienst in den Schwerpunkten Umgang mit Heterogenität, Schülerorientierung, Lebensnähe und Vielfalt des Unterrichts, Demokratieerziehung sowie im Schulrecht. In Ergänzung dazu erfolgt eine schulartspezifische Thematisierung in den einschlägigen Fächern entsprechend den Anforderungen der sächsischen Lehrpläne. Ferner werden regelmäßig Lehrerfortbildungen sowohl zum Erkennen von als auch zum Handeln bei Kindeswohlgefährdung angeboten. Kinderaarten Gemäß § 21 des Gesetzes über Kindertageseinrichtungen (SächsKitaG) sind für die Fortbildungsangebote der pädagogischen Fachkräfte neben dem Landesjugendamt die örtlichen und freien Träger der öffentlichen Jugendhilfe zuständig (Vgl. S. 1 Abschnitt zu Jugendamt). Aktuelle gesellschaftliche Themen, Qualitätssicherungsmaßnahmen sowie Bedarfe der pädagogischen Fachkräfte werden bei der Planung der Fortbildungsangebote berücksichtigt . Im Kontext zum Erkennen und Handeln von/bei körperlichen und psychischen Beeinträchtigungen von Kindern werden pädagogischen Fachkräften regelmäßig Fortbildungen zum Thema „Kindeswohlgefährdung gemäß § 8a SGB VIII" angeboten. Polizei Sowohl in der Ausbildung für die zweite Einstiegsebene der Laufbahngruppe 1 der Fachrichtung Polizei (LG 1.2 Pol) als auch im Studium für die erste Einstiegsebene der Laufbahngruppe 2 der Fachrichtung Polizei (LG 2.1 Pol) wird das Thema Genitalverstümmelung behandelt. Der Ausbildungsfachplan für die LG 1.2 Pol sieht diese Thematik — § 226a StGB (Verstümmelung weiblicher Genitalien) — im zweiten Ausbildungsabschnitt im Fach Straf-, Ordnungswidrigkeiten- und Zivilrecht an den Polizeifachschulen im Rahmen der Behandlung des § 226 StGB vor. Als Methodik sind Vorträge, Unterrichtsgespräche sowie die Fallbeispielbearbeitung vorgesehen. Seite 2 von 5 STAATSM1N1STER1UM FUR SOZ1ALES UND VERBRAUCHERSCHUTZ Freistaat SACHSEN Im Rahmen des Studiengangs „Bachelor of Arts (B. A.) — Polizeivollzugsdienst" (LG 2.1 Pol) ist § 226a StGB in den Modulen 6 (Rechtliche Grundlagen präventiver und repressiver polizeilicher Tätigkeit) und 12 (Besondere Kriminalistik und Kriminologie) Studieninhalt . Die konkrete Ausgestaltung des Studieninhalts obliegt den Hochschullehrern im Rahmen der Lehrfreiheit. Justiz Die Straftaten des 17. Abschnitts des Strafgesetzbuches, zu denen auch § 226a StGB gehört, gehören zu den Pflichtfächern, welche Prüfungsgebiete der staatlichen Pflichtfachprüfung sind (vgl. § 14 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 7 Buchst. bb) gg) Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Juristen des Freistaates Sachsen — SächsJAP0). Die Zweite Juristische Staatsprüfung erstreckt sich wiederum u.a. auf die Pflichtfächer der staatlichen Pflichtfachprüfung der Ersten Juristischen Prüfung unter Berücksichtigung der in der praktischen Ausbildung angestrebten Ergänzung und Vertiefung (vgl. § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SächsJAP0). In der Referendarausbildung selbst erfolgt keine spezifische Befassung mit dem Thema. Spezifische landeseigene Fortbildungen für Richter und Staatsanwälte fanden seit 2015 zu diesem Thema ebenfalls nicht statt. Das Thema "Beschneidung" wurde jedoch im Jahr 2016 allgemein im Rahmen einer Tagung an der Deutschen Richterakademie (Tagung Nr. 12d "Religiöse Pluralisierung — Herausforderung für unsere Rechtsordnung"), die auch für sächsische Teilnehmer geöffnet war, behandelt. Das Thema "Genitalverstümmelung" als Straftatbestand wird in der Ausbildung der Justizfachwirte, Justizwachtmeister, Gerichtsvollzieher, Rechtspfleger, Amtsanwälte und Obersekretäranwärter im Justizvollzugsdienst im Übrigen nicht behandelt. Darüber hinaus wird das Thema „Genitalverstümmelung" im fachtheoretischen Studium der Rechtspflegeanwärter insoweit behandelt, als dass die Regelung des § 1631d BGB („Beschneidung des männlichen Kindes") hinsichtlich Normzweck, -historie und Rechtsfolgen in überblicksartiger Weise Gegenstand der Lehrveranstaltungen zum Familienrecht ist. Medizin Welter- bzw. Fortbildungen für Ärzte und medizinisches Fachpersonal sind nicht bekannt. Frage 2: Welches schriftliche/ digitale Informationsmaterial für die unterschiedlichen Berufsgruppen , die mit dem Thema Genitalverstümmelung In Berührung kommen oder kommen könnten, gibt es im Freistaat Sachsen? Die in Leipzig ansässige Organisation SAIDA International e.V. stellt umfassende Informationen zum Thema Genitalverstümmelung auf der Webseite bereit (https://saida.de/arbeitsfelderffienitalverstümmelung). Darüber hinaus entwickelte der Verein im Jahre 2016 auch eine Handlungsempfehlung zur wirksamen Prävention von Genitalverstümmelung in Deutschland. Seite 3 von 5 STAATSM1N1STER1UM FUR SOZ1AUES UND VERBRAUCHERSCHUTZ Freistaat SACHSEN Die Sächsische Landesärztekammer hat im November 2017 in ihrem Ärzteblatt einen Artikel über Genitalverstümmelung und Erfahrungen der Flüchtlingsambulanz Dresden veröffentlicht (https://www.slaek.de/media/dokumente/04presselaerzteblatt/archiv/2011- 2020/2017/11/1117 514.pdf). Frage 3: Wie viele Strafanzeigen oder -verfahren wurden seit der Einführung eines eigenen Straftatbestandes im Jahre 2013 (§226a StGB) in Sachsen gestellt oder durchgeführt und mit welchem Ausgang/Urteil? Seit der Einführung des § 226a StGB im Jahr 2013 war kein Verfahren wegen Genitalverstümmelung im Freistaat Sachsen anhängig. Frage 4: Wie viele familiengerichtliche Verfahren wurden vor dem Hintergrund zu befürchtender /durchgeführter Genitalverstümmelung durchgeführt? Aufgrund der Formulierung der Frage 3 wird davon ausgegangen, dass auch bei Frage 4 Daten seit der Einführung des eigenständigen Straftatbestandes im Jahr 2013 bis dato abgefragt werden. Gemäß Artikel 51 Absatz 1 Satz 1 der Verfassung des Freistaates Sachsen ist die Staatsregierung verpflichtet, Fragen einzelner Abgeordneter oder parlamentarische Anfragen nach bestem Wissen unverzüglich und vollständig zu beantworten. Bestem Wissen entspricht die Antwort, wenn das Wissen, das bei der Staatsregierung präsent ist, sowie jene lnformationen, die innerhalb der Antwortfrist mit zumutbarem Aufwand zumindest in ihren Geschäftsbereichen eingeholt werden können, mitgeteilt werden (SächsVerfGH, Urteil vom 16. April 1998, Vf. 19-1-97). Eine elektronische Recherche bezüglich der betreffenden Verfahren ist nicht möglich. Für die umfassende Beantwortung der Frage 4 wäre die Durchsicht aller Akten der Verfahrensgegenstände "elterliche Sorge", "sonstige Kindschaftssache" und "weitere Familiensache " im Zeitraum von 2013 bis April 2019 (für Mai und Juni liegen noch keine Zahlen vor), namentlich 49.735 Akten, erforderlich. Für das Anfordern, das Suchen, den Transport der Akten sowie die Auswertung und Dokumentation im Sinne der Fragestellung und den Rücktransport ist mit einer Bearbeitungszeit von mindestens 15 Minuten pro Akte zu rechnen. Ausgehend von einer 40-h-Woche wäre daher ein Mitarbeiter mehr als 310 Wochen damit beschäftigt, die Frage zu beantworten. Andere Aufgaben können währenddessen nicht wahrgenommen werden. Eine solche Erhebung wäre mit einem Aufwand verbunden, der geeignet ist, die Arbeitsund Funktionsfähigkeit der Justiz zu beeinträchtigen. Nach Abwägung des parlamentarischen lnformationsinteresses einerseits und der Gewährleistung der Funktionsfähigkeit der Staatsregierung sowie der Justiz andererseits wurde, auch unter Berücksichtigung des hohen Rangs des parlamentarischen Fragerechts, aus Gründen der Zumutbarkeit von der umfassenden Beantwortung abgesehen. Seite 4 von 5 STAATSMIN1STER1UM FOR SOZ1ALES UND VERBRAUCHERSCHUTZ Freistaat SACHSEN Den Richtern der Gerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit sind bezogen auf den Zeitraum vom 1. Januar 2013 bis zum 19. Juni 2019 zudem keine Verfahren erinnerlich, die eine befürchtete oder durchgeführte Genitalverstümmelung zum Gegenstand hatten. Ergänzend wird auf ein älteres, beim Oberlandesgericht Dresden geführtes Verfahren hingewiesen, in dem einer Mutter durch das Gericht die Ausreise nach Gambia und die dortige Einschulung ihrer fünfjährigen Tochter untersagt wurde, weil eine Genitalverstümmelung zu befürchten war (Beschluss vom 20. Juli 2003, Az.: 20 UF 401/03, veröffentlicht in FamRZ 2003, 1862). Frage 5: Welche wichtigen Anhaltspunkte zur Einschätzung bei einer drohenden oder akuten Kindeswohlgefährdung bel Genitalverstümmelung benennt das Landesjugendamt Sachsen und welche Handlungsempfehlungen leitet es daraus für die Träger der Jugendhilfe ab? Entsprechende Handlungsempfehlungen wurden durch das Landesjugendamt Sachsen bislang nicht erarbeitet. Das Landesjugendamt berät jedoch in Einzelfällen gemäß § 85 Abs. 2 SGB VIII auf Grundlage einschlägiger Gerichtsurteile öffentliche und freie Träger der Jugendhilfe oder vermittelt an den Verein SAIDA International e.V. Mit freundlichen Grüßen In Vertretung 4: IA....4 C it a in Dull,a in Du li Seite 5 von 5 2019-07-22T07:39:17+0200 pseudo: Elektronisches Dokumentations- und Archivsystem Erstellung des Nachweisdokumentes