STAATSM] NISTERIUM DES INNERN SÄCHSISCHES STAATSMINISTERIUM DES INNERN 01095 Dresden Präsidenten des Sächsischen Landtages Herrn Dr. Matthias Rößler Bernhard—von-Lindenau-Platz 1 01067 Dresden Kleine Anfrage des Abgeordneten Enrico Stange (DIE LINKE) Drs.-Nr.: 6I18327 Thema: Digitale Gewalt in Sachsen in den Jahren 2016 bis 2019 Sehr geehrter Herr Präsident, namens und im Auftrag der Sächsischen Staatsregierung beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1: Wie viele Ermittlungsverfahren wurden in Sachsen in den Jahren 2016- 2018 sowie im ersten Halbjahr 2019 im Phänomenbereich digitaler Gewalt geführt und wie viele der Ermittlungsverfahren gehen auf Anzeigen von Amts wegen sowie auf Anzeigen anderer zurück? Frage 2: Wie viele der Ermittlungsverfahren aus Frage 1 bezogen sich auf a) Cybermobbing oder Bullying (also das systematische Schikanieren und Quälen etwa in Chatgruppen), b) Cyber-Grooming (gezielte sexuelle Belästigung von Kindern und Jugendlichen im Internet), c) Verwendung von Hatespeech und gezielten verbalen Angriffen im Internet gegen Angehörige von Minderheiten, d) Revenge Porn (Verbreiten von oder Erpressen durch die Ankündigung der Verbreitung intimer Fotos oder Videos), e) Identitätsdiebstahl, f) Doxing (Sammeln und Veröffentlichen von personenbezogenen Daten im Internet), 9) Kontrolle und in der Folge Einschüchterung und Bedrohung Dritter durch das heimliche Installieren von Spy-Apps, den heimlichen Zugriff auf Mobilgeräte, das heimliche Mitlesen von E-Mails und Social-Media-Accounts, das heimliche Abhören von Gesprächen oder das heimliche Filmen durch Kameras, die in privaten Räumen installiert wurden? (Bitte aufschlüsseln Jahr und Art!) Frage 3: Welche Erkenntnisse hat die Staatsregierung zur Zahl der Opfer digitaler Gewalt gemäß den Ermittlungsverfahren aus Fragen 1 und 2, zur Zahl der Frauen und Männer unter den Opfern sowie zum Alter? FreistaatSACHSEN Der Staatsminister Aktenzeichen (bitte bei Antwort angeben) 3-1053/81/87 Dresden, 8. August 2019 Hausanschrift: Sächsisches Staatsministerium des Innern Wilhelm-Buck-Str. 2 01097 Dresden Telefon +49 351 564-0 Telefax +49 351 564-3199 www.smi.sachsen.de Verkehrsanbindung: Zu erreichen mit den Straßenbahnlinien 3.6.7.8,13 Besucherparkplätze: Bitte beim Empfang WilheIm-Buck- Str. 2 oder 4 melden. STAATSMINISTERiUM DES iNNERN Zusammenfassende Antwort auf die Fragen 1 bis 3: Von einer Beantwortung seitens der Staatsregierung wird abgesehen. Gemäß Artikel 51 Absatz 1 Satz 1 der Verfassung des Freistaates Sachsen ist die Staatsregierung verpflichtet, Fragen einzelner Abgeordneter oder parlamentarische Anfragen nach bestem Wissen unverzüglich und vollständig zu beantworten. Nach dem Grundsatz der Verfassungsorgantreue ist jedes Verfassungsorgan verpflichtet, bei der Ausübung seiner Befugnisse den Funktionsbereich zu respektieren, den die hierdurch mitbetroffenen Verfassungsorgane in eigener Verantwortung wahrzunehmen haben. Dieser Grundsatz gilt zwischen der Staatsregierung und dem Parlament sowie seinen einzelnen Abgeordneten, so dass das parlamentarische Fragerecht durch die Pflicht des Abgeordneten zur Rücksichtnahme auf die Funktions- und Arbeitsfähigkeit der Staatsregierung begrenzt wird. Die Staatsregierung muss nur das mitteilen, was innerhalb der Antwortfrist mit zumutbarem Aufwand in Erfahrung gebracht werden kann (vgl. SächsVerfGH, Urteil vom 16. April 1998, Vf. 14-1-97). Es erfolgt keine statistische Erfassung im Sinne der Fragestellungen. Die vollständige Beantwortung der Fragen durch die Staatsanwaltschaften würde die Durchsicht und händische Auswertung der Papierakten aller in Betracht kommender Ermittlungsverfahren erfordern. Handlungen, die dem Phänomenbereich der digitalen Gewalt zuzurechnen sind, sind aufgrund zahlreicher Straftatbestände, so zum Beispiel §§ 185, 238, 240, 253 Strafgesetzbuch (StGB) und § 33 Kunsturheberrechtsgesetz (KunstUrhG), unter Strafe gestellt. Allein wegen dieser fünf TatvonNürfe ermittelten die sächsischen Staatsanwaltschaften im Berichtszeitraum gegen 42.087 bekannte Be— schuldigte und 10.915 unbekannte Beschuldigte. Es wären daher umfangreiche und zeitaufwendige Recherchen in den Aktenbeständen der sächsischen Staatsanwaltschaften erforderlich. Dabei ist der Zeitaufwand für das Ziehen der Akten aus den Geschäftsstellen und staatsanwaitschaftlichen Archiven, der Aufwand zur Beiziehung versendeter Akten, z. B. von Verteidigern, Gerichten, Sachverständigen und Polizei, das Auswerten der Akten und die schriftliche Dokumentation des gefundenen Ergebnisses zu berücksichtigen . Für die entsprechende Auswertung der Akten ist daher von einem Arbeitsaufwand von durchschnittlich mindestens 30 Minuten je Akte auszugehen. Dies zugrunde gelegt, wird der bei den Staatsanwaltschaften für die händische Auswertung der Akten zu den insgesamt 53.002 Vorgängen anfallende zeitliche Aufwand auf mindestens 3.313 Arbeitstage für einen in Vollzeit tätigen Mitarbeiter geschätzt. Für die Beantwortung der Fragen wäre auch durch die Polizei eine Einzelfallprüfung mindestens aller erfassten Straftaten mit dem Tatmittel ,,|nternet“ erforderlich. Für den Zeitraum vom 1. Januar 2016 bis 30. Juni 2019 handelt es sich dabei im Poiizeilichen Auskunftssystem Sachsen (PASS) um 35.771 Vorgänge. Bei einer durchschnittlichen Bearbeitungszeit von mindestens 30 Minuten je Vorgang wäre ein in Vollzeit tätiger Mitarbeiter über 447 Arbeitswochen damit befasst. Seite 2 von 5 FreistaatSACHSEN STAATSMINISTERIUM DES INNERN Dieses Personal stünde dann für Kernaufgaben der Justiz und des Polizeivollzugsdienstes nicht bzw. nur sehr eingeschränkt zur Verfügung. Die Staatsregierung kam daher bei der vorzunehmenden Abwägung zwischen dem parlamentarischen Fragerecht einerseits und der Gewährleistung der Funktionsfähigkeit der Staatsregierungsowie der ihr zugeordneten Ermittlungs- und Polizeibehörden andererseits zu dem Ergebnis , dass eine Beantwortung der Frage auch unter Berücksichtigung des hohen Rangs des parlamentarischen Fragerechts unverhältnismäßig und ohne erhebliche Einschränkung der Strafrechtspflege und der Funktionsfähigkeit der sächsischen Polizei nicht zu leisten ist. Frage 4: Welchen Handlungsbedarf sieht die Staatsregierung im Kampf gegen digitale Gewalt hinsichtlich der gesetzlichen Regelungen? Dem materielI-strafrechtlichen Schutz vor Delikten aus dem Phänomenbereich der Cy— berkriminalität fehlt es gegenwärtig — anders als bei klassischen Deliktsbereichen — weitgehend an spezifischen Qualifikationstatbeständen und Regelbeispielen mit erhöhten Strafandrohungen, um auf schwerwiegende Taten mit einem gesteigerten Unrechtsgehalt tat- und schuldangemessen reagieren zu können. Weiterhin können beim Verdacht einer Straftat aus dem Bereich Cybercrime derzeit häufig die Täter nicht ermittelt und überführt werden, weil den Strafverfolgungsbehörden auch unter Berücksichtigung der Beschuldigtenrechte angemessene strafprozessuale Befugnisse für erfolgversprechende Ermittlungen in der digitalen Welt nicht oder nur eingeschränkt zur Verfügung stehen. Eine Überwachung der Telekommunikation in Form der „ServerübenNachung“ zur Identifizierung der Täter, zur Aufhellung der verwendeten Infrastruktur und zum Führen des Tatnachweises ist mangels Vorliegens einer Katalogtat nach § 100a Absatz 2 Strafpro— zessordnung derzeit rechtlich nicht zulässig. Diese technische Ermittlungsmaßnahme stellt aber oftmals den einzig erfolgversprechenden und zugleich verhältnismäßigen Ermittlungsansatz dar, da die Delikte der Cyberkriminalität in den allermeisten Fällen auch oder ausschließlich unter Zuhilfenahme von Telekommunikationsdiensten begangen werden. lm Bundesrat hat der Freistaat Sachsen hierzu für den Entwurf Nordrhein—Westfalens eines Strafrechtsänderungsgesetzes — Gesetz zur effektiveren Verfolgung der Computerkriminalität , BR-Drs.-Nr. 248/19, gestimmt, der allerdings im Bundesratsplenum am 28. Juni 2019 keine Mehrheit fand. Frage 5: Welche Ausbildungsbestandteile an den Polizeifachschulen, an der Hochschule der sächsischen Polizei, am Fortbildungszentrum der Polizei sowie in der Ausbildung von Juristen und Justizbediensteten werden mit Bezug auf digitale Gewalt bereits realisiert? (Bitte aufschlüsseln nach Ressorts, Einrichtungen, Ausbildungsgängen , Laufbahngruppen, AusbiIdungsbestandteilenI-modulen, Inhalt und zu absolvierenden Stundenzahlen!) Seite 3 von 5 FreistaatSACHSEN STAATSMINISTERiUM DES iNNERN Im Rahmen der Aus— und Fortbildung der sächsischen Polizei werden rechtliche Grundlagen und ermittlungstaktische Fragen bezüglich der Bearbeitung von Straftaten unter dem Aspekt der Begehung mit Hilfe von digitalen Medien gelehrt. Des Weiteren wird auf die Anlage venNiesen. Der Begriff „Digitale Gewalt" ist kein anerkannter, fest umrissener Fachbegriff in der Ausbildung von Juristen und Justizbediensteten. Unter dem Begriff „Digitale Gewalt“ im Sinne der Kleinen Anfrage werden daher die in Frage 2 genannten Fallgruppen bzw. Delikte verstanden. Eine Aufschlüsselung von Ausbildungsbestandteilen mit Bezug auf Digitale Gewalt nach Inhalt und zu absolvierenden Stundenzahlen ist weder für die Ausbildung von Volljuristen noch für die Ausbildung anderer Justizbediensteter (insb. Justizfachwirte, Rechtspfleger und Amtsanwälte) möglich, weil es sich um ein Querschnittsthema und kein eigenes Lehrfach handelt. Sofern die in Frage 2 genannten Fallgruppen zivilrechtliche Bezüge aufweisen (z. B. Unterlassungsansprüche, einstweilige Verfügungen), Straftatbestände erfüllen (2. B. Ehrdelikte) oder öffentlich-rechtliche Bezüge aufweisen (2. B. Gefahrenabwehr), können sie zum Gegenstand der Ausbildung im juristischen Vorbereitungsdienst und der staatlichen Pflichtfachprüfung oder der Zweiten Juristischen Staatsprüfung gemacht werden. Eine Entscheidung hierüber treffen der jeweilige Arbeitsgemeinschaftsleiter oder die Prüfungsausschüsse für die Staatsprüfungen im Einzelfall. Die fachtheoretische Ausbildung der Anwärter der zweiten Einstiegsebene der Laufbahngruppe 1 der Fachrichtung Justiz mit dem fachlichen Schwerpunkt Justizdienst (Justizsekretäranwärter) findet am Ausbildungszentrum Bobritzsch, Fachbereich Justiz statt. Die fachtheoretische Ausbildung der Rechtspflegeranwärter findet an der Hochschule Meißen (FH) und Fortbildungszentrum, Fachbereich Rechtspflege statt. Nach den Rahmenstoffplänen ist für diese Ausbildungsgänge jeweils auch Unterrichtsertei— lung im Bereich des Strafrechts vorgesehen. Den Anwärtern werden hier in Vorträgen und Übungen Kenntnisse sowohl zu den Grundsätzen des Straf— und Strafprozessrechts als auch zu einzelnen Straftatbeständen vermittelt. Vertieft behandelt werden hier u. a. die Straftatbestände der Beleidigung und der Nötigung. Das fachwissenschaftliche Studium zur Ausbildung der Beamten für den Amtsanwaltsdienst im Freistaat Sachsen findet an der Fachhochschule für Rechtspflege Nordrhein— Westfalen statt. Die Beamten werden insbesondere zum Allgemeinen und Besonderen Teil des materiellen Strafrechts sowie im Strafprozessrecht unterrichtet, mit Schwerpunkt bei den in der Zuständigkeit der Amtsanwälte liegenden Delikten. Erkenntnisse dazu, ob in diesem Rahmen Ausbildungsinhalte mit spezifischem Bezug zum Thema Digitale Gewalt vermittelt werden, liegen hier nicht vor. Die bei der Generalstaatsanwaltschaft Dresden angesiedelte Sächsische Zentralstelle zur Bekämpfung von Cybercrime (208) hat im Jahr 2018 für die sächsischen Staats— anwälte eine landesweite Fortbildungsreihe durchgeführt. Diese in sechs Einzelbausteine zu je vier Stunden unterteilte „Grundqualifizierung Cybercrime" betraf die Themenbereiche ,,Technische Grundlagen und Funktionsweisen“, „Cyberkriminalität und Seite 4 von 5 FreistaatSACHSEN STAATSMINISTERIUM DES INNERN Freistaat SACHSEN ihre Erscheinungsformen“, „Eingriffsmaßnahmen und ihre Rechtsgrundlagen“ sowie „Ermittlungsmethoden und technische Hilfsmittel“ und wurde von insgesamt 302 Mitarbeitern der sächsischen Justiz besucht. Mit’fre dlichen Grüßen oland Wöller Anlage Seite 5 von 5 An la ge zu Drs .-N r.: 6/ 18 32 7 Re ss or t Sä ch si sc he s St aa ts mi ni st er iu m de s In ne rn Ei nr ic ht un g Pr äs id iu m d er Ber eit sch aft spo liz ei Ho ch sc hu le de r S äc hs is ch en Pol ize i ( FH ) Po li ze if ac hs ch ul en Ho ch sc hu ls ta nd or t R ot he nb ur g/ O. L. For tbi ldu ngs zen tru m Sta ndo rt Ba ut ze n Au sb il du ng sg an gl La uf ba hg ru pp e Wa Po * LG 1.2 Po| ** LG 2.1 Pol *** LG 2.2 Pol *** * zen tra le Fo n‘ bi ld un g uewuemseqsßunpuqsnvModul/Thema Inhalte Stunden (in LVS) Modul/Thema 2 Inhalte Stunden (in LVS) Modul/Thema 3 Inhalte Stunden (in LVS) Modul/Thema Inhalte Stunden (in LVS) Modulfl'hema Inhalte Stunden (in LVS) Mangels Relevanz wird im Rahmende r Au sb il du ng de r Wa ch po li ze i a uf da s Th em a C ybe rcr ime (in sof ern dig ita le Gew alt )l edi gli ch hi ng ew ie se n. Da ss die Be ge hu ng vo n Str aft ate n a uc h m it Hil fe un dd ur ch Inf orm ati ons tec hni k mö gl ic h i st, wir d ang esp roc hen . Be so nd er es Po li ze ir ec ht Mo du l 12 .3 Mo du l 6 Da te ns ch ut z, Ur he be rr ec ht St ra ft at en i. Z . m. hä us li ch er Ge wa lt Sic her ung vo n el ek tr on is ch en Da te n 2 4 2 Kri min ali sti k Mo du l 1 2.6 Mo du l 8 Ze ug en ve rn eh mu ng , Tat ort arb eit inf orm ato ris ch, Fa hn du ng mit IuK , Kri min alp räv ent ion St ra ft at en i. Z . m . de m In te rn et Re ch tl ic he As pe kt e bei de r D at en — erh ebu ng, La us ch an gr if f 14 2 In fo rm at io ns te ch ni k Pol ize ili che An we nd un ge n 14 Pol ize ili che s Lag etr ain ing Ge wa lt ge ge n Pe rs on en : Kör per ver let zun g, hä us li ch e G ew al t ( im Kon tex t m it Nu tz un g dig ita ler Me di en ) 28 Str af— , O rd nu ng swi dr ig ke it en -‚ Ziv ilr ech t Cyb erk rim ina lit ät Übe rbl ick sth eme n 6 Im Rahmen der zentralen Fortbildung wird „digitale Gewalt“ nicht als eigenständiges Themabehandelt. Gleichwohlspieltdiese Thematikbeizahlreichen anderenThemen aufgrundderfortschrei— tendenDigitalisierung eine Rolle und wird insofern — inkludiert— mitbehandelt. * ** * ** *- * Wa Po = W ac hp ol iz ei . * * L G 1.2 Pol = L au fb ah ng ru pp e 1. zw ei te Ei ns ti eg se be ne . F ac hr ic ht un g Pol ize i, LG 2.1 Pol = L au fb ah ng ru pp e 2 , e rst e E in st ie gs eb en e, Fa ch ri ch tu ng Pol ize i, LG 2.2 Pol = L au fb ah ng ru pp e 2 , z we it e E in st ie gs eb en e, Fa ch ri ch tu ng Pol ize i 2019-08-08T11:23:50+0200 pseudo: Elektronisches Dokumentations- und Archivsystem Erstellung des Nachweisdokumentes