STAATSM11SI1STER1U1VI DES 1NMERN SÄCHSISCHES STAATSMINISTERIUM DES INNERN 01095 Dresden Präsidenten des Sächsischen Landtages Herrn Dr. Matthias Rößler Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 01067 Dresden Kleine Anfrage der Abgeordneten Kerstin Köditz, Fraktion DIE LINKE Drs.-Nr.: 6/407 Thema: Überprüfung von Tötungsdelikten auf einen rechtsmotivierten Tathintergrund und Anerkennung der Todesopfer rechter Gewalt in Sachsen; Nachfrage zu Drs. 5/13323, 5/13588, 5/13589, 5/14782 und 5/14785 Sehr geehrter Herr Präsident, den Fragen sind folgende Ausführungen vorangestellt: „Aus der Beauskunftung der Kleinen Anfrage, Drs. 5/13323, ergibt sich, dass in Sachsen bis Anfang 2014 insgesamt 190 ,Altfälle‘ des Mordes und des Totschlags hinsichtlich einer politisch rechten Tatmotivation überprüft worden sind. Hiervon seien zwei Mordtaten als relevant erachtet und dem BKA gemeldet worden. Die dazu geführten Untersuchungen würden andauern und im Laufe des Jahres 2014 abgeschlossen werden. In der Drs. 5/13588 wurden weitere Tötungsdelikte bezeichnet, die laut Beauskunftung bislang nicht Gegenstand einer Überprüfung waren. In dem Zusammenhang wurde mitgeteilt, dass über eine Ausweitung der Überprüfung ggf. noch entschieden werde. Die Kriterien, unter denen die Überprüfung bislang geführt wurde, ergeben sich aus der Beauskunftung der Kleinen Anfrage, Drs. 5/13589. Schließlich ergibt sich aus der Beauskunftung der Kleinen Anfragen, Drs. 5/14782 und 5/14785, dass die Todesfälle Gerhard Helmut B. (Leipzig, 17.12.1995) und Thomas K. (Leipzig, 04.10.2003) inzwischen Gegenstand eines noch anhaltenden Prüfprozesses geworden seien.“ Namens und im Auftrag der Sächsischen Staatsregierung beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1: In welcher Weise, entlang welcher Kriterien und mit welchen Ergebnissen ist im Freistaat Sachsen seit Beginn des Jahres 2014 die Überprüfung von „Altfällen“ des Mordes und Totschlages - gegebenenfalls auch weiterer Deliktsgruppen und/oder unter Einbezug von Straftaten, ....I Freistaat |P SACHSEN Der Staatsminister Aktenzeichen (bitte bei Antwort angeben) 33-0141.50/8443 Dresden, ^ . Januar 2015 Hausanschrift: Sächsisches Staatsministerium des Innern Wilhelm-Buck-Str. 2 01097 Dresden Telefon +49 351 564-0 Telefax +49 351 564-3199 www.smi.sachsen.de Verkehrsanbindung: Zu erreichen mit den Straßenbahnlinien 3, 6, 7, 8, 13 Besucherparkplätze: Bitte beim Empfang Wilhelm-Buck-Str. 2 oder 4 melden. STAATSMINISTERIUM DES INNERN Freistaat SACHSEN deren Täter einer Verurteilung zugeführt werden könnten - auf eine politisch rechte Tatmotivation fortgesetzt worden? Wie in den fragegegenständlichen Drucksachen dargelegt, werden bei der von der AG Fallanalyse des Gemeinsamen Abwehrzentrums gegen Rechtsextremismus (GAR) koordinierten bundesweiten Überprüfung von Altfällen in einer ersten Phase zunächst ungeklärte Tötungsdelikte aus den Jahren 1990 bis 2011 untersucht, um im Kontext zu anderen Taten oder im Rahmen neuer Ermittlungsansätze Hinweise auf einen etwaigen rechtsextremistischen Hintergrund zu erlangen. Hinzu kommen jene Fälle, die in der vom „TAGESSPIEGEL“ und der „ZEIT“ im September 2010 veröffentlichten Auflistung „137 Todesopfer rechter Gewalt seit 1990“ enthalten sind. Über eine Ausweitung der Überprüfung auf weitere Deliktsgruppen sowie auf Straftaten, deren Tatverdächtige einer Verurteilung zugeführt wurden, ist bislang zwischen Bund und Ländern noch nicht entschieden worden. Das in den Gremien der Innenministerkonferenz (IMK) vereinbarte weitere Vorgehen sieht zunächst eine Evaluierung der ersten Überprüfungsphase vor. Deren Ergebnisse werden in die von den zuständigen IMK-Gremien zu treffende Entscheidung einfließen, wie mit der Überprüfung weiter verfahren wird. Die diesbezügliche Erörterung hat in dem der IMK nachgeordneten Gremienstrang mit der Sitzung der Kommission Staatsschutz am 25./26. Juni 2014 begonnen. Derzeit ist nicht absehbar, wann die Gremienbehandlung beendet sein wird. Frage 2: Welchen Stand bzw. welches Ergebnis hat nach Kenntnis der Staatsregierung die Überprüfung der beiden als relevant eingestuften Verdachtsfälle (vgl. Drs. 5/13323), die dem Bundeskriminalamt mitgeteilt wurden? Die Überprüfung der beiden in Sachsen herausgefilterten Tötungsdelikte von 1995 bzw. 2004 im Rahmen der AG Fallanalyse ist abgeschlossen. Im Ergebnis dieser Auswertung haben sich keine Hinweise auf einen rechtsextremistischen Hintergrund und keine Bezüge zum „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) ergeben. Frage 3: Inwieweit sind weitere Tötungsdelikte - namentlich die in Drs. 5/13588 aufgeführten Fälle, so weit sie der Staatsregierung bekannt waren - zwischenzeitlich Gegenstand einer Überprüfung auf eine mögliche politisch rechte Tatmotivation geworden und welchen Stand bzw. welches Ergebnis hat die Prüfung der jeweiligen Fälle? Frage 4: Welchen Stand bzw. welches Ergebnis haben die Prüfprozesse zur Feststellung einer möglichen politisch rechten Tatmotivation hinsichtlich der Todesfälle Gerhard Helmut B. (Leipzig, 17.12.1995) und Thomas K. (Leipzig, 04.10.2003; vgl. Drs. 5/14782 bzw. 5/14785)? Zusammenfassende Antwort auf die Fragen 3 und 4: Wie in den Drs. 5/14782 und 5/14785 ausgeführt, wurde das Landeskriminalamt im Zusammenhang mit der Bearbeitung der Drs. 5/13588 beauftragt, alle darin genannten Tötungsdelikte unter Einbeziehung der Urteile anhand des bundesweiten Definitionssystems zur Erfassung und Bewertung der Politisch motivierten Kriminalität (DefinitiSeite 2 von 4 STAATSM1N1STER1UM DES INNERN Freistaat SACHSEN onssystem PMK) auf einen möglichen politisch rechts motivierten Tathintergrund zu prüfen. Diese Überprüfung ist abgeschlossen. Im Ergebnis dessen wurde ein Fall (der Mord an Thomas K. am 4. Oktober 2003 in Leipzig) als politisch rechts motiviertes Tötungsdelikt bewertet und dem Bundeskriminalamt nachträglich gemeldet. Die rechte Motivlage ergab sich erst aus dem Urteil und war der Polizei bislang nicht bekannt. In den übrigen drei Fällen (die Tötungsverbrechen an Holger H. am 20. August 1994, an Gerhard Helmut B. am 17. Dezember 1995 und an Horst Richard K. am 30. Dezember 1995 jeweils in Leipzig) konnten keine derartigen Anhaltspunkte festgestellt werden. Frage 5: Inwieweit ist es zwischenzeitlich zu einer Revidierung oder Erweiterung des Kri-terienkataloges (vgl. Drs. 5/13589) gekommen, der der bisherigen Überprüfung zugrunde lag? Der in der Drs. 5/13589 dargestellte Indikatorenkatalog zur Vorauswahl der im Rahmen der AG Fallanalyse des GAR zu überprüfenden Fälle (vgl. Antwort auf Frage 1) ist zwischenzeitlich durch das Bundeskriminalamt redaktionell überarbeitet und mit Schreiben vom 28. März 2014 den mit der Altfallüberprüfung befassten Stellen zur Verfügung gestellt worden. Dieser beinhaltet die bereits bekannten opfer- und objektbezogenen Kriterien, wobei einzelne Ober- und Untergruppen neu zusammengestellt wurden. Demnach standen Straftaten im Blickpunkt, bei denen in Würdigung der Umstände der Tat Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie gegen eine Person gerichtet sind wegen - ihrer Herkunft, Nationalität, Volkszugehörigkeit, ethnokulturellen Zugehörigkeit oder ihrer Hautfarbe (insbesondere Ausländer, aber auch deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund), - ihrer Religion (insbesondere Menschen jüdischen oder islamischen Glaubens) oder ihrer Weltanschauung, - ihrer politischen Einstellung (insbesondere Mitglieder linkspolitischer Parteien und Organisationen, aber auch Einrichtungen linksautonomer Organisationen), ihres einschlägigen Engagements, ihre Einstellung und Betätigung als Islamisten oder wegen ihres Ausstiegs aus der rechten Szene, - ihres äußeren Erscheinungsbildes oder ihrer Kleidung, - ihrer Behinderungen, - ihrer sexuellen Orientierung (z. B. Homosexuelle, Transsexuelle), - ihrer Ehe-/Liebesbeziehung als Deutsche mit ausländischen Partnern, - ihrer Funktion als staatliche Repräsentanten oder als Angehörige ausländischer Streitkräfte, - ihres gesellschaftlichen Status (z. B. Obdachlose, Drogenabhängige), - ihres Bekanntwerdens als Sexualstraftäter, Angehörige des kriminellen Mili-eus/sonstige mutmaßliche Straftäter Seite 3 von 4 STAATSM1N1STER11JM DES INNERN Freistaat SACHSEN und die Tathandlung damit im Kausalzusammenhang stehen könnte. Bei der Sichtung der Falldaten zu den Tötungsdelikten wurden - neben den aufgeführten „harten“ Opferkriterien - auch „weiche“ Kriterien berücksichtigt, wie z. B. die Tatörtlichkeit selbst (wie etwa Nähe eines Treffpunktes Homosexueller oder einer jüdischen Einrichtung etc.) oder eine ggf. vorliegende raumzeitliche Nähe zu bestimmten Veranstaltungen (z. B. der linksautonomen/extremistischen Szene). Hintergrund hierfür sind kriminalistisch-kriminologische Erfahrungswerte, wonach es denkbar ist, dass der Tätenäus seiner subjektiven Sicht von anderen Voraussetzungen ausging und daher der Erscheinung nach ein Feindbild in dem Opfer verwirklicht sah oder dass schlicht i ung von Personen vorlag. 1 Grüßen Seite 4 von 4