STAATSM1N1STER1UM FÜR SOZIALES UND VERBRAUCHERSCHUTZ SÄCHSISCHES STAATSMINISTERIUM FÜR SOZIALES UND VERBRAUCHERSCHUTZ Albertstraße 10 | 01097 Dresden Präsidenten des Sächsischen Landtages Herrn Dr. Matthias Rößler Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 01067 Dresden Kleine Anfrage der Abgeordneten Juliane Nagel, Fraktion DIE LINKE Drs.-Nr.: 6/475 Thema: Gesundheitliche Situation von Personen ohne legalen Aufent haltsstatus in Sachsen Sehr geehrter Herr Präsident, den Fragen sind folgende Ausführungen vorangestellt: „Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus haben in Deutschland Anspruch auf medizinische Grundleistungen nach Asyl bewerberleistu ngsgesetz (AsylbLG). Dieses Recht wahrzunehmen, wird durch die Gefahr einer Entdeckung durch die Ausländerbehörden und einer Abschiebung erschwert.“ Namens und im Auftrag der Sächsischen Staatsregierung beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1: Welche Möglichkeiten gibt es in Sachsen für Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus gesundheitliche Leistungen in Anspruch zu nehmen, ohne dabei persönliche Daten preiszugeben? Frage 2: Welche Auffassung vertritt die Staatsregierung zur Erweiterung des so genannten verlängerten Geheimnisschutzes auf das mit der Abrechnung befasste Verwaltungspersonal öffentlicher Krankenhäuser (Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz vom 18.09.2009, Bundesrat Drucksache 669/09, Ziffer 88.2.3.)? Frage 3: Wurden die öffentlichen Krankenhäuser von der Staatsregierung über die Verwaltungsvorschrift und die damit veränderte Rechtsauffassung informiert? Frage 4: Wie viele Personen ohne legalen Aufenthaltsstatus wurden nichts desto trotz seit 2009 durch Mitarbeiterinnen von öffentlichen Krankenhäusern und Leistungsbehörden gemeldet? feteg***3 Freistaat HP SACHSEN Die Staatsministerin Durchwahl Telefon +49 351 564-5601 Telefax +49 351 564-5791 Ihr Zeichen Ihre Nachricht vom Aktenzeichen (bitte bei Antwort angeben) 31-0141.51-14/761 Dresden, Januar 2015 Hausanschrift: Sächsisches Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz Albertstraße 10 01097 Dresden www.sms.sachsen.de STAATSM1N1STER1U1V1 FÜR SOZIALES UND VERBRAUCHERStFIUTZ Freistaat SACHSEN Zusammenfassende Antwort auf die Fragen 1 - 4: Die ärztliche Schweigepflicht ist ein zentraler Pfeiler ärztlichen Selbstverständnisses und schützt jede Patientin und jeden Patienten unabhängig von ihrem oder seinem Aufenthaltsstatus. Die Pflicht der Ärztin oder des Arztes über alle ihr oder ihm in beruflicher Eigenschaft bekannt gewordenen Tatsachen und Umstände Stillschweigen zu bewahren, besteht auch, wenn eine empfohlene Behandlung abgelehnt wird und ein Behandlungsvertrag nicht zustande kommt. Ärztinnen und Ärzte unterliegen nicht nur nach dem Standesrecht, sondern auch nach allgemeinem Strafrecht einer Schweigepflicht (§ 203 Strafgesetzbuch). In der Anlage wird auf das Faltblatt der Sächsischen Landesärztekammer „Patientinnen und Patienten ohne legalen Aufenthaltsstatus in Krankenhaus und Praxis“, Stand 10/2012, verwiesen. Darüber hinausgehende Erkenntnisse liegen der Sächsischen Staatsregierung nicht vor. Mit freundlichen Grüßen Anlage Seite 2 von 2 Anlage zu KA 6/475 Patientinnen und Patienten ohne legalen Aufenthaltsstatus in Krankenhaus und Praxis Anlage zu KA 6/475 „Ärzte haben die Pflicht, einem Patienten unabhängig von seinem zivilen oder politischen Status angemessene medizinische Versorgung zukommen zu lassen, und Regierungen dürfen weder das Recht des Patienten auf eine derartige Versorgung, noch die Pflicht des Arztes zur Behandlung allein auf der Grundlage des klinischen Bedarfs einschränken.“ (WMA Resolution on Medical Care for Refugees and Internally Displaced Persons -beschlossen von der Generalversammlung des Weltärztebundes (World Medical Association - WMA), Ottawa, Kanada, Oktober 1998, bekräftigt von der WMA-Generalversammlung, Seoul, Korea, Oktober 2008 und überarbeitet von der WMA-Generalversammlung Vancouver, Kanada, Oktober 2010) Einleitung ► Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus sind in Deutschland Teil der gesellschaftlichen Realität. Schätzungen zufolge liegt die Zahl der Menschen ohne Papiere hierzulande zwischen 200.000 und 600.000. Die Gründe für ein Leben ohne Papiere sind vielfältig. Viele dieser Menschen wollen ihre Lebenssituation verändern und haben in ihrem Heimatland nicht die Möglichkeit dazu. Nicht selten kommen sie auf der Suche nach einer besseren Zukunft ohne Einreise-, Aufenthalts- oder Arbeitsgenehmigung auch nach Deutschland. Wenn diese „Menschen ohne Papiere“ erkranken, gehen sie oftmals Anlage zu KA 6/475 erst sehr spät zum Arzt; aus Angst, entdeckt und abgeschoben zu werden. Nicht selten endet dies im medizinischen Notfall. Die Bundesärztekammer hat in Zusammenarbeit mit der Ärztekammer Berlin und unter Mitwirkung des Büros für medizinische Flüchtlingshilfe Berlin ein Faltblatt erstellt, das Ärzten für die Behandlung von Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus bezüglich der rechtlichen Situation und bei Fragen der Kostenerstattung eine Orientierungshilfe geben soll. Rechtliche Situation ► Medizinische Behandlung von Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus Wenn ausländische Patientinnen und Patienten ohne legalen Aufenthaltsstatus medizinische Hilfe in einem Krankenhaus oder in einer Arztpraxis benötigen, kommt es immer wieder zu Fragen, wie hierbei zu verfahren ist. Es ist zunächst wichtig, den Patientinnen und Patienten zu sagen, dass auch bei ihnen die ärztliche Schweigepflicht gilt und sie nicht befürchten müssen, der Polizei oder Ausländerbehörde gemeldet zu werden. ► Behandlung von Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus ist nicht strafbar Ärztinnen und Ärzte haben die Pflicht, medizinische Hilfe zu leisten. Sie machen sich bei der Behandlung von Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus nicht strafbar, wenn sich ihre Handlungen objektiv auf die Erfüllung ihrer beruflichen Pflichten beschränken \ ► Ärztliche Schweigepflicht: Keine Übermittlung an Polizei oder Ausländerbehörde Ärztinnen und Ärzte und so genannte „berufsmäßig tätige Gehilfen“ unterliegen der Schweigepflicht. Hierzu zählen neben dem medizinischen Personal auch das mit der Abrechnung befasste Verwaltungspersonal von Krankenhäusern. Diese Personen dürfen keine Angaben über Menschen, die sich illegal in Deutschland aufhalten, an die Polizei oder die Ausländerbehörde weitergeben2. Die Klarstellungen in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung zum Aufenthaltsgesetz vom 18. September 2009 zum „verlängerten Geheimnisschutz“ gewährleisten die durchgängige Einhaltung der ärztlichen Schweigepflicht bis in öffentliche Stellen hinein. Demnach dürfen öffentliche Stellen Patientendaten, die sie von einem Schweigepflichtigen, z. B. dem Verwaltungspersonal der Krankenhäuser, erhalten haben, grundsätzlich nicht an die Ausländerbehörde übermitteln (Ausnahmen: Gefährdung der öffentlichen Gesundheit oder Konsum harter Drogen). Die Schweigepflicht des Verwaltungspersonals „verlängert sich“ in die öffentliche Stelle durch den so genannten „verlängerten Geheimnisschutz“3. Konkret betrifft dies das Sozialamt als öffentliche Stelle, wenn es vom Krankenhaus im Zuge der Kostenerstattung Daten von Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus erhalten hat. Es ist wichtig, dies den Betroffenen in verständlicher Weise zu vermitteln und Vertrauen herzustellen, um ihnen die Sorge vor Aufdeckung ihres Aufenthaltsstatus bei Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe in Krankenhaus und Praxis zu nehmen. Anlage zu KA 6/475 ► Kostenabrechnung über das Sozialamt Ärztinnen und Ärzte haben einen rechtlich begründeten Anspruch auf Honorierung ihrer Leistungen. Sie machen sich daher nicht strafbar, wenn sie für die Behandlung von Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus ein Honorar nehmen 4 je nach der persönlichen Situation der Patientinnen und Patienten, ist die Höhe des Honorars mit der ärztlichen Verpflichtung zu helfen, in Einklang zu bringen. Eine Abrechnung über das Sozialamt nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) ist grundsätzlich bei akuten oder schmerzhaften Erkrankungen oder bei Leistungen, die für die Aufrechterhaltung der Gesundheit unerlässlich sind, möglich (| 4 und | 6 AsylbLG). Unter das AsylbLG fallen auch Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus. Bei der Abrechnung über das Sozialamt ist aber zwischen einer geplanten und einer Notfallbehandlung zu unterscheiden. Für die geplante Behandlung müssen die Betroffenen vorher selbst einen Krankenschein beim Sozialamt beantragen. In diesem Fall ist das Sozialamt als öffentliche Stelle verpflichtet, die Daten von nicht aufenthaltsberechtigten Menschen bei Kenntnisnahme an die Ausländerbehörde zu übermitteln. Der „verlängerte Geheimnisschutz“ greift hier nicht, weil das Sozialamt die Information über den Aufenthaltsstatus nicht von einer schweigepflichtigen Person, sondern unmittelbar von den Patientinnen und Patienten selbst bekommt. Die Aufdeckung des Aufenthaltsstatus kann die Abschiebung zur Folge haben. Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus verzichten daher oft aus Angst vor Abschiebung auf das ihnen zustehende Recht auf Behandlung nach f 4 und f 6 AsylbLG. Anlage zu KA 6/475 Erst bei Notfallbehandlungen greift der „verlängerte Geheimnisschutz“. Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus müssen den Schutz einer schweigepflichtigen Person (in Krankenhaus oder Praxis) suchen, um sich dort ohne Krankenschein behandeln zu lassen. Die praktische Durchsetzung der Ansprüche auf Leistungen nach AsylbLG ist jedoch auch bei der Notfallbehandlung im Krankenhaus oft problematisch. Die Bedürftigkeit muss von der Krankenhausverwaltung gegenüber dem Sozialamt meist analog zum Antrag auf Sozialhilfe nachgewiesen werden. Auch wenn viele Anträge zunächst von den Sozialämtern abgelehnt werden, lohnt es sich oft, Widerspruch einzulegen. Dazu ist es erforderlich, dass sich das Verwaltungspersonal der Krankenhäuser und der Sozialdienst in die Einzelheiten der sozialrechtlichen Regelungen einarbeiten. ► Weitere Abrechnungsmöglichkeiten Unter Umständen bestehen weitere Abrechnungsmöglichkeiten wie etwa bei Arbeitsunfällen nach dem Sozialgesetzbuch oder für Opfer von Gewalttaten nach dem Opferentschädigungsgesetz. Bei sexuell übertragbaren Krankheiten und Tuberkulose bietet das Gesundheitsamt nach dem Infektionsschutzgesetz Beratung und Untersuchung an oder stellt diese in Zusammenarbeit mit anderen medizinischen Einrichtungen sicher. Die Beratung durch das Gesundheitsamt erfolgt kostenlos. Sofern das Gesundheitsamt eine Untersuchung Anlage zu KA 6/475 und/oder Behandlung vomimmt oder vornehmen lässt, werden die Kosten nur dann aus öffentlichen Mitteln getragen, wenn die Patienten ohne legalen Aufenthaltsstatus die Kosten nicht selbst tragen können oder - wovon auszugehen ist - sie nicht krankenversichert sind. Bei den weiteren Abrechnungsmöglichkeiten stellt sich die Frage der Offenlegung des fehlenden Aufenthaltsstatus. Welche Abrechnungsmöglichkeit sinnvoll ist, ist mitden Patientinnen und Patienten zu besprechen. Kommt keine der Möglichkeiten in Betracht, sollte erwogen werden, ob das Krankenhaus bereit ist, den Patientinnen und Patienten eine Behandlung zu einem reduzierten Betrag anzubieten. Dabei sollte berücksichtigt werden, dass Selbstzahler außerhalb des Budgets abgerechnet werden. 1 Bundesministerium des Innern (Hrsg): Illegal aufhäitige Migranten in Deutschland: Daten läge, Rechtslage, Handlungsoptionen. Bericht des Bundesministeriums des Innern zum Prüfauftrag „Illegalität“ aus der Koalitionsvereinharung vom 11. November 2005, Kapitel VIII 1.2, S. 48, Februar 2007 stellt fest: „Medizinische Hilfe zu Gunsten von Illegalen wird nicht mm Tatbestand des J 96 Abs. 1 Nr. 2 Aufenthaltsgesetz (Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt) erfasst; Ärzte und sonstiges medizinisches Personal, das medizinische Hilfe leistet, macht sich nicht strafbarDie Allgemeine Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung zum Aufenthaltsgesetz vom 18. September 2009 (BR-Drs. 669/09), S. 531 stellt klar: „ Handlungen von Personen, die im Rahmen ihres Berufes oder ihres sozial anerkannten Ehrenamtes tätig werden (insbesondere Apotheker, Ärzte, Hebammen, Angehörige von Pßegeberufen, Psychiater, Seelsorger, Lehrer, Soziaiarbei-ter, Richter oder Rechtsanwälte), werden regelmäßig keine Beteiligung leisten, soweit die Handlungen sich objektiv auf die Erfüllung ihrer rechtlich festgeiegten bzw. anerkannten berufs-fehrenamtsspezifischen Pflichten beschränken“ 2 Die Allgemeine Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung zum Aufentha/tsgesetz vom 18. September 2009 (BR-Drs. 669/09) stellt dies auf S. 508 erstmalig ausdrücklich klar. 3 Aufgrund der Klarstellung unter (2) greift unmissverständlich die Übermittlnngssperre des | 88 Abs. 2 AufenthC, s, auch Allgemeine Verwaitungsvorschrift der Bundesregierung zum Aufenthaltsgesetz vom 18. September 2009 (BR-Drs. 669/09), S. 509. 4 B.-l, Hoff: Die Verbesserung der gesundheitlichen Versorgung illegalisierter im Blick -Kasten „Rechtslage“, in Berliner Ärzte 1/2010, 5,27. Anlage zu KA 6/475 Weitere Informationen und nützliche Adressen Bundesweite Übersicht der Büros für medizinische Flüchtlingshilfe und Medinetz-Initiativen: www.medibueros.org Medinetz Dresden e.V. Ausländerrat, Heinrich-Zille-Straße 6,01219 Dresden Postfach 160 248,01288 Dresden Tel. 01771736781, Sprechstunde: mittwochs 18-20 Uhr medinetzdresden@gmx.de, www.medinetz-dresden.de Medinetz Leipzig e.V. Kurt-Eisner-Straße 40,04275 Leipzig Tel. 0341125 9841, Fax 03414626535 Sprechstunde: dienstags 16-18 Uhr medinetz-leipzig@gmx.de, www.medinetz-leipzig.de Ausländerrat Dresden e. V. Internationales Begegnungszentrum (IBZ) Heinrich-Zille-Straße 6,01219 Dresden Tel. 0351 4363724 fax 03514363732 info@auslaenderrat.de, www.ausiaenderrat.de Caktuse.V, Psychosoziales Zentrum für Flüchtlinge Riemannstraße 32,04107 Leipzig Tel. 0341 2254544, Tel. 0341 2254574» Fax 03412254690 beratungsstelle@caktus.de Menschenrechtsbeauftragter der Sächsischen Landesärztekammer Herr Dr. med, Dietrich Steiniger Schützenhöhe 16,01099 Dresden dresden@sladc.de, www.slaek.de Impressum VJJJ.fL; Bundesäfztfiksmrm h 10623 8e?fm Ärztekammer Berlin, fnedridistraie 19,10969 8erIm Satz/Layout: da vinci dcsign GmbH, Berlin Titelfoto: FmkShot Stand: 10/2012