STAATSM1N1STER1UM DES 1NNER1N Freistaat SACtiSETN DerStaatsminister SÄCHSISCHES STAATSMINISTERIUM DES INNERN 01095 Dresden Präsidenten des Sächsischen Landtages Herrn Dr. Matthias Rößler Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 01067 Dresden Aktenzeichen (bitte bei Antwort angeben) StAs24-014jl. 51/8281 Dresden Juni 2016 Kleine Anfrage der Abgeordneten Juliane Nagel, Fraktion DIE LINKE Drs.-Nr.: 6/5205 Thema: Abschiebung einer Frau aus Grimma ohne ihren minderjährigen Sohn Sehr geehrter Herr Präsident, den Fragen sind folgende Ausführungen vorangestellt: "Am 05.04.2016 wurden auf Anordnung der Ausländerbehörde Borna eine asylsuchende Frau, die in Grimma im Landkreis Leipzig untergebracht war, und ihr 16-jähriger Sohn nach Polen zurückgeschoben. Beide wurden an der Grenze zu Görlitz abgesetzt. Ihr 13-jähriger Sohn, der im Moment des Polizeizugriffs nicht anwesend war, wurde in Grimma zurückgelassen. Der minderjährige Sohn wurde daraufhin weder vom Jugendamt noch von einer anderen Stelle in Obhut genommen . Er wandte sich an eine Freundin der Familie, die ihn bei sFch aufnahm , bis die Mutter zurück war. Die betroffene Frau kehrte aus Polen zu ihrem Sohn zurück. In Chemnitz wurde sie einer Unterkunft in Grimma zugewiesen und von dort in ein isoliertes Landheim in der Lobstädter Straße in Neukieritzsch, Ortsteil Großzossen verlegt. Vom Sozialamt wurde anfangs verweigert,' dass der zurückgelassene 13-jährige Sohn ebenfalls in" diese Unterkunft zugewiesen wurde. ? T.r?nn.ul^ei?es Kindes von der Mutter widerspricht dem Grundgesetz (Artikel 6, Schutz von Ehe und Familie). Außerdem verletzt das Vorgehen die UN-Kinderrechtskonvention. Diese besagt unter anderem , dass der Staat bei einer Trennung von Eltern und Kind Auskunft über den Verbleib des Kindes geben können muss (Art. 9 Abs. 4, ÜN- Kinderrechtskonvention). Nicht zuletzt hat das Jugendamt des Land- Preises Leipzig - im Falle der Kenntnis des Zurücklassens des 13- jährigen Jungen - grob gegen seine Fürsorgepflicht verstoßen." Hausanschrift: Sächsisches Staatsministerium des Innern Wilhelm-Buck-Str. 2 01097 Dresden Telefon +49 351 564-0 Telefax+49 351 564-3199 www.smi.sachsen.de Verkehrsanbindung: Zu erreichen mit den Straßenbahnlinien 3, 6. 7. 8. 13 Besucherparkplätze: Bitte beim Empfang Wilhelm- Buck-Str. 2 oder 4 melden. STAATSM1N1STER1UM DES 1NNER1M Freistaat SACHSEN Namens und im Auftrag der Sächsischen Staatsregierung beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Vorbemerkung: Die Staatsregierung weist die Behauptung einer rechtswidrigen Trennung von Mutter und Kind durch die Abschiebung zurück. Frage 1: Wie konnte es zu der rechtswidrigen Trennung von Mutter und Kind durch Abschiebung kommen, welche Behörde und welche Mitarbeiterlnnen haben diese Entscheidung getroffen und welche Behörden und welche Mitarbeiterlnnen wussten davon? (bitte detailliert und einzeln auflisten) Die Entscheidung zur Abschiebung auch im Fall einer Familientrennung wurde durch die Zentrale Ausländerbehörde in Abstimmung mit der zuständigen AusTänderbehörde des Landkreises Leipzig in Abwägung und unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und nach Ausschöpfung aller in Frage kommenden milderen Mittel getroffen . Bei der am 5. April 2016 erfolgten Abschiebung, unter Trennung der Familie, handelte es sich um den sechsten Abschiebungsversuch, da die Familie ihrer gesetzlichen Ausreisepflicht nicht nachgekommen ist. Diese hat sich in der Vergangenheit über einen mehrjährigen Zeitraum der Abschiebung entzogen. Dabei wurden wiederholt zwar einzelne Familienmitglieder angetroffen, diese haben jedoch in keinem Fall mit der Polizei oder dezentralen Ausländerbehörde kooperiert und die Suche nach dem jeweils abwesenden Familienmitglied unterstützt. Vielmehr hat die Mutter der Familie über Jahre hinweg ihre Kinder der Abschiebung entzogen. Daher wurde durch die Zentrale Ausländerbehörde entschieden, dass bei Nichtaufgriff eines Kindes die Familie zunächst getrennt abzuschieben ist. Die zuständige Ausländerbehörde und das zuständige Jugendamt sind unterrichtet worden. Im Rahmen ihrer Zuständigkeiten waren die mit den Maßnahmen betrauten Behördenmitarbeiter mit der Angelegenheit befasst. Frage 2: Wie vollzog sich die Abschiebung genau und was haben die eingesetzten Vollzugsbeamten unternommen um die Familie nicht zu trennen? Mit Bescheid vom 29. März 2016 beauftragte die Zentrale Ausländerbehörde den Polizeivollzugsdienst , die Abschiebung der Familie zu vollziehen. Dabei bestand grundsätzlich das Ziel die Abschiebung der gesamten Familie, also mit beiden Kindern, geschlössen zu vollziehen Sollte dies nicht möglich sein, sollte die Abschiebung auch unter Trennung der Familie erfolgen. Am 5. April 2016, dem Tag der geplanten Abschiebung, öffnete um 06:00 Uhr die Mutter den Vollzugsbeamten die Wohnungstür. Ihr wurde der Grund und die weitere Verfahrensweise der Maßnahme erklärt. Außer der Mutter befand sich nur der ältere der beiden Söhne (16 Jahre) in der Wohnung. Der jüngere Sohn (13 Jahre) befand sich nach Angaben der Mutter in Colditz und würde in Kürze wieder in der Wohnung eintreffen . Sowohl die Mutter als auch der anwesende Sohn waren nicht bereit, konkretere Aussagen zum Aufenthaltsort des Abwesenden zu machen. Die angetroffenen Fami- Seite 2 von 4 STAATSM1N1STBR1UM DES INNERN Freistaat SACHSEN lienangehörigen wurden daraufhin der Bereitschaftspolizei übergeben. Da der jüngere Sohn trotz der anderslautenden Bekundungen der Familienmitglieder nicht wieder in der Wohnung eintraf, prüften die Beamten dessen Schule als möglichen Aufenthaltsort. Danach wurde der Einsatz gegen 08:00 Uhr beendet und die Wohnung verschlossen. Die Ausländerbehörde und das Jugendamt des Landkreises Leipzig wurden über die Nichtabschiebung des 13 Jahre alten minderjährigen Sohnes informiert. Frage 3: Gab es eine interne rechtliche Prüfung der Legitimität der Abschiebung in der Ausländerbehörde des Landkreises Leipzig oder in der ZAB und welches Ergebnis hatte diese? (bitte auch Konsequenzen, z. B. auch disziplinarische Maßnahmen gegenüber Beteiligten, Wiedergutmachung für die Betroffenen, benennen) Grundlage für die Abschiebung bildeten die bestandkräftig ablehnenden Entscheidungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zu den Asylanträgen, zuletzt vom 3. Februar 2015, und die vollziehbare Abschiebungsandrohung. Zudem stellte das BAMF fest, dass die Familie bereits in Polen die Zuerkennung internationalen Schutzes erhalten hatte und ein gültiger polnischer Aufenthaltstitel vorlag. Art. 6 GG wurde geprüft. Dessen Schutzbereich gewährt unmittelbar keinen Anspruch auf Aufenthalt im Bundesgebiet. Er verpflichtet aber als wertentscheidende Grundsatznorm die zuständigen Behörden und Gerichte, bei der Entscheidung über den weiteren Aufenthalt eines Ausländers die bestehenden familiären Bindungen in einer Weise zu berücksichtigen, die der Bedeutung entspricht, welche das Grundgesetz in Art. 6 dem Schutz von Ehe und Familie beimisst. Der Schutzumfang ist abhängig von den Umständen des Einzelfalles, insbesondere von der Intensität der familiären Beziehungen, dem Alter der Kinder, der Betreuungsbedürftigkeit einzelner Familienmitglieder und der voraussichtlichen Dauer der bevorstehenden Trennung. Demnach wurde hier eine vorübergehende Trennung der Familie in Kauf genommen. Es war der Familie zur Sicherung des öffentlichen Interesses, dass das Asylverfahren nicht für den verfahrensfremden Zweck der Sicherung eines sonst nicht bestehenden Aufenthaltsrechts in Deutschland missbraucht wird, zuzumuten, die Trennung der Familienmitglieder die nur temporar sein sollte, hinzunehmen. Frage 4: Wurde das Jugendamt über den zurückgelassenen Minderjährigen verständigt, welche Schritte wurden vom Jugendamt unternommen, und bei Verneinung: warum erfolgte keine gesetzlich vorgeschriebene Inobhutnahme und Betreuung? Nach Auskunft des Jugendamtes des Landkreises Leipzig wurde dieses am 5. April 2016 über die Abschiebung der Familie ohne den 13 Jahre alten minderjährigen Sohn informiert. Folglich ging das Jugendamt davon aus, dass er ohne Sorgeberechtigten im Bundesgebiet verblieb und folgte unverzüglich den Hinweisen zu seinem möglichen Aufenthalt. Der Jugendliche war jedoch nicht auffindbar. Da sein Aufenthalt nicht ermittelt werden konnte, gab das Jugendamt bei der Polizei eine Vermisstenanzeige auf. Weiterhin wurde beim Amtsgericht die Vormundschaft für den Jugendlichen beantragt. Bis zur Rückkehr der Mutter ins Bundesgebiet und deren Vorspräche am 21. April 2016 in der Ausländerbehörde des Landkreises Leipzig konnte der 13-jährige Sohn nicht aufgefunden werden. Seite 3 von 4 STAATSM1N1STBRIUM DES INNERN Freistaat SACHSEN Frage 5: Welche Schritte wurden nach der Rückkunft der Mutter unternommen um die getrennte Familie zusammenzuführen und warum verweigerte das Sozialamt Grimma anfangs die gemeinsame Unterbringung mit dem zurückgelassenen Sohn? Eine Verweigerung der Familienzusammenführung nach der erneuten Einreise der abgeschobenen Mutter mit dem zurückgelassenen Sohn oder gar ein Isolieren der Familienmitglieder voneinander kann nicht festgestellt werden. Am 20. April 2016 reisten die Mutter und der 16-jährige Sohn erneut in das Bundesgebiet ein und wurden dem Landkreis Leipzig zur Unterbringung zugewiesen. Der Landkreis Leipzig verweigerte zu keinem Zeitpunkt die gemeinsame Unterbringung der Mutter mit dem im Bundesgebiet zurückgelassenen Sohn. Nach Vorspräche der Mutter am 21. April 2016 in der Ausländerbehörde des Landkreises Leipzig wurde ihr erklärt, dass sie auch mit dem im Bundesgebiet verbliebenen 13-jährigen Sohn in die zugewiesene Gemeirischaftsunterkunft in Neukieritzsch einziehen kann Hierzu wurden die Zuweisungep für die Unterkunft und eine Beförderungsbescheinigung zur Unterkunft gefertigt . Die Voraussetzungen für eine Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII durch das Jugendamt y^aren zum diesem Zeitpunkt nicht mehr gegeben. Mutter und Sohn wurden gemeins^n in der Gemeinschaftsunterkunft untergebracht. Mit f(-eur(dlichen Grüßen ) . Markus Ulbi Seite 4 von 4 2016-06-15T07:14:24+0200 GRP: Elektronisches Dokumentations- und Archivsystem Erstellung des Nachweisdokumentes