SÄCHSISCHES STAATSMINISTERIUM FÜR KULTUS Postfach 10 09 10 1 01079 Dresden Präsidenten des Sächsischen Landtages Herrn Dr. Matthias Rößler Bernhard-von-Lindenau-Piatz 1 01067 Dresden STAATSMlNlSTERlUM FÜR KULTUS Kleine Anfrage der Abgeordneten Andrea Kersten, Fraktion der AfD Drs.-Nr.: 6/5488 Thema: Inklusion Sehr geehrter Herr Präsident, den Fragen sind folgende Ausführungen vorangestellt: "Vor allem Otto Speck, Prof. Dr. phil. habil. emer. für Sonderpädagogik der Ludwig- Maximilians-Universität München, Autor u.a. von ,Schulische Inklusion - Rhetorik und Realität' (2011 ), machte darauf aufmerksam, dass aus den Bundestagsprotokollen vom Dezember 2008 zum ,Gesetz zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen' Folgendes hervorgeht: alle Fraktionen gingen davon aus, dass ,Inklusion' mit der vollständigen Abschaffung des Förderschulsystems gleichzusetzen und vom ,Ende jeglicher Sondersysteme und Sonderbehandlungen' die Rede gewesen sei- das Gesetz wurde ohne jede Aussprache verabschiedet. ln Art. 24 Abs. 1 a des Gesetzes zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sowie zu dem Fakultativprotokoll vom 13. Dezember 2006 zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen steht in der englischen Spalte ,general education system'. ln der Spalte der deutschen Übersetzung des Vertragstextes wird dieser Begriff fälschlicherweise mit ,allgemeines Bildungssystem' übersetzt - obwohl er eindeutig dem entspricht, was wir als ,allgemeinbildendes Schulsystem' verstehen. Nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 des Schulgesetzes für den Freistaat Sachsen gliedert sich das Schulwesen in die allgemein bildenden Schulen. Zu den allgemein bildenden Schulen gehören gern. § 4 Abs. 1 Nr. 1 b auch die allgemein bildenden Förderschulen. Als Schlussfolgerung ergibt sich, dass in Sachsen mit den allgemeinbildenden Förderschulen bereits ein inklusives Schulsystem etabliert ist. Dieser Lesart folgt die Staatsregierung offensichtlich nicht, sonst würde sie nicht an der allumfassenden schulischen Inklusion festhalten." Seite 1 von 4 S SACHsEN Die Staatsministerin Ihr Zeichen Ihre Nachricht vom Aktenzeichen (bitte bei Antwort angeben) z -1 053/2/92 Dresden, ~~Juli 2016 Hausanschrift: Sächsisches Staatsministerium f!lr Kultus Carolaplatz 1 01097 Dresden www.smk.sachsen.de Verkehrsverbindung: Zu erreichen mit den Straßenbahnlinien 3, 7, 8 STAATSMlNlSTERlUM FÜR KULTUS S SACHsEN Namens und im Auftrag der Sächsischen Staatsregierung beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1: Welcher Lesart I welcher Übersetzung der UN-BRK folgt die Staatsregierung bzw. warum ist die Staatsregierung der Meinung, dass die allgemein bildenden Förderschulen nicht den Vorgaben der UN-BRK entsprechen? Das Gesetz zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sowie zu dem Fakultativprotokoll vom 13. Dezember 2006 zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen in der amtlichen Bekanntmachung vom 21 . Dezember 2008, BGBI. Jg. 2008, Teil II , Nr. 35, ist für den Freistaat Sachsen bindend. Im Freistaat Sachsen ist die schrittweise Umsetzung der Maßgaben der UN-BRK zur Gewährleistung eines integrativen Bildungssystems ein Schwerpunkt der bildungspolitischen Entwicklung der nächsten Jahre. Sachsen hat sich dabei für eine Umsetzung nach dem Grundsatz "So viel gemeinsamer Unterricht an der Regelschule wie möglich und so viel Unterricht an der Förderschule wie nötig" entschieden. Die Inklusion in den Schulen soll dabei schrittweise und mit Augenmaß erfolgen. Sachsen baut den gemeinsamen Unterricht von Schülern mit und ohne Behinderung kontinuierlich aus und bekennt sich zur Vielfalt der Förderorte und damit auch künftig zu Förderschulen. Nach dem Gesetzentwurf zur Weiterentwicklung des Schulsystems im Freistaat Sachsen , Drs. 6/5078, werden im Beschlussfall dann auch Förderschulen inklusive Unterrichtsangebete unterbreiten. Frage 2: Auf welche quantitativen, qualitativen und/oder kombinierten empirischen Untersuchungen in- und außerhalb Sachsens der letzten 10 Jahre stützt die Staatsregierung ihre Annahmen, dass Inklusion einerseits sowohl für Kinder mit besonderen Förderbedarfen und anderseits für Kinder ohne diese Bedarfe positive kognitive und/oder soziale und/oder emotionale Wirkungen zeitigt? (Bitte aufschlüsseln nach Förderung der geistigen (kognitiven), emotionalen und sozialen sowie körperlichen und motorischen Entwicklung, der Sprache, des Hörens, Sehens und der Entwicklung mehrfacher Beeinträchtigungen) Im Schulversuch ERINA ("Erprobung von Ansätzen zur inklusiven Beschulung von Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf in Modellregionen") wird die Verbesserung und Weiterentwicklung der gemeinsamen Unterrichtung von Schülern mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf an allgemeinen Schulen erprobt. Dabei geht es vor allem um • Entwicklung und Erprobung von lernzieldifferenten Bildungsangeboten im gemeinsamen Unterricht an allgemeinen Schulen in allen Altersstufen, • Förderung der Vernetzung und Zusammenarbeit der Akteure im Umfeld der Schulen, • Weiterqualifizierung der am Projekt beteiligten Personen und • Förderung der Einbindung und Stärkung der Verantwortung der Eitern. Seite 2 von 4 STAATSMlNlSTERlUM FÜR KULTUS S SACHsEN Die wissenschaftliche Begleitung des Schulversuches unter Federführung von Frau Prof. Dr. Liebers, Universität Leipzig, verweist hinsichtlich der angefragten Untersuchungen zur Inklusion in der Grundschule insbesondere auf den Überblicksbeitrag von Liebers & Seifert (2014) Quantitative empirische Befunde zur Inklusion in der Grundschule - Zu einem heterogenen Forschungsstand . ln: Franz, E.-K., Trumpa, S. & Essinger-Hinz, I. (Hrsg.): Inklusion: Eine Herausforderung für die Grundschulpädagogik . Entwicklungslinien und Forschungsbefunde, Hohengehren, S. 33-46. ln diesem werden die vorliegenden quantitativen Befunde zur Inklusion in der Grundschule international und national mit dem Ergebnis zusammengefasst, dass tendenziell von neutralen bzw. positiven Effekten für Schülerinnen und Schüler mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarfen auszugehen ist. Auch die neu vorliegenden Befunde zum PING-Projekt in Brandenburg (2016) und zum Rügener lnklusionsmodell (2016) replizieren diese Befunde aus früheren Studien. Für die Sekundarstufe I ist sowohl die internationale als auch die nationale Literaturlage weit indifferenter und belastbare aktuelle Studien sind kaum verfügbar. Aus diesem Grund hat sich die Staatsregierung entschieden, den lernzieldifferenten gemeinsamen Unterricht in den Oberschulen in einem wissenschaftlich begleiteten Schulversuch zu erproben und dort u. a. diese Fragestellungen untersuchen zu lassen. Der Abschlussbericht der wissenschaftlichen Begleitung wird 2017 vorliegen. Qualitative Studien können wegen der geringen Fallzahlen und den fehlenden Möglichkeiten der Verallgemeinerung zu dieser Fragestellung nicht berücksichtigt werden . Eine Aufschlüsselung nach Förderschwerpunkten ist dementsprechend nicht möglich. Frage 3: Durch die Zunahme von Flüchtlingskindern mit mehr oder minder umfangreichen Deutschkenntnissen verschmelzen Integration und Inklusion. Welche Maßnahmen ergreift die Staatsregierung, diese Verschmelzung zu meistern? Die These, dass Integration und Inklusion aufgrund der Zunahme von Flüchtlingskindern verschmelzen, wird nicht geteilt. Es kommt im Gegenteil darauf an, die spezifische Förderung von Schülern mit Migrationshintergrund sorgsam von der Förderung von Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf zu unterscheiden. Frage 4: Da Inklusion eine Binnendifferenzierung durch die Lehrkräfte erfordert , steht in lnklusionsklassen effektiv weniger Unterrichtszeit für dieselbe Stoffmenge zur Verfügung. Welche Maßnahmen ergreift die Staatsregierung, den Schülern diese Unterrichtszeit wieder zur Verfügung zu stellen? Die Staatsregierung vertritt nicht die Auffassung, dass durch Binnendifferenzierung effektiv weniger Unterrichtszeit für die Schüler zur Verfügung steht. Binnendifferenzierung gehört zu dem pädagogisch-methodischen Instrumentarium, welches in der Schulpraxis in allen Schularten angewandt wird . Binnendifferenzierung ist eine wichtige Unterrichtsmethode für alle Schüler mit und ohne sonderpädagogischem Förderbedarf, um die Aneignung individueller Lernstrategien zu ermöglichen und die Schüler so zu einem selbstbestimmteren Handeln und entdeckenden Lernen zu führen. Seite 3 von 4 STAATSMINISTERIUM FÜR KULTUS Frage 5: Mit welchen Fort- und Weiterbildungen sichert die Staatsregierung, dass innerhalb des nächsten Jahres alle inklusiv tätigen Grundschullehrkräfte , insbesondere auch die Seiteneinsteiger, optimal auf das Lehren in inklusiven Klassen vorbereitet werden? Lehrkräfte an Grundschulen können sich zum Thema Inklusion in zentralen (z. B. Zertifikatskurs integrativer Unterricht) , regionalen und schulinternen Lehrerfortbildungen qualifizieren. Außerdem werden unterstützende Materialien, wie z. B. die Handreichung "Sonderpädagogische Förderung im gemeinsamen Unterricht", zur Verfügung gestellt. Die Gestaltung inklusiver Unterrichtsangebote bedarf einer Qualifizierung im Prozess, indem verschiedene Angebote genutzt werden . Mit freundlichen Grüßen Seite 4 von 4 Freistaat SACHSEN 2016-07-18T14:17:51+0200 GRP: Elektronisches Dokumentations- und Archivsystem Erstellung des Nachweisdokumentes