STAATSMìNISTERIUM DER JUSTIZ SACHSISCHES STAATSMINISTERIUM DER JUSTIZ Hospitalstraß6 7 1 01097 Dresden Präsidenten des Sächsischen Landtages Herrn Dr. Matthias Rößler Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 01067 Dresden Kleine Anfrage des Abgeordneten Klaus Bartl, Fraktion DIE LINKE Drs.-Nr.: 6/5683 Thema: Anstrengungen zur Vollstreckung des Haftbefehls gegen den ehemaligen V-Mann des VerfassungsschuEes Ralf Marschner alias,,Primus" Sehr geehrter Herr Präsident, den Fragen sind folgende Ausführungen voran gestellt: ,,Verschiedene Tageszeitungen, wie,,Die Welt" (Beitrag:,,Haftbefehl gegen V-llllann nicht vollstreckt", Seite 6) sowie ,,taz" (Beitrag: ,,Faule Fahndung") berichteten am 23.06.2016, dass gegen den Zwickauer Neonazi Ralf Marschner, den das Bundesamt für VerfassungsschuÞ (BfV) 1992 bis 2003 als V-ilann mit dem Decknamen ,,Primus" führte und der im Verdacht steht, mit den NSU-Attentätern Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe in der Vergangenheit Kontakt unterhalten zu haben, seit Ende 2012 ein sogenannter Vollstreckungshaftbefehl vorliegt, der bislang nicht vollzogen ist. Der Haftbefehl sei ergangen, weil Marschner eine ihm mit Urteil mutmaßlich des Amtsgerichts Zwickau - wegen lnsolvenzverschleppung auferlegte Geldstrafe in Höhe von 4.500,00 EUR nicht bezahlt habe. Obgleich, so die Pressemeldungen weiter, Marschner im Zusammenhang mit seiner im Raum stehenden Venvicklung in den NSU-Komplex 2012 und 2014 auf entsprechendes Ersuchen des BKA bzw. der zuständigen deutschen Justizbehörden durch die Schweizer Staatsanwaltschaft in der Schweiz, wohin er bereits 2007 im Zuge der nel'-lMw Freistaat SACHSEN Der Staatsminister Durchwahl Telefon +49 (0)351 564-1500 Telefax +49 (0)351 564-1509 staatsminister@ smj.justiz.sachsen.de* Aktenzeichen (bitte bei Antwort angeben) 1 040E-LR-21 20/1 6 Dresden, J. August 2016 ËlI H llt ilË WANDEL HINTER GIWERN 300 Jahre oefångn¡r wstdhe¡ñ 300 Jâhrc iåchsische Vollzugryèschichtr Hausanschrlft: der Justlz Hospitalstraße 7 01 097 Dresden Briefpost über Deutsche Post 01 095 Dresden www.just¡z.sachsen.de/smj Verkehrsverblndung Zu erreichen mit Straßenbahnlinien 3,6,7,8,11 Parken und behindertengerechter Zugang Uber Einfahrt Hospitalstraße 7 Zugang fiir ol€ktron¡sch signi€rle sow¡e für v€rschlússelte el6ktronischo Dokumonte nur über das Elektronischo Gorichts- und Vemaltungspostfach; nåh€rê lnformationên unter w.egvp.de Seite 1 von 5 STAATSMINISTER¡UM DER JUSTIZ Freistaat SACHSENw Aufdeckung se¡ner Straftaten geflüchtet war, ¡m NSU-Verfahren zeugenschaftlich vernommen wurde, kam es nicht zur Vollstreckung des Haftbefehls." Namens und im Auftrag der Sächsischen Staatsregierung beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1: Seit wann ist der zuständigen Staatsanwaltschaft - laut Medienberichten die Chemni Eer Staatsanwaltschaft - bekannt, dass Ralf Marschner im Verdacht steht, zum Unterstützerumfeld der Kernmitglieder des NSU Bönhardt, Zschäpe und Mundlos gehört zu haben und hatte die Beantragung des Haftbefehls zur Vollstreckung des betreffenden Urteils einen zeitlichen Zusammenhang mit diesem Verdacht? Frage 2: Wann genau erging der besagte Vollstreckungshaftbefehl gemäß S 457 ZPO und welche lllaßnahmen zur Vollstreckung des gegen Marschner ergangenen Urteils wegen lnsolvenzverschleppung bav. der verhängten Strafe waren dem Haftbefehlsantrag vorausgegangen? Frage 3: Seit wann ist der zuständigen Staatsanwaltschaft bekannt, dass sich Marschner in der Schweiz bmr. in Lichtenstein aufhält, wie konkret war die Kenntnis von seinem WohnsiE bzw. regelmäßigen Aufenthaltsort und welche konkreten Maßnahmen zur Vol lzieh u n g des Vollstrecku n gshaftbefeh ls wurden bislan g ei n geleitet? Zusammenfassende Antwort auf die Fragen 1 bis 3: Die Staatsanwaltschaft Chemnitz hatte das in der Vorbemerkung genannte Ermittlungsverfahren gegen Ralf Marschner wegen lnsolvenzverschleppung mit Verfügung vom 26. Februar 2009 gemäß S 205 StPO zunächst vorläufig eingestellt, weil dessen Aufenthalt unbekannt war. Eine aktuelle Anschrift konnte in der Folgezeit zunächst trotz Aussch reibung zur Aufenthaltserm ittlung nicht erlangt werden. Seite 2 von 5 STAATSMINISTERIUM DER JUSTIZ Freistaat SACHSEN FET-W w lm Januar 2012 wurde dem sachbearbeitenden Staatsanwalt der Staatsanwaltschaft Chemnitz durch das Bundeskriminalamt bekannt, dass sich Ralf Marschner in der Schweiz aufhalten soll. Seine konkrete Anschrift wurde jedoch erst aufgrund eines Schreibens der Geschäftsstelle des Generalbundesanwaltes beim Bundesgerichtshof vom 1. Juni 2012, bei der Staatsanwaltschaft Chemnitz am7. Juni 2012 eingegangen, bekannt, in dem die Anschrift des Ralf Marschner in der Schweiz mitgeteilt wurde. Unter der genannten Anschrift erfolgte am 8. Juni 2012 die Ladung des Ralf Marschner zur staatsanwaltschaftlichen Beschuldigtenvernehmung, zu welcher der Beschuldigte nicht erschienen ist. Der durch das Amtsgericht Chemnitz am 9. Juli 2012 erlassene Strafbefehl wurde dem Beschuldigten am 16. Juli2012 persönlich zugestellt. Seit 31. Juli 2012 ist der Strafbefehl rechtskräftig. Die Kostenrechnung hiezu wurde am 14. August 2012 an Ralf Marschner versandt. Mit Schreiben vom 22. Oktober 2012 beantragte der Verurteilte Ratenzahlung , sandte jedoch weder das Ratenzahlungsformular noch Belege zu seinen Einkommensverhältnissen zurück. Nachdem er bis 16, November 2012 die Geldstrafe nicht - auch nicht teilweise - gezahlt hatte, wurde mit Verfügung vom selben Tag die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe angeordnet und der Verurteilte zum Strafantritt bis spätestens 30. November 2012 geladen, Da er sich nicht stellte, wurde - wie in Vollstreckungsverfahren üblich - am 14. Dezember 2012 ein Vollstreckungshaftbefehl durch die Staatsanwaltschaft Chemnitz erlassen. Der zuständigen Rechtspflegerin war zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt, dass der Verurteilte zum Unterstützerumfeld des NSU gehören soll. Der Verurteilte ist seit dem 2Q. Dezember 2012 zum Zwecke der Festnahme im System ,,|NPOL" ausgeschrieben. Die Fahndungsmaßnahmen wurden zuletzt am 6. November 2015 verlängert. Ein Auslieferungsersuchen wurde durch die Staatsanwaltschaft Chemnitz bisher nicht betrieben, da eine Auslieferung aus der Schweiz u.a. voraussetzt, dass die der Verurteilung zugrunde liegende Straftat - hier lnsolvenzverschleppung - auch in der Schweiz strafbar ist. Das ist nicht der Fall. Dezeit wird ein an die Schweiz gerichtetes Ersuchen auf Auslieferung des Ralf Marschnervorbereitet . Dies erfolgtvordem Hintergrund, die am 31. Juli 2017 eintretende Strafvollstreckungsverjährung gemäß S 79b SIGB um die Hälfte der gesetzlichen Verjährungsfrist - also um 2,5 Jahre - zu verlängern. Dies kann nach dieser Vorschrift durch das Amtsgericht Chemnitz auf Antrag der Staatsanwaltschaft Chemnitz einmal vor Ablauf der Seite 3 von 5 STAATSMINISTERIUM DER JUSTIZ Freistaat SACHSENlw Verjährungsfrist erfolgen, wenn sich der Verurteilte in einem Gebiet aufhält, aus dem seine Auslieferung oder Überstellung nicht erreicht werden kann. lm Falle bestehenden Rechtshilfeverkehrs ist es hiernach erforderlich, die Auslieferung erfolglos versucht zu haben (vgl. Fischer, StGB, 63. Aufl., S 79b, Rn. 2). lm Zusammenhang mit den Ermittlungen zum Unterstützerumfeld der Kernmitglieder des NSU wurden erstmals mit Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft Dresden vom 19. November 2012 eine Vielzahl von Akten - jedoch ohne namentliche Benennung der Personen - von der Staatsanwaltschaft Chemnitz angefordert. Hierunter befand sich auch das in der Vorbemerkung genannte Verfahren, in dem u. a. gegen Ralf Marschner wegen lnsolvenzverschleppung ermittelt worden war. Die Sachakte wurde daraufhin am 30. November 2012 der Generalstaatsanwaltschaft Dresden übersandt. Ralf Marschner wurde erstmals im Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft Dresden vom 17. Mai 2013 gegenüber der Staatsanwaltschaft Chemnitz konkret namentlich in Bezug auf eine Aktenanforderung des 2. Untersuchungsausschusses der 17. Wahlperiode des Deutschen Bundestages benannt. Frage 4: Haben die handelnden Beamten des BKA, die an der zeugenschaftlichen Vernehmung Ralf Marschners im NSU-Verfahren in den Jahren 2012 und 2013 bei Schweizer Staatsanwälten zugegen waren und laut Presseberichten vom Vorliegen des Haftbefehls gegen lllarschner wussten, die sächsischen Staatsanwaltschaften banv. andere Strafverfolgungsbehörden des Freistaates Sachsen ausdrücklich vom ihnen bekannten Aufenthaltsort Marschners informiert und was geschah daraufhin zur Vollstreckung des Haftbefehls? Wie zu den Fragen 1 bis 3 ausgefüihrt, wurde der Staatsanwaltschaft Chemnitz der Aufenthaltsort des Ralf Marschner durch den Generalbundesanwalt mit Schreiben vom 1. Juni 2012 mitgeteilt. Seite 4 von 5 STAATSI\4INISTERIUM DER JUSTIZ Freistaat SACHSENw Frage 5: lst es zutreffend, dass Ralf Marschner auf einer speziellen Liste des Sächsischen Staatsministeriums steht, welche ,,untergetauchte Neonazis" aus Sachsen, gegen die noch nicht vollstreckte Haftbefehle vorliegen, aufgeführt ist und wenn ja, aus welchen sachlichen und rechtlichen Gründen führt das Justizministerium diese Liste bzw. welche Maßnahmen leitet das Justizministerium aus dieser Liste und hier konkret im Vollstreckungsverfahren gegen Marschner ab? Weder durch das Sächsische Staatsministerium des lnnern noch das Sächsische Staatsministerium der Justiz wird eine Liste zu ,,untergetauchten Neonazis" aus Sachsen, gegen die noch nicht vollstreckte Haftbefehle vorliegen, geführt. Der Staatsregierung sind jedoch in diesem Zusammenhang regelmäßige Erhebungen des Bundeskriminalamtes zu oÍlenen Haftbefehlen politisch motivierter Straftäter bekannt, die mit den jeweiligen Landeskriminalämtern abgestimmt werden (vgl. Antwort der Staatsregierung vom 13. Juli 2O16 zu der Drs. 615417). Zur Bearbeitung eines an das Sächsische Staatsministerium der Justiz gerichteten Beweisbeschlusses (SN-41) des 3. Untersuchungsausschusses der 18. Wahlperiode des Deutschen Bundestages hatte dieses das Ergebnis einer diesbezüglichen Erhebung über das Sächsische Staatsministerium des lnnern beim Landeskriminalamt Sachsen beigezogen und anschließend mit Schreiben vom 7. Juni 2016 dem Untersuch ungsaussch uss [iberm ittelt. Die Erhebungen des Bundeskriminalamtes zielen insoweit nicht darauf ab, auf ministerieller Ebene konkrete Entscheidungen zu einzelnen Verfahren in die Wege zu leiten. Sie dienen vielmehr dazu, die operative Fahndungstätigkeit der Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern zu unterstützen. Mit freundlichen Grüßen Sebastian Gemkow Seite 5 von 5 2016-08-05T08:50:17+0200 GRP: Elektronisches Dokumentations- und Archivsystem Erstellung des Nachweisdokumentes