Sächsisches Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr Postfach 10 03 291 01073 Dresden Präsidenten des Sächsischen Landtages Herrn Dr. Matthias Rößler Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 01067 Dresden STAATSMlNlSTERlUM FÜR WIRTSCHAFT ARBElT UND VERKEHR Kleine Anfrage des Abgeordneten Nico Brünler, Fraktion DIE LINKE Drs.-Nr.: 6/6608 Thema: Arbeit auf Abruf Sehr geehrter Herr Präsident, den Fragen sind folgende Ausführungen vorangestellt: „Nach einer aktuellen Schätzung des DGB arbeiten bundesweit 1,9 Millionen Arbeitnehmer auf Abruf in variablen Arbeitszeiten, die am aktuellen Arbeitsaufkommen des Arbeitgebers orientiert sind. Rund zwei Drittel der Betroffenen erfahren demnach jeweils erst weniger als drei Tage vorher, ob, wann und wie lange sie jeweils eingesetzt werden. Ebenso können sich Arbeitgeber einer Entgeltfortzahlung bei Urlaub und Krankheit leicht entziehen, in dem sie auf den Abruf der Beschäftigten in diesen Tagen gezielt verzichten. Das betriebswirtschaftliche Risiko der Unternehmen wird so weit wie möglich auf die Mitarbeiter verlagert, die in der Folge mit stark schwankende Einkommen und schlecht planbaren Arbeitszeiten leben müssen." Namens und im Auftrag der Sächsischen Staatsregierung beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage 1: Welche Erkenntnisse hat die Staatsregierung zu Umfang und branchenbezogener Verteilung des Phänomens „Arbeit auf Abruf" in Sachsen? Der Staatsregierung liegen keine eigenen Erkenntnisse auf der Grundlage statistischer Daten für Sachsen vor. Es wird aber davon ausgegangen, dass die in der DGB-Studie bundesweit beschriebenen Phänomene grundsätzlich auch auf Sachsen zutreffen. Frage 2: Welche gesamtgesellschaftlichen Folgen verursacht durch „Arbeit auf Abruf" beobachtet die Staatsregierung? Der Wandel der Arbeitswelt hat in den letzten Jahren und Jahrzehnten zu einer stärkeren Individualisierung und Flexibilisierung geführt. Dieser Trend hat auch Auswirkungen auf die Arbeitszeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer . Seite 1 von 3 Freistaat SACHSEN Der Staatsminister Durchwahl Telefon : 0351 564-8001 Telefax: 0351 564-8024 Aktenzeichen 22-1 053/60/32 Dresden, 2 7. OKT 2016 Zert ifikat seit :;zoo6 audlt berufundfamlllc Hausanschrift: Sächsisches Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr Wilhelm-Buck-Straße 2 01097 Dresden Außenstellen: Hoyerswerdaer Straße 1 01099 Dresden Glacisstraße 4 01099 Dresden www.smwa.sachsen.de Verkehrsanbindung: Zu erreichen mit den Straßenbahnlinien 3, 7, 8 Haltestelle Carolaplatz Kein Zugang für elektronisch signierte sowie für verschlüsselte elektronische Dokumente. STAATSMINISTERIUM FÜR WIRTSCHAFT ARBEIT UND VERKEHR Modelle flexiblerer Arbeitszeit erlauben es, die Arbeitszeit hinsichtlich Dauer, Lage und Verteilung zu variieren. Die Flexibilisierung der Arbeitszeit ermöglicht aus Sicht der Unternehmen die Anpassung an veränderte wirtschaftliche Anforderungen. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben zunehmend ein Interesse an flexiblen Arbeitszeitmodellen, die z. B. eine verbesserte Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben ermöglichen. Bei der konkreten Ausgestaltung der flexiblen Arbeitszeiten geht es daher vor allem darum, die damit verbundenen Chancen und Risiken ausgewogen zwischen Unternehmen sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu verteilen. In Paragraph 12 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) hat der Gesetzgeber die Pflichten eines Arbeitgebers und die Schutzrechte eines Arbeitnehmers bei „Arbeit auf Abruf" bestimmt. Nach Berechnungen des DGB auf Grundlage des sozioökonomischen Panel 2014 (https://www.diw.de/de/soep) arbeiten rund fünf Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf Abruf. Bei der Flexibilisierungsvariante „Arbeit auf Abruf" kann die Verteilung von Chancen und Risiken ungleich zu Lasten der Beschäftigten ausfallen. Dies führt bei den Betroffenen zumeist zu fremdbestimmten Arbeitszeiten, einer hohen Arbeitsverdichtung und zu einem unkalkulierbaren Einkommen. In der betrieblichen Praxis bleibt Arbeit auf Abruf in vielen Fällen hinter den sozialen und rechtlichen Standards zurück, mit negativen Auswirkungen auf die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Frage 3: Welche Rolle spielt dieses Phänomen im erklärten Schwerpunkt „Gute Arbeit" des SMWA? Der Schwerpunkt „Gute Arbeit für Sachsen" verfolgt das Ziel, attraktive Arbeitsplätze zu schaffen und die Qualität der bestehenden Arbeitsbedingungen zu verbessern. Dabei geht es um die Stärkung der Rolle der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, um Anerkennung , Wertschätzung sowie angemessene und faire Entlohnung. Die langfristige wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der sächsischen Unternehmen beruht auf guter Arbeit . Dazu muss die Arbeitswelt so gestaltet werden, dass Beschäftigte gute Arbeitsbedingungen vorfinden, die es ihnen ermöglichen gesund, motiviert, leistungswillig und leistungsfähig zu bleiben. Die Flexibilisierung im Bereich der Arbeitszeiten schafft dabei neue Chancen und Risiken. Diese müssen ausgewogen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern verteilt werden. Die Staatsregierung sieht dabei im Modell „lebensphasenorientierter Personalpolitik" im Rahmen von Guter Arbeit für Sachsen einen zentralen Ansatz. Es müssen die zunehmenden Flexibilisierungsanforderungen der sächsischen Unternehmen einerseits mit den Wünschen und Bedürfnissen der Beschäftigten nach der besseren Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben, Kindererziehung oder der Pflege von Angehörigen andererseits besser verbunden werden. Diese notwendigen Flexibilisierungskompromisse können am besten über Tarifverträge oder auf der einzelbetrieblichen Ebene über Betriebsvereinbarungen ausgehandelt werden. Dabei können neue Arbeitszeitmodelle ausprobiert werden, die den betrieblichen Anforderungen unter gleichzeitiger Wahrung der Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entsprechen. Seite 2 von 3 Freistaat SACHSEN STAATSMlNlSTERIUM FÜR WIRTSCHAFT ARBEIT UND VERKEHR Darüber hinaus muss die Schutzfunktion des arbeitsrechtlichen Rahmens durch eine stärkere Sensibilisierung und Aufklärung über die gesetzlichen Regelungen (siehe Antwort auf Frage 4) wirksamer werden. Frage 4: In wie weit sieht die Staatsregierung in diesem Zusammenhang Defizite im Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) und falls sie diese sieht, welche Anstrengungen unternimmt sie auf Bundesebene diese zu beseitigen ? Paragraph 12 Teilzeit - und Befristungsgesetz (TzBfG) enthält die gesetzl iche Definition der Abrufarbeit sowie einige Schutzvorschriften zugunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Der Arbeitgeber muss eine bestimmte Mindestdauer der wöchentlichen und täglichen Arbeitszeit festlegen. Fehlt eine solche Festlegung, gelten eine wöchentliche Arbeitszeit von zehn und eine tägliche Arbeitszeit von drei aufeinanderfolgenden Stunden als vereinbart, zudem gilt eine Ankündigungsfrist von vier Tagen. Von den Regelungen kann zuungunsten des Arbeitnehmers nur durch Tarifvertrag abgewichen werden. Weil die Schutzvorschriften von Paragraph 12 TzBfG für einen wirksamen Schutz des Arbeitnehmers im Zuge des Wandels der Arbeit nicht ausreichen, haben die Arbeitsgerichte die Arbeitnehmerschutzrechte in Bezug auf das Teilzeit- und Befristungsgesetz erweitert. So darf die vom Arbeitgeber frei abrufbare Zusatzarbeit nicht mehr als 25 Prozent über die vereinbarte Mindestarbeit hinausgehen und nicht mehr als 20 Prozent von der vereinbarten Mindestarbeitszeit abweichen. Manche Arbeitgeber beachten die Schutzvorschrift des Paragraph 12 TzBfG und die Maßgaben der Arbeitsgerichte nicht und verlagern das Wirtschaftsrisiko und das Betriebsrisiko rechtswidrig auf den Abrufarbeit leistenden Arbeitnehmer. Deshalb ist zielführender , statt einer Veränderung des TzBfG, den betroffenen Arbeitnehmern die Durchsetzung der ihnen zustehenden Rechte zu erleichtern. Hierbei kommt einer kostenlosenrechtlichen (Erst-)beratung (Rechtsberatungshilfe sowie für Gewerkschaftsmitglieder durch die Gewerkschaften) ebenso wie dem in Paragraph 87 Abs. 1 Nr. 2 Betriebsverfassungsgesetz normierten und durch Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 28. September 1988 (1 ABR 41/87) untersetzten Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates zu Einführung und/oder Abschaffung von Abrufarbeit und der maximalen und minimalen Heranziehungszeit von Abrufarbeitnehmern pro Tag eine erhebliche Bedeutung zu. Mit freundlichen Grüßen ~ artin Dulig Seite 3 von 3 Freistaat SACHSEN 2016-10-28T08:58:11+0200 GRP: Elektronisches Dokumentations- und Archivsystem Erstellung des Nachweisdokumentes