STAATSIMIN]STERIUM DER JUSTìZ SÄCHSISCHES STAATSMINISTERIUM DER JUSTIZ Hosp¡talstraße 7 | 01097 Drêsdên Präsidenten des Sächsischen Landtages Herrn Dr. Matthias Rößler Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 01067 Dresden Kleine Anfrage der Abgeordneten Katja Meier, Fraktion BUNDNIS gO/DIE GRUNEN Drs.-Nr.: 617678 Thema: Einstellung staatsanwaltschaftlicher Ermittlungsverfahren wegen sog. Hitlergruß Sehr geehrter Herr Präsident, den Fragen sind folgende Ausführungen vorangestellt: ,,Seit dem 18.12.2016 ist in den sozialen Medien die anonymisierte Abschrift eines Einstellungsbescheids der Staatsanwaltschaft Dresden vom 14.12.2016 (42.206 Js 60420/16) einsehbar. Der Beschuldigte habe zwet am Rande der Veranstaltung ,,Dresden nazifrei" am 24.09.2016 den sog. Hitlergruß gezeigt, es werde aber keine Anklage erhoben, da ein öffentliches lnteresse an der Strafverfolgung nicht bestehe und von einergeringen Schuld auszugehen sei ($ 153 Abs. I stPo)." oder existiert innerhalb der sächsischen Staatsanwaltschaften eine allgemeine Richtlinie zum Umgang mit Lebenssachverhalten, in denen (vermeintlich ) der Hitlergruß gezeigt wurde? Namens und im Auftrag der Sächsischen Staatsregierung beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: www justiz sachsen de/smj Verkehrsverbl ndung Frage 1: ãi""å'j;"r:"^i,ii:. Handelt es sich bei dieser Entscheidung um eine Einzelfallentscheidung 3'6'7'8'11 Freistaat SACHSEN Der Staatsminister Durchwahl Telefon +49 (0)351 564-1500 Telefax +49 (0)351 564-1509 staatsminister@ smj.justiz.sachsen.de* Aktenzeichen (bitte bei Antwort angeben) 1 040E-KLR-3942/l 6 Dresden, y't.. Januar 2Q17 Hausanschrlft: Sächslsches Staatsmlnlsterlum der Justlz Hospitalstraße 7 0 1 097 Dresden Briefpost úber Deutsche Post 01 095 Dresden Parken und behindertengerechter Zugang über Einfahrt Hospitalstraße 7 *Zugang für eleklronisch sign¡€rte sowie für verschlüss€lte 6leklron¡sche Dokumente nur üb€r das Elektronisch€ Gerichts- und VeMeltungspostfach; nähere lnformation€n unler M egvp deSeite 1 von 4 STAATSMINISTERIUM DER JUSTIZ Freistaat SACHSEN NÌj-\ilN =ry Es handelt sich bei dieser Entscheidung um eine Einzelfallentscheidung. Eine allgemeine Richtlinie innerhalb der sächsischen Staatsanwaltschaften existiert hierzu nicht. Frage 2: ln welchen Fällen geht die Staatsregierung davon aus, dass die Strafverfolgung ein gegenwärtiges Anliegen der Allgemeinheit i.S.d. Nr. 86 Abs. 2 R¡SIBV ist, und zwar ,,wegen [...] der rassistischen, fremdenfelndlichen oder sonstigen menschenverachtenden Beweggrü nde des Täters"? Die Vorschrift der Nr. 86 Abs. 2 der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) umschreibt Prüfungskriterien für die Bejahung des öffentlichen lnteresses bei Privatklagedelikten. Der Straftatbestand des $ 86a Strafgesetzbuch (StGB) ist kein Privatklagedelikt, sondern ein Offizialdelikt, für das grundsätzlich der Legalitätsgrundsatz nach $ 152 Strafprozessordnung (StPO) gilt. Bei Straftaten, die gemäß $ 12 Absatz 2 StGB als Vergehen einzuordnen sind, kann die Staatsanwaltschaft allerdings aus Opportunitätsgründen von der Verfolgung einer Straftat absehen, z.B. wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre und kein öffentliches lnteresse an der Verfolgung besteht (S 153 Absatz 1 Satz 1 und 2 StPO). Bei einer Straftat nach $ 86a StGB, z.B. durch das Zeigen des Hitlergrußes, wird grundsätzlich das öffentliche lnteresse an der Verfolgung zu bejahen sein. Nur in ganz besonderen Ausnahmefällen - etwa bei sehr hohem Alkoholisierungsgrad oder anderen besonderen Umständen der Tat - kann bei Ersttätern wegen geringer Schuld und nur auf jeden besonderen Einzelfall bezogen von der Erhebung der öffentlichen Klage abgesehen werden. Frage 3: Worin liegt der Unterschied zwischen den auf Frage 2 benannten Fällen des öffentlichen Strafverfolgungsinteresses und dem im oben benannten Ermittlungsverfah ren gegenständ I ichen Lebenssachverhalt? Seite 2 von 4 STAATSMINISTERIU'N4 DER JUSTIZ Freistaat SACHSEN N.\il#L¡¡&J =)v ln dem in der Vorbemerkung genannten Ermittlungsverfahren hatte sich der Beschuldigte unwiderlegbar dahingehend eingelassen, er habe die Veranstaltung von ,,Dresden Nazifrei" mit dem Fahrrad passieren wollen. Dabei sei er von Demonstrationsteilnehmern des linken Spektrums aufgrund seiner äußeren Erscheinung (Bekleidung) verbal beleidigt und von mehreren Personen verfolgt worden. ln Reaktion dessen sei es zu der inkriminierten (und von ihm nicht als Hitlergruß gewollten) Armbewegung gekommen . Unter den dargestellten Umständen war eine rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende Gesinnung als Tatmotivation nicht sicher feststellbar. Weder die Tatumstände noch sonstige Hinweise, z.B. aus dem strafrechtlichen Vorleben des Beschuldigten, ließen auf eine rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende Gesinnung schließen. Die Tat stellt sich vielmehr als spontane, äußerst unangemessene, strafrechtlich relevante Reaktion des Beschuldigten auf eine vorherige Provokation oder gar verübte Straftat zu seinem Nachteil dar. Frage 4: ln wie vielen Fällen sind in den vergangenen fünf Jahren durch die sächsischen Staatsanwaltschaften Ermittlungsverfahren wegen des Zeigen des Hitlergrußes aus welchen Gründen eingestellt worden? (bitte nach Staatsanwaltschaften, Jahren und Einstellungsgründen aufschlüsseln [sollte Aufschlüsselung nach sog. Hitlergruß nicht möglich sein, dann bitte nach Verfahren g 86a SIGB]) Zur Beantwortung der Frage wird auf die Anlage venryiesen. Darin ist auf der Grundlage einer Auswertung der Datenbanken der sächsischen Staatsanwaltschaften ausgewiesen , gegen wie viele Beschuldigte Ermittlungsverfahren wegen des Tatvonruurfs ,,Zeigen des Hitlergrußes" seit 2Q12 aus welchen Gründen (Einstellungsnorm) eingestellt worden sind. Frage 5: Aus welchen Gründen besteht nach Ansicht der Staatsregierung beim Zeigen des Hitlergrußes eine deutlich geringere Schuld als in vergleichbaren Fällen und worin liegen die vergleichbaren Fälle? Seite 3 von 4 STAATSMINISTERIUM DER JUSTIZ Freistaat SACHSEN ilñtrlN¡lld¡J\ry Die Schuld ist gering, wenn sie bei einem Vergleich mit Vergehen gleicher Art nicht unerheblich unter dem Durchschnitt liegt. Bei der Bemessung der Schuld sind die Umstände , die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander abzuwägen. Dabei kommen insbesondere die Beweggründe und die Ziele des Täters, insbesondere rassistische , fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende, die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille, die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat, das Vorleben des Täters sowie sein Verhalten nach der Tat in Betracht (S 46 StcB) Aus den zu Frage 3 genannten Gründen oder anderen besonderen Umständen, wie z.B. sehr hoher Alkoholisierungsgrad, kann beim Zeigen des Hitlergrußes eine deutlich geringere Schuld als in vergleichbaren Fällen anzunehmen sein. "Vergleichbare Fälle" können aufgrund des Umstandes, dass jede Straftat einer Einzelfallbetrachtung unterliegt , nicht schematisch dargestellt werden. Regelmäßig wird mit dem Hitlergruß durch den Täter jedoch eine entsprechende Gesinnung zum Ausdruck gebracht werden. Mit freundlichen Grüßen Sebastian Gemkow Anlage Anlage zu Frage 4 Seite 4 von 4 Anlage zu Drs. 6/7678 Anzahl der Beschuldigten mit dem Tatvorwurf „Zeigen des Hitlergrußes" und Einstellungserledigungen 2012- 2016 Quelle: Datenbanken der Sächsischen Staatsanwaltschaften Verfahrenseinstellungen gegen bekannte Tatverdächtige Staatsanwaltschaften Jahr der Einstellung Einstellungsart Bautzen Chemnitz Dresden Görlitz Leipzig Zwickau Gesamtergebnis 2012 § 170 Abs. 2 StPO 11 8 5 9 5 38 § 154 Abs. 1 StPO 4 7 4 15 § 154 Abs. 2 StPO 1 1 2 § 153 Abs. 1 StPO 1 6 2 1 3 13 § 153 a Abs. 1 StPO 2 1 3 § 153 a Abs. 2 StPO 1 1 § 154 f StPO 1 1 2 § 152 Abs. 2 StPO 2 1 1 4 § 45 Abs. 1 JGG 2 1 4 1 8 § 45 Abs. 2 JGG 6 1 2 9 § 47 JGG 1 1 2013 § 170 Abs. 2 StPO 6 9 3 7 7 32 § 154 Abs. 1 StPO 2 1 3 6 12 § 154 Abs. 2 StPO 2 2 § 153 Abs. 1 StPO 1 2 4 7 § 153 Abs. 2 StPO 1 § 153 a Abs. 1 StPO 1 1 § 153 a Abs. 2 StPO 1 1 1 § 154 f StPO 1 1 § 152 Abs. 2 StPO 1 1 § 45 Abs. 1 JGG 2 1 3 § 45 Abs. 2 JGG 1 5 1 7 § 47 JGG 1 1 Anlage zu Drs. 6/7678 2014 § 170 Abs. 2 StPO 2 7 2 6 4 21 § 154 Abs. 1 StPO 11 2 1 1 15 § 153 Abs. 1 StPO 4 3 2 1 10 § 153 Abs. 2 StPO 1 1 § 152 Abs. 2 StPO 3 3 § 45 Abs. 1 JGG 1 1 2 § 45 Abs. 2 JGG 2 3 1 6 2015 § 170 Abs. 2 StPO 1 5 2 11 7 26 § 154 Abs. 1 StPO 3 3 4 1 1 12 § 153 Abs. 1 StPO 4 1 5 § 154 f StPO 1 1 § 152 Abs. 2 StPO 2 2 § 45 Abs. 1 JGG 1 3 4 § 45 Abs. 2 JGG 3 1 4 2016 § 170 Abs. 2 StPO 2 6 4 13 7 32 § 154 Abs. 1 StPO 4 5 3 3 15 § 153 Abs. 1 StPO 4 4 § 153 a Abs. 1 StPO 1 1 § 154 f StPO 1 1 1 3 § 152 Abs. 2 StPO 1 1 1 3 § 45 Abs. 1 JGG 1 1 § 45 Abs. 2 JGG 2 2 1 1 2 8 § 47 JGG 1 1 Anlage zu Drs. 6/7678 Verfahrenseinstellungen gegen unbekannte Tatverdächtige gemäß § 170 Abs. 2 StPO Jahr der Einstellung Staatsanwaltschaften Bautzen Chemnitz Dresden Görlitz Leipzig Zwickau Gesamtergebnis 2012 1 4 2 7 14 2013 1 6 2 1 2 12 2014 4 3 1 2 10 2015 1 2 3 6 2016 5 13 2 3 3 26 KA6-7678 KA6-7678_Anl 2017-01-17T08:38:07+0100 GRP: Elektronisches Dokumentations- und Archivsystem Erstellung des Nachweisdokumentes