STAATSMINISTERIUM DER JUSTIZ SACHSISCHES STAATSMINISTERIUM DER JUSTIZ Hospitalstraße 7 | 01 097 Dresden Präsidenten des Sächsischen Landtages Herrn Dr. Matthias Rößler Bernhard-von-Lindena u-Platz 1 01067 Dresden Kleine Anfrage der Abgeordneten Katja Meier, Fraktion BüNDNls g0/DlE GRUNEN, Drs.-Nr.: 619024 Thema: Jugendarrest und Haftvermeidung bei jungen straftäter*innen Sehr geehrter Herr Präsident, den Fragen sind folgende Ausführungen vorangestellt ,,lm Koalitionsvertrag ist auf seite 100 zu lesen: ,,Den Jugendarrest (S 16 JGG) werden wir im lnteresse einer möglichst niedrigen Rückfallquote so ausgestalten , dass die pädagogische Förderung sozialer Kompetenz im vordergrund steht' Bei jungen Straftätern setzen wir uns weiter für Haftvermeidungsprojekte ein. Diese sowie den EinsaE und die Wirkung des ,,Warnschussarrests,, werden wir bis Ende 2016 evaluieren." Namens und im Auftrag der Sächsischen Staatsregierung beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: Frage l: wie viele Jugendliche und Heranwachsende wurden seit dem Jahre 2007 jeweils zu einem Jugendarrest verurteilt und wie hat sich die Straffälligkeit bztfv. Rückfallquote derjenigen entwickelt? (bitte jeweils nach Jahr und Geschlecht aufschlüsseln) Freistaat SACHSEN Der Staatsminister Durchwahl Telefon +49 351 564-1500 Telefax +49 351 564-1509 staatsminister@ smj.j ustiz.sachsen. de* Aktenzeichen (bitte bei Antwort angeben) I 040E-KLR-91 5/1 7 Dresden, Zç. Aptit2017 Hausanschrlft: Sächslsches Staatsmlnlsterlum der Justlz Hospitalshaße 7 01 097 Dresden Briefpost tiber Deutsche post 01 095 Dresden www.jusl¡z.sachsen.de/smj Verkehrsverblndu ng: Zu erreichen mit Straßenbahnlinien 3,6,7,8, 11 Parken und behindertengerechter Zugang tlber E¡nfahrt Hospitalstraße z *zugang lilr elaktronisch s¡gn¡erte sowi€ fùr verschlûssslte elektronische Dokumente nur übêr das Elektronisch€ Gerichts- und Verwaltungspostfach; nåh€re lnformationan unt€r ww.egvp.dg Seite I von 6 STAATSMINISTERIUM DER JUSTIZ Freistaat SACHSEN I ¡Ir-I StrJlw Die Angaben zur Anzahl der zu Jugendarrest gem. S 16 JGG verurteilten Jugendlichen und Heranwachsenden für die Jahre 2007 bis 2015 wurden der Strafverfolgungsstatistik entnommen und sind aus den nachfolgenden Tabellen ersichtlich. Ab dem Jahr 2013 wurde mit der Neufassung von $ 16a JGG die Möglichkeit zur Verhängung eines sogenannten ,,Warnschussarrests" eingeräumt. Eine statistische Erfassung des Warnschussarrests erfolgt ebenfalls ab dem Jahr 2013. Die Anzahl der Jugendarreste gem. $ 16a JGG ist in den nachfolgenden Tabellen in Klammern angegeben, Fi¡r das Jahr 2016 können keine Angaben gemacht werden, da die Strafverfolgungsstatistik für dieses Jahr noch nicht vorliegt. Die Strafuerfolgungsstatistik weist weder Rückfallquoten noch Daten zur Entwicklung der Straffälligkeit der Jugendlichen und Heranwachsenden aus, weil diese Angaben in den amtlichen Statistiken nicht erhoben werden. Von einer vollständigen Beantwortung der Frage wird aus Gründen der Zumutbarkeit abgesehen. Zur Beantwortung der Frage wäre die Auswertung aller 2.688 Verfahren, in denen im Zeitraum 2007 bis 2015 Jugendliche oder Heranwachsende zu Jugendarrest verurteilt wurden, erforderlich. Für jeden Verurteilten wäre ein Auszug aus dem Bundeszentralregister anzufordern, welcher dann im Sinne der Fragestellung ausgewertet werden müsste. Es schließt sich außerdem die Seite 2 von 6 Jugendliche die im Freistaat Sachsen nach Jugendstrafrecht zu Jugendarrest verurteilt wurden Geschlecht 2007 2008 2009 20'10 2011 2012 2013 2014 2015 måinnlich 218 220 168 149 131 121 98 68 (+10) 48 (+7) weiblich 41 29 17 30 30 29 20 10 (+3¡ 12 (+1)Straftateninsgesamt insgesamt 259 249 185 179 161 150 118 78 (+13¡ 60 1+g¡ Heranwachsende die im Freistaat Sachsen nach Jugendstrafrecht zu Jugendarrest verurteilt wurden Geschlecht 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 mËinnlich 203 171 159 144 116 89 74 (+3) 56 (+5) 70 (+3¡ weiblich 22 21 7 14 15 12 13 16 (+1) 14Straftateninsgesamt insgesamt 225 192 166 158 131 101 87 (+3) 72 (+6) 84 (+3¡ STAATSMINìSTERIUM DER JUSTIZ Freistaat SACHSEN Ð\]drJ w schriftliche Dokumentation des gefundenen Ergebnisses an. Filr die entsprechende Auswertung ist selbst bei zurückhaltender Schätzung von einem Arbeitsaufwand von durchschnittlich jedenfalls nicht weniger als 15 Minuten je Verfahren auszugehen. Der hierfür anfallende zeitliche Aufwand summiert sich somit insgesamt aul 84 Arbeitstage für einen in Vollzeit tätigen Mitarbeiter. Die Staatsregierung kommt daher bei der vozunehmenden Abwägung zwischen dem parlamentarischen Fragerecht einerseits und der Gewährleistung der Funktionsfähigkeit der Staatsregierung sowie der ihr nachgeordneten Behörden andererseits zu dem Ergebnis, dass eine vollständige Beantwortung der Frage auch unter Berücksichtigung des hohen Rangs des parlamentarischen Fragerechts unverhältnismäßig und ohne erhebliche Einschränkung der Arbeitsfähigkeit der Justiz nicht zu leisten ist. Frage 2: Wie lange ist die durchschnittliche Zeit zwischen der Straftatbegehung und dem diesbezüglichen rechtskräftigen Urteil und wie lange ist die durchschnittliche Wartezeit auf den Arrestantritt? Die Berechnung der Zeitspanne zwischen der Begehung der Straftat und der Rechtskraft des den Jugendarrest verhängenden Urteils ergab bei einer Stichprobe einen Median von 272Tagen. Die Land- und Amtsgerichte wurden um Angaben zur durchschnittlichen Wartezeit zwischen Rechtskraft des Urteils und Arrestantritt gebeten. Die Abfrage hat ergeben, dass der Arrestantritt regelmäßig spätestens drei Monate nach Rechtskraft der Verurteilung erfolgt. Seite 3 von 6 STAATSMINISTERIUM DER JUSTIZ Freistaat SACHSENlw Frage 3: Welche Maßnahmen der pädagogischen Förderung hat die Staatsregierung bisher ergriffen, um beim Jugendarrest nach $ l6 JGG die soziale Kompetenzbitdung in den Vordergrund zu rücken, inwieweit ließ sich dadurch die Rückfatlquote senken und welche Maßnahmen sind zukünftig geplant? Folgende Maßnahmen wurden bislang beim Jugendarrest nach g 16 JGG ergriffen, um die soziale Kompetenzbildung in den Vordergrund zu rücken: Einzel- und Gruppengespräche mit Bediensteten, soziale Trainingskurse in Gruppen, sozialpädagogische Einzelgespräche, pädagogische Angebote, kunsttherapeutische Angebote, tiergestützte I ntervention, gartengestalterisches Behandlu ngsangebot, Absolvierung von Praktika, Selbstbehauptungstraining, Sexualpädagogik, Schuldnerberatung, Suchtberatung, Sportmaßnahmen und individuelle Gruppenmaßnahmen (2.8. Kreativkurse, Buchbesprechungen) Die Senkung der RücKallquote durch die angebotenen Maßnahmen wird nicht statistisch erhoben. Hinsichtlich des hierzu erforderlichen Aufwandes wird auf die Antwort zu Frage 1 venriesen. Zur Frage, welche Maßnahmen zukünftig geplant sind, wird mitgeteilt, dass die beschriebenen Angebote einer ständigen Weiterentwicklung unterliegen und seitens der Jugendarrestanten gut angenommen werden. Grundlegende Anderungen der Maßnahmen sind daher nicht in Planung. Seite 4 von 6 STAATSMINISTERIUM DER JUSTIZ Freistaat SACHSEN RÎ-\ïËtri w Frage 4: Welche Projekte und Maßnahmen wurden darüber hinaus zur Haftverme¡dung bei jungen Straftäter*innen initiiert und welche Projekte und Maßnahmen sind in Planung (bitte aufschlüsseln nach llllaßnahmen und Projekte für junge Frauen und llllänner)? Es werden folgende Projekte und Maßnahmen zur Haftvermeidung beijungen Straftätern angeboten: lm Freistaat Sachsen betreibt das CJD Chemnitz als Einrichtung des Christlichen Jugenddorfwerkes Deutschland e.V. ein Projekt zur U-Haftvermeidung nach den gg 71 und 72 JGG in Schönberg/OT Tettau. Dieses richtet sich an männliche und weibliche jugendliche Straftäter, die sich entweder bereits in U-Haft befinden oder aber durch Stärkung ihrer Persönlichkeit vor einem Leben in Haft bewahrt werden sollen. Der Verein Seehaus e.V. führt in Sachsen Jugendstrafvollzug in freien Formen als Möglichkeit der Vermeidung einer Unterbringung im Jugendstrafvollzug der Jugendstrafvollzugsanstalt Regis-Breitingen durch. lm Rahmen einer betreuten Wohngemeinschaft von bis zu sieben männlichen Jugendstrafgefangenen im Alter zwischen 14 und 23 Jahren erfahren diese einen strukturierten Alltag mit klaren Regeln und in gegenseitigem Respekt. Ziel dieses konsequent durchgeplanten Erziehungsprogrammes ist es, den Teilnehmern Verantwortungsübernahme zu lehren und sie in die Gesellschaft wiedereinzugliedern . Kriminelle Karrieren sollen möglichst frühzeitig unterbrochen werden. Frage 5: Wann wurde durch wen die Evaluierung der Haftvermeidungsprojekte sowie des Jugendarrests durchgeführt und welche Ergebnisse, Resultate und Handlungsempfehlungen liegen in Folge dessen vor? Zum Jugendstrafvollzug in freien Formen liegt eine Evaluierung des Kriminologischen Dienstes für den Justizvollzug des Freistaates Sachsen bereits vor. Der Entwurf lässt den Schluss zu, dass Seehaus-Teilnehmer deutlich bessere Voraussetzungen für die Wiedereingliederung zeigen. Sie erlebten aufgrund des Seehaus-Konzeptes unmittelbare Erfolge durch regelkonformes und sozial angemessenes Verhalten, haben insge- Seite 5 von 6 STAATSMINISTERIUM DER JUSTIZ I W! FreistaatI 5 SACHSEN samt ein höheres Schul- oder Ausbildungsniveau erreicht und sind hinsichtlich ihrer Entlassungssituation stabiler integriert und mit Nachsorgemaßnahmen versorgt. Bezuglich des Warnschussarrests untersuchte das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen e.V. (KFN) im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz die Anwendungspraxis dieser jugendstrafrechtlichen Sanktionsmöglichkeit des Jugendarrests neben zur Bewährung ausgesetzter Jugendstrafe nach $ 16a JGG sowie deren Folgen auf andere Sanktionsformen nach JGG. Die bundesweite Evaluation erfolgte in Kooperation mit der Universität Kassel im Zeitraum 1. Januar 2014 bis 30. April 2016. Ziel der Untersuchung war es, Erkenntnisse über die Art der Anwendung, die Ausgestaltung und die Wirkung des Arrests nach $ 16a JGG zu erhalten. Außerdem sollte die Haltung der Praktiker gegenüber diesem lnstrument erforscht werden. ln der Zusammenschau der Ergebnisse zeigte sich, dass sich weder die Befürchtungen der Kritiker/innen noch die Hotfnungen der Befürworter/innen des $ 16a-Arrests in besonders hohem Maße realisiert haben. Mit freundlichen Grüßen Sebastian Gemkow Seite 6 von 6 2017-04-25T09:22:22+0200 GRP: Elektronisches Dokumentations- und Archivsystem Erstellung des Nachweisdokumentes