SCHLESWIG-HOLSTEINISCHER LANDTAG Drucksache 18/1018 18. Wahlperiode 2013-08-14 Kleine Anfrage der Abgeordneten Johannes Callsen und Heike Franzen (CDU) und Antwort der Landesregierung - Ministerin für Bildung und Wissenschaft Deutsche Diktaturen im Schulunterricht Vorbemerkung der Landesregierung: Die Landesregierung stellt fest, dass eine Gleichstellung des nationalsozialistischen Systems mit dem Regime der DDR weder unter historischen noch unter politischen Gesichtspunkten korrekt wäre. Dies würde aus Sicht der Landesregierung eine Ver- harmlosung des NS-Unrechts darstellen und die Einzigartigkeit der Verbrechen, die in der Zeit des Nationalsozialismus verübt wurden, in Frage stellen. Unstreitig ist, dass in beiden Regimen Unrecht in erheblichem Umfang begangen worden ist, an- dersdenkende Menschen verfolgt und in ihren Freiheitsrechten erheblich beeinträch- tigt worden und sogar zu Tode gekommen sind. Beide Regime unterscheiden sich nachhaltig jedoch vor allem darin, dass nur das nationalsozialistische Regime einen Krieg von in der Menschheitsgeschichte einzigartigem Ausmaß begonnen hat, in dessen Folge - je nach Schätzungen - rund 55 Millionen Menschen ihr Leben verlo- ren haben. Und nur das nationalsozialistische System hat systematisch wie kein Re- gime vor und kein Regime nach ihm mit der Judenverfolgung und -vernichtung sowie der Verfolgung und Vernichtung aller Menschen, die nach nationalsozialistischem Verständnis nicht der sogenannten arischen Rasse angehörten, einen Völkermord geplant und umgesetzt. Drucksache 18/1018 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode 2 Bei allen Verstößen gegen die Menschenwürde, die auch von anderen Regierungen und Staaten - darunter der ehemaligen DDR - begangen wurden, ist diese Vernich- tungspolitik des NS-Regimes einzigartig und dürfte nicht durch unzutreffende Gleich- setzung mit anderen autoritären Staaten relativiert werden. 1. Wie, in welcher Form und in welchen Unterrichtsfächern wird schleswig- holsteinischen Schülern Wissen über die deutschen Diktaturen des 20. Jahr- hunderts vermittelt? Antwort: Wissen über die deutschen Diktaturen des 20. Jahrhunderts wird in den Fächern Geschichte, Wirtschaft/Politik, Weltkunde und in Teilen auch in Deutsch und Religi- on/Philosophie vermittelt. Im Fach Geschichte liegt der Schwerpunkt auf der syste- matischen historischen Behandlung, die Fächer Wirtschaft/Politik und Weltkunde be- handeln das Thema im Rahmen von gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftli- chen Problemstellungen (z.B. Systemvergleich). Im Fach Deutsch können Mecha- nismen einer Diktatur anhand einer Lektüre betrachtet werden. In den Fächern Reli- gion und Philosophie stehen die ethisch-moralischen Aspekte im Vordergrund. Das MBW schreibt den Lehrkräften keine Form der Unterrichtung vor. Die Lehrkräfte entscheiden über geeignete Formen, Methoden, Lernorte usw. in eigener Verantwor- tung und aufgrund ihrer Fachkompetenz. Insbesondere über das Fächerportal Ge- schichte des IQSH werden Fortbildungen für Lehrkräfte auch zu diesen Themen an- geboten. 2. Welche Aspekte dieser beiden Diktaturen finden dabei besondere Berücksichti- gung? Bitte für die Sekundarstufen I und II detailliert darlegen. Antwort: Zu dieser Frage liegen dem MBW keine Erkenntnisse vor. Die Lehrkräfte setzen selbst Schwerpunkte und/oder lassen diese auch von den Schüler/innen setzen (z.B. Projektarbeit in der Oberstufe). 3. Wie viele Unterrichtseinheiten sind an den allgemeinbildenden Schulen dafür vorgesehen? Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode Drucksache 18/1018 3 Antwort: Die Lehrpläne sehen im Fach Geschichte eine Behandlung in der Sekundarstufe I und in der Sekundarstufe II vor, im Fach Weltkunde erfolgt sie in der Sekundarstufe I. In der Oberstufe erfolgt die Behandlung im Rahmen des Systemvergleichs von De- mokratie und Diktatur; in den anderen Fächern gibt es keine Vorgaben. Die Lehrkräf- te entscheiden im Rahmen des schulinternen Curriculums eigenständig, wie viel Zeit sie für diese Themen aufwenden. In der Oberstufe ist der Nationalsozialismus regel- mäßig Gegenstand des schriftlichen und mündlichen Abiturs. 4. Hält die Landesregierung die bestehende Wissensvermittlung für ausreichend? Antwort: Das zentrale Ziel des Geschichtsunterrichts ist der Aufbau und die Förderung eines kritischen Geschichtsbewusstseins. Dies ist zu erreichen über den Erwerb von Fä- higkeiten und Fertigkeiten in den Kompetenzbereichen Fachwissen (Sachkompe- tenz), Erkenntnisgewinnung (Methodenkompetenz) und Beurteilung (Selbst- und So- zialkompetenz). Die Lehrpläne aller Schularten fordern den Kompetenzerwerb. Mit der Veröffentlichung der Orientierungshilfen G8 für die Sekundarstufe I Geschichte im Sept. 2008 wurde dieser Ansatz weiter differenziert. Die ab dem Schuljahr 2013/14 zu erarbeitenden Fachanforderungen werden konkretisieren, welche Kom- petenzen und Fähigkeiten bis zum Abschluss der Sekundarstufe I erreicht sein sol- len. Aufgrund dieser Maßgaben kann keine ausreichende Quantität an Wissens- vermittlung definiert werden, weil sie nicht allein im Fokus steht, sondern der umfas- sendere Kompetenzerwerb, der Schülerinnen und Schüler befähigen soll, ihr Ge- schichtsbewusstsein lebenslang weiterzuentwickeln. Durch die regelmäßigen Leis- tungsfeststellungen ermitteln die Lehrkräfte, ob die Kompetenzen erreicht worden sind. 5. Wie bewertet die Landesregierung die Umsetzung des fraktionsübergreifenden Landtagsschlusses zur zeitgemäßen Auseinandersetzung mit der DDR- Geschichte an schleswig-holsteinischen Schulen (Drs. 17/117) aus dem Jahr 2009? In welchen Punkten besteht Nachholbedarf? Drucksache 18/1018 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode 4 Antwort: Der Landtagsbeschluss wurde den Schulen übermittelt; zur „zeitgemäßen Auseinan- dersetzung“ siehe auch die Antwort zu Frage 4. Das MBW geht davon aus, dass die Lehrkräfte dieses Thema didaktisch aufbereiten und insbesondere die zahlreichen Möglichkeiten, aktuelles Material einzusetzen, Zeitzeugen zu befragen und außer- schulische Lernorte aufzusuchen, im Rahmen der schulischen Möglichkeiten nutzen. Den Schulen ist anlässlich des 20-jährigen Jubiläums der Deutschen Einheit eine Fülle von Informationen und Hinweisen zum Thema DDR-Diktatur gegeben worden. 6. Plant die Landesregierung weitere Maßnahmen, um Schülerinnen und Schüler stärker gegenüber totalitären Herrschaftsformen zu sensibilisieren? Antwort: Die Landesregierung hat auf der Grundlage der durch den Landtag zur Verfügung gestellten Haushaltsmittel ein Landesprogramm zur Demokratieförderung und Rechtsextremismusbekämpfung beschlossen, das sich in der Umsetzung befindet. Das Programm sieht neben regionalen Beratungsstellen auch eine zentrale Stelle vor (möglicherweise am IQSH unter dem Dach der „Zukunftsschule“ anzusiedeln), die u.a. Fortbildungsmodule für Lehrkräfte und weitere Multiplikatoren erarbeiten wird. Ziel ist die Förderung einer demokratischen Alltagskultur und des demokratischen Handelns. Im Zusammenwirken mit schulischen und außerschulischen Akteuren (SV, Lehrkräfte, gesellschaftliche Gruppen und Initiativen) sollen die Schüler/innen totali- täre Formen schon im Alltag erkennen lernen und Strategien zu ihrer Zurückdrän- gung erwerben.