SCHLESWIG-HOLSTEINISCHER LANDTAG Drucksache 18/1272 18. Wahlperiode 19. November 2013 Kleine Anfrage des Abgeordneten Dr. Patrick Breyer (PIRATEN) und Antwort der Landesregierung – Ministerin für Justiz, Kultur und Europa Geldauflagen in Strafverfahren zugunsten gemeinnütziger Einrichtungen Vorbemerkung: Auf die Einhaltung der Antwortfrist wird verzichtet. 1. Welchen Einrichtungen erhielten im Jahr 2012 Mittel infolge von Geldauflagen in Strafverfahren oder waren in dem entsprechenden Interessentenverzeichnis der Oberlandesgerichtspräsidentin aufgeführt? Es wird gebeten, die Antwort aufzuschlüsseln nach: a) Name der Organisation b) Sitz c) falls bekannt Art/Tätigkeitsbereich der Organisation d) justiznahe Einrichtung nach Nr. 93 Abs. 4 RiStBV (ja/nein) e) ggf. vorhandenes Spendensiegel f) ggf. Datum der Aufnahme in das Verzeichnis der Oberlandesgerichtspräsidentin g) ggf. Datum der Löschung aus dem Verzeichnis der Oberlandesgerichtspräsidentin h) ggf. Höhe der zugewandten Geldauflagen im Jahr 2012 i) ggf. Höhe der tatsächlich eingegangenen Geldauflagen im Jahr 2012 Falls die Zahlen für 2012 noch nicht verfügbar sind, wird gebeten, für das zuletzt Drucksache 18/1272 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode 2 verfügbare Jahr zu antworten. Antwort zu Frage 1a)-i): Aufgrund der AV des JM vom 14.10.1974 (SchlHA 1974, 202f.), zuletzt geändert aufgrund der AV des JAE vom 18.04.2006 (SchlHA 2006, 158f.), werden von der Präsidentin oder von dem Präsidenten des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht ein Verzeichnis über die an Zuweisungen von Geldauflagen in Strafverfahren interessierten gemeinnützigen Einrichtungen geführt. In dem seit 1974 geführten Verzeichnis werden neben 1.345 Einrichtungen, die um Zuweisung von Geldbußen gebeten haben, auch alle Zahlungen erfasst. Bei den Zahlungen handelt es sich um Geldauflagen gemäß § 153a Absatz 1 Nummer 2, Absatz 3 Satz 1 StPO, sowie um Bewährungsauflagen gemäß § 56b Absatz 2 Nummer 2 StGB. Außerdem werden Bußgeldzahlungen, die vom Justizministerium im Gnadenverfahren auferlegt werden, in die Liste aufgenommen. Eine Aufschlüsselung nach Bewährungs-, Einstellungs- oder Gnadenauflage erfolgt nicht. Weiterhin enthält das Verzeichnis keine Eintragungen darüber, wann eine Einrichtung eingetragen oder ggf. gelöscht worden ist. Die Zahlungen auf Grund staatsanwaltschaftlicher Auflagen werden allein von der beim Generalstaatsanwalt in Schleswig geführten Liste erfasst. Bezüglich des von der Oberlandesgerichtspräsidentin geführten Verzeichnisses wird auf das als Anlage 1 angefügte Verzeichnis verwiesen. Justiznahe Einrichtungen werden nicht gesondert gekennzeichnet. Eine Auflistung der justiznahen Einrichtungen wird von dem Generalstaatsanwalt in Schleswig geführt. Es wird nicht vermerkt, ob die Organisationen über einen Spendensiegel verfügen und wann sie in das Verzeichnis aufgenommen worden sind. Es wird auch kein gesondertes Verzeichnis über gelöschte Einrichtungen geführt. Ebenso erfolgt keine Aufstellung der zugewandten Geldauflagen, sondern es werden nur die tatsächlich erfolgten Zahlungen von den Gerichten mitgeteilt und in das Verzeichnis der Präsidentin des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichtes aufgenommen . Bezüglich der beim Generalstaatsanwalt in Schleswig geführten Listen wird auf die als Anlagen 2 und 3 geführten Tabellen hingewiesen. Die vorhandenen Daten erlauben eine weitere Aufschlüsselung nicht. Die in der Auflistung genannten Einrichtungen sind Organisationen im Sinne der Nr. 93 Absatz 4 RiStBV. Soweit durch die örtlichen Staatsanwaltschaften andere Organisationen Bußgeldzuweisungen erhielten, liegen dazu keine differenzierten Zahlen vor und sind über eine MESTA-Auswertung auch nicht zu erlangen. Eine Einzelauswertung der entsprechenden Akten ist in der Kürze der Zeit nicht zu leisten. Insoweit enthält die anliegende Auflistung lediglich die absolute Zahl. Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode Drucksache 18/1272 3 Typ Zahl der Zuweisungen Höhe der Zuweisungen Gemeinnützige Einrichtungen gemäß Liste d. GenStA 865 357.003,30 Euro Sonstige Geldauflagenemp- fänger 160 150.858,60 Euro Die Zahlen der als Anlagen 2 und 3 beigefügten Auflistungen sind den gemäß § 153a StPO endgültig eingestellten Verfahren entnommen und enthalten entsprechend die Anzahl und Höhe der tatsächlich gezahlten Geldbußen (Erfüllung der Auflage). 2. Ist ab einem bestimmten Betrag eine Gegenzeichnung oder Abgabe der Entscheidung über Geldauflagen der Staatsanwaltschaft vorgesehen? Wenn nein, beabsichtigt die Landesregierung entsprechende Verfügungen anderer Bundesländer zu übernehmen? Antwort zu Frage 2: Eine Gegenzeichnung oder Vorlagepflicht ist auch bei höheren Geldbußenzuweisungen nicht vorgesehen. Für eine entsprechende Regelung besteht kein Bedarf. Diese Auffassung wird von der Oberlandesgerichtspräsidentin und dem Generalstaatsanwalt in Schleswig geteilt. Sofern für die Einstellung eines Verfahrens gemäß § 153a StPO durch die Staatsanwaltschaft keine Zustimmung des Gerichts erforderlich ist (§ 153a Absatz 1 Satz 7 StPO i.V.m. § 153 Absatz 1 Satz 2 StPO), handelt es sich ohnehin nur um vergleichsweise geringe Beträge. In anderen Fällen hängt die Bußgeldzuweisung von der gerichtlichen Zustimmung ab und unterliegt insoweit der richterlichen Kontrolle. 3. Wie steht die Landesregierung zu der Praxis anderer Länder, neben der landes- weiten Liste interessierter Einrichtungen auch regionale Listen örtlich beschränkt tätiger Einrichtungen zu führen? Antwort zu Frage 3: Örtlich beschränkt tätige Einrichtungen, die an der Zuweisung von Geldauflagen in Strafverfahren interessiert sind, sind in dem Verzeichnis der Oberlandesgerichtspräsidentin sowie in der beim Generalstaatsanwalt geführten Liste der gemeinnützigen Einrichtungen mit Justiznähe enthalten. Einer weiteren gesonderten Liste bedarf es insoweit nicht. Die Listen/ Verzeichnisse liegen in elektronischer Form vor. Regionale oder sonst konkret gesuchte Einrichtungen lassen sich mithilfe von Suchbegriffen leicht auffinden. Drucksache 18/1272 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode 4 4. Wie steht die Landesregierung zu der Praxis anderer Länder bzw. dem Vor- schlag, die Aufnahme einer Einrichtung in die Interessentenliste von a) der jährlichen Veröffentlichung eines Rechenschaftsberichts, b) der Versicherung, dass die verantwortlichen Personen nicht einschlägig vorbestraft sind, c) dem Einverständnis in eine Information durch die Finanzbehörde bei Entfall der Gemeinnützigkeitsanerkennung, d) dem Einverständnis in eine Überprüfung der Mittelverwendung durch den Landesrechnungshof abhängig zu machen? Antwort zu Frage 4: Eine Erweiterung der Überprüfungs- und Kontrollmöglichkeiten ist nicht beabsichtigt . Es ist bisher hier kein Fall bekannt geworden, in dem eine Verschärfung der Zuverlässigkeits- oder Gemeinnützigkeitsüberprüfung Erkenntnisse erbracht hätte , aufgrund derer die Aufnahme einer Einrichtung in die Interessenliste abgelehnt worden wäre. 5. Welche Einrichtungen sind seit 2010 aus anderen Gründen als der ausgebliebe- nen Zuweisung von Geldauflagen wieder von der Interessentenliste entfernt worden und weshalb? In welcher Höhe wurden diese Einrichtungen zuvor begünstigt ? Antwort zu Frage 5: Solche Fälle liegen nicht vor. Insoweit wird auch auf die Antwort zur Frage 1 verwiesen . 6. Hält die Landesregierung zur Vermeidung von Doppelarbeit ein länderübergrei- fendes Verzeichnis bundesweit tätiger Einrichtungen für sinnvoll? Wenn ja, welche Schritte beabsichtigt sie einzuleiten? Antwort zu Frage 6: Ein länderübergreifendes Verzeichnis erscheint nicht sinnvoll (vgl. auch Antwort zu Frage 3). Die Präsidentin des Oberlandesgerichtes und der Generalstaatsanwalt in Schleswig weisen zu Recht darauf hin, dass die Pflege entsprechender Verzeichnisse mit einem unverhältnismäßig hohen Aufwand verbunden wäre. So würde sich die Frage stellen, wo und durch wen die Verzeichnisse geführt werden sollen, an welche Stelle die Einrichtungen die Aufnahme in die Liste beantragen sollen, insbesondere in den Fällen, in denen sich regionale Einrichtungen auch für überregionale Ziele einsetzen (z.B. in Bereichen der weltweiten humanitären Hilfe durch regionale Ärzte o.ä.). Dies dürfte zu Doppeleintragungen oder größerem Verwaltungsaufwand durch Abgleichungen der Daten usw. führen. Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode Drucksache 18/1272 5 7. Hält die Landesregierung länderübergreifende Mitteilungen über die (nicht nur durch Zeitablauf bedingte) Entfernung von Einrichtungen aus Interessentenlisten für sinnvoll, um Zuwendungen an unseriöse Einrichtungen zu verhindern? Wenn ja, welche Schritte beabsichtigt sie einzuleiten? Antwort zu Frage 7: Entsprechende Mitteilungen erscheinen ebenfalls wenig sinnvoll, nicht zuletzt, weil die Verzeichnisse nicht die gleichen Einrichtungen enthalten (vgl. auch Antwort zu Frage 6). 8. Wie steht die Landesregierung zu der Verfügung Nordrhein-Westfalens, wonach keine Empfängereinrichtung begünstigt werden darf, bei der eine außerdienstliche , private Mitgliedschaft des Entscheiders besteht, um Befangenheiten und auch nur den Anschein davon zu vermeiden? Will die Landesregierung diese Bestimmung übernehmen? Antwort zu Frage 8: Empfängereinrichtungen, die in der bei dem Generalstaatsanwalt geführten Liste sog. justiznaher Einrichtungen geführt werden, unterstützen in besonderem Maße die Arbeit der Justiz. Zentrum ihrer Arbeit ist die Verhinderung von Straftaten und der Opferschutz. Insoweit sind die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte angehalten , insbesondere diejenigen Einrichtungen bei der Auswahl von Zuwendungsempfängern zu berücksichtigen, die im Kern Aufgaben erfüllen, denen eine nachhaltig positive kriminalpolitische Wirkung zukommt. Dass insoweit Empfängereinrichtungen nicht begünstigt werden dürfen, bei denen eine Mitgliedschaft des Entscheiders besteht, erscheint auch unter dem Gesichtspunkt des Anscheins der Befangenheit nicht nachvollziehbar; Sowohl der Generalstaatsanwalt als auch die Oberlandesgerichtspräsidentin weisen darauf hin, dass ein Verbot der Begünstigung einer der/dem Entscheider/in nahestehenden Organisationen zur Folge hätte, dass gerade die justiznahen Einrichtungen, deren Mitglieder vermehrt aus dem Kreise der Dezernent(inn)en stammen (z.B. Weißer Ring, Bund gegen Alkohol im Straßenverkehr usw.), von der Zuweisung von Geldauflagen ausgeschlossen würden. Bestimmungen, die die Begünstigung einer solchen Organisation verbieten, gibt es entsprechend nicht. Soweit andere Einrichtungen als justiznahe Einrichtungen durch die Dezernent(inn)en der Staatsanwaltschaften begünstigt werden sollen, besteht die Pflicht zur Vorlage an die/den zuständige/n Abteilungsleiter/in. Drucksache 18/1272 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode 6 9. Will die Landesregierung die Praxis Nordrhein-Westfalens übernehmen, einen jährlichen Zuwendungsbericht zu veröffentlichen (LT-Drs. 16/870)? Wenn nein, warum nicht? Antwort zu Frage 9: Die Veröffentlichung eines Zuwendungsberichts erscheint – auch angesichts des mit einer entsprechenden Erhebung verbundenen Aufwands – nicht erforderlich. Eine Kontrolle wird durch die hier jährlich vorzunehmende Auswertung ausreichend gewährleistet. 10. Wie steht die Landesregierung zu der Einrichtung von Sammelfonds in anderen Bundesländern, über deren Verwendung mehrere Personen gemeinsam entscheiden ? Will die Landesregierung diesem Beispiel folgen? Antwort zu Frage 10: Gegen die Einrichtung eines Sammelfonds und die Verteilung des Geldbußenaufkommens durch ein Gremium bestehen erhebliche Bedenken. Ein solches Verfahren würde zum einen einen erheblichen zusätzlichen Verwaltungsaufwand ausmachen, insbesondere auch wegen der möglichen Anfechtbarkeit dieser Entscheidung als Verwaltungsakt und Eröffnung des Rechtsweges. Zum anderen weist die Oberlandesgerichtspräsidentin zu Recht darauf hin, dass dies zu einer Beschneidung der richterlichen Befugnisse in Bezug auf die Auswahl der konkreten strafrechtlichen Sanktion führen würde. Regelmäßig erfolge durch die Richter /innen die Auswahl der begünstigten Einrichtung unter Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse des Opfers, des Täters oder sonstiger Tatumstände. So werden z.B. wegen Taten häuslicher Gewalt Geldbußen zugunsten der Träger der Jugendhilfe und bei Taten zum Nachteil von Polizeibeamten Geldauflagen zugunsten des Polizeierholungswerks verhängt. 11. Wie steht die Landesregierung zu der Forderung, das Strafprozessrecht dahin zu ändern, dass die Auswahl der begünstigten Einrichtung zu begründen ist? Antwort zu Frage 11: Die Zuweisungspraxis hat sich aus Sicht der Staatsanwaltschaft bewährt. Der Einführung einer Begründungspflicht, die nicht zuletzt mit einer nicht unerheblichen Mehrarbeit für die Dezernt(inn)en verbunden wäre, bedarf es mithin nicht. Darüber hinaus ist es im Bereich der Bewährungsauflagen anerkannt und alltägliche Praxis, dass Bewährungsdauer und die Auswahl der erteilten Auflagen und Weisungen nicht begründet werden.