SCHLESWIG-HOLSTEINISCHER LANDTAG Drucksache 18/1330 18. Wahlperiode 2013-12-04 Kleine Anfrage des Abgeordneten Dr. Patrick Breyer (PIRATEN) und Antwort der Landesregierung - Innenminister Dauerobservation entlassener Sexualstraftäter 1. Wie viele wegen eines Sexualdelikts verurteilte Personen werden gegenwärtig zur Verhinderung weiterer Sexualdelikte observiert und seit wann? Antwort: Es gibt gegenwärtig keine dauerhaften polizeilichen Observationen bzw. Überwachungen entlassener Sexualstraftäter. 2. Wie viele Arbeitskraftanteile werden dadurch gebunden? Antwort: Siehe Antwort zu Frage 1. Ohne Bezug zu einem konkreten Sachverhalt lässt sich die Frage wie folgt beantworten: Für eine ganztägige, auf einen längeren Zeitraum ausgelegte Überwachung wären jeweils 5 bis 6 Observationsteams (je 2 Beamte) in Ansatz zu bringen (Erfahrungswert). 3. Wie alt ist jeweils das neueste medizinische Gutachten, auf welches die Be- sorgnis eines möglichen Rückfalls gestützt ist? Antwort: Siehe Antwort zu Frage 1. Drucksache 18/1330 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode 4. Verfügt die Landesregierung über wissenschaftliche Erkenntnisse zu der Frage , ob das Rückfallrisiko entlassener Sexualstraftäter im Fall einer Dauerobservation geringer ist als sonst? Wenn ja, welche? Wenn nein, sind entsprechende Untersuchungen beabsichtigt? Antwort: Der Landesregierung liegen keine wissenschaftlichen Erkenntnisse im Sinne der Fragestellung vor. Sie sieht darüber hinaus keine Notwendigkeit, entsprechende Untersuchungen zu veranlassen. Der Landesregierung ist in diesem Zusammenhang die Entscheidung des VGH Mannheim vom 31.01.13 (1 S 1817/12) bekannt. Dieser hat sich zum Erfordernis eines aktuellen psychiatrischen Gutachtens zur Rückfallgefahr als eine Entscheidungsquelle für eine polizeiliche Observation eines entlassenen Gewalt- und Sexualstraftäters zwar klar positioniert. Entsprechendes für das schleswig-holsteinische Polizeirecht anzunehmen, geht angesichts des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichtes vom 08. November 2012 (Az.: 1 BvR 22/12) zur Frage der Zulässigkeit längerfristiger polizeilicher Beobachtung eines aus der Sicherungsverwahrung in Baden-Württemberg Entlassenen dennoch fehl. Bedeutsam ist laut Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts 82/2012 vom 04.12.2012 zum Beschluss 1 BvR 22/12 vom 8.11.12, dass sich „…. die Dauerobservation eines aus der Sicherungsverwahrung entlassenen Mannes (…) auf hinreichend aktuelle Tatsachengrundlagen zur Einschätzung seiner Gefährlichkeit stützen (muss)“. Polizeiliche Maßnahmen haben sich also auf aktuelle Erkenntnisse und nicht ausschließlich auf ältere gutachterliche Prognosen zu stützen. Solche verfassungsgerichtlich verlangten Tatsachen trug die Polizei dem AG Neumünster in ihren jeweils auf drei Monate ausgerichteten Anträgen vor, um einen in Neumünster unter Führungsaufsicht stehenden Pädophilen dauerhaft auf der Grundlage des schleswig-holsteinischen Polizeirechts zur Verhinderung konkreter Straftaten sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen beobachten zu können. In dem jeweiligen polizeilichen Observationsantrag wurden jüngst festgestellte Tatvorbereitungshandlungen für Sexualstraftaten auch zum Gegenstand von Führungsaufsichtsweisungen, damit sie ggf. als Verstoß nach § 145a StGB strafbar werden. Die Person versuchte trotz von ihr zu tragender Technik zur elektronischen Aufenthaltsüberwachung (EAÜ), trotz konkretisierter Weisung im Führungsaufsichtsbeschluss, trotz laufender Berufungsverhandlung , trotz erneuter Verurteilung im Berufungsverfahren und trotz offener Begleitung durch Polizeibeamte weiterhin, Kontakt zu Minderjährigen aufzunehmen. Zur Verhinderung entsprechender Straftaten des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen war es nicht nur erforderlich, Auflagen und Weisungen gegen die Person auszusprechen, sondern deren Einhaltung auch permanent polizeilich zu kontrollieren, um unmittelbar die Begehung weiterer Straftaten verhindern zu können. Das Amtsgericht Neumünster beurteilte zur Feststellung der materiellen Anordnungsvoraussetzungen die von der Polizei vorgetragenen Tatsachen nach freiem Ermessen (siehe § 186 LVwG in Verbindung mit dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG, dort Buch 1) und gab den Anträgen der Polizei statt. Die Person verbüßt aktuell eine Freiheitsstrafe wegen der Weisungsverstöße und wird voraussichtlich am 15. Juni 2014 aus der Strafhaft entlassen. Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode Drucksache 18/1330 5. Sieht die Landesregierung in Anbetracht der Möglichkeit einer elektronischen Aufenthaltsüberwachung nach § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 12 StGB noch einen Bedarf nach einer Dauerobservation entlassener Sexualstraftäter? Antwort: Alternative stellt sich nicht, wie das in der Antwort zur Frage 4 geschilderte Beispiel beweist. 6. Das Verwaltungsgericht Freiburg hat am 14.02.2013 entschieden, dass eine jahrelange ununterbrochene Überwachung rund um die Uhr von - für rückfallgefährdet gehaltenen - Sexualstraftätern zum Zwecke der Verhinderung erneuter Sexualstraftaten unzulässig ist, weil es dafür einer über die allgemeine Observationsbefugnis und die polizeiliche Generalklausel hinaus gehender gesetzlichen Ermächtigung bedürfte (Az. 4 K 1115/12). Ist diese Entscheidung nach Auffassung der Landesregierung auf das schleswig -holsteinische Polizeirecht übertragbar? Wie begründet die Landesregierung ihre Auffassung und welche Konsequenzen beabsichtigt sie daraus zu ziehen? Antwort: Die zitierte Entscheidung des VG Freiburg ist schon deshalb nicht auf Schleswig -Holstein übertragbar, weil sich die materiellen Voraussetzungen des § 22 Abs. 3 Polizeigesetz Baden-Württemberg, seine Verfahrenssicherungen in Absatz 6 von denen der §§ 185, 186 Landesverwaltungsgesetz SchleswigHolstein grundlegend unterscheiden. Die Entscheidung des VG Freiburg ist deshalb auf Schleswig-Holstein nicht übertragbar. 7. Ist ein Rechtsstreit über die Zulässigkeit einer Dauerobservation entlassener Sexualstraftäter anhängig oder anhängig gewesen und wie ist gegebenenfalls der Verfahrensstand oder Verfahrensausgang? Antwort: Auf den in der Antwort zur Frage 4 geschilderten Sachverhalt wird Bezug genommen . Zwei im Jahre 2010 aus der Sicherungsverwahrung aus der JVA Lübeck Entlassene wurden durch Beschlüsse des AG Lübeck polizeilich dauerbegleitet .