SCHLESWIG-HOLSTEINISCHER LANDTAG Drucksache 18/ 1777 18. Wahlperiode 2014-04-16 Kleine Anfrage des Abgeordneten Wolfgang Kubicki (FDP) und Antwort der Landesregierung - Innenminister Datenauswertung durch private Dienstleister 1. In wie vielen Fällen wurden seit dem Jahr 2008 bei der Auswertung beschlag- nahmter Computer und Festplatten private Dienstleister beauftragt? Bitte nach Jahren aufschlüsseln. 2. Wie viele und welche Dienstleister wurden hierfür ab 2008 beauftragt? Bitte nach Jahren aufschlüsseln. 3. Warum wurden für diese Auswertung private Dienstleister beauftragt und nicht Landesbedienstete eingesetzt? 4. Wie gewährleistet die Landesregierung konkret, dass bei der Beauftragung priva- ter Dienstleister die notwendigen datenschutzrechtlichen Anforderungen eingehalten werden? 5. Ist gewährleistet, dass die in dem Artikel „Private Detektive helfen dem Staatsan- walt“ des SHZ vom 19.03.2014 geschilderten Interessenkollisionen zwischen Staatsanwaltschaften und Klägern vermieden werden? Bitte begründen. Drucksache 18/1777 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode 2 Antwort zu Fragen 1 bis 5: Die Beauftragung privater Dienstleister mit der Auswertung von Datenträgern erfolgt durch Entscheidung der zuständigen Staatsanwaltschaft. Der Leitende Oberstaatsanwalt in Flensburg hat mitgeteilt, dass sich die mit der Anfrage aufgeworfenen Fragen nur durch manuelle Auswertung aller in Betracht kommenden Verfahren beantworten ließen. Soweit der Leitende Oberstaatsanwalt in Flensburg die mit einschlägigen Verfahren befassten Dezernenten (soweit diese noch bei der Staatsanwaltschaft Flensburg tätig sind) um Schätzungen gebeten hat, berichtet er wie folgt: Erinnerlich ist aus dem Bereich Kinderpornografie lediglich ein Verfahren aus dem Jahr 2013, in dem ein privater Dienstleister entsprechend beauftragt wurde. Im Bereich Urheberrecht ist eine valide Schätzung der Fallzahlen nicht möglich. Im Jahr 2008 und – in wenigen Fällen – im Jahr 2009 wurden in Verfahren wegen Urheberrechtsverletzungen Mitarbeiter der Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen e.V. (GVU) aufgrund ihrer Sachkunde und Kapazitätsproblemen der Polizei (bei den strafrechtlich nicht sehr bedeutsamen Verletzungen von Urheberrechten) als sachverständige Zeugen und zur Auswertung der sichergestellten Datenträger herangezogen. Dies erfolgte jeweils mit dem Einverständnis der Beschuldigten. Die Daten hätte die GVU im Übrigen im Rahmen der Aktenauskunft als Vertreter der Geschädigten ohnehin erhalten können. Die herangezogenen Mitarbeiter der GVU wurden strafprozessual nicht als (objektive ) Sachverständige, sondern als sachverständige Zeugen behandelt. Die in dem Presseartikel des SHZ vom 19. März 2014 geschilderte Problematik war und ist bekannt und wurde entsprechend berücksichtigt. Verstöße gegen den Datenschutz waren praktisch auszuschließen, weil den Geschädigten ein Auskunftsrecht nach § 406e StPO ohnehin zuzumessen war. Der Leitende Oberstaatsanwalt in Itzehoe hat mitgeteilt, dass im Jahr 2009 in einem Fall ein externer Sachverständiger mit der Auswertung von Datenträgern beauftragt worden ist. Auftragnehmer war die Firma FAST-DETECT GmbH in München. Zum Zeitpunkt der Auftragserteilung war die für Auswertungen zuständige ITBeweissicherungsdienststelle (ITB) der Polizei in Itzehoe überlastet. Die Auftragserteilung erfolgte an die Firma Fast-Detect, weil diese Gesellschaft sich bereits zuvor bei ihrer Tätigkeit für andere Strafverfolgungsbehörden im Bundesgebiet einen Ruf als zuverlässig und seriös erworben hatte. Die Auftragsabwicklung gestaltete sich nach Mitteilung des Leitenden Oberstaatsanwalts in Itzehoe auch in dem Fall im Jahr 2009 komplikationslos. Interessenkollisionen der in dem Presseartikel des SHZ vom 19. März 2014 beschriebenen Art waren nach Mitteilung des Leitenden Oberstaatsanwalts in Itzehoe von vornherein ausgeschlossen, da weder die Verletzung von Urheberrechten noch sonstiger vermögenswerter Positionen Dritter unmittelbar oder mittelbar Gegenstand des Verfahrens war. Es ging allein um das Auffinden etwaiger strafbewehrter Kinderpornografie. Der Leitende Oberstaatsanwalt in Kiel hat mitgeteilt, dass Aufträge an externe Firmen bei der Staatsanwaltschaft Kiel statistisch nicht erfasst werden, sondern nur durch arbeitsintensive Recherchen ermittelbar wären. Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode Drucksache 18/1777 3 Durch die Staatsanwaltschaft Kiel wird als externer Dienstleister grundsätzlich die Firma FAST-DETECT GmbH in München beauftragt. Die Entscheidung, ob externe Dienstleister zum Einsatz kommen, richtet sich nach Mitteilung des Leitenden Oberstaatsanwalts in Kiel nach verschiedenen Kriterien : Zunächst wird geprüft, ob die IT-Beweissicherungsdienststelle der Polizei (ITB) Kapazitäten für eine zeitnahe Auswertung hat. Das ist nicht immer der Fall, so dass zum Beispiel in Haftsachen oder Verfahren gegen Verantwortliche von Gewerbebetrieben, in denen der Fortbestand und die Ermöglichung der reibungslosen Fortführung des Geschäftsbetriebes zu besorgen ist, aus Gründen der Beschleunigung eine externe Beauftragung erfolgt. In Wirtschafts- und Korruptionsverfahren sind der Umfang des Servernetzwerkes sowie die Art der Betriebssysteme für eine entsprechende Entscheidung bedeutsam. Weitere Kriterien sind zum Beispiel der Einsatz besonderer Verschlüsselungssoftware oder die notwendige Sicherung des RAM-Speichers. Die Firma FAST-DETECT GmbH ist zertifiziert und hat besondere Erfahrungen im forensischen Bereich; sie wird von zahlreichen Justizbehörden (Gerichten und Staatsanwaltschaften) im gesamten Bundesgebiet beauftragt. Aus Sicht des Leitenden Oberstaatsanwalts in Kiel gab es bei den Beauftragungen in seinem Geschäftsbereich keine Anhaltspunkte dafür, dass überhaupt ein Interessenkonflikt im Sinne der in dem Presseartikel des SHZ vom 19. März 2014 geschilderten Problematik bestehen könnte. Der Leitende Oberstaatsanwalt in Lübeck hat mitgeteilt, dass Auswertungen sihergestellter Datenträger und Speichermedien in seinem Geschäftsbereich seit dem Jahr 2008 ausschließlich durch Dienststellen des Bundes und des Landes vorgenommen worden sind. Fremdfirmen oder Privatpersonen wurden nicht beauftragt . Ergänzend ist in Abstimmung mit dem Generalstaatsanwalt des Landes Schleswig -Holstein – insbesondere zu den Fragen 4 und 5 der Anfrage – anzumerken: Grundsätzlich begegnet weder die Beauftragung privater Dienstleister als Sachverständige im Rahmen des Ermittlungsverfahrens noch die Hinzuziehung privater Dienstleister als Sachverständige im Rahmen einer Durchsuchung oder der sich hieran ggf. anschließenden Durchsicht von Papieren (§ 110 StPO) durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Gemäß § 161a Absatz 1 Satz 2 StPO gelten die §§ 73 - 76, 78, 80 StPO im Vorverfahren entsprechend. Damit ist sowohl die Beauftragung öffentlich bestellter Sachverständiger wie auch die Beauftragung anderer als öffentlich bestellter Sachverständiger – wie sich aus dem Umkehrschluss zu § 73 Absatz 2 StPO ergibt – durch die Staatsanwaltschaft im Rahmen des Ermittlungsverfahrens grundsätzlich zulässig. Auch können nach nahezu einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Literatur durch die Staatsanwaltschaft Sachverständige bereits zur Durchsuchung (vgl. insoweit Meyer-Goßner, StPO, 56. Auflage, § 105 Rn. 8b mwN) wie auch im Rahmen der Durchsicht von Papieren i.S.d. § 110 StPO (vgl. insoweit MeyerGoßner , aaO, § 110 Rn. 2a und 3 mwN) hinzugezogen werden. Die Durchsicht von Papieren in diesem Sinne umfasst dabei auch alle elektronischen Datenträger und Datenspeicher (vgl. Meyer-Goßner, aaO, § 110 Rn. 1 mwN). In welchen Fällen ein Sachverständiger in diesem Rahmen beauftragt wird, obliegt der einzelfallbezogenen Sachentscheidung des ermittelnden Staatsanwalts. Drucksache 18/1777 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode 4 Soweit in Frage 5 der Kleinen Anfrage ein Presseartikel des SHZ vom 19. März 2014 in Bezug genommen wird, handelt es sich bei der in jenem Artikel geschilderten „Interessenkollision“ augenscheinlich um Vorgänge aus den Jahren 2007 bzw. 2008 im Zusammenhang mit der Heranziehung sachkundiger Mitarbeiter der GVU e.V. Die Heranziehung von sachkundigen Mitarbeitern von im Lager der Anzeigenden stehenden Firmen zur Bewertung sichergestellter Datenträger ist grundsätzlich zulässig. Entsprechend hat der Strafrechtsausschuss der Justizministerkonferenz in seiner Sitzung vom 11. bis 13. Juni 2007 festgestellt, dass die Zulässigkeit einer Hinzuziehung von Mitarbeitern der GVU e.V. zu Durchsuchungen übereinstimmend bejaht werde. Einschränkungen ergäben sich allein aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit; Bedenken seien hinsichtlich einer Überlassung von Datenträgern erhoben worden, die neben verfahrensrelevanten auch private Daten enthielten. Für die Staatsanwaltschaften in Schleswig-Holstein ist dieses Problem unter anderem auf den gemeinsamen Dienstbesprechungen des Generalstaatsanwalts mit den Leitenden Oberstaatsanwälten vom 13. Februar 2008 und 01. Oktober 2008 erörtert worden. Hiernach besteht für das Problem der Überlassung sichergestellter Datenträger Einvernehmen, dass entweder lediglich anonymisierte Datenkopien – d.h. lediglich Teilkopien der verfahrensrelevanten Daten ohne private Daten – der sichergestellten Festplatten an entsprechende sachkundige Mitarbeiter aus dem Lager der Anzeigenden übergeben werden dürfen oder der Beschuldigte nach entsprechender Belehrung in eine Übermittlung sämtlicher Daten zuvor einwilligen muss. Datenschutzrechtliche Verstöße der beauftragten Sachverständigen sind bislang weder dem Generalstaatsanwalt des Landes Schleswig-Holstein noch dem MJKE bekannt geworden. Insoweit normieren § 203 Absatz 2 Nummern 2 und 5 StGB für öffentlich bestellte bzw. für den öffentlichen Dienst besonders verpflichtete Sachverständige die Strafbarkeit einer unbefugten Offenbarung der im Rahmen des Gutachtenauftrages bekannt gewordenen fremden Geheimnisse. Auch liegt im Falle einer Datenauswertung durch private Dienstleister regelmäßig eine Übermittlung personenbezogener Daten vor, die dem besonderen Amtsgeheimnis des § 203 StGB unterliegen, so dass diese Daten entsprechend § 39 Absatz 1 BDSG nur für den Zweck verarbeitet und genutzt werden dürfen, für welchen sie übermittelt wurden. Die Nutzung der übermittelten personenbezogenen Daten für andere Zwecke – beispielsweise durch Offenbarung gegenüber Dritten – stellt eine Ordnungswidrigkeit nach § 43 Absatz 2 Nummer 5 BDSG dar und steht bei vorsätzlichem Handeln nach § 44 BDSG unter Strafe. 6. Gibt es seitens der Landesregierung Bestrebungen hin zu einer Bündelung der entsprechenden Kompetenzen der Norddeutschen Bundesländer bei der Datenauswertung ? Wenn ja, wie sieht diese konkret aus? Wenn nein, warum nicht? Antwort: Entsprechende Bestrebungen bestehen seitens der Landesregierung nicht. Die forensischen Untersuchungseinheiten der Polizei sind in den vergangenen Jahren stufenweise verstärkt worden. Trotzdem können nicht alle Ersuchen zeit- Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode Drucksache 18/1777 5 gerecht bearbeitet werden, da die einzelfallbezogene Anforderung an Spezialisierung sowie der Umfang der Daten schneller wachsen als die Möglichkeit, ausgebildetes und ausgestattetes Personal bedarfsgerecht in die Untersuchungsbereiche nachzusteuern. Die starke Auslastung der Untersuchungsstellen liegt in vergleichbarer Form in allen norddeutschen Bundesländern vor. Im Rahmen spezialisierter Ermittlungen erfolgen im Einzelfall Unterstützungen durch die Landeskriminalämter der norddeutschen Bundesländer und des Bundeskriminalamtes. 7. Plant die Landesregierung von der Praxis, externe Dienstleister zur Datenauswer- tung zu beauftragen, mittel- bis langfristig Abstand zu nehmen? Bitte begründen. Antwort: Nach Einschätzung der Landesregierung wird es neben der Stärkung der polizeieigenen Untersuchungsbereiche auch künftig erforderlich sein, zur Bewältigung besonderer qualitativer und quantitativer Anforderungen auf private Dienstleister zurückzugreifen.