SCHLESWIG-HOLSTEINISCHER LANDTAG Drucksache 18/1798 18. Wahlperiode 25. April 2014 Kleine Anfrage des Abgeordneten Dr. Patrick Breyer (PIRATEN) und Antwort der Landesregierung – Ministerin für Justiz, Kultur und Europa Überlange Dauer von Gerichtsverfahren Vorbemerkung der Landesregierung Die Anfrage bezieht sich auf das seit dem 3. Dezember 2011 geltende Gesetz zum Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜGRG) vom 24. November 2011 (BGBl. I, S. 2302). Der in dem Gesetz vorgesehene Entschädigungsanspruch (§§ 198 ff. Gerichtsverfassungsgesetz – GVG -) dient der Umsetzung des vom Grundgesetz und von der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) garantierten subjektiven Rechts auf gerichtlichen Rechtsschutz in angemessener Zeit. Bei Gefährdungen und Verletzungen dieses Anspruchs müssen Betroffene eine Möglichkeit haben, ihr Recht auf ein zügiges Gerichtsverfahren durchzusetzen und im Falle bereits eingetretener Verzögerungen einen Ausgleich für erlittene Nachteile zu erhalten (BT-Drs. 17/3802, S. 15). Dabei muss das Gesetz sowohl den Anforderungen an einen effektiven Individualrechtsschutz genügen als auch dem Gebot der richterlichen Unabhängigkeit gerecht werden, die ihrerseits alle Schritte der Rechtsfindung einschließlich der zeitlichen Gestaltung von Verfahren umfasst. Aktuell findet im Auftrag des Deutschen Bundestages (BT-Drs. 17/7217 – Entschließung Ziff. II, S. 3 f.) eine Evaluierung der Neuregelung statt. Für den evaluierten Zeitraum von Dezember 2011 bis zum 31. Dezember 2013 hat Schleswig-Holstein seine Angaben an die zuständigen Bundesministerien übermittelt (vgl. Medien-Information des MJKE vom 18. März 2014). Weiteres statistisches Material ist im Ministerium für Justiz, Kultur und Europa in aufbereiteter Form über die nachfolgenden Angaben hinaus noch nicht vorhanden. Insbesondere ist der Zeitraum ab dem 1. Januar 2014 statistisch noch nicht erfasst, da die von den Gerichten zu erstellenden Berichte über die jeweils im Quartal erfassten Verzögerungsrügen und Klagen für das erste Quartal Drucksache 18/1798 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode 2 2014 noch nicht vorliegen. Angaben hierzu sind demgemäß vor Ablauf der den Gerichten gesetzten Fristen innerhalb der für die Beantwortung der Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit zumutbar nicht zu ermitteln. Im Übrigen wurde zum Schutze der Funktions- und Arbeitsfähigkeit an den Gerichten des Landes von einer gesonderten Auswertung sämtlicher dort vorhandenen Akten zur Beschaffung der weitergehend erbetenen Informationen abgesehen. Eine solche Auswertung insbesondere der noch laufenden Verfahren würde zu Verzögerungen im gerichtlichen Verfahrensablauf führen, die dem Zweck des Gesetzes zum Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gerade zuwider liefen. Die nachfolgenden Angaben beschränken sich daher auf den beschriebenen Erhebungszeitraum vom Inkrafttreten des Gesetzes im Dezember 2011 bis zum 31. Dezember 2013. 1. Zu den gemäß § 198 Gerichtsverfassungsgesetz erhobenen Verzögerungsrügen wird um folgende Angaben gebeten: a) Jahr der Rüge b) Gericht, gegenüber dem eine Verzögerung gerügt worden ist c) gesamte Verfahrensdauer im gerügten Verfahren im Zeitpunkt der Rüge d) Verfahrensgegenstand Antwort zu Frage 1a) und b): Die vorhandenen Angaben zum Jahr der gemäß § 198 Gerichtsverfassungsgesetz erhobenen Verzögerungsrügen (a) und zum Gericht, gegenüber dem eine Verzögerung gegenüber gerügt worden ist (b), sind nachfolgend dargestellt . Soweit im Erhebungszeitraum teilweise „keine Angaben“ zu einzelnen Gerichten gemacht werden können, liegen hierzu die erbetenen Informationen im Ministerium für Justiz, Kultur und Europa nicht vor. Hintergrund ist ein Schreiben des Bundesamtes der Justiz vom 21. Dezember 2011, wonach eine Erhebung der Verzögerungsrüge zunächst ausdrücklich von der statistischen Erfassung ausgenommen war. Die vom MJKE gleichwohl gewünschte Erfassung hat in der Folge leider nicht alle Gerichte erreicht. Entsprechend hat die Präsidentin des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts im Zusammenhang mit der Evaluierung durch Berichtserhebung auf Bundesebene bereits mit Schreiben vom 20. Februar 2014 darauf hingewiesen, dass die Evaluierungs -Fragebögen nur teilweise ausgefüllt werden konnten, weil diese erst im November 2013 zur Verfügung gestellt worden waren. Wörtlich heißt es: Mithin war es nachträglich nicht mehr mit vertretbarem Aufwand möglich (insbesondere zur Fragestellung der Kompensation der unangemessenen Dauer im strafgerichtlichen Verfahren) valide Ergebnisse zu gewinnen. … Es wäre für valide Ergebnisse unabdingbar gewesen, die zu erhebenden Punkte vollumfänglich vor dem Erfassungszeitraum zu kennen, um entsprechende Maßnahmen bei den Gerichten einleiten zu können. Im Nachhinein befinden sich die Akten oftmals nicht einmal bei dem Gericht, welches nunmehr Auskunft erteilen müsste. Gericht Verzögerungsrügen 2012 2013 Amtsgerichte Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode Drucksache 18/1798 3 Insgesamt 40 55 AG Flensburg Keine Angaben 2 AG Husum Keine Angaben 0 AG Niebüll Keine Angaben 1 AG Schleswig Keine Angaben 2 AG Elmshorn Keine Angaben Keine Angaben AG Itzehoe Keine Angaben Keine Angaben AG Meldorf Keine Angaben Keine Angaben AG Pinneberg Keine Angaben Keine Angaben AG Kiel Keine Angaben 13 AG Segeberg Keine Angaben 6 AG Eckernförde Keine Angaben 7 AG Neumünster Keine Angaben 5 AG Norderstedt Keine Angaben 1 AG Plön Keine Angaben 3 AG Rendsburg Keine Angaben 0 AG Lübeck 1 1 AG Ahrensburg 2 0 AG Eutin 0 0 AG Oldenburg 0 5 AG Ratzeburg 0 1 AG Reinbek 2 2 AG Schwarzenbek 1 2 Landgerichte Insgesamt 79 47 LG Flensburg 37 11 LG Itzehoe 6 10 LG Kiel 19 18 LG Lübeck 17 8 Oberlandesgericht 2 2 Verwaltungsgerichtsbarkeit Insgesamt 11 5 OVG 3 0 VerwG 8 5 Finanzgericht 1 2 Arbeitsgerichtsbarkeit Insgesamt 3 0 LArbG 0 0 ArbG Elmshorn 2 0 ArbG Flensburg 0 0 ArbG Kiel 1 0 ArbG Lübeck 0 0 ArbG Neumünster 0 0 Drucksache 18/1798 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode 4 Sozialgerichtsbarkeit Insgesamt 118 89 LSG 7 12 SG Itzehoe 19 31 SG Kiel 32 31 SG Lübeck 22 6 SG Schleswig 37 9 Antwort zu Frage 1 c): Zur gesamten Verfahrensdauer im gerügten Verfahren sind innerhalb der zur Beantwortung einer Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Frist von zwei Wochen keine Angaben möglich. Das MJKE weist darauf hin, dass Angaben zur Verfahrensdauer im Ausgangsverfahren statistisch nicht erhoben werden. Eine Erfassung an den einzelnen Gerichten wäre nur im Wege der Einzeldurchsicht sämtlicher Akten möglich und ist - ohne die Funktions- und Arbeitsfähigkeit an den Gerichten unverhältnismäßig zu belasten - nicht zu leisten. Antwort zu Frage 1 d): Zum Verfahrensgegenstand werden keine statistischen Informationen erhoben . Eine Einzelauswertung scheidet aus den o.g. Gründen aus. Soweit gleichwohl für den Bereich der Sozialgerichtsbarkeit eine statistische Erfassung von Verfahrensarten erfolgt ist, sind für die Jahre 2012 und 2013 nachstehende Verzögerungsrügen bezeichnet: Verfahrensart Verzögerungsrügen 2012 2013 Krankenversicherung 11 28 Vertrags(zahn)arztangelegenheiten 0 3 Pflegeversicherung 1 1 Unfallversicherung 4 2 Rentenversicherung 17 7 Angelegenheiten der Bundesagentur für Arbeit 6 3 Angelegenheiten nach dem SGB II 40 11 Streitigkeiten nach dem SGB XII 9 6 Opferentschädigungsgesetz 2 2 Soldatenversorgung 1 1 Verfahren zur Feststellung der Behinderung 5 4 Erziehungsgeld und Elternrecht 0 1 SF-Sachen 13 8 2. Zu den Entschädigungsklagen gem. § 198 Abs. 5 GVG wird um folgende Angaben gebeten: Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode Drucksache 18/1798 5 a) Jahr der Klageerhebung b) Gericht, dem eine überlange Verfahrensdauer vorgeworfen wird c) gesamte Verfahrensdauer im Ausgangsverfahren im Zeitpunkt der Erhe- bung der Entschädigungsklage d) bei abgeschlossenen Verfahren: Verfahrensabschluss (Urteil, Vergleich) e) bei abgeschlossenen Verfahren: Höhe der Entschädigungszahlung Antwort zu Frage 2 a): Die Angaben zum Jahr der gemäß § 198 Gerichtsverfassungsgesetz bei den jeweils zuständigen Gerichten eingegangenen Entschädigungsklagen sind nachfolgend dargestellt. Eingegangene Entschädigungsklagen 2012 2013 Ordentliche Gerichtsbarkeit insgesamt 11 7 Verwaltungsgerichtsbarkeit 0 0 Sozialgerichtsbarkeit 6 12 Arbeitsgerichtsbarkeit 0 0 Antwort zu Frage 2 b): Eine statistische Erfassung für die einzelnen Gerichte des Ausgangsverfahrens erfolgt nicht und ist aus o.g. Gründen, mit Ausnahme der nachfolgenden Angaben, zumutbar nicht zu ermitteln. Antwort zu Frage 2 c) bis e): Bis zum 31. Dezember 2013 sind in der Zivilgerichtsbarkeit dreizehn Klagen auf Entschädigung durch Urteil als unbegründet abgewiesen worden. Allerdings wurde in zwei Fällen vom Gericht festgestellt, dass eine unangemessene Verfahrensdauer vorlag, ohne dass dies jedoch zu einer Zahlungsverpflichtung geführt hat: In dem einen Fall hatte das OLG Schleswig einen Zeitraum von einem Jahr als unangemessen bewertet, in dem das Ausgangsgericht (LG Lübeck) in einem bereits gut sieben Jahre in erster Instanz andauernden, noch nicht abgeschlossenen Verkehrsunfallprozess untätig gewesen war. In dem anderen Fall bewertete das OLG einen Zeitraum von sechzehn Monaten als unangemessen lang; hier lag eine knapp zweieinhalb Jahre währende Nachbarstreitigkeit vor dem Amtsgericht Rendsburg auf Unterlassung zugrunde . In beiden Fällen sah das Gericht allein die Feststellung gemäß § 198 Abs. 4 GVG, dass das Verfahren überlang war, zur Genugtuung des Klägers als ausreichend an. In der Sozialgerichtsbarkeit sind bis zum 31. Dezember 2013 sechs Verfahren abgeschlossen worden, vier davon durch Klagrücknahme und zwei durch klagabweisendes Urteil. Die Rücknahmen erfolgten nach Ablehnung von Anträgen auf Prozesskostenhilfe wegen fehlender Erfolgsaussichten der Klage. Drucksache 18/1798 Schleswig-Holsteinischer Landtag - 18. Wahlperiode 6 In den beiden Urteilen wurde keine unangemessene Verfahrensdauer festgestellt ; entsprechend war keine Entschädigungszahlung zu leisten. In der Strafgerichtsbarkeit sind von den vier Klagen auf Entschädigung drei zurückgenommen und eine ist durch Urteil als unbegründet abgewiesen worden . Für die Finanzgerichtsbarkeit können insgesamt keine Angaben über Entschädigungsklagen gemacht werden, weil die Finanzgerichtsbarkeit nur über zwei Instanzenzüge verfügt und die Zuständigkeit für diese Klagen gemäß § 155 Satz 2 Finanzgerichtsordnung beim Bundesfinanzhof liegt.